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EIN BRUDER AUF MISSION

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Vorurteile und Rassentrennung waren alltäglich im Leben aller Farbigen in Amerika in den 1960er-Jahren, doch in einigen Gegenden

war es schlimmer als in anderen. Während die schleichenden Auswirkungen des Rassismus in Louisville sicherlich spürbar waren, so gab es in Miami überhaupt kein Entkommen. Dort erstreckte sich die Rassentrennung nicht nur auf Nachtclubs und Cafés, sondern auch auf den Strand: Den weißen Einwohnern Miamis waren die schönsten und saubersten Abschnitte des Strands vorbehalten, farbige Menschen mussten sich mit jenen nahe der Abwasserrohre zufriedengeben und dort schwimmen, oder der Zutritt wurde ihnen überhaupt verweigert. Restaurants, die sich weigerten, Afroamerikaner zu bedienen, waren bis weit in die 1960er-Jahre hinein verbreitet, und als die Rassentrennung an den Schulen offiziell aufgehoben wurde, gab es wilde Proteste vonseiten der lokalen weißen Bevölkerung.

Das war die Stimmung in der Stadt, als mein Bruder 1960 nach Miami zog. Für eine Person mit schwarzer Hautfarbe waren diese Regeln ein fester Bestandteil ihres Lebens in einem angeblich freien Land – selbst für einen Olympiasieger. Zwar ließ sich Muhammad beim Training nicht von den Vorurteilen der anderen behindern – dafür hatte er eine zu dicke Haut –, doch mein Bruder und ich machten von Zeit zu Zeit Bekanntschaft mit der hässlicheren Seite des Landes, wenn wir uns in Miami unter die Leute mischten. Jedes Mal, wenn du aus der Reihe tanztest, war schon jemand zur Stelle, der dich direkt oder hinter deinem Rücken darauf aufmerksam machte, dass du anscheinend vergessen hast, wo du hingehörst. Das traf nicht nur auf die Öffentlichkeit zu. Man zog auch die Aufmerksamkeit der alteingesessenen Institutionen und Behörden im Mainstream-Amerika auf sich. Muhammad sagte zu mir: „Solange unsere Leute ihren Platz in der Gesellschaft nicht verlassen, ist alles okay. Aber wenn sie einmal aus der Reihe tanzen, laufen sie Gefahr, umgebracht zu werden.“

Mit seinem typischen Selbstbewusstsein war Muhammad bereit, dieser Art von Behandlung offen mit Verachtung entgegenzutreten. Als sachkundiger Experte für die Geschichte des Boxsports verfolgte er diese verächtliche Einstellung gegenüber schwarzen Athleten bis zu Jack Johnson zurück, der gejagt und aufgrund der lächerlichen Anschuldigung, eine weiße Frau rechtswidrig über die Bundesstaatsgrenze gebracht zu haben, sogar eingesperrt wurde. Auch kannte er das traurige Schicksal von Joe Louis und Jesse Owens, die ihr ganzes Leben lang vom Finanzamt wegen angeblicher Steuervergehen verfolgt wurden. Und er war sich der Gefahr bewusst, in der sich Jackie Robinson befand, der Morddrohungen erhielt, als er als erster farbiger Spieler in der modernen Major League Baseball spielte.

Jim Brown, den eine langjährige Freundschaft mit Muhammad verband, galt als der böseste und gemeinste Farbige in Amerika und sah sich allen möglichen erfundenen Anschuldigungen, speziell von Frauen, gegenüber. Die Botschaft war eindeutig: Jedes Mal, wenn du als Schwarzer in der amerikanischen Gesellschaft aus der Reihe tanzt, wirst du attackiert und an den Pranger gestellt. Das war definitiv der Fall, auch bei Muhammad, der im Zuge seines Olympiasiegs unendlich viel Aufmerksamkeit in den Medien bekam. Denn genauso wie man meinen Bruder auf seinen Platz verwies, war er als Weltmeister im Schwergewicht ein wichtiges Instrument für politische, wirtschaftliche und andere Interessen der Weißen. Als Muhammad sich dazu entschloss, gegen das System anzukämpfen, wusste er, dass er sich zur Zielscheibe machen würde. Aber so wie jeder andere farbige Sportler auf irgendeine Art und Weise unter Beschuss des amerikanischen Establishments kam, wusste auch er, dass es ihm ebenfalls so ergehen würde, egal was er tat.

Berücksichtigt man all dies, dann ist es vielleicht einfacher zu verstehen, was das Interesse meines Bruders an der Black Power Bewegung – vor allem an der Nation of Islam (NOI) – erweckte. Es ist eine irrige Annahme, dass Malcolm X meinen Bruder zur Nation of Islam gebracht hatte und für die Konversion meines Bruders zum Islam verantwortlich war. Zweifellos hatte Malcolm einen großen Einfluss darauf, doch er war nicht derjenige, der Muhammads Interesse daran erweckte. Es war ein Prediger namens Captain Samuel X Saxon, der meinen Bruder als Erster in die Lehren der Nation of Islam einführte, nachdem er ihn zufällig auf der 2nd Avenue getroffen hatte, bevor Muhammad zu den Olympischen Spielen nach Rom fuhr.

