Читать книгу Becca - Liebe ist nichts für Feiglinge - Rachel Hauck - Страница 11
ОглавлениеKapitel 7
An der Tankstelle in der Nähe von Sizzler kämpfe ich mit dem Einfüllstutzen und rede mir selbst gut zu. Ich bin also nicht mit einem Millionär verheiratet. Okay, ich bin überhaupt nicht verheiratet und Aussichten darauf bestehen auch nicht. Vergessen wir einfach, dass ich zurzeit nichts weiter bin als eine Niete. Ich ziehe den Einfüllstutzen aus dem Tank und hänge ihn ein, dann schraube ich den Tankdeckel zu und gehe bezahlen.
Aus dem Augenwinkel bemerke ich etwas Rotes. Sieh an, Dylan Braun steht an der anderen Zapfsäule. Lässig lehnt er an seinem roten Pick-up, die Arme über der Brust verschränkt, der weiße Hemdkragen leicht geöffnet, die dunkle Krawatte locker. Er sieht aus wie ein Covermodel auf einem Herrenmodemagazin. Und er sieht zu mir rüber.
Zong!
Ich winke, während ich zu ihm hinschlendere, geschmeidig wie ein Model auf dem Laufsteg. „Ist das ein Turbodiesel?“, rufe ich zu ihm rüber. Leicht, lässig, charmant.
Was ich nicht sehe, ist den Sockel der Zapfsäule. Schwungvoll krachen meine Zehen gegen Beton und ich stolpere mit dem Gesicht vorweg direkt in den Abfalleimer. Rechte Hand und Gesicht stecken in ölverschmiertem Papier, halb vollen Wasserbechern und Bonbonpapier. Ich kann gerade noch ein „Uuuppps!“ herauspressen, dann schliddere ich schon weiter und lande auf dem Boden.
O bitte, sag mir, dass das nicht wahr ist.
„Becca! Alles okay?“ Dylan kommt, um mich zu retten.
Ich rappele mich auf, reibe mir die Knie und schüttele ein paar Wassertropfen von der Hand. „Nichts passiert.“ Verzweifelt versuche ich die Fassung zu bewahren, aber meine Stimme ist ein bis zwei Oktaven höher als normal.
„Du bist kopfüber hingestürzt.“ Sein Blick sucht forschend in meinem Gesicht.
„Alles andere ist was für Feiglinge.“
Dylan lacht. Ein tolles, herzliches Wirklich-lustig-Lachen.
Mein rechtes Knie durchzieht ein pochender Schmerz und mein Stolz ist empfindlich getroffen. Ich stemme eine Hand in die Hüfte, lasse sie wieder fallen und lege sie wieder auf die Hüfte. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Händen.
Schlimmer noch, ich weiß nicht, wohin mit mir selbst. Dylans blaugrüne Augen sehen mich an. O nein, sag mir bitte, dass ich dieses eine dunkle Haar an meinem Kinn heute Morgen entfernt habe.
„Du siehst gut aus, Becca“, sagt Dylan schließlich.
Hab ich’s also ausgezupft. „Danke.“
Kaum vorstellbar, dass ich Dylan eine Zeit lang nicht leiden konnte. In der vierten Klasse hat er mal ein Haiku-Gedicht über mich geschrieben und die ganze Klasse hat es wochenlang im Chor rezitiert. Damals war ich ein bisschen pummelig, was meiner Vorliebe für Erdnussbutter-Marmelade-Sandwiches und Vanilleeis mit Schokosirup geschuldet war.
Ich höre immer noch, wie er sein albernes kleines Geschreibsel der Klasse vorliest.
Raus zum Spielen.
Dort sehe ich Rebecca Moore.
Sie ist fett.
Die Klasse grölte. Ich verkroch mich unter meinem Tisch und hasste ihn.
Meinen kleinen Groll – okay, meinen Megagroll – gegen ihn hegte ich bis zur Junior High. Inzwischen war Dylan unglaublich beliebt, sportlich und gut aussehend. Die Pubertät ließ er hinter sich, bevor sie ihm ernsthaft etwas anhaben konnte. Alle Mädchen standen auf ihn. Nur ich konnte nicht über sein „Sie ist fett“ hinwegkommen.
Aber im Sommercamp nach der siebten Klasse verzieh ich ihm sein blödes Gedicht, als unsere Gruppenleiterin uns vor Augen malte, dass Jesus auch für unsere Sünden gestorben war. Das bewegte mich zu Tränen und ich hatte keinen Grund mehr, den Ärger über Dylans Reimerei in mir zu schüren.
Beim Abschlussgebet warf ich ihm einen verstohlenen Blick zu und ertappte ihn dabei, wie er sich mit dem Handrücken über die Augen wischte. Mein Herz schmolz ein ganz klein wenig.
