Читать книгу Das Vermächtnis des Drachenlords - Rael Wissdorf - Страница 6
ОглавлениеAls Munuel und Matthes am Dorfplatz eintrafen, hatte sich bereits eine Traube von Angadoorianern um einen Tisch vorm Gasthaus versammelt. Sie schienen sich zu amüsieren, denn sie lachten und klopften sich auf die Schenkel. Kein Zweifel, dachte Munuel, das war Gelmard. Sein alter Oheim hatte schon immer ein Händchen für die Volksmassen gehabt, und eigentlich war ein Unterhaltungskünstler an ihm verloren gegangen. Wo er hinkam, stand er sofort im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und gewann die Herzen der Menschen. Das lag zum einen an seinem einnehmenden und freundlichen Wesen, zum anderen an seinem Sinn für derbe Späße. Vor allem an seiner Kunstfertigkeit. Denn Gelmard konnte zaubern, ohne das Trivocum zu bemühen. Es war keine echte Magie, sondern nichts weiter als Geschicklichkeit, aber er schaffte es damit, weitaus mehr Verblüffung zu erzielen als mit der kompliziertesten Intonation fünfter Ordnung.
Munuel drängte sich durch die Reihen, um zu seinem Lehrmeister vorzudringen. Doch bevor er ihn begrüßte, hielt er sich zunächst hinter den breiten Schultern des Bürgermeisters versteckt, um noch ein wenig zuzusehen. Denn Gelmard führte gerade das Kunststück mit dem zerschnittenen Seil auf. Es war sein ältester Trick, jedes Mal verblüffend, wie er es hinbekam, das Seil stets wieder im Ganzen zu präsentieren, obwohl er es bereits mehrfach durchschnitten hatte. Neben dem schwarzhäutigen und vollbärtigen Gelmard, der sein schneeweißes Kraushaar unter einem breitkrempigen Schlapphut verbarg, saß eine zierliche junge Frau, fast noch ein Mädchen. Sie war von mittlerer Größe, dunkelhaarig und saß aufrecht, wie eine Königin. Sie blickte ernst und würdevoll in die Runde und schien sich nicht im Geringsten für die Kunststücke ihres Begleiters zu interessieren.
Ihr Gesicht war von einer Schönheit, die man niemals wieder vergisst: feine, wie von einem Meisterpinsel gezogene Augenbrauen, eine zarte und doch scharf konturierte Nase, volle Lippen sowie eine sanft getönte, makellose Haut, die ihre veldoorianische Abstammung erkennen ließ. Munuel erinnerte sich, dass der Shabib einst eine Prinzessin aus der stygischen Wüste geheiratet hatte. Kein Zweifel, das war Limlora, die Tochter des Shabibs, die ihm als neue Shaba einst auf den Thron folgen würde. Das kleine Muttermal unter ihrem linken Auge machte sie unverwechselbar. Zumal ihr Antlitz auf vielen Goldfolintmünzen prangte. Aber, was bei den Kräften, wollte sie hier in Angadoor? Munuel würde es herausfinden.
Er kam hinter seiner ’Deckung’ hervor und fiel in den Beifall der Umstehenden ein, als Gelmard seine Vorführung beendet hatte. Dieser stand auf, als er seinen Neffen erkannte und breitete die Arme aus. Sein schwarzes Gesicht strahlte und seine perlweißen Zähne blitzten.
»Munuel, mein lieber Neffe, wie schön, dich zu sehen! Ich hoffe, du bist wohlauf?«
Als die Menge erkannte, dass keine Zaubertricks mehr kommen würden, zerstreute sie sich. Im Nu standen Munuel und sein Besuch allein auf dem Platz vor dem Gasthaus. Limlora blieb sitzen und sah Munuel erwartungsvoll an. Rechts und links wurde sie von zwei Männern flankiert, die eindeutig nach Leibwächtern aussahen. Einer war groß und hager, der andere stämmig und gedrungen.