Captain Samuel war der Vorsteher einer Moschee in Miami – ein Ort, den mein Bruder regelmäßig aufsuchte, als er dorthin zog. Es war das erste Mal, dass er den Lehren der Nation of Islam aufmerksam zuhörte, und Miami war der Ort, an dem er langsam erkannte, dass es genau das war, was er in seinem Leben immer gesucht hatte. Zuerst war es sicherlich mehr religiös als politisch motiviert, doch das änderte sich mit der Zeit. Mein Bruder und ich entschieden uns, dieser kontroversen Organisation beizutreten, da Muhammad Teil von etwas sein wollte, Teil einer Bewegung, nicht wegen einer tieferliegenden spirituellen Suche.

Egal was unsere Gründe dafür waren, bei unseren Eltern zu Hause begannen die Alarmglocken zu schrillen, als Muhammad und ich die Lehren der Nation of Islam annahmen. Vater und Mutter waren irritiert, um es milde auszudrücken. Sie waren der Meinung, dass ihre Kinder gute Christen sein sollten, und sie wussten so gut wie nichts über diese neue Religion. Deswegen war es verständlich, dass sie recht aufgebracht darüber waren. Als er älter wurde, hatte Muhammad diese innere Stimme, die ihm sagte, dass da noch etwas Besseres als der Rassismus, den er als junger Boxer erfahren hatte, sein musste – eine Art Licht am Ende des Tunnels. Und obwohl unsere Eltern uns gelehrt hatten, dass Gott für uns sorgen würde, schien der Glaube, mit dem wir aufgewachsen waren, nicht die Lösung zu sein – zumindest nicht für meinen Bruder und mich. Mein Bruder, der schon immer sehr wissbegierig war, verbrachte sein halbes Leben damit, sich die Frage zu stellen, warum Menschen mit dunkler Hautfarbe sich mit diesen Umständen zufriedengeben sollten und warum alles Schwarze mit etwas Negativem assoziiert wurde. Auch im Christentum schien es so zu sein: Alles Gute in der Bibel wurde weiß gemacht – sogar Jesus und Gott wurden als Weiße dargestellt, ungeachtet ihrer Herkunft. Man zeigte uns das Bild des Erlösers als gütigen weißen Mann, und in der Hierarchie des Himmels schien es nirgends einen Platz für andere Hautfarben zu geben. Das war uns zu wenig. Mein Bruder und ich wollten keine mittelmäßigen „Neger“ sein, die sich der Gnade der Christen unterwerfen mussten. Christen, die schon öfters gezeigt hatten, dass sie Farbige als Bürger zweiter Klasse betrachteten. Muhammad konnte und wollte das nicht akzeptieren.


Natürlich waren unsere Eltern nicht die Einzigen, die sich wegen unseres neuen Umfelds Sorgen machten. Die meisten Menschen in den Vereinigten Staaten hatten kein gutes Bild von der Nation of Islam und standen allen, die mit dieser Organisation sympathisierten, sehr skeptisch gegenüber. Selbst unter Farbigen gab es viele, die sich von dieser Bewegung distanzierten. Anfangs merkte keiner, dass wir immer mehr dazu tendierten, Muslime zu werden, denn Muhammad und ich hatten beschlossen, unsere Absicht fürs Erste einmal für uns zu behalten – es war also unser dunkles Geheimnis. Wir waren uns einig, dass wir unseren Übertritt zum muslimischen Glauben dann bekannt geben würden, wenn die Zeit richtig dafür war. Doch vorerst mussten wir aufgrund der Neugier der größtenteils weißen Presse vorsichtig damit umgehen, und auch wegen einiger Leute in unserem engeren Umfeld, die etwas durchsickern hätten lassen können. Wir wussten, dass, wenn wir uns gleich zu erkennen geben würden, die Boxverbände, die öffentliche Meinung und sogar die US-Regierung Muhammad auf seinem Weg zur Boxweltmeisterschaft Probleme bereitet hätten. Muhammad, so entschieden wir, sollte seine Zugehörigkeit so lange geheim halten, bis er den so begehrten Schwergewichtstitel in seinen Händen hielt. Er musste, wie er es selbst ausdrückte, so klug wie eine Schlange, aber arglos wie eine Taube sein.

Je länger dieses Versteckspiel dauerte, umso mehr wurde einigen Personen in unserem engsten Umfeld die Verbindung Muhammads zu den Black Muslims, wie die Organisation auch genannt wurde, bewusst. Als er dann eine Bilanz von 19 Siegen und keine Niederlage sowie 15 Knockouts aufwies, bekam Muhammad die Chance, den amtierenden Schwergewichtsweltmeister Sonny Liston zu fordern – ein Kampf, den er, wie er selbst wusste, viel ernster nehmen musste als alle seine bisherigen Begegnungen. Drei Monate vor dem Kampf gegen Liston verbrachten Muhammad und ich Weihnachten in Angelos Haus, während die Familie im Garten hinter dem Haus feierte. Damals war Integration eher unbekannt, und mein Bruder war auch noch nicht berühmt. Wenn er also die Dundees besuchte, öffneten sie die Tür und lachten darüber mit den Nachbarn, die es seltsam fanden, dass da nebenan ein junger schwarzer Mann zu Besuch kam. Später, als Muhammad immer stärker im Rampenlicht der Medien stand, kamen auch die Nachbarn gerne hinüber, um ihn zu sehen, wenn er bei der Familie Dundee vorbeikam. Damals aber trauten sie ihren Augen nicht, wenn zwei junge Farbige in einer Gegend, in der nur Weiße lebten, an die Tür klopften.

