Читать книгу Wie ich das Schweigen brach - Rachael Denhollander - Страница 19

SECHS

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»Und wie geht es Ihrer Frau, jetzt, wo das Baby fast da ist?«

Larry senkte den Kopf und schüttelte ihn ungläubig. »Oh Mann. Es geht ihr großartig, Rach. Ich meine, sie fühlt sich natürlich ziemlich unwohl, aber wir sind so bereit für dieses kleine Mädchen.« Er machte eine Pause. »Ich kann es kaum erwarten.« Seine Stimme war voller Emotionen und Ehrfurcht.

Es war Spätsommer 2001, über anderthalb Jahre nachdem ich zum ersten Mal die Klinik der MSU betreten hatte. Larrys erstes Kind, ein kleines Mädchen, sollte in einigen Wochen zur Welt kommen, und er war fast übermütig, wenn er von ihr sprach. Seine Frau Stephanie hatte ich erst vor Kurzem getroffen, mit ihrer süßen und zierlichen Figur trug sie schwer an ihrem Babybauch. Ich konnte verstehen, dass sie beide sehnsüchtig auf die Ankunft des kleinen Mädchens warteten.

»Es muss sich unbeschreiblich gut anfühlen, Vater zu sein.« Er schüttelte erneut den Kopf, seufzte und wechselte dann in den Arbeitsmodus. »Also gut, Kleine, komm auf die Liege. Mal sehen, was wir hier haben.« Dann führte er eine Reihe von Kraft- und Beweglichkeitstests mit mir durch. Als er bei einem Test meiner Bauchmuskeln aus Versehen seinen Finger zwischen meinem Rücken und der Untersuchungsliege einklemmte, jaulte er vor Schmerzen auf. »Meine Güte, mit deinem Bauch gibt es jedenfalls keine Probleme!«, sagte er mit einem Lachen.

»Jetzt dreh dich um, damit wir an deiner Rückenmuskulatur arbeiten können.« Er schnappte sich die Massagecreme, trug sie auf und begann zu massieren. Während seine linke Hand in mir war und er mit der rechten meinen Rücken massierte, plauderte er mit meiner Mutter. »Was nehmen die anderen beiden Kinder gerade in Naturwissenschaften durch?«, fragte er.

Bevor sie antworten konnte, unterbrach er sich. »Mann, ich liebe diese Stiefel!«, sagte er mit einem Blick auf meine schwarzen Knopfstiefeletten, die neben dem Stuhl meiner Mutter standen. Ich bezweifelte, dass er sich wirklich für mein Schuhwerk interessierte, aber er wusste, dass ich die Stiefel mochte, also war es eine nette Geste, ein Kompliment darüber zu machen.

»Naturwissenschaften sind so wichtig«, sagte er und nahm das Gespräch mit meiner Mutter wieder auf. Er unterhielt sich immer mit ihr, über alle möglichen Dinge, zum Beispiel die Hausaufgaben, die meine Geschwister oft im Wartezimmer erledigten, während ich behandelt wurde. Einmal hatte er sogar mein Wissenschaftsbuch durchgeblättert und sich über das Hochschulniveau der Kapitel über Zell- und Molekularbiologie gefreut.

Plötzlich verstummte er für eine Weile, um sich zu konzentrieren. »Wow, du bist echt verspannt hier.« Ich lag still, während er eine schmerzende Stelle an meinem unteren Rücken bearbeitete. Seine linke Hand massierte mich dabei die ganze Zeit von innen. Seine Stimme verlor sich und er schloss die Augen. Dann zog er beiläufig seine Hand unter dem Handtuch heraus und trat näher an meine Schultern heran. Er stand zwischen meiner Mutter und mir. Ohne mit der rechten Hand zu pausieren, öffnete er mit der anderen Hand meinen BH durch das Shirt.

Er muss wahrscheinlich an meinem oberen Rücken arbeiten, überlegte ich, obwohl er das noch nie getan hatte. Seine Atmung wurde schneller und ich blickte auf. Noch immer hatte er die Augen geschlossen und schien völlig in Gedanken versunken zu sein. Ich legte meinen Kopf wieder ab, um ein paar Minuten später erneut aufzusehen, überrascht, dass er auf die andere Seite der Liege gewechselt war.

Das hat er noch nie gemacht, dachte ich. Er steht immer auf der rechten Seite, zwischen meiner Mutter und mir. Wortlos legte er seine Hände auf meine Hüften und drehte mich auf die Seite, sodass ich in seine Richtung sah, weg von meiner Mutter. Warum …? Was …? Das ist vollkommen neu …

Ich sah zu ihm hoch. Irgendetwas stimmt nicht. Angst überkam mich. Ich wusste nicht warum oder woran ich es merkte, aber irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung. Ich blickte erneut zu Larry. Er hatte die Augen geschlossen und atmete schwer, beinahe keuchend. Sein Gesicht war leicht gerötet. Und seine Hose … ich bemerkte eine sichtbare Ausbuchtung an der Vorderseite. Das ist nicht … das ist unmöglich!