Als wir zur Highschool wechselten, verliebte ich mich Hals über Kopf. Eine echte, hoffnungslose, unerwiderte Liebe. Alles andere ist was für Feiglinge. Aber er hat es nie bemerkt.
„Ich glaube, du wirst es überleben“, sagt Dylan, greift nach meiner Hand und inspiziert die Abschürfungen. Er wischt Schmutz und Splitt fort. Mir ist ganz schwindelig. Für einen Mann mit einer Statur wie ein Rugby-Spieler ist sein Griff erstaunlich sanft.
„Falls ich nicht vor Scham im Boden versinke. Bitte, das musst du einer Frau schon lassen.“ Vielleicht falle ich doch gleich in Ohnmacht. Wäre bestimmt ein passender Moment dafür.
„Niemand soll sagen können, ich gebe einer Frau nicht, was ihr zusteht.“ Er lacht leise und sieht mir tief in die Augen.
So, so, Dylan Braun. „Ich hab gedacht, du müsstest inzwischen dicklich und kahl sein.“ Allmählich habe ich meine fünf Sinne wieder beisammen und auch meine Selbstbeherrschung kehrt langsam zurück.
„Das hatte ich vor, aber manche Dinge entwickeln sich einfach anders als geplant.“ Sein Grinsen ist immer noch das Beste an ihm – verwegen wie Clark Gable.
„Bist du verheiratet?“ Ich flirte. Dabei weiß ich genau, dass er nicht verheiratet ist. Seine Mutter, Margaret, und Mom sind zwei vom gleichen Schlag, Abkömmlinge von blaublütigen Europäern. Wenn Dylan geheiratet hätte, hätte ich es auf jeden Fall mitgekriegt.
„Noch nicht. Du?“
„Noch nicht.“
„Mr Right noch nicht getroffen?“
Ich lache. „O doch. Hat sich nur leider als Mr Wrong herausgestellt.“
Er sieht mich einen langen Moment lang an. „Ich hab gesehen, dass du im Sizzler mit Joley geredet hast.“
Er war im Sizzler? „Sie will, dass ich beim Klassentreffen die Moderation mache.“
„Machst du’s? Ich hatte vorgeschlagen, dass sie dich fragen soll.“
„Du?“
„Ich bin in diesem Jahr mit im Orga-Team. Frag mich nicht, wie ich zu dem Job gekommen bin. Hast du Alisas Einladungsflyer bekommen?“
„Ja, hab ich.“ Ich betrachte ihn nachdenklich und entdecke eine neue Seite an ihm. „Warum mich als Moderatorin? Und sag jetzt nicht, weil ihr mich zur Kandidatin mit den größten Karrierechancen gewählt habt.“
Dylan schiebt die Hände in die Hosentaschen, zieht die breiten Schultern nach vorn und schaut an mir vorbei. „Ich wollte einfach die Hübscheste und die Schlaueste, das ist alles.“
Die Hübscheste? Hat er das gerade wirklich gesagt? Kann ich jetzt bitte in Ohnmacht fallen? Kann ich in Ohnmacht fallen, ohne dass es aussieht wie eine Bauchlandung?
„Wir sind stolz auf dich.“ Er sieht mich ganz offen an.
Wir? Wer ist wir? Wir wie der Plural von Dylan, wir?
„Ich war nicht die Schlaueste, Dylan.“
„Nein, aber die Schlaueste und Hübscheste.“
Das war’s. Ohnmacht, ich komme. Ich sehe mich um, kann aber keinen Platz entdecken, auf dem ich sicher landen könnte. „Wann ist das Klassentreffen noch mal genau? Kann sein, dass ich schon einen geschäftlichen Termin habe.“
„Über den 4. Juli. Nationalfeiertag! Da wirst du ja wohl nicht geschäftlich unterwegs sein.“
Sicher nicht. Aber ich kann einfach nicht zusagen, wenn mein Leben gerade völlig aus dem Tritt ist. Wenn ich einen neuen Job finden würde, könnte ich die Moderation mit Anstand übernehmen, aber wer weiß, was die nächsten Monate noch für mich in petto haben? „Ich weiß es einfach noch nicht, Dylan.“
„Sag Ja.“ Er ergreift meine Hand und schaut mir direkt in die Augen.
„Okay. Ja. Ja, ich mach’s“, platzt es aus mir heraus. Ich bin echt ein Idiot.
„Gut. Und übrigens“ – er weist mit dem Kinn auf seinen Truck – „es ist ein Turbodiesel.“
Das war’s. Totale Kernschmelze.
