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Kapitel 1
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Arizona, USA
Dan Taylor lief langsam über die staubtrockene Erde. Er trug eine dunkelgrüne Jacke, die mit Kevlar gepanzert war, eine farblich passende Hose sowie schwarze Schnürstiefel und ging gerade auf ein kleines, bösartig aussehendes Objekt zu, das vor ihm auf dem Boden lag.
Über der unfruchtbaren Ebene zog Dunst auf, der den blauen wolkenlosen Himmel zu verschleiern begann. In der Ferne teilte er sich wieder und enthüllte dabei eine lang gezogene Hügelkette, die die Hitze des vergangenen Sommers braun versengt hatte. Ein paar verkümmerte Bäume unterbrachen die Monotonie der Landschaft und spendeten inmitten des verdorrten Grases und des allgegenwärtigen Staubes ein bisschen kostbaren Schatten.
Während er sich dem Gegenstand näherte, wurde Dan immer langsamer. Fast ehrfürchtig umrundete er das Objekt vorsichtig im Uhrzeigersinn, wobei er kleine Steine und Kiesel aus dem Weg kickte.
Während sich hinter ihm die Staubwolke langsam wieder senkte, hielt er inne und starrte den Apparat, der vor ihm in der Sonne glitzerte, intensiv an. Er seufzte leise und wartete darauf, dass sein Herz endlich aufhörte, wie verrückt gegen seine Rippen zu hämmern. Als sich sein Puls endlich ein bisschen beruhigt hatte, hockte er sich vorsichtig hin, ballte ein paar Mal die Fäuste, um seine Finger geschmeidig zu machen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit dann auf die Sprengvorrichtung.
Seine Augen blinzelten heftig hinter dem Visier, das sein Gesicht schützen sollte, denn ein Schweißtropfen rann ihm über die Stirn und drohte, in seine Augen zu laufen. Doch das Visier hochzuklappen und sich über das Gesicht zu wischen, war keine Option. Er schüttelte stattdessen leicht den Kopf, knetete seine Finger und fokussierte seine Aufmerksamkeit erneut auf die Apparatur.
Dann lehnte er sich auf den Fersen ein wenig zurück, öffnete eine Tasche an der Vorderseite seiner Jacke und holte einen Satz kleiner Zangen heraus. Anschließend schloss er den Reißverschluss wieder, hielt die Zangen vor sein Gesicht und bückte sich so tief hinunter, bis seine Augen mit der Vorrichtung auf einer Höhe waren.
Am Vortag hatte er bereits einen ähnlichen Apparat untersucht, nur war dieser fest in eine Werkbank eingespannt und nicht aktiviert gewesen, als er ihn in Ruhe methodisch auseinandergenommen und sich dabei bemüht hatte, ihm seine Geheimnisse zu entlocken.
Dieses Mal war es vollkommen anders.
Er versuchte zu rekapitulieren, was er gestern herausgefunden hatte … welchen Draht er ohne Gefahr durchschneiden konnte und welchen er besser in Ruhe lassen sollte … und was für eine gewaltige Explosionskraft unter diesen Metallschichten verborgen lag.
Dan verdrängte nun alle Gedanken an das, was eventuell passieren könnte, beugte sich nach vorn und schob eine der Zangen sanft über die knochentrockene Erde auf die Sprengvorrichtung zu. Normalerweise würde jedes Bombenbeseitigungsteam der Welt einen speziell dafür entwickelten Roboter verwenden, um eine solche Bedrohung zu neutralisieren, das Problem war nur, dass einige Vorrichtungen mit Absicht an Stellen platziert wurden, an denen Roboter nicht eingesetzt werden konnten.
Zwischen der lockeren Erde und der glänzenden Oberfläche des Objektes entdeckte Dan jetzt einen etwa ein Zentimeter breiten Spalt. Ein dünner gelber Draht ragte an dieser Stelle aus dem Gerät hervor, mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar. Er zog die Zange langsam wieder zurück und blieb einige Sekunden nachdenklich in der Hocke sitzen. Anschließend legte er sich flach auf den Boden, schlängelte sich behutsam vorwärts und bewegte das Werkzeug erneut mit zur Seite geneigtem Kopf auf die Vorrichtung zu.
Vorsichtig übte er Druck auf die Zange aus und die Schneiden schlossen sich langsam um den gelben Draht. Als sie die farbige Plastikabdeckung berührten, hörte er kurz zu atmen auf.