In dem Moment fasste Larry mit der rechten Hand über meine Hüfte und fuhr fort, meinen Rücken zu massieren. Seine linke Hand blieb vorne und stützte mich, während er mit der rechten Hand die schmerzenden Muskeln bearbeitete. Langsam begann er, sich meinen Oberkörper hochzuarbeiten, eine Hand auf meinem Rücken, die andere vorne. Meine Gedanken überschlugen sich. Er würde sich mit der Hand unter meinem T-Shirt nach oben durcharbeiten. Das würde er nicht tun. Natürlich nicht. Aber ich wusste, dass er genau das tun würde. Die Zeit verdichtete sich, während meine Gedanken sich vor Fragen überschlugen und ich meine eigenen Instinkte hinterfragte, weil es Larry war.

Ohne eine Pause, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, massierte er weiter und seine Hand wanderte nach oben. Plötzlich wie in einem Strudel aus Verwirrung und Angst schrie ich, dass er aufhören sollte, aber es kam kein Ton heraus. Panik überkam mich, und einen kurzen Moment lang wurde der Raum dunkel und ich verlor das Bewusstsein. Benommen und desorientiert spürte ich, wie er mich endlich zurückdrehte und meinen BH wieder schloss.

»Ich denke, das reicht. Du kannst dich wieder aufsetzen!«, säuselte er fröhlich.

Was ist gerade passiert?

Er half mir an den Rand der Liege, noch immer fühlte ich mich benommen und verwirrt. Meine Gedanken und mein Körper standen wie unter Schock, sodass ich kein Wort herausbekam. Und selbst wenn, was hätte ich sagen sollen?

Was ist da gerade passiert?

Wer ist das? Dieser olympische Arzt, der sich um mich gekümmert hatte. Der Ehemann der süßen schwangeren Frau, die ich erst vor Kurzem getroffen hatte. Der Vater einer Tochter, die bald zur Welt kommen würde. Wer ist das? Ich war sechzehn. Er ging auf die vierzig zu.

Geistesabwesend saß ich auf dem zerknitterten Papier und antwortete knapp, wenn es notwendig war, während er meiner Mutter Anweisungen für die weitere Physiotherapie gab. Alles, was ich über Larry wusste, alles, was er gesagt und getan hatte, wirbelte durch meinen Kopf. Ich konnte den Mann, den ich kannte, nicht mit dem in Einklang bringen, der mich gerade an Stellen und in einer Weise berührt hatte, von denen ich sicher war, dass er es nicht hätte tun sollen. Völlig mechanisch beendete ich den Termin und ging hinaus. Ich wollte ihm nicht zeigen, wie beschämt und verängstigt ich vor wenigen Minuten gewesen war, und tat alles, was ich konnte, um normal zu erscheinen. Heute weiß ich, dass ich versucht hatte, ihn, wenn es mir nicht gelungen war, ihn von meinem Körper fernzuhalten, zumindest von meiner Seele fernzuhalten. Ich konnte meine Gedanken und Gefühle schützen. Ich konnte ihn daraus aussperren.

Wem hat er das noch angetan?

Es war, als könne ich mich schützen, indem ich keine zusätzliche Aufmerksamkeit auf meine Scham zog. Wie immer hatte ich ihn angelächelt und ihm gedankt, bevor wir gingen.

Als ich in jener Nacht im Bett lag, überschlugen sich meine Gedanken. Interpretiere ich zu viel hinein? Könnte es einen Grund für seine »Behandlung« gegeben haben? Nein. Larry hatte eine Absicht hinter dem, was er getan hat. Es war berechnet gewesen. Ich wusste, dass es so war. Und ich wusste, was das bedeutete. Der Larry, den ich zu kennen geglaubt hatte, war nicht der echte Larry. Wie ist das möglich? Auch nur zu denken, dass jemand ein Sexualstraftäter war, war eine unglaublich schwere Anschuldigung.

Wie eingebildet bist du eigentlich, dass du glaubst, er würde dich attraktiv finden? Damals wusste ich nicht, dass es bei sexuellem Missbrauch nicht um äußerliche erotische Anziehungskraft geht. Es geht um Kontrolle. Jeder kann ein Ziel sein. Sogar Teenager in der unbeholfenen Phase ihrer Pubertät. Aber was, wenn es doch nur das übermäßig sexualisierte und dramatische Denken meines jugendlichen Verstandes war? Wenn ich mich irrte, würde ich nicht nur Larry ruinieren, sondern auch mich selbst.

Aber ich irrte mich nicht.

Die ganze Nacht über rang ich mit mir selbst und schüttelte immer wieder den Kopf, als könnte ich so die streitenden Stimmen aus meinen Gedanken verbannen. Wie ein kleines Kind, das ungestüm die Münzen aus seinem Sparschwein schüttelt. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, bis sich meine Fingernägel in die Handflächen bohrten. Der Schmerz gab mir etwas, worauf ich mich konzentrieren konnte, und half mir, mich zu orientieren.

