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Schneefrau

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Es ist der Samstag vor Weihnachten, und sie haben sich gerade The Little and Large Show und Dallas angesehen. Es ist schon spät, aber das scheint keinem von ihnen aufzufallen. Sie sitzen alle im Schlafanzug da und essen Erdnüsse und Chips, Howard im einen Sessel, Sydney im anderen und Jason wie immer auf dem Sofa ausgebreitet.

Am Morgen haben sie den Baum geschmückt.

Zum ersten Mal ohne sie.

Nein, sagte Jason, du musst erst die Lichterkette aufhängen, dann das Lametta und dann die Kugeln.

Tut mir leid, sagte Howard.

Schon gut.

Wo sind die Schokoladenweihnachtsmänner?, fragte Sydney.

Was?

Die Schokoladenweihnachtsmänner.

Ich glaube, die habe ich vergessen, aber ich kann Montag noch welche besorgen.

Ich schreibe sie auf die Liste, sagte Jason.

Welche Liste?

Die Einkaufsliste für Weihnachten. Wir haben dir letzte Woche Bescheid gesagt, sie hängt an der Pinnwand.

Natürlich, sagte Howard.

Sie drapierten die Lichterkette über die Zweige, schalteten sie ein und vergewisserten sich, dass alle Lämpchen brannten. Dann verteilten sie das Lametta von oben nach unten. Jason saß auf dem Fußboden, sortierte das Durcheinander von Baumschmuck auf unterschiedliche Häufchen und entwirrte die Fäden. Jetzt müssen wir aufpassen, dass alles gleichmäßig verteilt wird, sagte er, damit wir nicht lauter gleiche Sachen nebeneinander haben.

Sie fanden alle, dass das sehr wichtig war.

Sie waren sorgfältig, gaben sich Mühe.

Keiner von ihnen erwähnte die Kassette mit Weihnachtsmusik, die sie früher immer angemacht hatte, während sie den Baum schmückten. Sie hatten gestöhnt, nicht schon wieder, die ist so kitschig, und jetzt sehnten sie sich danach, sie zu hören, und hatten Angst davor, sie zu hören, und das war nur eine von vielen Verwirrungen.

Wonach riechst du?, fragte Jason.

Was meinst du?, fragte Howard.

Du riechst komisch.

Das ist wahrscheinlich die Mundspülung, sagte er.

Sydney und Jason sahen sich an. Seit wann galt Whisky als Mundspülung?

Draußen schneite es.

Salz, das vom Himmel in offene Wunden fiel.

Ihre Mutter liebte Schnee. Sie liebte Rodeln, Schneebälle und Toben im Schnee.

Am Tag zuvor hatten Sydney und Jason im Vorgarten einen Schneemann gebaut und ihm ihre rosa Pudelmütze auf den Kopf gesetzt. Dann kam ihr Vater heraus, um ihn sich anzusehen und die Einfahrt frei zu schaufeln, und als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sahen, schämten sie sich.

Wo habt ihr die her?, fragte er.

Was denn?, fragte Jason.

Die Mütze, sagte Howard.

Die hab ich aus Mums Schrank geholt, sagte Sydney, ebenso starr wie der Schneemann hinter ihr mit seiner Möhrennase und den Knopfaugen.

Howard biss die Zähne zusammen.

Ich bin unfähig, ich bin gemein, ich bin überfordert.

Als er erneut sprach, klang seine Stimme anders. Nicht besser oder schlechter, weicher oder härter, nur anders.

Das sieht gut aus, sagte er. Ich meine, es war eine nette Idee, eurem Schneemann eine Mütze aufzusetzen.