Über ihm war das ferne Dröhnen eines Düsenjägers zu hören, der seine Kondensstreifen quer über den azurblauen Himmel ausspie. Er wartete, bis der Jet vorübergeflogen und die Stille zurückgekehrt war und das einzige Geräusch, das seines Herzschlages war, der in seinen Ohren widerhallte.
Ein weiterer Herzschlag folgte, dann durchtrennte er den Draht. Er atmete langsam wieder aus und zog die Zange vorsichtig zurück, während sein Puls anfing zu rasen.
Plötzlich drang ein schrilles Heulen aus dem Objekt.
Dan riss erschrocken die Augen auf. Mühsam sprang er auf und begann so schnell wie nur möglich von der Sprengvorrichtung wegzurennen. Sein Ziel war ein Absperrband, das zwischen zwei Zaunpfosten in der Brise flatterte.
In seinem Kopf zählte er die Sekunden … allerdings mehr aus alter Gewohnheit als aus dem Wissen heraus, wie viel Zeit ihm tatsächlich noch blieb.
Es würde verdammt knapp werden.
Als er das abgesperrte Areal endlich erreichte, ließ er sich auf die Knie fallen, glitt unter dem Absperrband hindurch und rutschte dann hastig in einen flachen Graben hinein, der erst vor wenigen Stunden ausgehoben worden war. Dort rollte er sich zu einer Kugel zusammen und legte seine Arme schützend über den Kopf.
Die Explosion ließ die gesamte Umgebung erzittern. Der Boden schien plötzlich zu kochen und wölbte sich in die Höhe. Erde, Sträucher und Steine wurden in die Luft geschleudert. Ein kleiner Schwarm Krähen stob krächzend auseinander, als Sand und Felssplitter auf Dans Körper niederregneten und ihn mit einer Staubschicht bedeckten.
Dann herrschte endlich Stille.
Dan hob langsam den Kopf und schaute über die Schulter. Eine dicke Staubwolke verbarg nun das Areal, auf dem er gerade versucht hatte, die Vorrichtung zu entschärfen. Er richtete sich vorsichtig auf und fluchte leise, als ihm kleine Erdbrocken in den Kragen fielen und den Nacken hinunterrutschten. Während er sich den Staub vom Körper abklopfte, schluckte er ein paar Mal, um das Klingeln in seinen Ohren loszuwerden, doch dann hörte er hinter sich einen Schrei und drehte sich hastig um.
Zwei große weiße Allradfahrzeuge parkten hundert Meter entfernt von ihm und bildeten dort einen Bereich willkommenen Schattens. Er hatte zwischen den beiden Wagen eine Plane gespannt, die das Licht der hellen Wintersonne abhielt. Ein breiter Streifen rotes Absperrband flatterte in der leichten Brise und markierte den äußeren Rand der temporären No-go-Area.
Dan ging langsam auf die Fahrzeuge zu, anfangs allerdings noch etwas unbeholfen, weil er seine geschundenen Gliedmaßen erst wieder in die Gänge bringen musste. Unwillkürlich fragte er sich, wie viele blaue Flecken er sich wohl dieses Mal zugezogen hatte. Als er das Absperrband erreichte, kam hinter dem Heck eines der Allradfahrzeuge ein Mann hervor. Dieser steckte sein Handy in die Gesäßtasche seiner Jeans und verschränkte wartend die Arme vor der Brust.
»Gute Arbeit«, sagte er, als die staubige Gestalt sich ihm weit genug genähert hatte.
Dan nahm das Schutzvisier ab und runzelte die Stirn, während er sich mit der Hand durch sein braunes Haar strich, das er seit dem vergangenen Sommer länger trug. Zumindest verglichen mit dem Stoppelhaarschnitt, den er während seiner Dienstzeit in der britischen Armee bevorzugt hatte. Er blieb nun stehen und drehte sich um, dann betrachtete er die zerstörte Landschaft hinter sich und den feinen Rauchfaden, der sich in den blauen Himmel hinaufschlängelte. Danach wandte er sich dem Mann zu, der jetzt genau neben ihm stand.
»Das da«, sagte er und zeigte über seine Schulter hinweg auf den rauchenden Krater im Boden, »war ein wirklich, wirklich hinterhältiger Sprengsatz, Chris.«
Der Mann neben ihm schützte seine Augen mit der rechten Hand und nickte. »Nach meinen Informationen hat man sie bei einem Kerl gefunden, der an einem israelischen Kontrollpunkt verhaftet wurde. Natürlich ein Mitglied der Hisbollah …«
»Hatten die Israelis so etwas schon zuvor gesehen?«, fragte Dan.