Ich wusste die Wahrheit, aber sie half mir nicht weiter. Sie stellte alles auf den Kopf, was ich zu wissen geglaubt hatte. Jede Überzeugung, die ich gehabt hatte. Jede Interaktion. Jedes Wort. Jeden Kommentar. Ich wusste die Wahrheit, aber sie brachte keine Ruhe, sie brachte Verwirrung, Orientierungslosigkeit, Wut. Wer ist dieser Mann? Die Person, die mich an jenem Nachmittag so berechnend missbraucht hatte, und die Person, die jeder kannte, die ich zu kennen geglaubt hatte – wie passten diese beiden Seiten zusammen? Und was sollte ich tun?

Während ich zwar wusste, dass etwas mit mir geschehen war, das nicht in Ordnung war, war mir jedoch noch nicht klar, dass auch die Penetration und alles, was ich als »Beckenbodentherapie« abgestempelt hatte, alles andere als legitim gewesen war. Ich war mir nur sicher, dass es niemanden kümmern würde, wenn eine Jugendliche begrapscht worden war. Man musste sich nur umschauen, um das zu wissen. Die sexuelle Belästigung und Objektifizierung von Frauen, die schmutzigen Witze, das »Umkleidekabinen-Geschwätz«, das sexuell aggressive Verhalten von Männern – all das wurde ständig heruntergespielt.

Ich wusste auch, dass das, was passiert war, von vielen wahrscheinlich eher als Kompliment denn als Verbrechen angesehen würde – wenn mir überhaupt jemand glaubte. Traurigerweise hatte ich Ähnliches schon einmal erlebt, ausgerechnet in der Kirche, in der ich aufgewachsen war.

Ich erinnere mich so gut daran, als wäre es gestern gewesen. Die Gemeinde war klein, nur ein paar hundert Leute, und jeder kannte jeden. Meine Mutter spielte Flöte und gelegentlich sang sie in einem der Musikteams mit. Schon früh war ich für meine Liebe zu Kindern bekannt, nach dem Gottesdienst unterstützte ich tatkräftig die oft müden Mütter, indem ich mich um ihre Babys kümmerte oder während Besprechungen mit ihren Kleinkindern in der Kinderkrippe spielte. Unsere Familie war Teil einer eng verbundenen Kleingruppe zum Bibelstudium, deren Treffen immer ein Höhepunkt der Woche war. Meine Eltern hatten schon lange vor meiner Geburt enge Freundschaften mit Gemeindemitgliedern aus der Gruppe geschlossen, ich war im gleichen Alter wie ihre Kinder, und so waren wir zusammen aufgewachsen. Die Gemeinde war ein Teil unserer Familie, und wir waren ein Teil von ihr.

Doch etwas änderte sich, als ich sieben Jahre alt war. Nach der Sonntagsschule lief ich nicht mehr direkt zum »Briefkasten« – eine Wand voller Fächer, auf denen die einzelnen Familiennamen standen –, um nachzusehen, ob Mitteilungen oder Newsletter darin waren. Ich hüpfte nicht mehr durch die Gänge und fuhr mit dem Finger die Linien zwischen den riesigen, cremefarben gestrichenen Backsteinen nach und rannte nur noch selten mit den anderen Kindern über den saftig grünen Rasen. Viel mehr Zeit verbrachte ich damit, mich in der Damentoilette zu verstecken. Dann saß ich dort, zitterte und wünschte, jemand würde fragen, was los war. Aber gleichzeitig wusste ich, dass ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte, wenn jemand danach fragte.

Ich war missbraucht worden, von einem Studenten aus unserer Kirche, der mich auch danach noch weiterverfolgte. Er hatte es getan, als er mich während einer Bibelstunde der Gemeinde auf seinem Schoß sitzen ließ. Niemand außer mir wusste davon. Ich war mir nicht sicher über das, was passiert war, außer dass ich schreckliche Angst gehabt hatte und mich körperlich krank fühlte. Genauso wenig konnte ich erklären, warum ich mich so fühlte. Also hielt ich mich auf der Toilette auf, dem einzigen Ort, an dem er mich nicht finden konnte. Bis er eines Tages nicht mehr kam, vermutlich weil er das Studium abgeschlossen hatte und umgezogen war. Aber irgendwie kehrte die Normalität auch dann nicht wieder ein, nachdem er gegangen war. Die Bibelgruppe, zu der wir gehörten, löste sich irgendwann auf, die Erwachsenen, die ich liebte und denen ich vertraute, wirkten plötzlich unnahbar und distanziert. Einige unserer engsten Freunde gingen fort, um eine neue Gemeinde zu gründen, und diejenigen, die blieben, standen uns als Familie nicht mehr nahe. Über ein Jahr später verließen auch wir die Gemeinde, die Gründe waren vage und unklar. Ich war am Boden zerstört und frustriert, dass ich nicht verstehen oder erfahren konnte, was geschehen war.

Erst Jahre später, als ich etwa zwölf Jahre alt war und die lebendigen Erinnerungen an damals einfach nicht abschütteln konnte, erzählte ich meiner Mutter, was dieser Mann getan hatte. Sie schwieg lange und sagte dann leise: »Es tut mir so leid.« Wir sprachen darüber, ich stellte Fragen und bekam endlich die Antworten, nach denen ich gesucht hatte. Aber sie gefielen mir nicht.

