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Prolog

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North Kent, UK

Grant Swift nahm in der Eingangshalle des großen Bürogebäudes seine Autoschlüssel aus der Jackentasche und blickte dabei durch die Glastüren nach draußen. Seine Finger schlossen sich fest um den Griff des abgenutzten Aktenkoffers in seiner Hand, dessen schwarzes Leder sich bereits ablöste und zu einem unansehnlichen Grau verblasste.

Schneeregen prasselte auf das Dach des Verbindungsganges und das lautstarke Trommeln des Regengusses hallte durch den Empfangsbereich des Gebäudes. Grant zuckte zusammen, als ein Windstoß an den Glastüren rüttelte und Abfall über den Weg zum Parkplatz wirbelte.

»Wollen Sie da wirklich rausgehen, Mr. Swift?«

Grant drehte sich zu dem Empfangsschalter um, hinter dem ein einzelner Wachmann saß, der nun von einem halb gelösten Sudoku-Rätsel aufblickte. Grant schob seinen Schal unter den Mantelkragen und sagte: »Wenn ich dieses Jahr unser Dinner zum Hochzeitstag verpasse, kann ich mich genauso gut sofort nach einem neuen Zuhause umsehen.«

Der Wachmann lachte, beugte sich nach vorn und drehte das Radio etwas lauter. »Ich schätze mal, dann sollten Sie das Risiko wohl besser eingehen, Sir. Lieber klatschnass und durchgefroren dort auftauchen, als zu spät zu kommen.«

»Genau das denke ich mir auch.« Grant hielt den Aktenkoffer über den Kopf und stemmte sich gegen die Glastüren, während hinter ihm die Musik eines Top-40-Radiosenders durch den Empfangsbereich hallte. Das Wasser unter seinen Füßen spritzte in alle Richtungen, als er auf dem betonierten Gehweg durch die Pfützen rannte und sein Atem bildete derweil Wölkchen in der Luft.

Als er sich seinem Auto näherte, einer brandneuen silbernen Mercedes Limousine, auf deren Nummernschild ›GEN1US‹ stand, hob er seinen Arm und richtete den Schlüsselanhänger auf die Tür. Die Blinker leuchteten daraufhin einmal kurz auf. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, warf er seine Aktentasche auf den Beifahrersitz und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Er zog die Tür zu, dann saß er erst einmal wie gelähmt da und starrte den Schneeregen an, der auf seine Windschutzscheibe prasselte.

»Jesus«, murmelte er, »dieses gottverdammte englische Wetter.«

Er schüttelte sich vor Kälte. Sein letzter Einsatz war bei einem Unternehmen im Nahen Osten gewesen. Zwei Monate später hatte er bereits den Tag bereut, an dem er den Vertrag für dieses Projekt abgeschlossen hatte, und war in das Vereinigte Königreich zurückgekehrt.

Grant fuhr sich mit der Hand durch sein klatschnasses, schwarzes Haar, erschauderte, als ihm eiskaltes Wasser den Nacken hinunterlief, und starrte wütend auf die Wasserlache, die sich bereits auf dem Beifahrersitz unter seinem Aktenkoffer ausbreitete.

Er schüttelte den Kopf, schob die Karte in den Schlitz und startete damit das Auto. Der Motor erwachte schnurrend zum Leben und die Instrumente auf dem Armaturenbrett leuchteten auf wie das Cockpit eines Kampfjets. Grant beugte sich nach vorn und stellte die Temperaturkontrolle ein. Noch während er sich anschnallte und die Scheinwerfer einschaltete, verschwand bereits der Beschlag auf der Innenseite der Windschutzscheibe.

Jetzt schaltete er die Scheibenwischer ein, legte den Rückwärtsgang ein und rollte am Gebäudekomplex vorbei vom Parkplatz herunter.

Das Hauptquartier des Unternehmens bestand aus einer Ansammlung von architektonisch interessant miteinander verwobenen Glas- und Stahlelementen und bildete den Mittelpunkt eines ganz neuen Gewerbegebietes. Die drei Stockwerke überragten die benachbarten Bürogebäude, die weitaus besser zu der umliegenden Landschaft passten. Das Hauptquartier lag zwanzig Meilen von London-Mitte entfernt, um den Software-Ingenieuren, die vor fast zwei Jahren hierhergezogen waren, eine Oase der Ruhe zu bieten.

Grant rutschte in seinem Sitz einige Male hin und her, bis er bequem saß, und lenkte das Auto dann in Richtung Stadt. Falls das Wetter noch schlechter werden würde, würde sich die Fahrzeit von eigentlich einer Stunde garantiert auf gute zwei Stunden verlängern, und dann würde er definitiv zu spät kommen.