Wie auch immer, an diesem besagten Tag gesellten sich Muhammad und ich zu den Dundees, als sie gerade ihre Geschenke auspackten. Da Muhammad unsere Familie in Louisville vermisste, war Angelos Familie eine Art Ersatz für ihn, und er genoss es vor allem, mit Angelos jüngstem Sohn Jimmy zu spielen, mit dem er über die Jahre ziemlich viel Zeit verbracht hatte. Muhammad war recht still, als wir mit den Dundees am Tisch saßen und aßen, und sog die Familienatmosphäre in sich auf, doch als Jimmy dann mit zwei Walkie-Talkies, die er als Geschenk erhalten hatte, zu spielen begann, kam Muhammads spielerische, energiegeladene Seite zum Vorschein. Der kleine Jimmy rannte in der Wohnung herum und schrie in sein Walkie-Talkie: „Cassius! Cassius! Wo bist du?“

Und Muhammad antwortete: „Es gibt hier keinen Cassius, nur einen Muhammad Ali.“

Das verdutzte Kind rief: „Ich kenne keinen Muhammad Ali!“

Nun, Angelo wusste über die Verbindungen Muhammads mit der Nation of Islam Bescheid, auch wenn er sich sonst kaum mit den politischen Ansichten meines Bruders beschäftigte. Angelo – einer der wenigen, dem Muhammad vertrauen konnte – war darum bemüht, die ganze Sache geheim zu halten, da er befürchtete, dass die Boxing Commission den Kampf absagen würde, wenn sie davon Wind bekäme, dass sein Boxer einer von vielen geschmähten religiösen Gruppierung beigetreten war. Damit wäre der Traum vom Schwergewichtsweltmeister gefährdet gewesen, und Angelo wollte unbedingt, dass Muhammad zum Weltmeister im Schwergewicht gekrönt würde – das war das ultimative Ziel.

Etwas anderes, das weitgehend unbekannt ist, ist die Tatsache, dass mein Bruder erst Cassius X war – das war der Name, den er von Elijah Muhammad zuerst bekommen hatte. Danach gab er ihm den Namen Muhammad Ali, gerade noch rechtzeitig, um ihn direkt nach dem Sieg gegen Liston zu verkünden. Muhammad, so wurde uns gesagt, bedeutet so viel wie „der Gelobte“ oder „der Lobenswerte“ und Ali „der Hohe“, „der Erhabene“. Muhammad hatte seinen Namen über das Telefon erfahren, erst dann besuchte er Elijah Muhammad in dessen Haus und ging zu ihm in den oberen Stock. Der große geistige Anführer sagte zu Muhammad: „Ich habe die Bedeutung dafür.“

Dann kam er herunter und offenbarte uns die Bedeutung. Gleichzeitig erhielt auch ich meinen Namen, Rahaman Ali – was so viel wie „der Gnädige“ bedeutet.

Als wir der Nation of Islam beitraten, übernahmen wir auch die Lehren des Anführers, des ehrwürdigen Elijah Muhammad, der in weiterer Folge einen so starken Einfluss auf meinen Bruder haben sollte. Diese Lehren, denen Muhammad gleich zu Anfang ausgesetzt war, schienen genau richtig für ihn zu sein, passender als alles andere, was er davor gelernt hatte. Muhammad beschloss, seine Gefühle in etwas Tieferes zu kanalisieren, etwas, das er als eine starke Macht in seinem Leben wähnte, denn von da an sah er die Nation of Islam nicht mehr nur als religiöse Organisation, er begann nun auch damit, ihre tieferen Lehren anzunehmen.

Die Mitgliedschaft bei der NOI hatte auch andere Auswirkungen auf das Leben meines Bruders. Als Muhammad Mitglied wurde, verbrachte er viel Zeit mit Elijah Muhammad, geriet aber auch in den Bann eines der neun Kinder des Anführers. Jabir Herbert Muhammad war ein ergebener Muslim, aber auch ein Geschäftsmann, der ein Fotoatelier in der 79th Straße in Chicago sowie die offizielle Zeitung der Nation of Islam, Muhammad Speaks, betrieb. Erst nach dem Kampf gegen Liston traf mein Bruder auf Herbert und freundete sich mit ihm an. Muhammad fragte seinen spirituellen Führer, ob sein Sohn mit ihm zusammenarbeiten und ihm beim Management seiner Boxkarriere helfen könnte. Herberts Vater war sofort damit einverstanden und markierte damit den Beginn einer langen Beziehung, von der Herbert genauso profitierte, wie es die Nation of Islam tat. Zu dieser Zeit wurde Muhammad noch von der Louisville Group gemanagt und hatte einen Zehnjahresvertrag, weshalb Herbert bis 1966 warten musste, um meinen Bruder in seine Fänge zu bekommen, doch er nutzte jede Gelegenheit, um seinen Einfluss auf ihn zu vergrößern. Muhammad und ich erkannten dies damals allerdings noch nicht. Wir waren der Meinung, dass unser Verhältnis auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen basierte.

Elijah Muhammad wiederum machte sich nichts aus Sport und anderen Spielereien, sein Interesse und Ziel lagen darin, es Farbigen zu ermöglichen, in einem vom weißen Mann bestimmten „weißen Amerika“ zu leben. Er freute sich über jedes Mittel, mit dem er seine Idee transportieren konnte, und als laute, charismatische Berühmtheit war mein Bruder ein ideales Medium. So betrachtet stimmt es schon, dass er Muhammad ausnutzte, doch in gewisser Weise funktionierte dies in beide Richtungen. Als Muhammad eine persönliche und berufliche Verbindung zu Herbert aufbaute, hatte mein Bruder durch ihn auch Zugang zum Anführer der Nation of Islam.