Sydneys Angst verwandelte sich in Wut, wie so oft. Warum log er, warum tat er so, als würde es ihm gefallen? Seine Stimme klang seltsam und mechanisch, distanziert, als wäre er nur ein Onkel. Außerdem war es nicht eine Mütze, sondern ihre Mütze. Sie hatte ihrer Mutter gehört, und er hatte ihre Mutter gerade ausradiert. Das konnte er jetzt. Er konnte sie und Jason dazu bringen, über sie zu sprechen, wenn er es für richtig hielt, und sie daran hindern, wenn er es nicht ertrug. Er konnte sie näherbringen und sie noch weiter von ihnen entfernen. Er als Erwachsener konnte entscheiden, wie viel von Ila Smith noch da war, und ohne dass es ihnen bewusst war, hassten seine Kinder ihn dafür.

Als sie da im Vorgarten standen, wollte Sydney die Mütze nehmen und sie ihrem Vater an den Kopf werfen.

Sie wollte superschnell rennen und ihn mit dem zornigen Gewicht ihres Körpers umwerfen.

Aber sie wollte auch, dass er sie in die Arme nahm. Ihr seine große Hand auf den Kopf legte und ihr durch die Haare strubbelte wie früher. Wie er da stand, mit seinem rot karierten Hemd und der Schaufel über der Schulter, sah er aus wie ein Holzfäller. Ein Mann, der Holz hacken und Feuer machen und sie alle auftauen konnte.

An dem Abend ging Howard, als die Kinder schliefen, noch einmal nach draußen und nahm Ilas Pudelmütze vom Kopf des Schneemanns, damit sie niemand stahl. Er hatte vor, sie ihm am nächsten Morgen wieder aufzusetzen, bevor sie etwas merkten.

Aber er tat es nicht.

Er stand auf, trank Kaffee, machte Rührei.

Sie ist weg, rief Jason und kam in die Küche gerannt. Mums Mütze ist weg.

Sydney versteckte sich vor lauter Angst in ihrem Zimmer. Es war ihre Schuld. Sie hatte die Mütze aus dem Schrank ihrer Mutter gestohlen und auf einen Haufen Schnee gesetzt, und jetzt war sie weg.

Und das war noch nicht mal das Schlimmste.

Die Mütze auf dem Kopf des Schneemanns war nur die Spitze des Eisbergs.

Alles war ihre Schuld. Alles, was mit ihnen geschah, jede Minute und jede Stunde davon, war ihre Schuld.

Was soll ich tun?, dachte Howard, als er seinen Sohn ansah.

Diese Frage beschäftigte ihn jetzt fast immer.

Was zum Teufel soll ich bloß tun?

Keine Sorge, sagte er, alles in Ordnung. Das war ich.

Du?, fragte Jason. Du hast sie genommen?

Ich habe sie über Nacht zum Trocknen auf die Heizung gelegt, sagte Howard und überlegte, was er damit gemacht hatte. Er erinnerte sich nur noch an Whisky und daran, dass er ohne Schuhe in den Schnee hinausgegangen war und sein Gesicht in die nasse Pudelmütze gedrückt hatte, und dann hatte er dem Schneemann die Faust in den Bauch gerammt und hatte das Loch wieder mit Schnee auffüllen müssen.

Jason starrte ihn wütend an. Warum hatte er die Mütze weggenommen, sich an ihrem Schneemann vergriffen? Das war ihr Geschenk für ihre Mum, und sie hofften, dass sie ihn von da, wo sie jetzt war, sehen konnte und wusste, dass er für sie war.

Syd, sie liegt zum Trocknen auf der Heizung, rief er und rannte nach oben.

Er lief so schnell, um sie trösten, sprang zwei Stufen auf einmal hoch, um sie zu beschützen. Und trotzdem wollte er sie manchmal in der Luft zerreißen. Letzte Woche hatte er einen Filzstift genommen und damit kreuz und quer über ihre Zeichnungen von einem Raumschiff gekritzelt, und zwar so fest, dass der Stift bis auf den Küchentisch durchgedrückt hatte. Die Striche gingen nicht wieder weg. Der Tisch war von seinem Zorn getränkt. Zuerst hatte er deswegen ein schlechtes Gewissen gehabt, aber dann nicht mehr. Gib deiner Schwester nicht die Schuld daran, was mit Mum passiert ist, hatte sein Vater gesagt. Also bemühte er sich, es nicht zu tun. Und meistens brauchte er sie mehr, als er sie wegstoßen wollte. Noch jedenfalls.

