Читать книгу Becca - Liebe ist nichts für Feiglinge - Rachel Hauck - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Sobald ich zu Hause bin, beschließe ich, das zu tun, was jede Frau mit meinem Bildungsstand und meinem Status tun würde: Rückzug in die Schmollecke. Ein großes Bad Selbstmitleid für eine Person, bitte! Ich werfe mich in mein entsprechendes Selbstmitleidsoutfit: einen ausgebeulten roten Jogginganzug.
Noch vor zwei Stunden war es Veronicas mieses Vorgehen, das mir nicht aus dem Kopf wollte. Jetzt ist es das Bild von Chris und dieser unglaublich sympathischen jungen Frau.
Im Spiegel über der Couch checke ich mein Erscheinungsbild: Meine Haare hat der Regen verklebt, meine Augen sind rot und verschwollen und Reste von schwarzer Wimperntusche haben Streifen auf meinen Wangen hinterlassen. Ich sehe aus wie ein Zirkuskünstler vom Cirque du Soleil.
Es ist reine Dummheit, mich in diesem Moment mit einer flotten Masterstudentin am Florida Tech zu vergleichen. Aber reine Dummheit hat mich noch nie geschreckt.
Als ich mich auf die Couch fallen lasse, kommt mir der flüchtige Gedanke, dass ich in einer solch dunklen Stunde eigentlich beten sollte. Aber jetzt einen Dialog mit Gott anzufangen käme mir allermindestens scheinheilig vor. Wir sind schon ein paar Monate lang nicht mehr so direkt im Gespräch miteinander, und mich jetzt an ihn zu wenden, weil mein Leben gerade zu Bruch gegangen ist, fühlt sich einfach nicht richtig an.
Okay, vielleicht ist das genau der Zeitpunkt, an dem man sich an Gott wenden sollte. Aber offen gestanden: Als ich Chris kennengelernt habe, habe ich das Ruder meines Lebensschiffchens selbst übernommen. „Danke, Herr. Ich habe meine Karriere und einen guten Mann. Mit dem Rest komme ich jetzt allein klar.“
Ich drehe mich auf den Bauch, vergrabe das Gesicht in einem dicken Fransenkissen und dresche auf das Sofa ein, bis mein Arm nach drei Hieben lahm ist. (Memo: Dringend neuen Vertrag fürs Fitnessstudio machen.) Ich lasse mein Leben mit Chris Revue passieren, um herauszufinden, ab wann etwas falsch gelaufen ist.
Kennengelernt habe ich ihn bei einem gemeinnützigen Einsatz. Wir haben in einem Stadtviertel hier in Melbourne, Florida, Müll weggeräumt. Das war kurz vor meinem dreiunddreißigsten Geburtstag und kurz nach dem ersten Alarm meiner biologischen Uhr: Hallo, Becca, du bist jetzt über dreißig.
Das hat mich wirklich erschüttert. Ich hatte mir eine Karriere und ein Leben jenseits meiner verschlafenen Heimatstadt Beauty in Georgia sehnlich gewünscht. Aber ich hatte nie im Leben eine dieser Workaholics werden wollen, die mit fünfundvierzig aufwacht und merkt: „Uups, ich hab ganz vergessen, eine Familie zu gründen.“
Und in diesem Zustand, in dem die Babyglocken noch läuteten, traf ich auf Chris und er lud mich kurz darauf zum Dinner ein. Er hatte im Chart House reserviert – wirklich nett! – und es hat Klick gemacht, als würden wir einander schon seit Ewigkeiten kennen. Plötzlich rückte der Gedanke an eine Heirat ganz oben auf meine Prioritätenliste. Einen Mann wie Chris hatte ich schon lange nicht mehr getroffen: attraktiv, zielstrebig, echt nett, eloquent und gut betucht. Mein persönlicher Ich-will-keine-alte-Jungfer-werden-Angstfaktor verhinderte, dass ich Gott nach seiner Meinung fragte.
Und so bin ich jetzt genau da gelandet, wo dieser Plan mich hingebracht hat: Im Klub der gebrochenen Herzen. Mist!
Das Telefon klingelt und reißt mich aus meinem Selbstmitleidsbad. Ich angele nach dem Handy, das irgendwo unter dem Couchtisch liegt, und hole mir dabei eine Beule am Kopf.
„Hallo?“ Ich setze mich auf und reibe mir die Stirn. Winterliches Nachmittagslicht fällt auf den Wohnzimmerboden. Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. Es ist zwei.