Zwanzig Minuten später war er immer noch auf der Straße nach Westen unterwegs, und während die Fahrzeuge inzwischen Stoßstange an Stoßstange dahinrollten, versuchte er verzweifelt, sich nicht von der Nebelschlussleuchte blenden zu lassen, die der Idiot vor ihm eingeschaltet hatte.

Schließlich ging es nur noch im Schritttempo vorwärts und Grant verrenkte sich den Hals bei dem Versuch, einen Blick über die Fahrzeuge vor ihm werfen zu können. Dann entdeckte er irgendwann die rot-blauen Blinklichter von Rettungsfahrzeugen und stöhnte leise auf. Er sah kurz nach unten, als sein Handy in der Halterung zu klingeln anfing, und schaltete schnell am Lenkrad die Freisprechanlage an.

»Reich bitte nicht gleich die Scheidung ein.«

Ein kehliges Lachen war nun über die Lautsprecher zu hören. »So schlimm?«

»Ich brauche noch ungefähr vierzig Minuten, allerhöchstens«, log er.

»Das habe ich mir schon fast gedacht.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Ich rufe das Restaurant an und sage dort Bescheid, dass wir erst nach acht Uhr kommen können, okay?«

»Das klingt nach einem guten Plan.« Er warf einen prüfenden Blick in seinen Rückspiegel. »Ich werde die nächste Ausfahrt nehmen. Das ist zwar ein kleiner Umweg, aber wenigstens kann ich dann in Bewegung bleiben. Ich glaube nämlich nicht, dass sich der Stau hier so bald wieder auflöst.«

»Okay. Aber fahr vorsichtig.«

»So wie immer. Ich liebe dich.«

»Ich dich auch. Wir sehen uns, wenn du angekommen bist.«

Grant beendete den Anruf. Nachdem er einen weiteren Blick in den Rückspiegel geworfen hatte, blinkte er links und fing an, auf die linke Spur zu ziehen. In seinem Rückspiegel blitzten Scheinwerfer auf. Er blinzelte und drehte den Kopf zur Seite, damit sich seine Augen darauf einstellen konnten. Er schätzte, dass die Ausfahrt nicht mehr als zwei Meilen entfernt war und tatsächlich tauchte nach gut einer Minute ein grünes Schild auf, das die Abfahrt auf der linken Seite ankündigte. Er fing bereits eine halbe Meile vor der Ausfahrt an zu blinken und manövrierte sich vorsichtig aus dem stockenden Verkehr hinaus, um anschließend über die Abfahrt die doppelspurige Schnellstraße zu verlassen.

Der Van hinter ihm blieb dabei in seinem Kielwasser und folgte ihm die Abfahrt hinunter. Grant warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und grinste. Offensichtlich hatte noch jemand anderes die Nase voll vom Stau.

Als sein Auto die Abfahrtsrampe hinunterrollte, wurde es automatisch schneller, dann verlangsamte Grant es allerdings wieder, als er am Ende der Abfahrt auf eine grüne Ampel zufuhr. Er bog nun nach rechts ab und bremste an einer T-Kreuzung.

Die Wucht des plötzlichen Aufpralls, als jemand in ihn hineinfuhr, warf ihn nach vorn und presste seinen Körper in den Sicherheitsgurt. Er blinzelte schockiert, hielt das Lenkrad fest umklammert und korrigierte schnell die Richtung des Autos, als es zur Kreuzungsmitte abdriftete. Die Lichthupe des Vans blitzte einmal kurz auf. Grant stöhnte, lenkte den Wagen über die Kreuzung und hielt dann auf der gegenüberliegenden Straßenseite an.

Die Straße war verlassen und außer den beiden Wagen waren hier keine Fahrzeuge unterwegs. Über dem Mercedes flackerte eine Straßenlaterne und warf schimmerndes Licht auf den nassen Asphalt.

Absolut fantastisch. Er schlug mit den Handflächen auf das Lenkrad, stellte den Schalthebel auf Parken und löste den Sicherheitsgurt, während sein Herz wild hämmerte.

Hoffentlich hat der Idiot eine Versicherung. Er beugte sich zum Handschuhfach hinunter, öffnete die Klappe und nahm ein kleines Notizbuch heraus. Danach griff er noch tiefer in das Fach und nahm einen Kugelschreiber, dessen Ende bereits angeknabbert war. Anschließend schloss er die Klappe wieder und legte seine Hand auf den Türgriff.

Er warf einen kurzen Blick in den Außenspiegel und erstarrte, denn eine schemenhafte Gestalt war nun aus dem anderen Fahrzeug ausgestiegen, hatte sich einen Mantel über den Kopf gezogen und rannte auf sein Auto zu. Grant drückte den Schalter, der das Fenster öffnete und blinzelte, als der Regen hineinpeitschte.

