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Bären füttern verboten

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Sag mal, was möchtest du eigentlich an deinem Geburtstag machen?, fragt Ruth.

Ach, wahrscheinlich das Übliche, sagt Sydney, die am Herd steht und Kaffee kocht.

Das Übliche, sagt Ruth.

Wenn das okay ist, sagt Sydney.

Beide schweigen.

Sydney schenkt den Espresso in zwei blau-weiß gestreifte Tassen und stellt eine davon vor Ruth auf den Tisch.

Vielleicht können wir ja nach deinem Geburtstag irgendwo essen gehen, sagt Ruth. Bevor du wegfährst?

Gute Idee, sagt Sydney.

Sie weiß, dass gerade etwas Wichtiges geschehen ist: ein Augenblick liebevoller Rücksicht. Ruth hätte ihren Frust, ihre Missbilligung zeigen können, hat es aber nicht getan.

Aber ich bin ja nur eine Woche weg, sagt sie.

Ich weiß. Hast du schon ein Zimmer gebucht?

Ja, gestern. Sorry, hab ich vergessen zu sagen.

Hast du das B&B bekommen, das du haben wolltest?

Ja, hat alles geklappt.

Ich glaube, das tut uns beiden mal gut, sagt Ruth.

Meinst du?

Ruth nickt. Es tut doch jedem gut, wenn er mal ein bisschen für sich ist.

Wahrscheinlich hast du recht, sagt Sydney. Ich sollte mich jetzt besser wieder an die Arbeit machen. Wenn du willst, reden wir später noch mal darüber. Reservier uns doch irgendwo einen Tisch.

Okay, sagt Ruth.

Oben setzt Sydney sich an ihren Schreibtisch und zeichnet Ruths Unzufriedenheit als einen Braunbären, der den Kopf bis zum Boden hängen lässt. Dieser Bär ist ein unausgesprochenes Wesen, aber sie spürt manchmal, wie er durch das Haus tapst, kann beinahe seine schweren Schritte auf der Treppe hören. Wenn sie ehrlich ist, freut sie sich darauf, ihm zu entkommen, wenn sie für eine Woche zum Freerunning und Zeichnen runter an die Küste fährt. Ist das schlimm? Sie fügt ihrer Zeichnung ein Schild hinzu: BÄREN FÜTTERN VERBOTEN.

Dann legt sie das Blatt in eine Holzkiste und macht sich an die Arbeit. Sie betrachtet die Zeichnung von Vita, wie sie in einer Polizeiuniform durch eine dunkle Straße schleicht. Dann Jason, wie er sorgsam die Innereien eines alten Radios in einen Plastikbehälter packt und ihn dann im Garten vergräbt. Sie legt die beiden Zeichnungen beiseite und konzentriert sich auf die, die noch nicht fertig ist, von ihrer Mutter, wie sie in einem Café auf eine Fremde zugeht.

Unten in der Küche flucht Ruth leise: Herrgott noch mal.

Warum muss es jedes Jahr gleich ablaufen? Ein paar Tage vor Sydneys Geburtstag stellt sie die immer gleiche Frage, in der Hoffnung, dass sie vielleicht einen langen Spaziergang machen werden, essen gehen, irgendwohin fahren, wo sie noch nie waren. In der Hoffnung, dass sie den Tag zusammen verbringen.

Aber nein.

Sydney will das tun, was sie immer tut: auf eine Wand zurennen, mit zwei Schritten daran hochlaufen, sich abstoßen und mit einem Rückwärtssalto landen. So will sie ihren siebenundvierzigsten Geburtstag verbringen. Sie benutzt ein Geländer als Achse, um die ihr Körper eine Dreihundertsechzig-Grad-Drehung vollführt. Natürlich nicht in Rock und Pullover. Sie wird eine locker sitzende Hose anziehen, dazu ein Langarmtop mit einem T-Shirt darüber und eine Mütze, und allein in die Stadt ziehen wie ein halbwüchsiger Junge. Das ist ihr Ritual. Wird sie das auch noch machen, wenn sie sechzig oder siebzig ist? Wenn ihre Knochen das nicht mehr so leicht mitmachen werden?

Ruth knirscht mit den Zähnen. Ist es denn so falsch, sich einfach ein bisschen Normalität zu wünschen?