Irgendwann erfuhr ich, dass der Mann, der mich missbraucht hatte, gebeten worden war zu gehen, weil mehrere Studentinnen sich über sein Verhalten beschwert hatten. Aber es war schon viel früher Alarm geschlagen worden. Nicht allein aufgrund seines Verhaltens mir gegenüber, auch einem anderen kleinen Mädchen aus der Gemeinde war er gefährlich nahegekommen. Ein Missionars-Ehepaar und eine Gruppe von Seelsorgern, die sich besonders mit dem Thema »Sexuelle Gewalt« befassten, hatten die Warnsignale bemerkt: die übertriebene, zielgerichtete Aufmerksamkeit und die große körperliche Vertrautheit, mit denen Täter auf ganz typische Art und Weise Kinder manipulieren und versuchen, eine emotionale Verbindung aufzubauen. Sie hatten die Gemeinde daraufhin gewarnt, ohne zu wissen, dass bereits ein Missbrauch passiert war. Meine Eltern hatten sofort reagiert, indem sie entsprechende Maßnahmen ergriffen, um mich zu schützen, denn auch ihnen waren manche seiner Verhaltensweisen unangenehm aufgefallen. Sie hatten bereits einige Grenzen gesetzt, den Kontakt aber noch nicht ganz abgebrochen, weil sie an ihren Befürchtungen zweifelten. Sie wussten, wie schwerwiegend es war, auch nur einen Verdacht zu hegen, dass jemand ein Sexualstraftäter sein könnte. Dank derer, die den Mund aufgemacht und sofort reagiert hatten, war ich vor einem noch schlimmeren Missbrauch bewahrt worden, dafür werde ich ihnen für immer dankbar sein.

Doch ich erfuhr auch die andere Seite der Geschichte. Viele unserer Freunde aus der Gemeinde, von denen einige Älteste waren oder andere wichtige Positionen hatten, erkannten die Entscheidung meiner Eltern nicht als Schutzmaßnahme an. Da ich nichts von einem Missbrauch gesagt hatte, wurde ihre Reaktion als Anschuldigung ohne Beweise angesehen. Auch das Fachwissen der Seelsorger wurde abgelehnt, weil sie Unterlagen von Psychologen und lizenzierten Therapeuten verwendeten, die »außerhalb der Schrift« waren, darauf konnte man nicht vertrauen.

Einige der Leute, die Alarm geschlagen hatten, einschließlich meiner Mutter, hatten selbst einmal Missbrauch erlebt. Manchmal setzten die Skeptiker genau das als Waffe gegen sie ein: »Missbrauchsopfer übersexualisieren immer alles«, sagten sie. »Sie stülpen allem um sie herum ihre Erfahrungen über.« Aus diesem Grunde könne man auch ihnen nicht vertrauen.

Und es ging nicht nur um mich. Das Thema »Sexuelle Gewalt« und wie damit umgegangen werden sollte, hatte der Gemeinde schon lange Zeit schwer im Magen gelegen. Der erbitterte Streit darüber, welche Methoden in der kirchlichen Beratungsstelle für sexuellen Missbrauch angemessen und biblisch waren und welche nicht, hatte die Mitglieder schon seit Jahren gegeneinander aufgebracht. Meine Mutter erzählte mir, dass in demselben Gebäude, in dem von sexueller Gewalt Betroffene weinten und mit Seelsorgern beteten, andere Gemeindemitglieder Kassetten verteilten, die die Experten und das entsprechende Arbeitsmaterial, mit dem die Seelsorger arbeiteten, angriffen. Sie wurden als unbiblisch und gottlos abgestempelt. Bald ging es so weit, dass gewisse Kleingruppen keine Mitglieder der Beratungsstelle mehr in ihren Bibelstunden haben wollten.

Und die ganze Zeit über, während die Feindseligkeit in der Gemeinde ihren Höhepunkt erreichte, stellte dieser Mann mir nach.

Wie so oft hatten fehlgeleitete Theologien und die Weigerung, in solchen Angelegenheiten mit Experten zusammenzuarbeiten, dazu geführt, dass der sexuelle Missbrauch in den eigenen Reihen erst übersehen und dann vertuscht worden war. Ich war damals nicht die einzige Betroffene. Auch andere ernst zu nehmende und glaubwürdige Vorwürfe dieser Art des Missbrauchs waren unter den Teppich gekehrt worden. Für eine kleine Gemeinde von ein paar Hundert Mitgliedern war sexuelle Gewalt zu einem vorherrschenden und doch wohlbehüteten Geheimnis geworden. Jedes Mal, wenn ein Missbrauchstäter entlarvt oder ein Skandal aufgedeckt wurde, war die Reaktion die gleiche: Den Täter in aller Stille ausschließen. Es vertuschen. Niemandem davon erzählen. Meine Eltern kannten viele der Details nur, weil sie clever genug waren, um zu erkennen, dass die Methoden des Ausschlusses keinen Sinn ergaben. Zudem standen sie den wichtigsten Gemeindeleitern nahe genug, um Antworten verlangen zu können.

