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MUHAMMAD & MALCOLM

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Lange nachdem Malcolm X das irdische Dasein verlassen hatte, hielt Muhammad eine Rede, bei einem Treffen in Los Angeles, als

ein farbiger Mann, der etwas älter schien als die anderen Anwesenden, aus den hinteren Reihen rief: „Wenn du nicht an das glaubst und das predigst, was Elijah sagt, dann wirst du sterben.“

Der Mann bezog sich dabei auf Malcolms Ermordung.

Muhammad, der nie einen Hehl aus seiner Enttäuschung über seinen verstorbenen Freund gemacht hatte, antwortete: „Nein. Du stirbst nicht, wenn du nicht an das glaubst, was Elijah sagt. Doch ich kenne einige Leute, die dich umbringen würden, wenn du schlecht über mich redest! Und ich muss ihnen das gar nicht erst befehlen.“

Das sorgte für lautes Lachen im Publikum, doch mein Bruder blieb todernst.

„Ich kenne einige Leute, die dich umbringen würden!“, fuhr er fort. „Hört mich an. Lasst es euch von mir sagen, kein mächtiger Mann, der von Hunderttausenden verehrt wird, braucht zu sagen: ‚Holt ihn euch.‘ Du bist nicht sicher, wenn du über ihn sprichst. Ich kenne einige Brüder, die dich töten würden, wenn du schlecht über ihre Mutter redest. Sie würden dich umbringen! Heiße seine Mutter eine Hure und sieh, ob du das überlebst. Ich kenne Leute, die bringen dich für ihre Mutter um! Einer von den Brüdern würde dich so schnell umlegen, da muss gar kein Muhammad dabei sein.“

Der Mann im Publikum wollte es aber nicht dabei belassen und versuchte, Muhammad weiter dazu zu bringen, Malcolms Tod zu rechtfertigen.

Schließlich wurde es Muhammad zu bunt, und er sagte: „Ich habe niemanden umgebracht, was willst du von mir?“

Egal ob er nun aggressiv war oder sich verteidigte, die Fragen zu Malcolms Tod verfolgten ihn für einige Zeit. Es war teilweise auch seine eigene Schuld. Etwa acht Monate nachdem Malcolm einem Attentat zum Opfer gefallen war, war Muhammad zu Gast in der Radiosendung Hotline des Chicagoer Radiosenders WVON, die von Wesley South moderiert wurde, wo er sich kein Blatt vor den Mund nahm und öffentlich sagte, dass sich die Nation of Islam um Malcolm „gekümmert“ hätte. Einige Leute meinten später, dass mein Bruder wegen Mittäterschaft bei der Ermordung des ehemaligen Mitglieds der Nation of Islam verhaftet werden sollte. Mein Bruder sagte vieles in der Öffentlichkeit. Er war einfach so. Und was er damals sagte, wurde wahrscheinlich falsch ausgelegt.

Muhammads Verhältnis zu Elijah Muhammad wurde enger, als Malcolm begann, sich vom Führer der Nation of Islam abzuwenden – die beiden hatten sich heftig zerstritten. Die Nation hatte natürlich ihre Vorteile. Malcolm war allein, wohingegen sich die Nation of Islam zu einem institutionellen Kult entwickelt hatte, der sowohl einen gemeinschaftlichen als auch einen spirituellen Einfluss auf meinen Bruder hatte. Muhammad stand zu dieser Zeit fest hinter Elijah Muhammad und gegen seinen ehemaligen Freund Malcolm. Malcolm, so sagte mein Bruder, hätte behauptet, dass Elijah Muhammad zwölf Frauen geschwängert haben soll und dass er herausgefunden hätte, dass der so hochverehrte spirituelle Führer bei Weitem nicht so heilig war, wie er vorgab zu sein, und ein Dutzend Kinder hätte. Wenn man einigen prominenten Gefolgsleuten glauben darf, dann versuchte Malcolm, Anhänger auf seine Seite zu ziehen und Elijah Muhammad vom Thron zu stoßen – deswegen ließ er sich auch immer wieder zu diesen Hasstiraden gegen den Führer der Nation of Islam hinreißen. Doch mein Bruder hatte noch viel praktischere Gründe, sich auf die Seite von Elijah zu stellen. Wir sprechen hier über die Wahl zwischen einem Individuum, das die Nation of Islam in der Hoffnung verließ, eine neue Organisation für eine afroamerikanische Vereinigung zu gründen, und der Nation of Islam, in der die Söhne von Elijah Muhammad die Geschäfte meines Bruders leiteten, als seine Box- und Marketingmanager fungierten und so weiter, sowie den ganzen geistigen und finanziellen Verpflichtungen nachkamen, denen man nur schwer den Rücken zudrehen konnte. Hätte Muhammad sich dazu entschlossen, zu Malcolm zu stehen, so hätte er einerseits seine religiöse Heimat und gleichzeitig auf Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen von Dollar verzichtet. Das wäre wohl jedem schwer gefallen. Es war ein Gedanke, den einige teilten. Persönlich hatte ich das Gefühl, dass Muhammad die Nation of Islam letztlich nie in Stich gelassen hätte.