Chris schüttelte den Kopf. »Nein, deshalb haben sie uns ja ein paar davon zur Verfügung gestellt … und aus demselben Grund haben wir auch dich dazu geholt. Damit wir gemeinsam herausfinden können, wie zur Hölle man diese Dinger entschärfen kann und auch um ihre Sprengkraft zu testen, damit wir eine Ahnung davon bekommen, womit wir es hier überhaupt zu tun haben.«
Dan nickte. Er hatte die britische Armee verlassen, nachdem er im Irak bei der Explosion einer Sprengfalle schwer verletzt worden war. Danach hatte er es sich zum Ziel gemacht, so viel wie möglich über die neuen terroristischen Waffen zu lernen … damit das, was ihm zugestoßen war, wenigstens einen Sinn gehabt hatte, und um andere Menschen davor zu bewahren, durch die gleiche Hölle gehen zu müssen, durch die er hatte gehen müssen.
Obwohl seine Albträume allmählich verschwunden waren, genügte bereits ein entsprechender Nachrichtenbericht, um den Schalter sofort wieder umzulegen und ihm für Wochen schlaflose Nächte zu bescheren. Als Berater der britischen Armee zu arbeiten und dabei seine Fähigkeiten als Kampfmittelräumer anzuwenden, befriedigte ihn irgendwie.
In den vergangenen Monaten hatte er sich mit Chris Lewis zusammengetan, einem ehemaligen SEAL-Munitionsexperten, der nach einem Trainingsunfall, bei dem er zwei Finger der linken Hand verloren hatte, von der US-Navy in Pension geschickt worden war.
Dan drehte sich jetzt um und ging zu einem der Allradfahrzeuge. Im Schatten der Plane fing er an, die einzelnen Teile der Kevlar-Körperpanzerung auszuziehen.
Chris folgte ihm unter das provisorische Zelt und half ihm, die schwere Schutzjacke über den Kopf zu heben. Dan kam bei dieser Anstrengung fast ins Stolpern. Als Chris die Jacke auf den Boden warf, zog Dan seine Stiefel aus und schälte sich langsam aus der ebenfalls gepanzerten Hose. Darunter trug er eine blaue Jeans und ein schwarzes Poloshirt, die beide schon durch jahrelanges Tragen ausgeblichen waren. Während Chris die Kevlar-Körperpanzerung auf dem Rücksitz von Dans Pick-up verstaute, schnürte Dan seine Stiefel wieder zu, dann ging er zu einem Mini-Kühlschrank hinüber, der an einen kleinen Generator angeschlossen war, und nahm sich eine Limonade. Nachdem er den Verschluss geöffnet hatte, trank er die halbe Dose in drei Zügen aus und rülpste dann laut.
Verlegen grinsend stellte er die Dose auf dem Kühlschrank ab. Daneben lag auf einer auf dem Boden ausgebreiteten Plane eine ganze Ansammlung von ausgeschlachteten Metallteilen, Drähten und Sprengvorrichtungen. Dan zog ein Paar Handschuhe an, dann bückte er sich und nahm eine der zerlegten Vorrichtungen in die Hand. Er drehte sie zwischen seinen Fingern hin und her, während seine blauen Augen auf das Gerät starrten und versuchten, herauszufinden, wie es konstruiert worden war.
Er drehte sich um und streckte es Chris entgegen. »Es ist fast wie eine kleine Haftmine, aber mit einem ausrichtbaren Detonationsmechanismus.«
Chris hockte sich neben ihn hin. »Und wie kommt es, dass die Bombe, die wir gerade gezündet haben, so einen verdammt großen Krater in die Pferdekoppel des Generals gerissen hat?«
»Genau das würde ich auch gern wissen.«
Als der Schatten eines Mannes über sie hinwegglitt und das schwelende Loch im Boden betrachtete, blickten sie hoch.
»Vielleicht war sie defekt?«, schlug Dan vor.
Der Neuankömmling rollte die Ärmel seines Jeanshemdes hoch, hob seine Baseballmütze ein wenig an und kratzte sich am Ohr. »Zumindest war sie brandgefährlich.«
Mit Ende sechzig hatte sich General Bartholomew Bart Collins aus der US-Army zurückgezogen, sich mitten in Arizona Land gekauft und fuhr dort fort, den Terrorismus auf seine ganz eigene Art und Weise zu bekämpfen. Dabei kooperierte er sowohl mit der US-Army als auch mit der britischen Armee und Beratern wie Dan. Dies bot ihm die Möglichkeit, mit verschiedensten Experten zusammenzuarbeiten und so ihr Wissen zu bündeln.