Während Nebensachen wie Religion eine wichtige Rolle in Muhammads Leben spielten, arbeitete er weiter daran, zum König der Schwergewichtsklasse zu werden – und an einer besseren Zukunft. Außerdem hatte er weiterhin Zeit für seine Freunde. Einen Tag vor dem Kampf gegen Liston, der am 25. Februar 1964 angesetzt war, besuchten Muhammad und ich den damals erst zehn Jahre alten Jimmy Dundee im Krankenhaus, wo er sich einer Leistenbruchoperation unterziehen musste und somit nicht zum Kampf kommen konnte. Jimmy hatte, seit er fünf war, jeden Kampf von Muhammad live gesehen und war nun verständlicherweise traurig darüber, dass er es diesmal nicht schaffte. Zufälligerweise war die Kinderabteilung des Spitals damals so voll, dass das Personal Jimmy gefragt hatte, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er in der „Negerabteilung“ untergebracht werden würde. „Warum sollte mir das etwas ausmachen?“, fragte er irritiert.

„Nun, weil dort die Neger behandelt werden“, antwortete der Doktor.

Jimmy meinte, dass ihn das nicht störe, und so war er der einzige weiße Patient in der Abteilung für Afroamerikaner, lag gleich neben einem Jungen seines Alters. Eines Tages, als er mit diesem Jungen darüber sprach, wie traurig er darüber sei, Muhammads Titelkampf nicht sehen zu können, hörte er jemanden im Korridor rufen: „Junger Boss, wo bist du?“

Muhammad nannte Angelo immer „Boss“.

„Kleiner Dundee, wo bist du!?“, hallten die Rufe durch den Korridor. Als Nächstes platzten mein Bruder und ich zusammen mit einigen von Muhammads Freunden aus dem Camp herein – Bundini, Howard Bingham und Patterson, der Bodyguard, alle in Jeansjacken. Sie müssen sich einmal die Gesichter der Schwestern und Pfleger vorstellen! Wir haben ihnen einen ziemlichen Schrecken eingejagt.

Auf jeden Fall betraten wir das Zimmer, und da lag Jimmy. Muhammad gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Als sich seine und die Blicke des anderen Jungen trafen, der im Bett neben Jimmy lag, sagte Muhammad zu ihm: „Was tust du denn hier? Du liegst hier nur rum und tust gar nichts.“

Dann setzte er Jimmy in einen Rollstuhl. Darauf nahmen wir seinen Bettnachbarn, setzten ihn in einen zweiten Rollstuhl und schoben die beiden unter Lachen und Gejohle den Korridor hinunter, während die anderen Patienten uns dabei zusahen. Wir verbrachten viel Zeit mit Jimmy, und alle anderen in der Kinderabteilung bekamen ein Autogramm von Muhammad. Mein Bruder zeigte seinen Ali Shuffle, führte ein paar Zaubertricks und Parodien vor und zauberte diesen Kindern für einen Nachmittag ein Lächeln ins Gesicht.

Trotz des skurrilen Humors meines Bruders hatte er wichtigere Dinge zu erledigen, wenn er den Titel holen wollte. In jenen Jahren hatte das organisierte Verbrechen großen Einfluss auf das Boxgeschäft. Die Mafia hatte einige Boxer fest in der Hand, und der Weltmeistertitel im Schwergewicht – als der prestigeträchtigste im Sport – zog immer wieder das Interesse dieser Organisation auf sich. Und es gab den einen oder anderen, dem das nicht unrecht war. Manche Leute fanden sogar großen Gefallen an der Idee, dass diese kriminelle Vereinigung den Boxsport beherrschte. Ich denke, gewisse Geschäftsleute und Spieler kamen gut damit zurecht, da sie wussten, woran sie an der Mafia waren. Doch in den 1960er-Jahren hatte die Mafia ein Problem: Sie sah sich dem erheblichen Widerstand durch die Black Muslims gegenüber. Schon früh in seiner Karriere, noch bevor Herbert der Louisville Group die Kontrolle komplett entreißen konnte, stand Muhammad unter dem Schutz der Nation of Islam. So sehr sich die Mafia auch darum bemühte, die Kontrolle zu übernehmen, so war es dank der Präsenz der Nation of Islam nicht so leicht möglich, das Trainingscamp zu infiltrieren, wie es sonst bei anderen Boxern der Fall war. Und so war mein Bruder, verglichen mit anderen Boxchampions jener Zeit, ein freier Mann, der tun und lassen konnte, was er wollte. Wer weiß, wie das Schicksal meines Bruders ohne den Schutz der Nation of Islam verlaufen wäre.