Natürlich gab es eine Zeit, in der Muhammad seinen Führer verehrte und an seinen Lippen hing, als wäre alles, was Elijah Muhammad sagte, die absolute Wahrheit. Als Malcolm mit der Nation brach, wusste Muhammad zumindest kurzfristig nicht, auf welcher Seite er stand, auch wenn er es nach außen nicht zeigte. Malcolm war für Elijah Muhammad unheimlich wichtig gewesen. Er verrichtete großartige Arbeit, und vielleicht hätte man ihn dafür besser belohnen sollen. Doch einige waren der Meinung, dass er sich gegen seinen Gönner gewendet hatte, vor allem jene, die zur Nation of Islam gehörten. Er reiste durch die Welt und versuchte, einige der Dinge, die er getan hatte, wieder zu zerstören, was als eine große Gefahr wahrgenommen wurde. In den Augen mancher schien Malcolm aber kaum eine Gefahr für die Nation of Islam darzustellen, doch der Punkt ist: Er war eine Gefahr.

Malcolm selbst behauptete immer, dass er den wahren Islam kennengelernt hätte, als er sich auf seine Pilgerreise zu den heiligen Stätten in Mekka begab, ein paar Monate nachdem mein Bruder den Weltmeistertitel gewonnen hatte. Was er dort laut eigener Aussage gelernt hatte, stand im Gegensatz zu den Lehren von Elijah Muhammad. Also begann er, seine Ansichten lautstark zu äußern, was zur Wurzel des Problems werden sollte. Die Nation of Islam hat eine allgemeine Regel – die Regel Nummer neun, die besagt, dass niemand für Ärger sorgen darf. Malcolm wurde im Wesentlichen zu einem Ärgernis. Er meinte, dass, wenn ihn die Muslime in Ruhe gelassen hätten, er sie auch in Ruhe gelassen hätte, doch laut Berichten einiger prominenter Mitglieder entsprach dies nicht der Wahrheit. Er rief permanent bei den Leuten an und bat sie, sich auf seine Seite zu schlagen. Er wurde zu einem Störenfried und – in den Augen vieler – zu einer Gefahr. Muhammad war dies bewusst. Schließlich dachte Malcolm, dass er sich in einer Sackgasse befand. Er sagte sogar, er wäre von diesen Spaßvögeln umgeben, diesen Schauspielern und er wolle wieder der Nation beitreten. Und er war wütend und verbittert, so wie alle es sein würden, wenn man sie gefeuert hätte. Und manchmal verflucht man auch seinen Boss. Vielleicht wollte er ja wirklich zurückkommen, doch sein Stolz ließ es nicht zu.

Möglicherweise hatte Malcolm das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, als er sich von Elijah Muhammad abwendete. Mein Bruder und andere aus dem engeren Kreis dachten jedenfalls so. Sie müssen sich vorstellen, dass die Nation schon 20 Jahre existierte, bevor Malcolm dazustieß, und noch länger, bevor mein Bruder und ich Mitglieder wurden. Malcolm war ein Helfer, kein Anführer. Elijah Muhammad benutzte ihn genauso, wie er meinen Bruder benutzte, um seine Botschaft unter die Menschen zu bringen. Malcolm war auf der Straße aufgewachsen und war großartig in dem, was er tat. Elijah Muhammad beförderte ihn, holte ihn auf die große Bühne, und Malcolm machte seine Arbeit und tat, was er tun sollte.

