Читать книгу Gemeinsam gegen Krebs - Prof. Dr. med. Gustav Dobos - Страница 9

Wissenschaft statt Magie

Оглавление

Auch in Deutschland hat die Naturheilkunde das Reich der Kräuterweiblein und der Magie längst verlassen und die Wissenschaft erobert. Seit 2003 ist sie anerkannter Teil der Medizinausbildung, und die Zahl der Lehrstühle wächst: 1989 Lehrstuhl für Naturheilkunde mit angeschlossener Akutklinik an der FU Berlin; 2002 Universität Rostock mit dem Schwerpunkt Rehabilitation; 2004 Stiftungsprofessur und Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen; 2005 Kompetenzzentrum für Naturheilverfahren an der Universität Jena; 2008 drei Stiftungsprofessuren zur Erforschung der Komplementärmedizin, zur Klinischen Naturheilkunde sowie zur Naturheilkunde an der Charite Berlin; 2009 Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten-Herdecke; 2010 Stiftungsprofessur für Naturheilkunde und Komplementärmedizin an der Technischen Universität München. Die Liste zeigt allerdings, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Naturheilkunde in Deutschland ohne die Hilfe von Stiftungen und Spendern nicht denkbar wäre.

Dabei weist das Institut für Demoskopie Allensbach nach, das seit 1970 regelmäßige Befragungen zur Anwendung »komplementärmedizinischer« Verfahren durchführt, dass die Nachfrage weiterhin steigt. 2007 gaben bereits 73 Prozent der Bevölkerung an, Naturheilmittel zu verwenden. Der Anteil der Frauen war mit 75 Prozent deutlich höher als der unter Männern (57 Prozent). Nur 9 Prozent der entsprechenden Medikamente wurden vom Arzt empfohlen.

Der Großteil der Patienten wünscht sich dabei gerade die Kombination konventioneller Verfahren mit der Naturheilkunde: Im Jahr 2000 gaben 81 Prozent der Befragten an, die beiden Richtungen sollten sich ergänzen. 2005 wünschten sich zum Beispiel 61 Prozent eine Verbindung aus Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und westlicher Medizin. Unter denjenigen Patienten, die bereits Erfahrung mit TCM hatten, waren es sogar 89 Prozent. Nur 18 Prozent wollten ausschließlich konventionell behandelt werden.

Das Essener Modell

An den Kliniken Essen-Mitte gibt es diese Kombination. Seit 1999 existiert dort eine Abteilung für Integrative Medizin, ursprünglich ein Modellprojekt des Landes Nordrhein-Westfalen. In einzigartiger Weise arbeiten seither internistische Mediziner mit naturheilkundlich ausgebildeten Ärzten und anderen Therapeuten, zum Beispiel der chinesischen Medizin, zusammen. Begleitend zur internistischen Behandlung helfen Bewegung und Mind-Body-Medizin, Hydrotherapie, Pflanzenheilkunde, Ernährungsumstellung und chinesische Medizin bei der Therapie chronischer Erkrankungen: etwa Rheuma, Bluthochdruck und Schmerzsyndrome. 2004 wurde mit Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung an der Universität Duisburg-Essen ein Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin (Prof. Dr. Gustav J. Dobos) etabliert.

In den Kliniken Essen-Mitte findet auch eine begleitende Therapie onkologischer Erkrankungen statt: 12 bis 15 Krebspatienten besuchen zehn Wochen jeweils für einen Tag eine Tagesklinik, wo sie integrativ-naturheilkundlich betreut werden. Sie lernen optimale Ernährung, Bewegung, Entspannung, naturheilkundliche Selbsthilfestrategien und die Bewältigung ihrer Krankheit. Die gegenseitige Unterstützung ist dabei eine ganz wichtige Ressource.

Basierend auf den positiven Erfahrungen, die mit diesem Modell gemacht wurden, bauen die Kliniken Essen-Mitte seit dem Jahr 2010 eine Abteilung für Integrative Onkologie nach internationalen Vorbildern auf. Ein erstes wichtiges Standbein ist eine neue spezialisierte Klinik für Senologie (Leitung PD Dr. med. Sherko Kümmel). Dort ist bei der Behandlung von Brustkrebspatientinnen die Naturheilkunde gleichberechtigter medizinischer Partner der Onkologie. Eine naturheilkundlich spezialisierte Internistin ist zusammen mit Ordnungstherapeuten von der Anamnese an in die Therapieplanung einbezogen. Gemeinsam wird für jede Patientin ein individuelles Behandlungskonzept erarbeitet. Weitere Bereiche der onkologischen Gynäkologie werden diesem Weg folgen.