Was Angelo betraf, so war er ein Mensch, der es mochte, wenn alles legal ablief. Damals war es Teil des Schwergewichtsboxens, sich zumindest bis zu einem gewissen Grad mit dieser kriminellen Vereinigung auseinanderzusetzen, doch im Falle der Dundees munkelte man, dass Angelos Bruder Chris Kontakte zum organisierten Verbrechen hatte, aber nicht unbedingt Angelo selbst. Also warum sollte Angelo mit der Mafia zu tun haben? Immerhin hätte er alles über seinen Bruder regeln können, wenn er gewollte hätte. Es war also Chris, der die wirklichen Kontakte zur Mafia hatte, doch im Endeffekt kontrollierten sie keinen der beiden Brüder. Zur Zeit des Liston-Kampfes verhandelte Angelo mit den berüchtigten Gangstern, den Nilon-Brüdern (Jack und Bob), und bemühte sich, sie davon abzuhalten, Einfluss auf die Kampfrichter und den Ringrichter zu nehmen. Angelo war clever. Bis 20 Minuten vor dem Kampf hielt er die Namen der Kampfrichter geheim. Das führte zu einem ordentlichen Streit. Die Nilon-Brüder und Persönlichkeiten des organisierten Verbrechens wie Frankie Carlo und sein Partner Blinky waren fest entschlossen, sich den Kampf unter die Nägel zu reißen. Das waren gefährliche Männer. Doch Angelo half ihnen weder direkt noch über seinen Bruder Chris. Muhammad und sein Coach standen für einen sauberen Boxsport und gaben ihr Bestes, um sich dafür einzusetzen.

Es war naheliegend, dass die Mafia Liston unter Kontrolle hatte. Vom Beginn seiner Profikarriere im Jahr 1953 an „gehörte“ Liston einem Gangster namens Joe Vitale aus St. Louis. Ab 1959 besaß Frankie Carlo, der einst als Auftragsmörder für die Mafiagruppierung Murder Inc. tätig war, einen Mehrheitsanteil an Sonny Listons Vertrag, zusammen mit seinem Geschäftspartner in Palermo. Gemeinsam mit einer Gruppe anderer Promoter, die die „Combination“ genannt wurden, hatten sie die komplette Kontrolle über ihn und waren bekannt dafür, wichtige und profitable Boxkämpfe zu manipulieren. Dankenswerterweise war Muhammad bei den Dundee-Brüdern in sicheren Händen. Sie hielten das ganze Mafiagerede von ihm fern, damit er sich mit so wenig Ablenkung wie möglich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren konnte. Ich half meinem Bruder beim Training, war aber gleichzeitig auch seine moralische Unterstützung. Mein Bruder hielt sich aus allem heraus und überließ die Sache mit den Gangstern einfach den Dundee-Brüdern. Vor dem ersten Kampf gegen Liston bekamen wir einige Drohanrufe, sogar zu Hause, am Morgen des Kampfes, doch wir nahmen sie nicht besonders ernst. In unseren Köpfen dachten wir, dass Gott uns beschützen würde, und wenn er es nicht tat, dann war da noch die NOI, die uns helfen würde.

Schließlich kam es zum Aufeinandertreffen zwischen meinem Bruder und Liston in Miami, doch bevor Muhammad in den Ring stieg, musste er noch eine Sache über sich ergehen lassen. Am gleichen Abend gab ich mein Debut als Profiboxer in einem harten Schlagabtausch gegen Chip Johnson. Mein Gegner hatte bereits sechs Profikämpfe bestritten und damit einiges mehr an Erfahrung als ich. Er hatte sogar mehr Amateurkämpfe als ich auf dem Buckel. Es war ein harter Kampf, und ich musste einige deftige Schläge einstecken. Wie ich später herausfand, hatte sich Muhammad während meines Kampfes aus seiner Umkleidekabine geschlichen, um mir vom Korridor aus zuzusehen. Der immer besorgte ältere Bruder, er wollte, dass ich mit so wenig Schaden wie möglich aus diesem Kampf herauskam. Das bedeutete mir sehr viel mehr als der Kampf selbst. Das Gefühl, zu wissen, dass mein Bruder sich mehr Sorgen um meine Gesundheit machte als um seine eigene – und das am wichtigsten Abend seiner Karriere, habe ich niemals vergessen.

Wie auch immer, ich bekam ordentlich was ab, doch ich schaffte es bis ans Ende der vier Runden und wurde sogar zum Sieger erklärt. Meinen ersten Kampf als Profi zu gewinnen, versetzte mich in einen Glücksrausch, der allerdings nicht lange anhalten sollte. Der Ringsprecher stellte mich als Muhammads Bruder vor, worauf die Menge mich ausbuhte. Sie waren noch immer nicht besonders angetan von Muhammad und drückten dieses Gefühl jedem gegenüber aus, der seinen Namen mit ihm teilte. Während das Publikum mich weiter auspfiff, rief mir mein Bruder zu, ich solle aus dem Ring steigen, und sagte mir, dass er für mich kämpfen würde. Nach dem Kampf ging ich zurück in die Kabine, wo er den Arm um mich legte und mir deutlich sagte, dass ich nicht mehr kämpfen müsste und er an diesem Abend zum Weltmeister gekrönt werden würde.

„Rudy, das war dein letzter Kampf“, sagte er einfühlsam. „Ich werde für den Rest deines Lebens für dich sorgen, mach dir also keine Gedanken darüber.“

Ich ging schnell unter die Dusche und zog mich um. Dann eilte ich zurück in die Arena, um von meinem Platz in der vordersten Reihe meinem Bruder zuzusehen. Als er den Gang zum Boxring hinunterging, war die Spannung in der Arena nicht mehr auszuhalten – vor jedem Kampf gibt es da dieses Dröhnen, diese Energie, diese aufgeladene Atmosphäre, doch diesmal war es anders. Auch wenn er sich immer wie ein Clown aufführte und Späße machte, so wussten wir beide, dass dies ein äußerst gefährlicher Kampf für ihn sein würde, und es war, um ehrlich zu sein, angsteinflößend. Mein Magen fühlte sich ganz flau an, ein Gefühl, das ich nie wirklich ablegen konnte, wenn ich ihm im Ring zusah, doch in dieser Nacht war es besonders schlimm.

