Читать книгу Gemeinsam gegen Krebs - Prof. Dr. med. Gustav Dobos - Страница 6
Probleme in der Tumormedizin
ОглавлениеEine große Schwierigkeit bei solchen systemischen Therapien besteht darin, dass sie nicht bei allen Patienten gleich wirken – warum das aber so ist, liegt häufig im Verborgenen. Gleichzeitig haben die meisten Krebskranken den Wunsch, auch jede noch so kleine Chance für sich wahrzunehmen – und noch erfüllt das Gesundheitssystem diesen Anspruch. Einige Menschenleben können zweifelsohne auf diese Weise gerettet werden, ein viel größerer Anteil an Patienten aber unterzieht sich einer (zudem sehr teuren) Chemotherapie, ohne dass sie ihnen immer helfen kann. Stattdessen schwächt sie den Organismus weiter und mindert die Lebensqualität.
Zu wenig Versorgungsforschung
Hinzu kommt, dass auch aus epidemiologischer Sicht nur unzureichend erfasst wird, ob jede Tumortherapie wirklich Erfolg hat. Zwar halten die Kliniken fest, was bei der routinemäßigen Behandlung ihrer Patienten herauskam. Weil aber das nationale Krebsregister wegen jahrzehntelanger politischer Debatten immer noch unzureichend ist, lassen sich die Ergebnisse nicht bundesweit vergleichen und in der ganzen Fülle auswerten. Während man in den Niederlanden etwa verpflichtet ist, jede Krebsbehandlung zu melden und Daten über erfolgte Therapien und verabreichte Medikamente zu erfassen, wird in Deutschland nur die Ersterkrankung registriert.
CHEMO- UND STRAHLENTHERAPIE
Bis zu 60 Prozent aller Krebspatienten werden im Verlauf ihrer Behandlung bestrahlt. Seit der Erfindung der Röntgenstrahlen sind die Bestrahlungstechniken perfektioniert und verfeinert worden. Heute werden je nach Therapieziel Elektronen oder Neutronen, Protonen oder schwere Ionen eingesetzt. Über dreidimensionale Computermessverfahren können Bestrahlungen viel präziser als früher dosiert und ausgerichtet werden.
Die Strahlentherapie wirkt gegen Krebs, indem sie in den Tumorzellen Moleküle zerschlägt und dabei energiereiche freie Radikale produziert, die dann über verschiedenste Prozesse die DNS als Trägerin der Erbsubstanz beschädigen. Bei der nächsten Zellteilung führt dann die Häufung verschiedenster Fehler beim Ablesen des DNS-Strangs dazu, dass die Zelle abstirbt.
Bestrahlung in Etappen
Auch das umliegende gesunde Gewebe wird in Mitleidenschaft gezogen, doch in der Regel verfügt es über bessere Reparaturmechanismen als die Tumorzellen. Um den gesunden Zellen Zeit zur Erholung zu geben, aber auch um möglichst sämtliche Phasen der Zellteilung im Tumor zu erreichen, wird die Bestrahlung auf mehrere Behandlungen verteilt (fraktioniert). Die Dauer kann wenige Tage, aber auch bis zu zwei Monate betragen.
Wie tief eine Bestrahlung reicht und in welcher Region des Körpers sie den Großteil ihrer Energie abgibt, hängt von den gewählten Strahlenquellen und der Art der Behandlung ab. Ihren Schwerpunkt hat die Strahlentherapie neben der Behandlung von Brust-, Prostata- und Enddarmkrebs bei inoperablen Tumoren im Gehirn sowie im übrigen Kopf- und Halsbereich. Doch sie kann auch nach einer Operation ergänzend (adjuvant) eingesetzt werden, um eventuell verbliebene Krebszellen zu vernichten, oder in bestimmten Fällen mit einer Chemotherapie oder Hyperthermie (Überwärmung) zur Wirkungsverbesserung kombiniert werden.
Nebenwirkungen und Folgen
Als Nebenwirkungen können chronische Müdigkeit (Fatigue), Blutarmut (Anämie) sowie Übelkeit und Erbrechen auftreten, je nach Zielgebiet auch Schleimhautschäden und Hautreizungen. Erst nach etwa sechs Monaten treten Spätfolgen wie Vernarbungen (Fibrosen) im Unterhaut- oder Organgewebe auf, auch Funktionsstörungen der Schilddrüse und Hormonprobleme. Ein späterer Kinderwunsch sollte wegen möglicher Schäden der Fruchtbarkeitsorgane frühzeitig ausführlich besprochen werden. In etwa 0,5 bis 1,5 Prozent der Fälle, wird geschätzt, führt die Strahlentherapie langfristig auch selbst zu Tumoren.