„Rebecca?“
Meine Nachbarin von der anderen Straßenseite. „Mrs Woodward, wie geht es Ihnen?“ Die Worte kommen langsam und gequält und es klingt, als ob eine von uns beiden leicht schwachsinnig ist, und diese eine ist nicht sie.
„Ich hab gesehen, dass Sie mitten am Tag heimgekommen sind. Sind Sie krank?“
„Könnte man sagen.“
„Oh, das tut mir leid. Also, ich habe eine Suppe auf dem Herd stehen.“
Ich zucke zusammen. Ich weiß nicht, zum wievielten Mal sie mich jetzt in diesem Jahr schon zum Essen einlädt, und wir haben erst Februar. Ich habe noch nie zugesagt, weil ich keine Zeit hatte. Muss es jetzt wirklich endlich mal tun.
„Vielen Dank, Mrs Woodward, aber ich war gerade zum Lunch, und ehrlich gesagt bin ich im Moment auch nicht gerade eine angenehme Gesellschaft.“
„Ich verstehe. Wie wäre es zum Abendessen?“
Ich zucke noch einmal. „Da kommt schon jemand zu Besuch.“
„Männer- oder Frauenbesuch?“
Also wirklich! „Frauenbesuch. Lucy. Die kennen Sie ja.“
„Natürlich. Ich kann für sie auch mitdecken.“ Bei auch dehnt sie ihre Stimme, als ob sie mit einer Million Dollar locken wollte.
„Sie bringt was vom Chinesen mit.“
„Ach so. Also dann ein andermal. Bis dann.“
„Ja, bis dann.“
Gegen halb acht schwankt Lucy beladen mit Tüten vom Chinesen durch die Tür. Ich habe Heißhunger.
„Hier.“ Sie reicht mir ein paar Briefe. „Hat Dan Montgomery mir gerade in die Hand gedrückt. Er meinte, die sind aus Versehen bei ihm im Kasten gelandet.“
Ah, der smarte Dan, blendend aussehender Anwalt aus unserem Apartmentblock. Eine Mischung aus George Clooney und Arnold Schwarzenegger.
„Du siehst furchtbar aus“, sagt Lucy auf dem Weg in die Küche.
„Danke. Ich hab’s auf absolut grauenhaft angelegt, aber furchtbar tut’s auch.“ Ich werfe noch einen Blick in den Spiegel über der Couch. Nein, ich denke, ich habe absolut grauenhaft geschafft.
„Geh dich waschen. Ich hole die Teller. Ist dir klar, dass Dan schon vor der Tür stand und gerade klingeln wollte?“
„Oh, wirklich?“ Das wäre die Krönung dieses glorreichen Tages gewesen. Dem smarten Dan die Tür zu öffnen und selbst auszusehen wie ein totes Stinktier. Ich wette, er hatte seine Freundin im Schlepptau, Miss Perfect.
Unten im Bad schrubbe ich mir das Gesicht mit Seife. Ich bin zu müde und mir ist alles zu egal, um die überteuerte Reinigungsmilch von oben zu holen. Seife tut’s auch.
Lucy ruft irgendwas zu mir runter. „Was?“, brülle ich zurück und drehe den Wasserhahn zu.
„Denkst du noch an dein Dinner mit ihm?“
„Ihm? Wem? Chris?“ Natürlich denk ich noch dran.
„Nein. Dan! Als du hier eingezogen bist.“ Lucy schwebt mit einem Essenstablett vorbei.
Ich tupfe mir das Gesicht ab. „O Dan. Ja.“
Sie lacht. „Du hast ihn gefragt, in welche Gemeinde er geht …“
„… woraufhin er die Kellnerin um die Rechnung gebeten hat …“ Ich stimme in Lucys Lachen ein. Manche Dinge sollen einfach nicht sein. Ein paar Monate nach unserem kleinen Desasteressen hat Dan Miss Perfect kennengelernt und seitdem kleben die beiden zusammen wie Pech und Schwefel.
Ich mache gemütliches Licht an, fülle mir auf und pflanze mich in den großen Sessel. Es tut gut, dass Lucy da ist.
Aber sie kommt schon zur Sache, bevor ich auch nur einen Bissen von meinem Hühnchen Kung Pao genommen habe. „Also, wie steckst du die Sache mit Chris weg?“
„Oh, total easy, wie einen netten Tag im Park“, knurre ich. Der Gedanke an ihn mit dieser Kate könnte mir glatt den Appetit verderben. Könnte.