Dan schaute den General über die Schulter hinweg an und runzelte die Stirn. »Ich habe Sie gar nicht kommen gehört. Wo ist denn Ihr Pick-up?«
Ein tiefes, grollendes Schnauben hinter einem der Fahrzeuge nahm die Antwort des Generals vorweg.
Er lächelte. »Ich habe mir doch keine Ranch gekauft, damit ich den ganzen Tag lang mit dem Auto herumfahre, Sohn. Ich war gerade auf einem Ausritt, sah die Explosion und dachte mir, ich sollte mal besser vorbeischauen, um sicherzugehen, dass ihr beide noch in einem Stück seid.«
Dan drehte sich zur Seite, streckte den Rücken durch und warf dem General, der weiterhin stirnrunzelnd den Krater betrachtete, einen Blick zu.
»Was halten Sie davon, General?«
Der ältere Mann wandte sich ihm zu. »Da draußen sind mittlerweile einige wirklich üble Bastarde unterwegs.« Er zuckte mit den Schultern, band sein Pferd vom Kuhfänger des Pick-ups los und schwang sich mit der Beweglichkeit eines zwanzig Jahre jüngeren Mannes in den Sattel.
»Das mit der Pferdekoppel tut mir leid«, sagte Dan.
Der Mann zuckte mit den Achseln. »So ist nun mal das Leben. Ich wollte sie dieses Jahr ohnehin umpflügen. Du hast mir nur die Arbeit abgenommen.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Ihr solltet jetzt besser alles zusammenräumen und euch auf den Nachhauseweg machen, bevor Wendy das Abendessen serviert.«
Während er die Zügel zwischen seinen Fingern hindurchgleiten ließ, sah er auf Dan hinunter. »Ich erwarte euch um sechs Uhr für ein paar Drinks und einen ausführlichen Bericht in meinem Arbeitszimmer«, sagte er und trieb sein Pferd dann mit einem schnellen Schenkeldruck an.
Als das Pferd losgaloppierte, salutierte Dan locker und machte sich dann wieder ans Aufräumen. Er bückte sich und fing an, die Teile der Sprengvorrichtung, die er untersucht hatte, einzusammeln, wobei er seine dabei gemachten Notizen sorgfältig zusammenfaltete und in die Gesäßtasche steckte. Danach verpackte er jedes Teil der Vorrichtung einzeln in eine eigene Plastiktüte.
Chris beschriftete die einzelnen Beutel anschließend mit einem Permanentmarker, bevor er sie in einem Metallbehälter von der Größe eines Werkzeugkastens verstaute. Dan warf ihm den letzten Beutel zu, dann richtete er sich leise ächzend auf, zog die Handschuhe aus, knüllte sie zusammen und schleuderte sie achtlos in den Beifahrerfußraum seines Wagens.
Sie zogen nun die Plane hinunter, die ihnen den ganzen Tag über Schatten gespendet hatte, rollten sie zusammen und verstauten sie auf der Ladefläche von Dans Pick-up. Schließlich bückten sie sich und testeten das Gewicht der Metallbox.
Dan blickte zu Chris hoch und nickte. »Auf drei.«
Vorsichtig hoben sie die schwere Kiste auf die Ladefläche und schlugen anschließend die Heckklappe zu.
Dan fuhr sich mit den Fingern durch sein feuchtes Haar. Schweißtropfen liefen ihm den Rücken herunter, während er das Testgebiet noch einmal überprüfte und kontrollierte, ob sie auch wirklich alles mitgenommen hatten. »Ich fahre dir hinterher«, sagte er zu Chris, der kurz nickte und sein Fahrzeug anließ.
Nachdem er in seinen Wagen gestiegen war, warf Dan die leere Getränkedose und sein Werkzeug auf den Beifahrersitz, zog die Tür zu und startete den Motor. Er ließ ihn eine Minute lang warmlaufen und kurbelte dann sein Fenster herunter. Danach lenkte er den Pick-up auf die holprige Fahrspur und folgte der Staubwolke des vorausfahrenden Wagens.
Als er mit seinem Pick-up den schmalen Weg zum Haus des Generals hinauffuhr, warf er einen Blick auf die Winterlandschaft, die sich vor ihm ausbreitete. Im Rückspiegel bemerkte er, dass er immer noch von den letzten sechs Monaten, die er in der kargen Weite Arizonas verbracht hatte, gebräunt war.
Dann glitt sein Blick über das Städtchen, in dem man ihn trotz der abgeschiedenen Lage mehr als freundlich empfangen hatte.
Was ihm ganz recht war, denn dort befand sich die einzige Pension weit und breit.