Die Informationen, die meine Mutter mir damals weitergab, nachdem ich ihr erzählt hatte, was passiert war, beantworteten Fragen, die mich jahrelang beschäftigt hatten. Sie erklärten auch das kühle Verhalten einiger Leute, das ich zuvor nicht verstanden hatte. Und sie waren mir zu einer Lektion geworden, die ich nie vergessen habe und sogar mit in Larrys Behandlungszimmer nahm: Wenn du es nicht beweisen kannst, sag nichts, denn es wird dich alles kosten.

Als ich in der Nacht, nachdem Larry mich missbraucht hatte, im Bett lag, dachte ich daran zurück, was meine Mutter mir darüber erzählt hatte, warum wir unsere Gemeinde verloren hatten. Schon damals wurde mir klar, wie unzulänglich viele Gemeinden mit sexuellem Missbrauch umgehen: Der Widerwille, es zu glauben. Die Weigerung, mit Experten zusammenzuarbeiten. Die Diskriminierung derer, die es tun. Verschwiegene Geheimhaltung, um das makellose Bild »des Evangeliums« zu bewahren, obwohl Gerechtigkeit die Liebe Christi doch viel besser demonstrieren würde. Und ich ahnte, dass die Situation außerhalb der Gemeinde nicht anders war.

Wenn unsere eigenen Freunde nicht bereit gewesen waren, den Bedenken meiner Eltern über einen Studenten Glauben zu schenken, wie würde dann die breite Öffentlichkeit jemals dem Wort einer namenlosen sechzehnjährigen Turnerin gegen einen weltbekannten olympischen Arzt glauben. Sosehr meine Gemeinde negative Presse verhindern und ihren Ruf wahren wollte – eine der zehn renommiertesten Universitäten der Vereinigten Staaten, wie die Michigan State es war, und ein olympischer Dachverband wie USAG wollten es sicherlich noch mehr. Und sie hatten die Macht, alles unter den Teppich zu kehren, was ich melden würde. Meine Mutter und ich wussten aus der Erfahrung des früheren Missbrauchs, den wir erlebt hatten, dass Missbrauchstäter, die sich mächtig und unerreichbar fühlen, in der Regel dazu neigen, ihre Aktivitäten zu verstärken. Wenn ich es versuchte und scheiterte, würde das ernsthafte Konsequenzen für weit mehr Menschen als nur für mich bedeuten können.

In den nächsten Tagen dachte ich darüber nach, es meiner Mutter zu erzählen, was bei Larry passiert war. Ich wusste, dass sie mir glauben würde. Aber ich hatte zu viel Angst, um es in Worte zu fassen, Worte würden es so viel wirklicher machen. Und die Verwirrung, die mich in jenem Moment erfasst hatte, war immer noch da. Ich wusste nicht einmal, wie ich klar denken sollte. Außerdem gab es nichts, was sie würde tun können. Selbst ihre Stimme würde meiner nicht mehr Macht verleihen, gegen die Institutionen und Personen, die Larry umgaben, anzugehen.

Es gab nichts, das ich tun konnte.

Ein paar Tage später erkannte ich, dass ich ein weiteres Problem hatte – ich sollte weiterhin zu Larry in die Behandlung gehen. Wenn ich aufhörte, müsste ich es begründen, was mir unmöglich erschien, also beschloss ich, Larry einfach zu sagen, dass es meinem Rücken besser ginge. Er konnte ein letztes Mal meine Handgelenke behandeln, und wir würden es dabei belassen.

Als er beim nächsten Termin ins Behandlungszimmer kam, schien es, als hätte sich nichts geändert, zumindest nicht für ihn. Das gleiche einnehmende Auftreten, der gleiche Small Talk, der gleiche Blickkontakt mit meiner Mutter und mir. Nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, dass es meinem Rücken besser ginge, schien er froh zu sein und zögerte keinen Augenblick, sich stattdessen auf meine Handgelenke zu konzentrieren.

Nur eine Sache war wirklich neu. Larry war endlich geworden, worauf er gewartet hatte. Er war Vater geworden.

»Komm her, komm her!«, beharrte er beinahe im Flüsterton. Aufregung lag in seiner Stimme. »Komm schon!« Er bedeutete mir, an der Tür zu stehen zu bleiben, und schlüpfte für einen Moment hinaus. Dann kehrte er mit einem winzigen, weichen Bündel zurück. »Ich weiß, dass du sie gerne sehen wolltest, und ich muss einfach mit ihr angeben!«

Sein Gesicht strahlte vor Stolz, als er mir seine neugeborene Tochter zeigte. Seine Frau war kurz vorher zu Besuch gekommen, und als Larry sah, dass ich da war, hatte er sie auf dem Handy angerufen und gebeten, noch mal in die Praxis zurückzukommen, damit ich das Baby sehen konnte.

»Willst du sie halten?«, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte, da er wusste, wie sehr ich Kinder liebte. Er legte mir das Baby in die Arme und flüsterte: »Sie ist wundervoll.«

Seine Erstgeborene hatte eine winzige Knopfnase, feine Augenlider, die im Schlaf geschlossen waren, und dunkles Haar wie Larry. Ein zartes Händchen schaute aus der Decke hervor, in die sie eingewickelt war. »Sie sieht Ihnen ähnlich«, flüsterte ich.