Die Gestalt blieb an der Wagentür stehen und bückte sich. Bei diesen schlechten Lichtverhältnissen konnte Grant nur ein bärtiges Kinn und eine Kapuze, die den oberen Teil des Gesichtes verdeckte, erkennen, während der Regen in Sturzbächen den Rücken der Gestalt hinunterlief. Der Mann musste gegen den Lärm des Sturms anschreien.

»Es tut mir leid! Meine Frau ist zu Hause und sie erwartet gerade unser erstes Kind. Ich hab noch versucht, anzuhalten, aber die Bremsen haben einfach nicht mehr gegriffen. Ist bei Ihnen alles okay?«

Grant hielt ihm den Notizblock und Stift entgegen. »Geben Sie mir einfach Ihre Versicherungsdaten und ich schreibe Ihnen meine auf.«

Der Mann nickte und öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch dann wurde plötzlich ohne Vorwarnung die Beifahrertür aufgerissen. Grant drehte sich überrascht in diese Richtung, als ein anderer Mann den Aktenkoffer auf den Boden stieß und sich auf ihn stürzte. Grant schrie und versuchte verzweifelt, die Fahrertür zu öffnen, doch dann spürte er, wie sich ein Arm eng um seinen Hals legte. Keuchend schnappte er nach Luft.

Der Mann mit der Kapuze lehnte sich nun durch das Fenster und flüsterte ihm ins Ohr: »Nicht dagegen ankämpfen … du machst es nur noch schlimmer.«

Der andere Angreifer hatte inzwischen eine Spritze hervorgeholt und hielt sie mit nach oben gerichteter Nadel in der Hand.

Grant trat mit seinen Füßen hilflos auf den Wagenboden ein und seine Schuhspitzen stießen dabei gegen das Gaspedal. Der Mann mit der Spritze grinste und sein kurz geschnittenes grau meliertes Haar schimmerte im schwachen Licht der Innenraumbeleuchtung.

Während Galle in ihm hochstieg, versuchte Grant, den Griff um seinen Hals abzuschütteln. Der grauhaarige Mann packte daraufhin sein Handgelenk, schob seinen Ärmel hoch und versenkte die Nadel in Grants Vene.

Dieser öffnete seinen Mund, um alles hinauszubrüllen … die Angst, den Schmerz und die Frustration … doch sofort presste der Kapuzenmann ihm die Hand auf den Mund, sodass nur noch ein gedämpfter Schrei zu hören war.

Der andere Mann entspannte sich jetzt, lehnte sich auf dem Beifahrersitz zurück und beobachtete Grant mit glänzenden Augen.

In dessen Kopf drehte sich plötzlich alles, sein Herzschlag, der gerade noch in seinen Ohren gedröhnt hatte, wurde allmählich langsamer, und vom Prasseln des Regens, der auf das Autodach trommelte, übertönt. Schwarze Punkte erschienen vor seinen Augen, dann ließ der Griff des Kapuzenmannes nach und Grant fiel zurück in seinen Sitz.

Eine gedämpfte Stimme erklang nun neben ihm. »In sechzig Sekunden ist er ganz weg.«

Sechzig Sekunden? Was passiert in sechzig Sekunden? Eine unfassbare Schläfrigkeit begann ihn auf einmal zu überwältigen. Grant blinzelte zweimal hektisch und versuchte sein Kinn von der Brust zu heben, weil er spürte, dass sein Kopf schlaff hinunterhing.

Der Mann mit dem graumelierten Haar griff im Fußraum des Wagens nach Grants Aktenkoffer, öffnete ihn und begann, den Inhalt zu durchsuchen, dann ließ er ihn wieder zuschnappen und blickte den anderen Angreifer kopfschüttelnd an.

»Da ist nichts drin. Wir nehmen ihn mit. Auf geht’s.«

Grants Körper sackte nun endgültig in sich zusammen, als die Autotür geöffnet wurde. Der Kapuzenmann packte ihn, schaute sich kurz über die Schulter nach unerwünschten Zeugen um und begann dann vorsichtig, Grant aus dem Fahrzeug zu ziehen.

»Nein …«, murmelte Grant. Verdammt, was hatten sie ihm da gegeben?

Bevor er das Bewusstsein komplett verlor, spürte er, wie er in den hinteren Teil des Vans gehoben und eine Decke über seinem Körper ausgebreitet wurde. Der muffige Geruch von Öl drang in seine Nasenlöcher, während sich der harte Stahlboden des Fahrzeugs in seinen Rücken bohrte.

Dann tauchte er ganz und gar in die Dunkelheit ein.

BRENNENDE SCHATTEN

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