Malcolm ist offensichtlich ein Held für viele Menschen. Er tat einige gute Dinge, und das kann ihm auch niemand mehr nehmen, doch einige meinten, dass er sich seinem Gönner gegenüber, der ihn bei sich aufgenommen und ihm ein Heim gegeben hatte, dumm verhielt. Malcolm war der einzige Mann, dem die Ehre zuteilgeworden war, Elijah Muhammads Wagen zu benutzen – dieses Privileg hatte kein anderer Prediger. Er bekam ein Gehalt von 1000 Dollar im Monat. Kein anderer Prediger bekam so viel Geld. Und er erhielt noch weitere spezielle Privilegien.

Egal welche Feindschaft zwischen ihnen bestand, Muhammad war am Boden zerstört, als Malcolm verstarb. Ich denke, dass Muhammad sich nie ganz von seinem Freund abgewendet hatte. Tief in seinem Inneren hatte er noch immer etwas für ihn übrig, und das spiegelte sich auch in seinem Ton nach dem Tod von Elijah Muhammad im Jahr 1975 wider. Als Malcolm aus der Nation of Islam geworfen wurde, war es Muhammad und dem Rest von uns nicht mehr erlaubt, mit ihm zu sprechen. Wenn Malcolm anrief, dann war es sehr hart für Muhammad, nicht mit ihm zu reden. Immerhin verband sie eine lange Freundschaft, die auf Vertrauen aufgebaut war. Wir hatten Malcolm früher regelmäßig in seinem Haus besucht und viel Zeit mit ihm verbracht. Doch nachdem er der Nation of Islam den Rücken gekehrt hatte, sagte Muhammad zu Malcolm: „Du weißt, dass wir nicht mit dir sprechen dürfen. Wir müssen warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Halte durch und verlier nicht den Glauben.“

Das war anfangs seine Einstellung. Gut, ich weiß schon, dass es im Film Ali so aussieht, als hätten sich mein Bruder und Malcolm im Hass getrennt, doch tief drinnen war er noch hin und her gerissen, so wie auch Sie es für einen guten Freund empfinden würden, der vom Weg abgekommen ist. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch diesen inneren Konflikt der Ungewissheit in ihrer Freundschaft, und ich denke, dass dies im Film nicht zum Ausdruck kommt, denn Muhammad hasste Malcolm nicht wirklich. Wir mussten damals einfach den Wunsch Elijah Muhammads respektieren. Muhammad hatte nichts Schlechtes über Malcolm zu sagen, und ich glaube wirklich, dass er inständig hoffte, dass sie eines Tages wieder Freunde sein könnten.

Allerdings wussten wir aber auch, dass Malcolm irgendwann etwas zustoßen würde, da er sich sehr viele Feinde machte. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, als er erschossen wurde, waren wir überrascht. Es war extrem, aber irgendwie machte es Sinn, dass es dazu gekommen war. Ich persönlich glaube nicht, dass ein Mitglied der Nation of Islam dafür verantwortlich war: Malcolm hatte sich viele Feinde gemacht – sowohl bei den Bundesbehörden als auch anderswo. Muhammad und einige andere von uns waren uns zum Beispiel darüber einig, dass es keine gute Idee von Malcolm gewesen war, John F. Kennedys Tod gutzuheißen. Das ist etwas, was Muslime nicht tun – dafür zu beten, dass jemand stirbt –, vor allem wenn es dabei um jemanden geht, dem die schwarze Bevölkerung am Herzen liegt.

