Читать книгу Das Vermächtnis des Drachenlords - Rael Wissdorf - Страница 10
ОглавлениеDie Sonnenfenster hatten ihre höchste Strahlkraft erreicht, als die kleine Karawane sich bereits hinter den Hügeln befand, und Angadoor nun nicht mehr zu sehen war. Ein kleiner Trupp bestehend aus Munuel, Großmeister Gelmard, Limlora und Findhal zu Pferd, sowie einem Packmulloh, welches die Ausrüstung trug. Limlora hatte sich verwandelt. Sie trug nun derbe Beinkleidung aus grobem Stoff, ein ebenso einfach geschneidertes Hemd und darüber ein locker fallendes Wams aus Leder und Leinen, welches jede weibliche Form verbarg. Dazu noch einen Kapuzenmantel aus grünem Loden. Die Haare hatte sie hochgesteckt und unter einer ledernen Kappe verborgen. All die Kleidung war auch nicht neu, sondern abgewetzt und verblichen. Sie wirkte jetzt wie ein ganz normaler Bauernjunge auf dem Weg zu einem Markt. Vielleicht bis auf den prächtigen Rappen, den sie ritt, denn einen solchen Hengst konnten sich nur sehr reiche Bauern leisten. Wenn es denn so reiche Bauern gab. Sie nannte ihn Marco und man konnte sehen, dass sie regelrecht vernarrt in ihn war.
Gelmard und Munuel hatten auf alle Insignien der Magierzunft verzichtet. Außer Findhal, der immer wie ein Söldner aussah, wirkte die ganze Gesellschaft recht unauffällig. Munuel war sich im Klaren darüber, dass sie damit die Andura Rana nicht täuschen würden. Aber zumindest jeden anderen dunklen Gesellen.
Der Abschied war kurz und schmerzlos gewesen. Die Bewohner von Angadoor waren ohnehin viel zu beschäftigt mit ihrem eigenen Elend, als dass es sie nun interessiert hätte, was ihr Dorfmagier treibt. Eileen, die seit der letzten Nacht Waise war, richtete im Gasthaus provisorische Schlafstellen ein, für diejenigen, die Haus und Hof verloren hatten. Matthes, der jüngste Bürgermeistersohn hatte eine Feuerbrigade ins Leben gerufen und suchte überall im Dorf nach bisher unbemerkten Brandnestern. So trug jeder sein Scherflein bei, und kümmerte sich wenig um Munuel. Dem sie dieses Unglück ohnehin zu verdanken hatten. Daher war niemand sonderlich betrübt, als klar wurde, dass er abreisen würde. Nur der Bürgermeister kam zu ihm und drückte Bedauern und Besorgnis aus.
»Ich weiß nicht, wer Euch vertreten soll, Meister Munuel. Sie haben ja noch keinen Adepten herangezogen, der das übernehmen sollte. Was machen wir jetzt ohne Dorfmagier?«
»Nun, so wichtig war ich bisher ja auch wieder nicht. Außerdem bin ich nicht für Jahre weg, sondern nur ein paar Wochen oder Monate.«
Moribund, der Bürgermeister, wiegte den Kopf. »Da bin ich mir nicht so sicher, werter Munuel. Ich habe da ein ganz komisches Gefühl. So, als würde ich Euch für eine ganze Weile nicht mehr sehen.«
»Seid ihr neuerdings unter die Hellseher gegangen, Bürgermeister?«, war die leicht spöttische Replik. Doch dann wurde Munuel wieder ernst. Er legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Macht euch keine Sorgen, Bürgermeister. Wir reisen auf offenem Wege, sodass die Angreifer von gestern sehen können, dass wir das Dorf verlassen. Sie werden euch nicht mehr behelligen, denn von euch wollen sie ja nichts.«
»Aber dann werden Sie euch eben überfallen!«
»Auf offener Straße, gut einsehbar? Wohl kaum. Auch wenn unsere Magie an ihrer Anführerin abzuprallen scheint, so sind die anderen Gesellen ihr doch ausgeliefert, nicht wahr? Ich denke nicht, dass sie uns angreifen werden.«
»Ich hoffe sehr, dass ihr Recht habt«, sagte der Bürgermeister betrübt. Dies war das Ende der Unterhaltung gewesen und der Trupp hatte ohne großes Geleit das Dorf verlassen. Nur Bernuel, der Schmied, winkte ihnen zu, bis sie hinter dem großen Stützpfeiler verschwunden waren.
Munuel hatte nicht vor, sich so ohne Weiteres überfallen zu lassen. Er hatte sich mit Gelmard beraten, denn dieser kannte das Gelände besser als er. Munuel war nie weit über Angadoor hinausgekommen, er kannte nur Savalgor, wo er seine Ausbildung vollendet und seine Insignien erhalten hatte. Und er war auf direktem Wege dorthin gereist. Doch Gelmard war ein erfahrener Globetrotter. Also überließ er es seinem alten Mentor, die Reiseroute festzulegen.
»Wir werden nur eine Weile auf den Wegen bleiben, grade lange genug, um etwaigen Spähern zu zeigen, dass wir das Dorf verlassen«, erklärte Gelmard. »Aber danach werde ich euch durch die Wälder führen, über Stock und Stein und am Rande der Lemsoorer Halt, wo wir stets eine Felswand zur Rechten haben. Auf diese Weise kommen wir bis zum Nasmar See und von dort zur Isermündung. Dahinter geht es in die große Morneschlucht. Einzig der Nasmar See wird strapaziös, denn um diese Jahreszeit ist das ein riesiger Sumpf«
»Gut«, sagte Munuel. »Spätestens danach erwartete ich einen Angriff. Bis dahin mache ich mir wenig Sorgen.«
»Täusch dich nicht«, ermahnte ihn Gelmard. »Der Wald bietet beiden Schutz: Verfolger und Verfolgtem. Sie können uns überall auflauern.«
»Ich werde wachsam sein.«
»Verstehst du etwas von Verwirrungsmagie?«
»Nein«, gab Munuel kleinlaut zu. »So etwas habe ich bisher nie gebraucht«.
»Dann sieh zu und lerne, Dorfmagier.« Sein Oheim grinste breit, sodass seine Zähne blitzten. »Ich werde überall kleine Illusionen streuen, die als falsche Fährten dienen werden.«
Munuel war beeindruckt. Er vergaß allzu leicht, dass sein Oheim nicht ohne Grund der Meister des Cambrischen Ordens war.
Seine Gedanken kreisten ohnehin um Islin und ihr ungeborenes Kind, sein Kind, welches nun mit ihr gestorben war. Falls es je existiert hatte – aber wie sonst sollte er ihre letzten Worte deuten?
Seine Stimmung war mehr als düster, sie war desolat. Das Schuldgefühl würgte in seiner Kehle und er musste sich beherrschen, nicht einfach hier vor seinen Gefährten still vor sich hin zu fluchen. In diesem Moment fühlte er sich nicht besonders erwachsen, im Gegenteil. Er fühlte neben ohnmächtiger Wut und Trauer auch eine Hilflosigkeit, wie er sie aus seiner Jugend kannte. Und ob er diesmal all seine Gefühle so einfach würde verdrängen können? Er wusste es nicht. Aber er würde es nach Kräften versuchen.
ooOoo