Am Montagmorgen schreite ich in Richtung meines sonnigen Eckbüros. Mein Vorrat an Selbstvertrauen ist ein wenig aufgefüllt. Die Reise zu Miller Glassware war ein bescheidener Erfolg, ich hatte ein schönes Wochenende in Beauty und – Trommelwirbel, bitte! – Dylan Braun hat mich hübsch genannt.
Ich docke den Laptop an und fahre ihn hoch, verstaue meine Tasche sorgfältig in der unteren Schreibtischschublade und falle in den Stuhl. Trotz der jüngsten Widrigkeiten: In meinem Büro zu sein gibt mir ein Gefühl von Normalität, als ob die Welt nicht länger auf dem Kopf steht.
In der roten Caprihose, die ich trage, fühle ich mich leicht und beschwingt. Genau das Gefühl, das ich gestern gern gehabt hätte, als ich vor Dylans Augen in einen Haufen Müll gestolpert bin. Angesichts der Bilder vor meinem inneren Auge zucke ich zusammen. Ich muss es Dylan hoch anrechnen, dass er nicht in dröhnendes, schenkelklatschendes Gelächter ausgebrochen ist.
Attila der Hunnenkönig steckt den superblondierten Kopf durch die Tür. „Hallo, Rebecca.“
„Veronica.“ Ihre Gegenwart verursacht mir ein flaues Gefühl im Magen.
„Vergiss nicht, die Woche bei Miller zu protokollieren. Und dann brauchen wir dich beim Angebot für Holloway.“ Sie wartet auf mein Okay.
„Geht klar“, sage ich, ohne aufzusehen. Mir ist heute sehr nach passivem Widerstand zumute. Klar, mache ich. Nächste Woche. Vielleicht.
Sobald Veronica außer Hörweite ist, rufe ich Lucy an. Ein Klingeln und sie geht dran. „Lucy O’Brien.“
„Hi.“
„Becca, wie war’s in Beauty?“
„Ob du’s glaubst oder nicht: Richtig gut.“ Während wir quatschen, arbeite ich mich durch den Posteingang, lese und lösche Mails.
Angebot Holloway. Löschen.
„Wunder gibt es immer wieder.“
„O ihr Kleingläubigen.“
Ich öffne den Ordner „Gelöscht“ und reaktiviere das Holloway-Angebot. Okay, Veronica ist eine Zicke, die nur ihre eigenen Interessen verfolgt – aber das heißt nicht, dass ich mich auf dasselbe Niveau herablassen muss. Wenn ich groß bin, will ich nicht so werden wie sie.
„Ich habe nie verstanden, warum du unbedingt von zu Hause wegwolltest. Beauty ist eine wunderbare, gemütliche Kleinstadt“, sagt Lucy.
„Ich war bei Sizzler und habe Joley McGowan gesprochen.“ Ich muss lächeln, weil ich weiß, dass sie vom Stuhl fällt, wenn ich ihr erzähle, was los war.
„Was wollte sie?“ Lucy, die gute Seele, die für alle Menschen nur Liebe aufbringt, hatte mit Joley nie viel am Hut – und zwar weil sie wusste, dass ich auf Dylan stand und der nun mal mit Joley ging.
„Sie möchte, dass ich beim Klassentreffen die Moderatorin bin.“ Ich lehne mich im Schreibtischstuhl zurück und schaue aus dem Fenster. Ich sehe nichts als blauen Himmel und grüne Palmwipfel.
„Und, machst du’s?“
„Ich hab versprochen, dass ich’s mir überlege.“ Egal, was ich Dylan gesagt habe.
Ich war bei unserem fünf- und auch beim zehnjährigen Treffen und bin vor Stolz auf meine Karriere bei Casper fast geplatzt. Die, die es am weitesten bringen sollte, hat es weit gebracht. Merkt auf.
Beim Fünfjährigen kam ich gerade von zwei Geschäftsreisen – Madrid und London, eine weitere nach Florenz stand kurz bevor. Nein, nicht South Carolina – Italien!
Ich hab den Mund ziemlich voll genommen. Konnte gar nicht genug von meiner glorreichen Businesswelt erzählen. Wer waren schon diese Mütter mit ihren Zweijährigen und einem Horizont, der nur bis zum nächsten Einkaufszettel reichte? Ich hab dem ganzen Saal meine Auslandsreisegeschichten aufgetischt.
Beim Zehnjährigen war ich gerade Teamleiterin geworden. Zwei Jahre später kam der Schritt ins Management.
Geschieht mir ganz recht. Hochmut kommt vor dem Fall. Merk dir das.
„Becca, du solltest die Moderation übernehmen“, sagt Lucy entschieden. „Du bist die perfekte Besetzung dafür.“ Lucy ist bei Weitem nicht so verführerisch wie Dylan, aber sie ist meine beste Freundin und das zählt schließlich auch.