Das war das letzte Mal, dass ich Larry sah. Er forderte mich nicht mehr auf, einen weiteren Termin zu vereinbaren. Meine Handgelenke waren noch nicht in Ordnung. Vielleicht konnte man an diesem Punkt wirklich nichts mehr tun – vielleicht aber hatte er auch das Interesse verloren. Oder er hatte einfach nur bekommen, was er wollte. Auf jeden Fall war es vorbei.

Das folgende Jahr über versuchte ich, das Ganze zu vergessen. Immer, wenn Erinnerungen hochkamen, schüttelte ich mich in Gedanken. Es gab nichts, was ich tun konnte, argumentierte ich vor mir selbst, also hatte es auch keinen Sinn, darüber nachzudenken. Wann immer ich Wut oder Angst verspürte, wies ich mich zurecht. Ich wiederholte die Lügen, die die Gesellschaft jedem Opfer von sexueller Gewalt vermittelte: Hör auf damit, überdramatisch zu sein. Es war keine so große Sache. Du interpretierst zu viel hinein und machst es schlimmer, als es war.

Warum … warum kam ich einfach nicht darüber hinweg?

Im Laufe der Zeit wurde ich immer aufgewühlter. Meine Toleranzgrenze für die allgemeinen Anzüglichkeiten, mit denen Frauen regelmäßig konfrontiert sind, war niedrig bis inexistent. Ich wusste nun, dass sich Gedanken ohne Vorwarnung in Taten verwandeln konnten, und ständig fühlte ich mich unsicher und ungeschützt. Plötzlich bekam ich Albträume, und die Erinnerungen an meinen ersten Missbrauchstäter kehrten mit aller Macht zurück. In Gedanken ging ich alles durch, was Larry von Anfang an getan hatte, um mein Vertrauen zu gewinnen – einfache Komplimente, unschuldige Berührungen, lockere Unterhaltungen, Interesse an meiner Person.

Wie kann ich wissen, dass jemand aufrichtig ist?, fragte ich mich.

Die grundlegendsten Handlungen menschlicher Beziehungen waren missbraucht worden.

Mein eigenes Vertrauen war als Waffe eingesetzt worden. Meine Bitte um Hilfe war ausgenutzt worden. Vielleicht war die einzige Möglichkeit, einen erneuten Missbrauch zu verhindern, diese Dinge einfach abzuschalten. Niemandem mehr zu vertrauen. Niemals mehr. Punkt.

Auch meine Mutter bemerkte meine Veränderung. Überfüllte Orte, Männer, die hinter mir standen, und einfache Ausflüge in Einkaufszentren oder Fast-Food-Restaurants wurden zu einem Problem. Was als lustige Mutter-Tochter-Unternehmung begann, verwandelte sich plötzlich und ohne Vorwarnung in den Auslöser einer Stimmung, die mich nervös und bissig machte. Meine Mutter wusste, dass etwas nicht stimmte.

Nach einem besonders katastrophalen Ausflug zu Subway, wo sich die normalerweise ausgewogene Rachael in eine schimpfende, nervöse Version ihrer selbst verwandelte, die auch auf die einfachste Frage keine freundliche Antwort mehr geben konnte, war meine Mutter sicher, dass etwas geschehen war, von dem sie nichts wusste. Doch klug und einfühlsam, wie sie war, diskutierte sie es nicht an Ort und Stelle mit mir, sondern blieb ruhig und wartete auf eine bessere Gelegenheit, um nachzuhaken.

»Darf ich dich fragen, was bei Subway los war?«, fragte sie lässig über das Geräusch von fließendem Wasser hinweg. Es war ein oder zwei Tage später, wir spülten gemeinsam das Geschirr. Meine Mutter übernahm das Nachspülen, während ich abwusch. Ich war also mehr oder weniger gezwungen zuzuhören, und das wusste sie.

»Ja, es tut mir leid«, seufzte ich. »Ich weiß, dass ich mürrisch war. Ich hatte einfach nur großen Hunger.« Das Trinkglas in meiner Hand wurde energischer geschrubbt, als es notwendig war. Um ehrlich zu sein, verstand ich meine unvorhersehbaren Reaktionen nicht einmal selbst. In den seltenen Fällen, in denen ich ahnte, warum ich aufgewühlt oder ängstlich war, schüttelte ich jede aufkeimende Erinnerung schnell mit der Ermahnung ab, nicht so dramatisch zu sein.

»Bist du sicher, dass das alles ist?«, fragte sie, während sie das Glas aus meiner Hand nahm und es unter das heiße Wasser hielt. »Mir ist aufgefallen, dass es dir nicht nur so geht, wenn du hungrig bist. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass es dich so nervös macht, wenn jemand hinter dir steht?«

Ich legte eine weitere Tasse ins Spülbecken und täuschte Unschuld vor. »Ist das so?«

»Schatz …« Mama hielt inne. »Ist irgendetwas passiert, von dem ich nichts weiß?« In dem Schweigen, das darauf folgte, nahm sie die Tasse, die ich ihr hinhielt, und spülte sie ab.