Die Naturheilkunde dient dabei zwar häufig dazu, die teilweise belastenden Nebenwirkungen einer onkologischen Medizin zu lindern. Sie bringt aber mehr Aspekte ein als die reine Symptomkontrolle. Sie versteht Tumorerkrankungen als eine Störung der komplexen Regulationsmechanismen des Körpers, zu denen zum Beispiel das Immunsystem gehört, aber auch die Transportfähigkeit des Bindegewebes oder das Nervensystem, das sämtliche Drüsenfunktionen beeinflusst. Sie versucht, die Selbstregulation wieder in Gang zu bringen und bemüht sich dabei, die individuellen Ressourcen des Patienten zu ermitteln: Wie ernährt er sich? Ist er körperlich aktiv? Schläft er genügend? Welchen Stressfaktoren ist er ausgesetzt? Und nicht zuletzt: Wie nimmt er die Krankheit wahr?

Zudem hilft die Integrative Onkologie den Patienten bei der Therapiezielentscheidung, indem sie ganzheitliche Aspekte wie Lebensqualität, seelische und spirituelle Ebenen mit einbringt. Sie diskutiert das Nutzen-Risiko-Verhältnis therapeutischer Eingriffe und thematisiert Strategien für die Nachsorge. Sie geht auf Möglichkeiten der Symptomlinderung bei unheilbaren Fällen ein.

Die Integrative Onkologie, wie sie in Essen praktiziert wird, ist also mehr als Medizin mit ein wenig Naturheilkunde »on top«. Sie ist ein umfassender wissenschaftlich geprüfter Ansatz der Krebsbehandlung, der sämtliche daran Beteiligten auf allen Ebenen ihres Seins und ihrer Erfahrungen mit einbezieht.

So gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Nachweise für die erfolgreiche naturheilkundliche Behandlung von Beschwerden, die durch Tumorleiden oder die onkologische Therapie bedingt sind, zum Beispiel bei:

• Fatigue

• Übelkeit und Erbrechen

• Muskel- und Gelenkschmerzen

• Durchfall

• Depressionen

• Schleimhautentzündung

• Verstopfung

TEAMARBEIT FÜR DIE PATIENTEN

In der Integrativen Onkologie stehen die Patienten im Mittelpunkt. Ihre Mitwirkung ist ganz entscheidend, wenn es um die Entscheidung für eine bestimmte Therapie geht, um deren Akzeptanz, aber auch um längerfristige Lebensstilveränderungen.

Um die Betroffenen dabei zu unterstützen, arbeitet ein Team unterschiedlichster Therapeuten zusammen – neben den onkologischen Ärzten und naturheilkundlichen Internisten sind es vor allem die Ordnungstherapeuten der Mind-Body-Medizin, die ganzheitliche Aspekte von Gesundheit und Krankheit thematisieren. Ganz wichtig dabei sind Entspannung und Meditation. Sportlehrer und Physiotherapeuten sorgen dafür, dass die Patienten sich bereits im Krankenhaus ausreichend bewegen, und sie geben ihnen zudem langfristige Trainingsempfehlungen.

Auch die Ökotrophologen beraten nicht nur in der Phase der onkologischen Behandlung, wenn es zum Beispiel akut zu Durchfall oder Nährstoffmangel kommt. Sie geben auch Tipps, wie die Ernährung grundsätzlich umgestellt werden kann, zum Beispiel auf fleischarme Kost. Und geschulte Krankenpfleger zeigen Selbsthilfestrategien wie Akupressur oder Güsse.

Bei seelischen Problemen können auch Psychoonkologen zum Einsatz kommen. Der Sozialpädagoge hilft nicht nur bei sozialrechtlichen Fragen, sondern berät auch Familien und Angehörige.


Gemeinsam gegen Krebs

Подняться наверх