„Hey, ich bin doch auf deiner Seite. Sei froh, dass du mit so einem Typen nicht in einer Ehe gelandet bist.“
„Heiratsfähige Männer wachsen nicht auf Bäumen, Lucy. Ich kann mir nicht einfach irgendwo einen pflücken. Und schon gar keinen, der auch noch Christ ist.“
Lucy streckt mir ihren knochigen Zeigefinger entgegen. „Ihr wart euch schon fast einig, stimmt’s?“
O Mann, ich hoffe nicht. „Einig sein würde ich es nicht gerade nennen.“
„Bist du dir sicher, dass er überhaupt Christ ist?“
Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt. „Na ja, er ist mit mir in den Gottesdienst gegangen.“ Manchmal zumindest. „Er hat dem Pastor die Hand geschüttelt und gesagt: Gute Predigt.“
„Becca, ich bitte dich.“
Ich hätte nicht gedacht, dass das mal rauskommen würde, aber die Wahrheit ist: Ich habe ihn nie wirklich nach seinem Glauben gefragt. Er hat respektiert, dass ich Christin bin. Und ich mochte ihn, liebte ihn vielleicht sogar und für den Moment war das genug. Vielleicht war das ja so was wie „sich einig sein“.
„Als wir zusammen im Kino waren, habe ich mitgekriegt, wie er zu Ruben Edwards gesagt hat, Jesus wäre für ihn einfach ein großer Mensch.“
„Stopp, Lucy. Der Tag ist wirklich schon schlimm genug.“ Ich will es nicht hören. Ich weiß. Ich weiß. Ich habe ein paar Dinge an Chris übersehen. Wichtige Dinge. Es war diese biologische Uhr, ich sag’s euch. Dieses ständige laute Ticken hat mein klares Denken getrübt.
Lucy bedient sich noch einmal am gebratenen Reis. (Chinesisch ist das einzige Fast Food, bei dem sie schwach wird.) „Nur weil du dreiunddreißig bist, musst du noch lange nicht verzweifeln.“
„Ach ja, ich vergaß. Das war: Lucy O’Brian, die jedes Wochenende ein Date hat.“
Sie verdreht die Augen. „Stimmt gar nicht. Nicht jedes Wochenende.“
Letztes Jahr im Frühling hat Lucy mich mitgeschleppt zu so einem Singleevent, obwohl ich mich mit Händen und Füßen gewehrt habe. „Nein, das kann ich nicht“, habe ich wieder und wieder beteuert. „Ich bin allergisch gegen diese Singletreffen.“
Obwohl sich meine Kehle schon beim Gedanken daran zugeschnürt hat, bin ich am Ende doch eingeknickt und mit ihr zu diesem Singlezirkus gefahren. Nachdem sie mich daran erinnert hatte, dass ich seit mehr als einem Jahr kein einziges Date gehabt hatte. Es gab ein Lagerfeuer am Strand, Spanferkel am Spieß, in der Dämmerung Volleyball und Kerzen in den kleinen Pavillons. Das Ganze begleitet von einer pseudohawaiianischen Ukuleleband. Alles in allem ein recht netter Abend, das muss ich zugeben.
Aber am Ende war es, wie ich befürchtet hatte, doch nur das übliche Standardevent, das Gemeinden so für Singles veranstalten. Fünf Mädels auf einen Kerl und die Männer durch die Bank Fehlanzeige – jedenfalls meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Der einzige coole Typ, der ohne Polyestershorts, Klettverschlusssandalen und USB-Stick um den Hals aufkreuzte, umging mich elegant, magisch angezogen von Lucy.
„Becca, hey, komm auf den Teppich.“ Lucy schnippt mit den Fingern. „Das hier ist die Wirklichkeit.“
„Was?“ Ich kehre blitzartig zurück in die Gegenwart.
„Was ist mit deinem Job? Was willst du jetzt machen?“
Ach, das. Nach dem Erdbeben bei Casper und dem Erdbeben mit Chris weiß ich nicht mehr, wo oben und unten sind.
„Keine Ahnung. Mein ganzes schönes Leben … ein einziger Scherbenhaufen.“ So, jetzt ist es raus. Und ich mitten in meiner Depression gelandet.
„Becca, bitte, versteh das jetzt nicht falsch …“, beginnt Lucy mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck.
„Oh, keinesfalls. Ich liebe Gespräche, die mit ,Bitte versteh das jetzt nicht falsch‘ anfangen.“ Ich wappne mich innerlich gegen eine ihrer berüchtigten freundschaftlichen Breitseiten.
