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Du könntest mich hart und glatt und schön machen

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Ich erinnere mich gut an dich, Sydney Smith. Du hast meine Schuhspitze gedrückt. Ich liebte diese italienischen Schnürschuhe und habe sie dauernd poliert, bis man sich darin spiegeln konnte.

Bei deinem Reim musste ich schmunzeln. Aber um ehrlich zu sein, hätte mir weder ein Spielzeughelikopter noch der Herr Doktor geholfen, weil ich tatsächlich tot war, mausetot. Den Löffel abgegeben und ins Gras gebissen, wegen so einem blöden Schlaganfall. Und was für ein Timing, Sydney. Ich war auf der Suche nach einem Bett für meine Freundin und mich, eine Woche später wollten wir heiraten.

Ich hatte schon alle möglichen Betten ausprobiert, bevor ich zu Flannery’s kam, aber bei dem wusste ich sofort, das ist es, noch bevor ich mich darauf ausgestreckt hatte. Noch nie hatte ich mich so getragen gefühlt. Ich sank hinein, ich schwebte, ich war glücklich.

Ich bin eine Leseratte, Sydney. Ich liebe es, im Bett zu lesen. Deshalb wollte ich wissen, wie es wäre, in diesem Bett zu lesen. Ich schüttelte die Kissen auf, lehnte mich dagegen und stellte mir vor, ich hätte meinen Schlafanzug an und ein Buch in der Hand und würde zu Maria sagen: Der Satz hier ist wunderbar, soll ich ihn dir vorlesen?

Und während ich mir das vorstellte, ist es passiert.

Irgendwie bin ich einfach gestorben.

Verdammte Scheiße, Sydney. Was soll man da anderes sagen als verdammte Scheiße?

Und dann trat ein Mädchen ans Fußende des Betts und drückte meine Zehen. Das konnte ich übrigens spüren. Noch hatte das Leben mich nicht ganz verlassen. Das dauert ein paar Tage. Wenn die Lebenden bloß darum wüssten. Dann würden sie die Sterbenden, die frisch Verstorbenen und die richtig Toten unterschiedlich behandeln. Ich war frisch verstorben und noch nicht richtig tot, und du warst eine süße Kleine in einer Latzhose und einem gestreiften T-Shirt, die meine roten Socken bewunderte.

Während du mit deiner Mum im Auto gesungen hast, hat ein Polizist bei Marias Eltern an die Tür geklopft. Seine Worte drangen in das Haus ein wie ein Waldbrand: eine lodernde Feuerwalze, die wie aus dem Nichts den Stadtrand überrollte.

Du weißt nie, was als Nächstes passiert. Das sagen die Leute ständig. Aber ich würde sie am liebsten schütteln oder ihnen ans Schienbein treten, damit sie den Satz wirklich ernst nehmen, erkennen, dass es keine Floskel ist, sondern eine Tatsache, die alles auf den Kopf stellen kann. Denn glaub mir, es kann in jedem verdammten Augenblick vorbei sein. Vergiss das nicht, okay? Nimm nie etwas für selbstverständlich.

Ich sollte mich wohl bei dir bedanken, Sydney Smith, weil du mich für autobiografische Zwecke verwendest. Deine Zeichnung ist großartig. Ich sehe aus, als würde ich schlafen. Ich wünschte, ich würde schlafen. Ich war noch nie Teil eines Graphic Memoir. Oder überhaupt irgendeines Buchs. Hätte ich das gewusst, als ich noch lebte, dass ich gleich am Anfang eines Buchs vorkommen würde, hätte ich das groß gefeiert. Das habe ich zum Glück richtig gemacht. Ich habe einfach alles gefeiert. Natürlich nicht mit großem Pomp. Schließlich kann man ja auf alle möglichen Arten feiern. Indem man Brot backt. Oder alle Fenster öffnet. Oder ihr sagt, wie schön sie ist.

Ihr.

Ja.

Meine Güte, du hast mich aufgerüttelt, Sydney Smith. Darf ich dich im Gegenzug um einen Gefallen bitten? Kannst du mich in die Hände einer Frau namens Maria Norton geben? Ich wäre so gerne noch einmal in ihren Händen. Ich weiß, ich bin klein und unbedeutend, was das große Ganze und diese Geschichte angeht, aber vielleicht könntest du aus mir ja einen Kieselstein an einem Strand machen? Du könntest mich hart und glatt und schön machen. Angenehm in der Hand, von bläulichem Weiß. Und eine Frau namens Maria Norton könnte mich aufheben und bewundern, mich zwischen ihren Fingern hin und her bewegen und dann ins Meer werfen. Ich würde mit einem kaum hörbaren Plätschern versinken.

Bitte gib mich in ihre Hände.

Vielen Dank schon mal, Sydney.

Ich würde mich freuen, von dir zu hören.

Herzliche Grüße

Andy

PS: Ich war für Maria mehr als ein Kieselstein. Ich war der ganze verdammte Strand. Ich war der Sand und das Wasser, die Fische und der Meeresboden, die Wolken, die Möwen, der Müll. Ich weiß nicht mal, was aus ihr geworden ist. Ich weiß nicht mal, wo sie ist.

Bist du für jemanden der ganze Strand, Sydney?

Ich hoffe es. Ich hoffe es wirklich.

Bären füttern verboten

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