Gift auf Rezept
Die Geschichte des medizinischen Einsatzes von Zellgiften (Zytostatika) begann mit einer Explosion: Im Hafen der italienischen Stadt Bari explodierte 1943 nach einem Bombenangriff ein Schiff mit 100 Tonnen Senfgas. Das Gas breitete sich aus, es kam zu zahlreichen Opfern. Die Betroffenen litten unter einer schweren, akuten Immunschwäche. Das Gas hatte vor allem diejenigen Zellen geschädigt, die sich schnell teilten, wie etwa die weißen Blutkörperchen. Weil sich auch Krebszellen rasch vervielfältigen, begann man, mit Senfgas als Therapeutikum zu experimentieren.
Auch die meisten der modernen Wirkstoffe beruhen auf diesem Prinzip. Wie in der Strahlenmedizin findet die Chemotherapie in Intervallen (Zyklen) statt, um möglichst viele Phasen der Zellteilung des Tumors zu treffen. Meistens werden die Mittel direkt in die Blutbahn injiziert (intravenös), es gibt aber auch einzelne Zytostatika als Tabletten (oral).
Eine Prostatakrebszelle teilt sich: Strahlen- und Chemotherapie führen jedoch zum Absterben der sich teilenden Zellen.
Störung der Zellteilung
Weil diese Art der »systemischen« Therapie auf den gesamten Organismus wirkt, schädigen Chemotherapeutika auch gesunde Zellen – vor allem solche, die sich oft reproduzieren. So kommt es vorübergehend zu Haarausfall, Magen-Darm-Beschwerden oder Immunschwäche.
Chemotherapeutika haben ein schmales Wirkungsspektrum: Über einen ziemlich großen Dosisbereich zeigen sie (noch) keine Wirkung, umgekehrt ist aber auch rasch der Punkt erreicht, wo sie keine weitere Wirkung haben und zu giftig sind. Das zeigt, wie wichtig es ist, mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auszuschließen. Ob der jeweilige Tumor dann auf die Behandlung anspricht, wird zunehmend versucht, durch neuartige Gentests vorauszusagen. (siehe Kapitel: Brustkrebs)
Wehrhafte Tumorzelle
Den Angriffen durch Strahlen oder Gift ist die Krebszelle nicht wehrlos ausgesetzt. Weil sie bei ihren vielen Zellteilungen sehr viel Energie verbraucht, hat sie zum Beispiel einen sehr intensiven Stoffwechsel – dabei entledigt sie sich häufig leider auch der gegen sie gerichteten Zellgifte.
Manche Tumoren wehren sämtliche Arten von Zytostatika ab – man nennt das »Multidrugresistenz«. Man kennt inzwischen mindestens 50 verschiedene Eiweißstoffe und auch Genmutationen, die dafür verantwortlich gemacht werden. Zum Beispiel verändern sie Zellwände so, dass diese keine Giftstoffe mehr durchlassen. Einige Zellen tief im Inneren der Tumoren werden nur schlecht mit Blut versorgt und deshalb von den Zellgiften nicht erreicht. Dort »schlafen« auch die Krebsstammzellen. Irgendwann, oft erst nach Jahren, können sie plötzlich erwachen und sich zu teilen beginnen. Dann kommt es zu einem »Rezidiv«, der Krebs kehrt zurück.
Wirkstoff im Huckepack
Um ein möglichst breites Spektrum an Krebszellen zu erreichen und ihre Abwehrmechanismen zu unterlaufen, enthalten Zytostatika häufig mehrere Wirkstoffe. Eine Kombination von Chemotherapie und Bestrahlung kann Krebszellen empfindlicher machen. Außerdem suchen Tumorbiologen nach geeigneten Trägersubstanzen, denen es gelingt, in die Zellen einzudringen, und die dabei – sozusagen huckepack – chemotherapeutische Wirkstoffe transportieren können.
Giftbilanz
Chemotherapien werden mit dem Ziel der Heilung eingesetzt, manchmal als Ergänzung zu einer Operation (adjuvant), um das Rückfallrisiko zu senken, oder »neoadjuvant«: Dann soll ein Tumor noch vor einer Operation verkleinert werden oder das Risiko von Metastasen so rasch wie möglich gesenkt werden.
Zytostatika sind bei einigen Tumoren sehr effektiv, etwa bei der Behandlung von Leukämien im Kindesalter, von Morbus Hodgkin oder Keimzelltumoren – mit Heilungsraten von 60 bis 90 Prozent. Bei anderen häufig vorkommenden Karzinomen, wie etwa Blasen-, Kolon-, Lungen-, Nieren-, Pankreas-, Gallengang- oder Magenkrebs, oder den Sarkomen haben sie sich jedoch nur bedingt bewährt.