Ihre Zimmertür ging auf, und die beiden liefen durchs Haus und suchten die Mütze.

LÜGNER!

Ich kümmere mich darum, sagte Jason. Du bleibst hier oben.

Okay, sagte Sydney.

Ihr Vater war noch immer in der Küche und bereitete das Frühstück vor, strich gerade Butter auf den Toast.

Wo ist sie?, fragte Jason. Wir haben auf allen Heizungen nachgesehen, aber da ist sie nicht. Hat sie doch jemand geklaut? Was hast du damit gemacht?

Beruhige dich, Jase, sagte Howard.

Nein, ich beruhige mich nicht.

Dann kam Sydney herein. Schon gut, ich hab sie gefunden, sagte sie atemlos.

Oh, gut gemacht, sagte Howard. Wo hab ich sie denn gelassen?

Auf deinem Bett, sagte sie, ohne zu erwähnen, wo auf dem Bett, dass sie sie auf seinem Kopfkissen gefunden hatte.

Dallas war klasse. Darüber sind sie sich alle einig, dass Dallas wirklich jede Woche klasse ist.

Es wird immer später, aber keiner von ihnen ist müde. Sie sind zu erschöpft, um müde zu sein. Das Licht ist gedämpft, und der Baum leuchtet, und Howard trinkt Sherry. Weihnachten ist fast da, und niemand hat Lust darauf. Das ist eine unausgesprochene Wahrheit, grellbunt wie eine Christbaumkugel. Und heute Abend trägt Ilas Schneemann nicht nur ihre Mütze, sondern auch eine von ihren Strickjacken. Das war eine Idee ihres Vaters, nachdem sie morgens den Baum geschmückt hatten. Wennschon, dennschon, hat er gesagt, weil die Atmosphäre so furchtbar war, dass er etwas tun musste. Er lächelte dabei, und weil sein Lächeln nicht aufgesetzt oder gequält war wie so oft, vertrauten sie ihm und folgten ihm nach oben zu ihrem Schrank und dann hinaus in den Garten.

Der Schneemann war viel dicker und runder als Ila. Ihre Sachen passten ihm nicht, deshalb setzten sie ihn auf eine Turbodiät. Ihn dünner zu machen war einfach, und es tat gut, dass ausnahmsweise mal etwas einfach war.

Also, eigentlich ist er eine Sie, sagte Jason.

Sie ist eine Schneefrau, sagte Sydney.

Das stimmt, sagte Howard.

Sie klopften sie rundum ab, lösten den Schneespeck von ihrem Bauch.

Das müsste reichen, sagte Howard.

Nein, sie ist immer noch zu dick, sagte Jason.

Nein, sie ist genau richtig.

Howard hatte recht. Das T-Shirt glitt über den Kopf der Schneefrau. Die Strickjacke passte um sie herum und wurde bis oben hin zugeknöpft. Zum Schluss noch ein rosa Schal, passend zur Mütze, dann war sie fertig.

Alle drei traten ein paar Schritte zurück.

Howard wartete.

Was hatten sie getan? War das gut oder schrecklich? Falls Menschen eine Art Barometer für solche Dinge hatten, war seins kaputt.

Sie standen schweigend da und starrten auf einen Schneeklumpen, der die Kleider einer toten Frau trug.

Es war so bizarr, dass sie sich irgendwie besser fühlten.

Sie gingen hinein und aßen Würstchen, Nudeln mit Tomatensoße und Kartoffelwaffeln.

Dann zogen sie sich ihre Schlafanzüge an und sahen bis Mitternacht fern.

Bären füttern verboten

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