Vielleicht hätte ich mir nicht so viele Sorgen machen müssen. Gleich von Anfang an bewies mein Bruder, dass er jedes Wort, das er zur Presse, zu Liston und gleichwohl zu seinen Fans und Gegnern gesagt hatte, auch mit boxerischem Können untermauern konnte. Leichtfüßig wich er Listons Schlägen aus, duckte sich und glitt gewandt aus der Reichweite seines Kontrahenten mit Bewegungen, von denen die meisten Kommentatoren meinten, dass sie zu seinem Verhängnis werden würden. Unterdessen deckte er Liston aus der Distanz mit Schlägen ein. Runde um Runde. Liston konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und Treffer landen, und schon gar nicht diese Schläge, für die er so berühmt war.

Der bekanntermaßen einzige heikle Moment in dem Kampf war, als die Betreuer von Liston auf einen dreckigen Trick zurückgriffen und irgendetwas auf die Handschuhe ihres Boxers schmierten, das die Sicht meines Bruders behinderte und ihm damit beinahe den Sieg kostete. Ich erkannte fast sofort, dass etwas nicht stimmte, und mir schossen zu dem Zeitpunkt alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Meine erste Sorge galt natürlich der Gesundheit und Sicherheit meines Bruders, und ich hätte ihn sofort aus dem Ring genommen, wenn ich der Meinung gewesen wäre, dass seine Gesundheit gefährdet wäre. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass dies wahrscheinlich die einzige Chance auf einen Titelkampf war, die er je bekommen würde, und der gedemütigte Liston ihm keinen Rückkampf anbieten würde, wenn Muhammad hier verlor. Verwirrt darüber, was genau passiert war, der Kampf zweier miteinander konkurrierender Gefühle, die Atmosphäre im Publikum, als Liston zu einem vermeintlichen Comeback ansetzte – mein Adrenalinspiegel war vollkommen außer Kontrolle geraten.

Für Angelo war dieser Moment genauso gefährlich wie für Muhammad. Die Black Muslims in der Ecke meines Bruders waren ziemlich aufgebracht und begannen, an Angelos Loyalität zu zweifeln, nahmen sie doch an, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte. Während Angelo einerseits versuchte, ihnen zu versichern, dass dem nicht so war, versuchte er gleichzeitig auch, etwas zu unternehmen. Er kannte die Tricks, die Listons Team auf Lager hatte, aus der Vergangenheit und wusch meinem Bruder die Augen zwischen den Runden immer mit Wasser aus.

„Du gibst jetzt nicht auf!“, bellte er ihn an, als er meinen Bruder in die – wie sich herausstellen sollte – letzte Runde schickte.

Angelo war nicht wie einige andere Coaches, die herumschrien und ihre Boxer anwiesen, bestimmte Schläge einzusetzen, und von ihnen erwarteten, die Instruktionen bis ins Detail umzusetzen. Muhammad durfte den Kampf so bestreiten, wie er es für richtig hielt, schließlich hatte er jahrelang dafür trainiert, diese Verantwortung zu übernehmen. Angelos große Stärke lag in dieser Art von Krisen. Er blieb ruhig und fokussiert und bewahrte meinen Bruder wahrscheinlich davor, seine einzige Gelegenheit auf einen Titelkampf zu verlieren. Muhammad war Angelos goldener Junge, und er wusste, dass sein Schützling die Chance hatte, den Weltmeistertitel im Schwergewicht zu holen. Zu dieser Zeit glich das Verhältnis zwischen Muhammad und seinem Coach dem einer Vater-Sohn-Beziehung. Ich wusste, dass er seinen goldenen Jungen nie betrügen würde. Auf keinen Fall.

Nach dem Vorfall mit Muhammads Augen verdoppelten die Black Muslims und ich unsere Anstrengungen in der Ecke und hielten Ausschau nach weiteren illegalen Störversuchen. Als Muhammads persönlicher Bodyguard war ich natürlich immer nahe an ihm dran. Vor dem Kampf hatte ich die strikte Anweisung, die Wasserflaschen in der Umkleidekabine nicht aus den Augen zu lassen, denn es könnte sich jemand hineinschleichen und etwas hineintun. Wenn ich aus irgendeinem Grund auch nur für wenige Minuten nicht auf die Flaschen aufpassen konnte, musste ich Muhammads Flasche ausleeren und mit frischem Wasser füllen, nur für den Fall, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht haben könnte. Ich wollte kein Risiko eingehen. Wenn die Kampfrichter über den Ausgang zu entscheiden hatten, dann waren sie vorher sicherlich von Gangstern beeinflusst worden. Das war typisch im Boxsport zu jener Zeit.

Schließlich konnte Muhammad wieder klar sehen, und Liston musste in der sechsten Runde aufgeben, gerade als sich die Stimmung im Publikum aufheizte. Wie ich später herausfand, traten einige Mitglieder der Mafia nach dem Kampf an Herbert heran und drohten damit, ihm 20 Männer auf den Hals zu hetzen, wenn er nicht für sie arbeiten würde. Herbert ignorierte sie an jenem Abend einfach, doch beim nächsten Kampf meines Bruders saßen 2000 Mitglieder der NOI im Publikum. Beide Seiten drohten einander, doch es sollte nie zu irgendwelchen Vorfällen kommen.