»Ich weiß es nicht.« Okay, ja, das ist eine Lüge.

»Was ist los?«, beharrte meine Mutter sanft. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ich damit nicht davonkommen würde. Also konzentrierte ich mich auf die Handvoll Besteck, die ich gerade bearbeitete, und erzählte ihr, wie Larry meine Brust begrapscht hatte. Sie sagte keinen Ton, während weitere Blasen unter dem fließenden Wasser ihren Untergang fanden. Dann sah sie mich an.

»Das macht mich so unglaublich zornig.« Die Stimme meiner Mutter war voller Wut, Trauer und Bedauern. »Es tut mir so leid …«

Sie glaubte mir, ich hatte gewusst, dass sie es tun würde. Sie kannte die Erfahrung, wie es sich anfühlte, wenn einem nicht geglaubt wurde.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Fassungslos sah sie mich an. »Es tut mir so leid, mein Schatz. Wie konnte ich das nicht bemerkt haben? Ich war doch im selben Raum!«

Auch das hatte ich gewusst, dass sie sich selbst Vorwürfe machen würde. Der Kummer in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Es war nicht deine Schuld«, versicherte ich ihr. »Er wusste genau, was er tat, und drehte mich so, dass du es nicht sehen konntest. Du hattest keine Chance, es zu bemerken, und ich habe nichts gesagt.« Es war meine Schuld, schloss ich im Stillen.

»Das ist auch nicht zu erwarten, dass du dazu in der Lage sein solltest«, erwiderte sie. »Und es ist nicht deine Schuld.« Ihre Fähigkeiten im Gedankenlesen waren wie immer unschlagbar. Eine Zeit lang spülten wir schweigend weiter. »Dein Vater sollte es ebenfalls wissen. Möchtest du es ihm selbst sagen?«

Ich dachte eine Weile darüber nach. »Es wäre mir lieber, wenn du es ihm erzählst. Es ist mir wirklich unangenehm, darüber zu sprechen.«

»Das dachte ich mir«, gab sie zu. »Ich werde es dich wissen lassen, wenn ich mit ihm geredet habe, damit du Bescheid weißt.«

Vorsichtig hob ich den Stapel Teller ins Seifenwasser und versuchte dabei, nichts in die gelben Gummihandschuhe spritzen zu lassen, die ich immer trug. Die Teller klapperten leise, und das fließende Wasser rauschte sanft, während es über das Porzellan floss.

»Es tut mir so leid«, sagte meine Mutter erneut.

Wir spülten schweigend zu Ende. Es gab nichts mehr zu sagen.

Ein paar Tage später zogen wir uns nach dem Abendessen unsere Turnschuhe an und gingen unsere Runde um den Block.

»Kann ich dich noch etwas über Larry fragen?«, sagte meine Mutter, als wir um die erste Ecke bogen.

Ich nickte.

»Hältst du es für möglich, dass etwas mit der Beckenbodenbehandlung nicht stimmte?«, fragte sie.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Es war die Frage, die ich mir selbst nicht hatte stellen wollen, die aber doch immer wieder leise in meinem Hinterkopf nachklang, egal wie oft ich versuchte, sie zu überhören. Ich schüttelte mich innerlich. Rede dir das aus. Sei nicht überdramatisch und interpretiere nicht zu viel hinein!, ermahnte ich mich streng.

»Das habe ich mich auch gefragt«, gab ich zu, »aber ich glaube nicht. Ich meine, wir wissen ja, dass es eine legitime Behandlungsmethode ist, wie sie auch Physiotherapeuten hier bei uns praktizieren. Und wir wissen, dass Larry Behandlungen durchführt, die sonst keiner macht. Wenn er so oft Beckenbodenbehandlungen durchführt, wie es scheint, muss er auf jeden Fall zertifiziert sein. Sonst hätte ihn schon längst jemand gestoppt. Ich meine …« Ich dachte an den Termin mit Ashley zurück. »Wir wissen, dass er das andauernd tut, mehrmals am Tag.«

Während meine Mutter neben mir lief, konnte ich spüren, dass sie nicht zufrieden war. »Ich frage mich nur, weil … jetzt im Nachhinein kommt mir manches seltsam vor.« Sie zählte ein paar Dinge auf. Er hatte keine Handschuhe getragen. Er hatte sie nicht um Erlaubnis gebeten oder wirklich erklärt, was er tat. Ich nickte und atmete ein paarmal tief durch. Ich hatte nicht wirklich eine Antwort, aber ich war auch nicht bereit, mir selbst einzugestehen, was da passiert war. Dass ich nicht bereit war, war mir nicht bewusst, in meinem Kopf ergaben die Antworten, die ich mir selbst gab, einfach Sinn.

Meine Mutter hielt erneut inne. »Es war beim vorletzten Besuch, dass er deine Brüste berührt hat, oder?«

Ich nickte.