Wobei Normalität natürlich Definitionssache ist. Was für den einen normal ist, ist für den anderen seltsam. Ja, ja, das weiß Ruth alles. Und Freerunning ist beeindruckend, klar. Das endlose Training, die spezielle Ernährung, die Sit-ups und Pushups, die Disziplin und der Drive. Man muss stark sein, körperlich wie seelisch, und natürlich anmutig. Aber wie würdest du dich fühlen, wenn deine Lebensgefährtin jedes Mal, wenn ihr zusammen in die Stadt geht, eine Art Superheldinnen-Akrobatik veranstaltet? Es ist atemberaubend und nervtötend, fantastisch und peinlich. Parkour ist die dritte Person in ihrer Beziehung, und nächste Woche wird sie wieder einmal mit Sydney in der Stadt verschwinden, um ihren Geburtstag zu feiern. Déjà-vu. Wenigstens ein Mal in den vierzehn Jahren, die sie jetzt zusammen sind, würde Ruth gerne diejenige sein, die sie ausführt. Nur sie beide. Keine locker sitzende Hose, keine Turnschuhe und vor allem keine Backflips.

Ruth trinkt ihren Kaffee und versucht sich zu beruhigen.

Nein, es ist keine gute Idee, raufzugehen und Sydney anzubrüllen. Sie arbeitet an ihrem Buch. Es hat ewig gedauert, bis sie mit diesem Projekt angefangen hat, bis sie sich überhaupt dazu durchringen konnte. Sei nicht egoistisch. Ha! Ich, egoistisch? Wer von uns ist denn hier egoistisch! Hör auf, Ruth. Denk an was Positives.

Okay, hier ist etwas Positives:

Sydney abends beim Freerunning mit ihrer Gruppe zuschauen. Es ist schwer, von diesem Anblick nicht berührt zu sein. Im Schein der Straßenlaternen sieht Ruth ihre Biegsamkeit vor der harten Geometrie der Stadt. Sydney nutzt eine gerade Linie als Sprungbrett, um durch die Luft zu kurven. Sie ist zwei zugleich, ihr Schatten tanzt über die Mauern. Es könnte der Schatten eines mädchenhaften Jungen oder eines jungenhaften Mädchens sein, doch das ist er nicht. Er gehört einer Frau, die auf die fünfzig zugeht. Einer Cartoonistin, die ihre Arbeitstage oben in ihrem gemeinsamen umgebauten Loft verbringt, während auf dem Sessel neben ihrem Schreibtisch ein Foxterrier namens Otto schnarcht. Einer Frau, die ab und an mit ihrem fünfunddreißig Jahre alten Skateboard in den Park geht, aber nur, wenn Ruth unterwegs ist, weil sie denkt, ihre Freundin wüsste nichts von diesen nostalgischen Ausflügen auf abgenudelten Rollen. Aber vor allem einer Frau, die sich weigert, an ihrem Geburtstag irgendetwas Normales zu tun.

Geburtstage sind ein Reizthema, eine Gefahrenzone. Den Tag zu feiern, an dem Sydney geboren wurde, ist definitiv nicht angesagt.

Warum?

Weil man damit die Tatsache feiern würde, dass Sydney noch am Leben ist, und das ist ein schwieriges Terrain für sie, eines, das sie lieber überspringen würde, als darin zu landen.

Das Dumme ist nur, diese Tatsache nicht zu feiern, ist für Ruth schwierig. Dadurch fühlt sie sich zugleich ausgeschlossen und in eine Vergangenheit gezogen, die nicht ihre ist.

Kann ich dir nicht wenigstens einen Kuchen backen?, hat sie in der Anfangszeit gefragt.

Mir wär’s lieber, wenn du das nicht tätest, hat Sydney gesagt. Ich finde, Geburtstage sind was für Kinder.

Wie deprimierend, hat Ruth gedacht.

Und außerdem, denkt sie jetzt, ist das Ganze absurd: Du machst ein Riesentheater darum, dass du kein Theater willst. Und selbst wenn wir die Tatsache nicht feiern, dass du widerstrebend und mit schlechtem Gewissen in ein weiteres Lebensjahr gekrochen bist, sorgst du mit deiner störrischen Weigerung, dich wie ein normaler Mensch zu benehmen, dafür, dass dieser Tag aus allen anderen herausragt.

Nicht mal ein Minikuchen mit einer einzigen Kerze?, hat Ruth gefragt.

Nicht mal das, hat Sydney gesagt.

Also gut, ausnahmsweise, hat Ruth gesagt. Aber das muss sich ändern. Ich mache das nicht bis in alle Ewigkeit mit, okay? Irgendwann gehen wir zwei an dem Tag schön essen, sonst kriege ich schlechte Laune.

Einverstanden, hat Sydney gesagt. Das war vor dreizehn Jahren.

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