Später einmal erfuhr ich, dass mein Bruder nicht einmal Angelo richtig vertraut hatte. Einige Zeit nach dem ersten Kampf gegen Liston hingen wir im Haus von Dr. Ferdie Pacheco ab, und Muhammad verblüffte seine Leute, indem er zugab, dass er niemandem bei diesem Kampf vertraute hatte, weder Angelo noch Ferdie oder irgendjemand anderem. Für einige der Männer, die dachten, dass Muhammad ihnen vollkommen vertraute, kam dies wie ein Schock, andere hingegen verstanden sein Dilemma. Muhammad zweifelte an allen seinen Betreuern: „Die einzigen beiden, denen ich vertraute, waren mein Bruder und Captain Sam“, sagte er vor seiner versammelten Entourage.

Obwohl mein Bruder und ich damals bereits ein sehr enges Verhältnis zu Angelo aufgebaut hatten, hatte er noch immer diesen leichten Zweifel. Man muss bedenken, dass es zu dieser Zeit keine Rolle spielte, wie freundlich und hilfsbereit ein Weißer zu meinem Bruder war, es bestand immer eine Chance, dass er ihn betrügen könnte.

Der Kampf hatte den Boxsport in der breiten Öffentlichkeit in Verruf gebracht. Auf eine gewisse Weise hatte Muhammads Sieg über Liston dabei geholfen, die Mafia aus dem Boxgeschäft zu drängen. Liston, obwohl er nie etwas mit ihnen zu tun haben wollte, war die größte Geldmaschine für die Mafia und besaß den begehrtesten Titel des Sports und hatte das größte Einnahmenpotenzial. Als sein Stern langsam an Glanz verlor, verlor die Mafia immer mehr an Einfluss im Boxen. Der Rückkampf am 25. Mai 1965 machte dies nur noch deutlicher. Übrigens: Die Andeutungen, dass Liston in seinem zweiten Kampf gegen Muhammad freiwillig zu Boden gegangen wäre, sind meiner Meinung nach lächerlich. Das organisierte Verbrechen zählte ja darauf, dass er den Titel wieder zurückgewinnen würde. Sie lebten davon, das Boxen zu kontrollieren und Geld zu scheffeln, indem sie die Boxer dazu zwangen, für sie zu arbeiten. Es ging um Listons Leben und um seinen Lebensunterhalt Boxen – die Mafia hatte nur diese eine Verwendung für ihn. Ich denke, als Muhammad den Titel gewann, begann sich die Mafia etwas zurückzuhalten, denn sie meinten, dass Angelo und Chris für sie arbeiten sollten, und die Dundee-Brüder antworteten: „Sicher nicht!“

Doch bevor man endlich entspannt aufatmen konnte, gab es noch ein anderes Problem, das Mainstream-Amerika beschäftigte.


Es war der 6. März, nicht einmal zwei Wochen nachdem mein Bruder den Schwergewichtstitel geholt hatte, als Elijah Muhammad der Welt offiziell verkündete, dass er mit einem neuen Namen geehrt werden würde. Schon vor dem Kampf hatte mein Bruder Fragen zu seiner Verbindung mit der Nation of Islam beantworten müssen, und nun erreichte dieses Thema seinen Höhepunkt. Es gab unzählige Anrufe von Reportern, die ihn als bekennenden Muslim bezeichneten und den Ruf der Organisation infrage stellten. Natürlich hatten wir alle eine gewisse Reaktion erwartet, doch das übertraf sogar unsere schlimmsten Vorstellungen. Einige Farbige meinten, dass Muhammad einen schweren Fehler gemacht habe, sich der Nation of Islam anzuschließen – ein schwerer Fehler sowohl hinsichtlich seiner Karriere als auch in seiner Rolle als Repräsentant und Aushängeschild der afroamerikanischen Gesellschaft. Sofort trudelten die ersten Morddrohungen ein, und es schien fast so, als ob jeder, der einen Stift und ein Blatt Papier besaß, nur darauf gewartet hatte, meinem Bruder auszurichten, dass sie ihn sich vorknöpfen würden. Er bekam Drohungen von Personen, die meinten, sie würden sein Haus anzünden, auf sein Auto schießen oder ihn gar ermorden. Auch Angelo und seine Familie blieben aufgrund ihrer Verbindung zu meinem Bruder nicht vor dem Hass verschont. Jeder, der sich im näheren Umfeld meines Bruders befand, wurde zur Zielscheibe für einige der schlimmsten Menschen Amerikas.

Als Muhammads Bruder war es nicht angenehm für mich, ihn in so einer verwundbaren und gefährlich exponierten Position zu sehen. Meine wichtigste Aufgabe zu jener Zeit war es, meinen Bruder im Auge zu behalten, und ich tat mein Möglichstes, um auf ihn aufzupassen und sicherzustellen, dass ihn keiner vergiftete. Ob mich das ein wenig paranoid machte? Absolut. Hat es mich wütend gemacht? Auf jeden Fall.