»Alles Bestens, werter Oheim«, antwortete Munuel. »Nur etwas verwirrt. Ihr seid schon der zweite Besuch für mich seit gestern. Was ein Zufall.«
Sein Onkel runzelte die Stirn. »Zufall? Für einen Magier gibt es keine Zufälle. Wer ist denn der andere Besucher?«
Munuel deutete in Richtung Iser. »Er sitzt jetzt da drüben am Fluss. Und du wirst es nicht glauben, aber es handelt sich um Lohtsé.«
Für eine Sekunde wirkte Gelmard wie vom Donner gerührt.
»DER Lothsé? Der Lehrmeister von Hegmafor? Der Lohtsé bei dessen Erwähnung der halbe Cambrische Orden Reißaus nehmen würde? Der ist hier?«
»Du kennst ihn persönlich?«
»Was? Nein!« Gelmard schüttelte etwas zu heftig den Kopf. »Ich bin nur ehrlich überrascht, einen Mann dieses Rufs hier in einem kleinen Dorf an der Iser anzutreffen. Und glaube mir: Dass er hier ist, fast zur gleichen Zeit wie ich und … die Shabibstochter, hat sicher seinen Grund. Aber ich bin unhöflich … » Er nickte Limlora zu und streckte den Arm aus, um ihr aufzuhelfen. Die junge Frau nahm mit Grazie die dargebotene Hand und stand von ihrem Stuhl auf.
»Darf ich vorstellen? Prinzessin Limlora, die Tochter und Erbin des Shabibs von Savalgor. Sie ist derzeit mein Schützling und, nun ja, auch meine Schülerin«.
Munuel verbeugte sich nonchalant. »Habe die Ehre, werte Limlora. Ihr wollt Magierin werden?«
Limlora errötete ganz leicht und zauberte ein betörendes Lächeln hervor. Munuel befand, dass ein Kunstmaler dieses Lächeln verewigen und auf ein überlebensgroßes Bild bannen sollte, welches man dann in den Palast von Savalgor hängte, auf immer und ewig.
»Ja, das stimmt. Ich würde sehr gerne Magierin werden«, bestätigte Limlora selbstbewusst.
Munuel war das kurze ehrgeizige Blitzen in ihren Augen nicht entgangen. Diese junge Frau wollte unbedingt Magierin werden, koste es, was es wolle. Ein solcher Ehrgeiz, zumal bei hochgestellten Persönlichkeiten, rief immer eine gewisse Wachsamkeit in ihm hervor.
Ohne sich umzudrehen, deutete die Prinzessin beiläufig auf die beiden Männer, die respektvoll hinter ihr geblieben waren. »Das sind übrigens meine beiden Wachhunde. Der Dürre heißt Findhal und der Dicke ist Rusch.«
Munuel sah, wie die beiden so vorgestellten die Augen verdrehten. Offenbar waren sie derartige Späße von Limlora gewohnt.
»Wunderbar«, sagte Munuel. »Aber wenn Ihr mir in die Gaststube folgen mögt, so dass ich adäquate Räumlichkeiten für euch arrangieren kann?« Zu Gelmard gewandt, scherzte er: »Ich könnte auch mittlerweile ein Schild an die Tür nageln ’Gasthaus von Angadoor und Amtsstube des Dorfmagiers’, so oft, wie ich in letzter Zeit Besuch unterbringe. Und eine Provision sollte ich auch verlangen.«
Sein Oheim lachte herzlich über diese Bemerkung, und sogar Limlora verzog ein wenig die bezaubernden Lippen.
»Ich komme gleich nach«, sagte Limlora. »Ich will noch nach Marco sehen.«
Damit wandte sie sich um, ohne eine Antwort abzuwarten und ging Richtung Stallungen davon.
Gelmard nickte nur und folgte Munuel in die Gaststube. Sie setzten sich an einen Tisch am Fenster. Eileen brachte Bier und Geflügel.
»Marco?«, fragte Munuel und hob eine Braue. »Hat sie auch ihren Hofnarren dabei?«
Gelmard schüttelte den Kopf. »Ihr Pferd. Sie hat es schon als Fohlen bekommen und liebt es abgöttisch. Sie hat sogar eine Geheimsprache entwickelt und redet damit zu ihrem Pferd.«
»Und was sagt das Pferd so dazu?«