„Deine Karriere ist allmählich zu deiner absoluten Priorität geworden.“
„Was?“ Das ist jetzt wirklich nicht fair.
„Im letzten Jahr hast du dich verändert. Erst hast du wie verrückt gearbeitet. Dann hast du Chris getroffen …“
„Ich hab wie verrückt gearbeitet?“, wiederhole ich und beiße in meine Frühlingsrolle.
„Du warst nur noch darauf aus, auf deiner Karriereleiter weiterzukommen, und das hat deiner Begeisterung geschadet“, sagt Lucy.
„Begeisterung? Hast du nicht gerade was von ,arbeiten wie verrückt‘ gesagt?“
Meine Freundin sieht mich einen fast endlosen Augenblick lang an und ich weiß, jetzt kommt gleich etwas Tiefgründiges. „Deine Begeisterung für Jesus ist verflogen. Total ausgeleiert. Wie Dauerwellen oder überweite Blusen mit Gürtel.“
Jetzt bin ich wirklich verletzt. Mein geistliches Leben mit der abstoßenden Mode der 80er zu vergleichen! Ich schieße meine Verteidigung ab. „Meine Begeisterung für Jesus zeigt sich darin, dass ich meinen Job so gut wie möglich mache.“
„Jetzt verdreh nicht die Tatsachen, Becca. Diese ganze schicke Yuppie- und Karrierewelt hat dich schon total geprägt. Die Autos, die Klamotten, die Geschäftsessen und eine Fünfzig- oder Sechzigstundenwoche.“ Lucy greift zur Packung mit dem gebratenen Reis und häuft sich noch eine Portion auf den Teller.
„Was willst du damit sagen? Soll ich meine Träume aufgeben?“
„Natürlich nicht. Was ich nur sagen will: Nimm eine Neujustierung vor. Was wir im Leben tun, ist doch nur ein Spiegel dessen, wer wir als Christen sind: Menschen, die Gott lieben und ihm dienen.“
Lucys Worte erschüttern mich. Sie hat recht. Ich war blind. Ich wollte es nicht sehen. Ich hasse diese Aha-Momente. Als ob man erst merkt, dass die Ampel auf Rot gesprungen ist, nachdem man in vollem Schwung in den fünften Gang hochgeschaltet hat.
„Casper weiß offensichtlich nicht zu schätzen, wie viel du für die Firma aufgegeben hast. Und Chris hat dir heute auch gezeigt, wie viel ihm deine Liebe wert ist. Er hatte deinen Namen vergessen, Becca.“
„Mann!“
„Echt.“ Lucy lehnt sich in der Couch zurück, den Teller in den Händen, und angelt nach der Fernbedienung. Bei der neuesten Folge von Big Boss bleibt sie hängen.
„Lucy, hey, macht’s dir was aus, das wegzuschalten?“ Ich zeige mit meinen Essstäbchen auf den Fernseher. „Ich brauche echt keine Erinnerung.“
Ob der Big Boss mich feuern würde? Oder besser, ob er Veronica Karpinski feuern würde? „Veronica, du kannst gehen.“ Hmm. Keine schlechte Vorstellung. Ich fühle mich gleich besser.
Seufz. Aber mein Leben ist keine Realityshow. Es ist viel schlimmer. Dieses Organigramm zu sehen, auf dem mein Name von der Managementebene in die breite Masse der normalen Angestellten gewandert ist, hat mich echt verletzt. Gedemütigt. Und dann auch noch auf Chris mit dieser anderen Tussi zu treffen …
Ich frage mich, ob ich ihn anrufen soll. Die Sache klären. Aber wenn er nun bei ihr ist? Das könnte ich nicht ertragen. Also werde ich nicht anrufen. Würde ja so aussehen, als sei ich verzweifelt. Nein, wenn er etwas loswerden will, kann er selbst kommen und es sagen.
Mitten in meinen geistigen und geistlichen inneren Dialog hinein klingelt das Telefon. Lucy geht ran und reicht mir das Handy, die Augen weit aufgerissen, die Finger über dem Mikrofon.
„Dein Boss“, flüstert sie.
„Du brauchst nicht zu flüstern, Lucy.“ Ich reiße ihr das Handy aus der Hand.
„Hi Veronica.“ Vielleicht sieht sie auch gerade Big Boss und ruft an, um sich zu entschuldigen.
„Rebecca, hier ist Mike Perkins.“