Lassen Sie mich klarstellen: Morddrohungen, egal ob regelmäßig oder selten, sind etwas Alltägliches für alle, die sich in der afroamerikanischen Gesellschaft nach oben arbeiten. Es ist egal, ob du Boxer bist oder ein TV-Moderator, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt, oder der Präsident der Vereinigten Staaten. Wenn du schwarz bist, wird dir eine gewisse Aufmerksamkeit von politisch bösartigen, degenerierten Menschen zuteil. In der Zeit zwischen 1967, als der politische Aktivist Dr. Harry Edwards das erste olympische Projekt für Menschenrechte vorschlug, und 1972 erhielt er unglaubliche 300 Morddrohungen. Das war einfach ein Teil des Lebens damals für alle von uns, die ihre Stimme erhoben. Als Muhammad der Nation of Islam seine Loyalität aussprach und später den Kriegsdienst verweigerte, gab es unzählige Feiglinge, die zu Hause auf ihrem Sofa saßen und bereit waren, einem Farbigen, der sich für seine konstitutionellen Rechte und Prinzipien in der Gesellschaft einsetzte, einen bösen Brief zu schreiben. Man hatte sich schon daran gewöhnt. Nach einiger Zeit wurde das Ganze eher ermüdend als beängstigend. Doch es hörte nie auf, mich wütend zu machen.

Eine andere Sache – obwohl eher Ärgernis als Gefahr – war, dass, wenn man ein Mitglied der Nation war, das FBI begann, dein Telefon abzuhören, deine Post abzufangen und zu öffnen und dir überall hin folgte. Sieht man sich das FBI-Spionageabwehrprogramm und die Anträge nach dem Gesetz für Informationsfreiheit aus dieser Zeit an, dann findet man Akten über die Nation of Islam, die teilweise Hunderttausende Seiten umfassen. Das FBI beobachtete Moscheen und hörte alle ab – von Malcolm X bis hin zu lokalen Predigern, Offiziellen und Leutnants der Nation of Islam in verschiedenen Städten der USA. Sie sammelten Informationen über die Eltern von Mitgliedern, Autokennzeichen, Treffen. Aus irgendeinem Grund galt die Nation of Islam in ihren Augen als eine Gefahr für Amerika. Diese Bundesbehörde für Sicherheit und Strafverfolgung gab ungeheuer viel Geld für die Beobachtung der Nation of Islam aus, und das meist umsonst. Die NOI war so auf ihren Ruf bedacht, dass sie uns immer davor warnte, eine Waffe mit uns zu führen, und sie wies uns an, uns Gesetzeshütern gegenüber kooperativ zu verhalten. Ich erinnere mich daran, wie Elijah Muhammad uns sagte, dass wir nicht einmal ein Taschenmesser mit uns tragen sollten. Muhammad hatte kein Problem damit und meinte: „Ich glaube nicht an Gewalt … außer man wird überfallen.“

Trotzdem, das FBI war darum bemüht, immer über das, worüber wir sprachen und was wir taten, am Laufenden zu sein, und erwartete sich anscheinend, dadurch eine große Verschwörung gegen Amerika aufzudecken. Wir wussten, dass wir von Spionen umgeben waren, und unsere Privatsphäre wurde auf so viele Arten verletzt, wie man es sich kaum vorstellen kann. Ich erinnere mich, wie Berater und Vertraute zu Muhammad sagten: „Sei immer vorsichtig, was du am Telefon sagst. Wenn du über etwas Bestimmtes reden willst, dann verabrede ein Treffen.“

Es gab bestimmte Dinge und Informationen, über die wir am Telefon nicht sprechen durften, um damit potenzielle Interventionen der Behörden zu minimieren.

Während seines Prozesses wegen Kriegsdienstverweigerung einige Jahre später kam unter anderem heraus, dass eine Unterhaltung meines Bruders mit Dr. Martin Luther King, mit dem er seit dem Vorabend des Liston-Kampfes in Verbindung stand, als dieser ihm alles Gute wünschte, aufgenommen worden war. Die FBI-Akten, die später freigegeben wurden, besagen, dass mein Bruder mit Dr. King darüber sprach, dass er seine Arbeit weitermache und er ihn als Bruder betrachte. Danach begannen die Sicherheitsbehörden, Falschinformationen über meinen Bruder in der Öffentlichkeit zu verbreiten, erfundene Briefe, die sofort zum Fressen für die Presse wurden. Nichts wurde unversucht gelassen, um diesen jungen Farbigen, der begann, Wellen zu schlagen, zu unterminieren. Ich glaube keine Sekunde daran, dass der Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, ernsthaft dachte, Muhammad wäre eine Gefahr für Amerika. Aber wie sich herausstellte, durchkämmten die FBI-Agenten sogar die alten Schulakten meines Bruders. So gut wie überall, wo Muhammad hinging, waren auch Agenten zu sehen. Vielleicht wollten sie nur ihre eigene Neugier befriedigen? Denn nur wenig von dem, was sie taten, machte Sinn.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde die Behauptung aufgestellt, dass Angelo ein FBI-Spitzel gewesen sein soll. Das ist vollkommen absurd. Es ist allerdings wahr, dass Angelo vor dem ersten Kampf gegen Liston vom FBI befragt wurde, doch das beweist nur, wie loyal er gegenüber Muhammad und seinen Freunden war. Sie zeigten ihm Bilder von der Nation of Islam, Personen, die Angelo leicht wiedererkannt hätte, und fragten: „Angelo, wer ist der Typ? Wer ist das hier?“, und jedes Mal antwortete Angelo: „Ehrlich, diese Muslime sehen alle gleich aus für mich.“

Angelo hätte nie jemanden verraten – schon gar nicht einen Mann, der nicht nur Boxer war, sondern auch ein Teil seiner Familie.

Mein Bruder, Muhammad Ali

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