„Mal sehen“, sage ich. „Aber vergessen wir das erst mal. Rate, wer inzwischen Millionär ist?“
Klar zum Gefecht. Bombenschacht öffnen.
„Außer John Friedman?“ Lucy stirbt fast vor Neugier, das spüre ich.
Bombe abwerfen! „Skip Warner. Und rate, mit wem er verheiratet ist? Mit Joley McGowan.“
„Ach, das weiß ich schon längst. Erzähl mir was Neues, Becca.“
„Das wusstest du?“ Ich springe vom Stuhl auf. „Und warum weiß ich es dann nicht? Was bist du eigentlich für eine Freundin?“
„Sorry, ich wollte es dir erzählen. Hab ich wohl vergessen.“ Sie klingt betreten und reumütig, aber so leicht lasse ich sie nicht davonkommen.
„Dann vergesse ich wohl auch, dir zu erzählen, was Dylan gestern zu mir gesagt hat.“
„Was? Neuigkeiten von Dylan – komm schon, die kannst du nicht einfach für dich behalten. Details bitte, Details!“ Sie winselt wie der Stoffpudel meiner Tante May.
„Pech aber auch. Nein. Du wirst wohl warten müssen.“
„Meinetwegen. Aber dann will ich Details, jede Kleinigkeit, bis hin zur Marke seines T-Shirts.“ Das ist wieder ihre normale Stimme, dem Himmel sei Dank.
Ich lache über ihre Verzweiflung. „Okay, du kriegst die Details.“ Um ehrlich zu sein: Ich kann es selbst kaum erwarten, ihr alles zu erzählen.
Ich recke mich und gehe ans Fenster. Der Tag ist traumhaft schön. Verlockt geradezu dazu, die Arbeit hintanzustellen. Ich werfe einen Blick auf meinen Wagen auf dem Parkplatz und frage mich, ob ich flüchten kann. Wart mal, hey, grade steigt Veronica in ihr Auto – zusammen mit Mike.
„Lucy.“ Ich flüstere.
„Was?“, wispert sie zurück.
„Attila fährt gerade weg – zusammen mit Mike Perkins.“
„Ach ja?“
„Glaubst du …?“
„Stopp. Keinen Schritt weiter, Becca. Das bringt dich nur auf giftige Gedanken. Du weißt nichts Genaues und du solltest nicht mutmaßen.“
Ich beobachte, wie Attilas Auto vom Parkplatz rollt und nach Süden davonfährt. „Du hast recht.“
„Aber davon fühlst du dich noch nicht besser, stimmt’s?“, sagt Lucy sanft.
„Nicht wirklich. Aber weißt du, ich hoffe, es ist nichts dran. Mike ist verheiratet und hat kleine Kinder.“
Plötzlich ist mir schwer ums Herz. Nicht nur meinetwegen, sondern für Mike Perkins und Veronica Karpinski. Sie lebt ein trauriges Leben, aber sie glaubt, sie hat das große Los gezogen. Eines Tages wird sie in den Ruhestand gehen müssen und Casper & Company wird es wohl kaum kümmern, dass sie allein in ihrem Haus am Fluss hockt, wo kein Mensch sie besucht.
Es war die Angst, eine zweite einsame Veronica zu werden, die mir den klaren Blick auf Chris Wright getrübt hatte. Und dann dieses unaufhörliche Ticken meiner biologischen Uhr.
Lucy unterbricht mich in meinen Überlegungen. „Becca, ich habe in ein paar Minuten ein Telefoninterview.“
„Ja, ich muss auch was tun.“ Ich werfe einen Blick auf den Schreibtisch. „Sehen wir uns heute Abend? Ich hätte Lust, shoppen zu gehen.“
„Old Navy macht heute einen Sonderverkauf.“
„Das ist ein Wort. Wann? Halb sieben?“
„Besser sieben. Ich hab viel zu tun.“
Ohne Managerverpflichtungen, die auf mir lasten, habe ich auch keinen Grund mehr, länger im Büro zu sein als nötig. „Ich bin dann schon da. Du findest mich.“
„Und vergiss nicht wegen morgen Abend.“
Ich muss eine Sekunde überlegen. Ach ja. Dienstag. Das berüchtigte Treffen der HSS – Himmlischen Single-Sistas.
„Wir vermissen dich.“
Tja, die lieben Schwestern. Ich war nicht mehr bei diesen Treffen, seit ich etwa drei Monate mit Chris zusammen war. „Selbe Zeit, selber Ort?“
„Was denn sonst?“
„Dem Himmel sei Dank – manche Dinge ändern sich nie.“ Ich lege auf, schenke mir Wasser in ein Glas ein und öffne das Angebot für Holloway.