In manchen Kreisen geht das Gerücht um, dass Malcolm seinen eigenen Tod inszeniert hätte. Er soll gewusst haben, dass etwas passieren würde, und er hatte immer einen Fotografen an seiner Seite, der alles festhielt. Es ist die Ansicht einiger, dass er genau auf diese Weise aus dem Leben scheiden wollte. Wie viel Wahrheit hinter all dem steckt, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Malcolm wurde empfohlen, das Land zu verlassen, bis Gras über die Sache gewachsen wäre, und das Ruder anderen, kühleren Köpfen zu überlassen, doch das wollte er nicht. Andererseits bekam er auch wieder Warnungen, nicht zu gehen. Sieben Tage vor seinem Tod wurde ein Brandbombenanschlag auf sein Haus verübt. Am nächsten Tag saß Malcolm bereits wieder im Flugzeug auf dem Weg nach Michigan. Tags darauf hielt er dann eine Rede an einem anderen Ort. Danach war er zu Gast bei einem Radiosender in New York. Er arbeitete die ganze Zeit, selbst als sein Haus einer Brandbombe zum Opfer fiel, und er sagte: „Ich werde die Namen der Schuldigen am Sonntag nennen.“

Manche waren der Meinung, dass er es damit mit der Dramatik übertrieb. Seine damalige Frau sagte, dass sie täglich sieben oder acht Drohanrufe erhielten. Doch als das FBI das Haus durchsuchte, konnten sie keine einzige Aufzeichnung finden, anhand deren Stimme sie den Anrufer identifizieren hätten können.

Die Zeit verging, und nach dem Tod von Elijah Muhammad entfernte sich Muhammad immer weiter von der Auslegung der islamischen Philosophie, die er anfangs kennengelernt hatte – Elijah Muhammads Version –, und näherte sich immer mehr der orthodoxen Version an, mit der sich Malcolm vor seinem Tod auseinandergesetzt hatte. An diesem Punkt begann er auch damit, viele Widersprüche und innere Konflikte, mit denen er kämpfte, zu lösen. Als Muhammad viele Jahre später von uns ging, sprach Malcolms Tochter bei seinem Begräbnis darüber, dass mein Bruder am Ende ein besseres Verständnis dafür hatte, was in Malcolm vorgegangen war, als er diese Transformation von der spirituellen Auslegung der Nation of Islam zu einer mehr orthodoxen islamischen Auslegung durchmachte. Damals hatte sich Muhammad bereits wieder mit Malcolms Familie versöhnt, speziell angesichts der inneren Konflikte, die seine Freundschaft zu Malcolm und Elijah Muhammad ausgelöst hatte. Rückblickend erkannte mein Bruder immerhin, dass es ein Fehler gewesen war, seinem Freund den Rücken zu kehren.

Warum mein Bruder die Nation of Islam nicht schon früher verließ? Angeblich soll Muhammad dem Sportjournalisten Dave Kindred einmal gesagt haben, dass, wenn er die Nation of Islam verlassen hätte, sie ihn umgebracht hätten. Oft sagte er über die NOI: „Ein Narr kann sich für einen weisen Mann ausgeben, doch ein weiser Mann kann sich nicht für einen Narren ausgeben.“

Es war typisch für ihn, Dinge einfach so in den Raum zu stellen und einen daran kauen zu lassen, ohne seine eigenen Gedanken dazu preiszugeben. Laut Aussagen von Mitgliedern der Nation of Islam hätten sie Muhammad nicht angerührt, wenn er die Organisation verlassen hätte. Wäre er gegangen, so hätte dies keine Nachwirkungen gehabt, meinten sie. Hätte Muhammad allerdings damit begonnen, sie ihn Verruf zu bringen, wie es Malcolm getan hatte, dann wären die Dinge wohl anders gelagert gewesen. Es stimmt aber, dass es einige Mitglieder gab, die sich der Nation anschlossen und sie später wieder ohne böses Blut verließen, auch wenn sie nicht so berühmt wie mein Bruder waren. Persönlich denke ich, dass die Nation of Islam meinem Bruder kein Haar gekrümmt und schon gar nicht versucht hätte, ihn zu töten. Ich bin mir auch sicher, dass unsere Familie genauso darüber denkt wie ich. Abgesehen davon waren Muhammad und Herbert – trotz des finanziellen Interesses von Herbert an meinem Bruder – wie Brüder und waren auf das Wohlergehen des jeweils anderen bedacht.

Mein Bruder, Muhammad Ali

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