Unerwünschte Wirkungen
Übelkeit und Erbrechen entstehen dadurch, dass Zellen der Darmschleimhaut geschädigt werden und Botenstoffe (Serotonine) freisetzen, die das Brechzentrum im Gehirn reizen. Zellgifte führen außerdem zu einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozyten), was die Blutgerinnung beeinträchtigt. Eine erhöhte Infektanfälligkeit entsteht durch die Schädigung der weißen Blutkörperchen (Leukozyten), vor allem der neutrophilen Granulozyten, die als Immunzellen dienen. Auch die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) werden durch die Zellgifte in Mitleidenschaft gezogen. Wenn ihre Reifung im Knochenmark gebremst wird (oder die Nieren geschädigt werden, die durch Ausschüttung des Hormons Erythropoetin die Neubildung der Blutkörperchen anregen), kommt es zu Sauerstoffmangel im Organismus. Dann fehlt der in den Erythrozyten enthaltene rote Blutfarbstoff Hämoglobin, der den Sauerstoff bindet und durch den Körper transportiert. Das kann zu chronischer Müdigkeit und starker Abgeschlagenheit (Fatigue) führen. Gefürchtet sind auch Auswirkungen auf das Herz, etwa eine Herzmuskelschwäche.
Zielkonflikte
Weil die Chemotherapie auf den gesamten Organismus wirkt, ist sie immer auch ein Wettlauf zwischen Zerstörung und Heilung – in der Hoffnung, dass die gesunden Zellen sich schneller erholen können als die Tumorzellen.
Für diesen Zielkonflikt gibt es unterschiedliche Lösungsansätze: Volker Möbus, Leiter der Gynäkologie der Städtischen Kliniken Frankfurt, plädiert zum Beispiel bei Brustkrebs in bestimmten Situationen für verkürzte Zyklen und höhere Dosen, will den Zellbeschuss also intensivieren.
Robert Gatenby, mathematischer Onkologe am Moffit Cancer Center in Tampa/Florida, geht den genau umgekehrten Weg: Er plädiert dafür, Zytostatika (kombiniert mit anderen Medikamenten) lieber in kleineren Dosen zu verabreichen. Diese adaptive Therapie (metronome Therapie) würde den Krebs zwar nicht zum Verschwinden bringen, aber die Lebenszeit verlängern und die Qualität verbessern. Sie wird vor allem in fortgeschrittener Erkrankungssituation angewendet.
Signalwege zum Zelltod
Dass Krebs trotz massiver Therapien so schwer auszumerzen ist, liegt daran, dass an einer Tumorerkrankung viele Faktoren beteiligt sind. Eine besondere Rolle spielen dabei Störungen des biologisch programmierten Zelltods (Apoptose). Als eines der Schlüsselgene, die für das kontrollierte Absterben kranker oder durch Zytostatika geschädigter Zellen verantwortlich sind, gilt das Gen »p53«. Es existieren jedoch mehrere Signalwege, auf denen eine geschädigte Zelle in den Prozess des programmierten Zelltods eintreten kann.
Häufig nicht weiterverfolgt wird hierzulande, wenn bei einem Patienten der Krebs zurückkehrt. Der Patient braucht nur das Bundesland zu wechseln – zum Beispiel weil er glaubt, dass bei der ersten Therapie Fehler gemacht wurden. Dieselbe Person gilt dann in einem Klinik-Krebsregister als geheilt, im anderen als Patient mit schwerwiegendem Verlauf. Die Versorgungsforschung, die sich mit den gesamten Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit beschäftigt und sie auf Schwachstellen und Redundanzen hin überprüft, wurde in Deutschland erst zu Beginn des neuen Jahrtausends auf den Weg gebracht.
Ein funktionierendes Qualitätsmanagement in der Medizin ist in Deutschland erst durch den steigenden Kostendruck zum Thema geworden und steckt vielerorts noch in den Kinderschuhen.
Qualität wird nicht honoriert
Wären all diese Faktoren optimiert, so ließe sich ohne Zweifel nachweisen, dass die Krebsmedizin in Deutschland von sehr unterschiedlicher Qualität ist, aber dennoch von den Krankenkassen gleich vergütet werden muss. Das vergeudet nicht nur Geld, sondern auch Menschenleben. Die Daten, die das an einzelnen Krebsarten belegen, werden jedoch selten öffentlich – zu groß ist der Druck von Niedergelassenen und kleineren Kliniken auf die Gesundheitspolitik. Nachgewiesen und publiziert ist jedoch die Tatsache, dass Patienten an spezialisierten Krebszentren besser behandelt werden als im Gros der regionalen Kliniken oder Praxen. Das gilt vor allem für diejenigen, die an einer Studie teilgenommen haben.