»Das dachte ich mir, weil ich an dem Tag gemeint hatte, eine Erektion zu sehen. Es tut mir so leid, Schatz.« Sie suchte nach Worten. »Ich dachte, ich müsste mich geirrt haben …« Ihre Stimme verlor sich. »Es gab noch einen anderen Termin, bei dem ich meinte, ich hätte eine gesehen. Aber ich … ich habe es einfach nicht für möglich gehalten. Es war Larry.«

Ich konnte verstehen, was sie damit meinte. Aber ich wusste auch, dass die meisten es nicht verstehen würden.

»Okay, ich habe noch eine Frage.« Sie machte eine Pause. »Hast du darüber nachgedacht, zur Polizei zu gehen?« Wieder fing mein Herz an zu klopfen. Es gab tatsächlich zwei Fragen, mit denen ich mich nicht befassen wollte, und natürlich hatte meine Mutter beide gefunden.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich und spürte Verzweiflung in mir aufkommen. Unsere Füße zertraten die heruntergefallenen Ästchen der großen Ahornbäume, die unsere Straße säumten.

»Noch eine Runde?«, fragte meine Mutter.

Ich nickte. Noch immer dachte ich über ihre letzte Frage nach. »Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, Mama. Die Polizei erhebt fast nie Anklage gegen solche kleinen Verbrechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas unternommen wird, ist nahezu bei null. Nur, dass er dann weiß, dass er nicht erwischt wird, obwohl mir klar ist, was er getan hat.

Meine Mutter nickte. »Hast du über die Tatsache nachgedacht, dass er es wahrscheinlich wieder tun wird, so wie sicher schon viele Male zuvor?«

Diese Tatsache belastete mich mehr als alles andere. »Ja. Und es macht mir wahnsinnige Angst. Aber Mama, wenn er es schon oft getan hat, hat doch bestimmt schon irgendjemand den Mund aufgemacht, vielleicht sogar schon mehrere. Aber er tut es immer noch, was bedeutet, dass bisher noch niemand zugehört hat. Wieso sollte jetzt jemand auf mich hören?«

Meine Mutter seufzte erschöpft. »Ich weiß nicht, wie wir irgendwen dazu bringen sollen, uns zu glauben.« Ich war dankbar, dass sie die Realität nicht beschönigte.

»Die MSU und USAG werden viele Gründe haben, es vertuschen zu wollen«, fügte ich hinzu und beendete so ihren Gedanken. »Ich kann nicht gegen beide Organisationen ankämpfen. Ich wüsste nicht einmal, wie ich genügend Druck aufbauen könnte, um sie dazu zu bringen, mich überhaupt ernst zu nehmen.«

Es fühlte sich wie ein unüberwindbares Hindernis an. Wie sollte eine einzige Person gegen zwei riesige Institutionen mitsamt der internationalen Berühmtheit und Beliebtheit eines Missbrauchstäters ankommen?

»Was, wenn wir zur Presse gehen?«, fragte meine Mutter.

Den gleichen Gedanken hatte ich auch schon gehabt. Vielleicht könnte es funktionieren. Es war das Jahr 2002, und die von Boston Globe durchgeführte Untersuchung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche erschütterte immer noch die ganze Welt.

»Das wäre die einzige Möglichkeit, genügend Druck aufzubauen, um gehört zu werden. Wenn wir andere Betroffene erreichen könnten … die Situation seiner Kontrolle und der Kontrolle der Organisationen entreißen könnten … Aber wie sollen wir das anstellen?«

Und wieder wussten wir beide, dass wir in einer Sackgasse waren.

»Ich meine, können wir nicht einfach zum örtlichen Nachrichtensender fahren und ihnen die Geschichte erzählen?«, fragte sich meine Mutter.

Ich schüttelte den Kopf. »Journalisten übernehmen solche Geschichten nicht einfach so. Man muss Beweise haben, und mein Wort wird nicht genug sein.« Ich hielt inne. »Wenn irgendjemand aufdeckt, was Larry tut, wird das landesweit in den Nachrichten sein, so berühmt wie er ist. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich damit umgehen kann, dass mein Missbrauch zu einem nationalen Nachrichtenbeitrag wird. Selbst wenn wir versuchen, meine Identität zu schützen, kann es gut sein, dass mein Name bekannt wird.«

Ich wusste, dass es vielleicht die einzige Möglichkeit war. Tief in meinem Innern wusste ich, dass ich diese Chance ergreifen würde, wenn es sein musste. Aber ich brauchte zuerst einen realistischen Ausweg, und den sah ich einfach nicht. Kein Medienunternehmen würde eine Geschichte aufgreifen, ohne Beweise dafür zu haben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass mir überhaupt geglaubt werden würde … ging gegen null.

»Aber was, wenn er es wieder tut?«, fragte meine Mutter noch einmal.

Ich fühlte, wie mich Verzweiflung erfüllte. »Das wird er wahrscheinlich, aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihn aufhalten soll. Eine anonyme Stimme wird niemals genug sein.«

Meine Mutter schwieg. Wir beide kannten die Realität.

Es gab nichts, was wir tun konnten.

Wie ich das Schweigen brach

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