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1. Der französisch-habsburgische Antagonismus bis zum Ende der Herrschaft Kaiser Karls V. Die Voraussetzungen: Dynastische Entwicklungen und Königswahl

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Als Heinrich II. von Frankreich und Philipp II. von Spanien 1559, drei Jahre nach der Abdankung Karls V., zu Cateau-Cambrésis Frieden schlossen, beendeten sie eine Epoche eines von nur verhältnismäßig kurzen Friedenszeiten unterbrochenen Dauerkonflikts zwischen Kaiser und Roi Très Chrétien, in den ihre Väter vier Jahrzehnte zuvor eingetreten waren. Fünf Kriege hatten das Reichsoberhaupt und der französische Monarch seit 1519 gegeneinander geführt – Kriege, in die in wechselnden Konstellationen fast alle anderen Fürsten und Mächte Europas und zeitweilig sogar das an den Toren Südosteuropas als neue Großmacht sich etablierende Osmanische Reich hineingezogen worden waren2.

Was diesen Konflikt vier Jahrzehnte lang am Leben erhalten und vorangetrieben hatte, war Frankreichs entschiedener Widerstand gegen den universalen Herrschaftsentwurf Karls V. gewesen, der 1519 nicht nur Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geworden war, sondern durch einen einzigartigen dynastischen Zufall auch die Königreiche von Kastilien und Aragón, die reichen Provinzen der Niederlande und dazu noch Luxemburg und die Freigrafschaft Burgund geerbt hatte, als Haupt des habsburgischen Familienverbandes sich ferner auf die von seinem Bruder Ferdinand regierten deutschen Stammlande seines Hauses stützen konnte und somit eine noch nie dagewesene Machtfülle in seiner Hand vereinigte.

Dieser Konflikt war insofern die unmittelbare Folge der Kaiserwahl von 1519 gewesen, bei der die französischen Hoffnungen auf die Kaiserkrone an Habsburg zerbrochen waren. Zuvor hatte es einen Moment lang durchaus so ausgesehen, als ob dem König von Frankreich der Weg offen stünde, den sein schließlich erfolgreicher Rivale dann einschlug: Auch der 1515 auf den Thron gekommene und wegen seines Sieges über die Schweizer bei Marignano glänzendes Prestige genießende Franz I. hatte mit der Bewerbung um die Kaiserkrone „die Begründung und Rechtfertigung einer europäischen Suprematie“3 angestrebt – ein Ziel, das auch vor dem Hintergrund eines im Mittelalter gewachsenen Selbstbewusstseins Frankreichs als der ältesten und vornehmsten Monarchie der christlichen Staaten- und Fürstengemeinschaft verstanden werden muss4. Der Anspruch auf eine als den „nationalen“ Königtümern übergeordnet verstandene „Universalmonarchie“ mit einer ordnungs- und friedensstiftenden Funktion, wie er von der kaiserlichen Propaganda insbesondere unter dem Einfluss des Großkanzlers Gattinara erhoben wurde, musste demnach den entschiedensten Widerstand Frankreichs finden: In der Tat verkehrte die französische Gegenpropaganda den Begriff der Universalmonarchie bald in sein Gegenteil und denunzierte ihn als Umschreibung für die Tyrannei, nach der ein von maßlosem Dominationswillen getriebener Kaiser bzw. sein ganzes Haus strebten – eine Auslegung, die es Frankreich erlaubte, in die Rolle des Verteidigers der verletzten Rechte anderer Fürsten und Gemeinwesen zu schlüpfen5. Es war insofern nur konsequent, wenn bis in die fünfziger Jahre des 16. Jahrhunderts hinein die Absetzung Karls V. als Kaiser eine Option französischer Politik blieb.

Erhebliches Konfliktpotenzial für das habsburgisch-französische Verhältnis nach 1519 ergab sich allerdings aus territorialen Verhältnissen, die Deutschland nicht berührten: Als spanischer König etwa konnte Karl V. Ansprüche auf das gesamte Pyrenäenreich von Navarra erheben, dessen nördlicher Teil von Frankreich abhängig war, ebenso auf den Languedoc, und als Kaiser überdies die verblassten Reichsrechte auf das alte Regnum Arelatense geltend machen. Einen neuralgischen Punkt für das habsburgisch-französische Verhältnis stellte schließlich das Problem des burgundischen Erbes dar. Nach dem Tod Karls des Kühnen, des letzten Burgunderherzogs (1477), war es zwischen König Ludwig XI. von Frankreich und dem Erzherzog Maximilian von Habsburg als dem Gemahl von Karls Tochter Maria darüber zu einer erbitterten Auseinandersetzung gekommen. Diese war durch die Verträge von Arras (1482) und Senlis (1493) beigelegt worden – allerdings nur vorläufig, wie sich zu Zeiten Karls V. zeigen sollte: Frankreich hatte damals aus dem Besitz der einst aus seinem Königshaus hervorgegangenen Herzöge die Picardie mit den Sommestädten und das westlich der Saône gelegene eigentliche Herzogtum Burgund mit der Hauptstadt Dijon erhalten. Maximilian war für den Erzherzog Philipp, seinen Sohn aus der Ehe mit Maria von Burgund, in den Besitz der Niederlande samt der von Frankreich zu Lehen gehenden Herrschaft über Flandern und Artois und schließlich auch der östlich der Saône gelegenen Freigrafschaft Burgund mit der Hauptstadt Dole gelangt6.

Das letzte – und für die europäische Hegemonie entscheidende – Feld territorialen Konflikts lag in Italien: Hier hatten im Spätmittelalter schon jüngere Linien des französischen Königshauses eigene Herrschaften erworben7. In der ligurischen Hafenstadt Genua hatte die französische Krone sogar eine Zeit lang bis 1411 die direkte Herrschaft ausgeübt. Zeitgenössische Beobachter hatten hinter der französischen Einflussnahme in Italien zuweilen schon das Streben nach der Kaiserkrone vermutet. Als König Karl VIII. 1492 im schon erwähnten Vertrag von Senlis zugunsten Maximilians auf die Freigrafschaft Burgund verzichtete, so auch deshalb, um den Rücken für die Eroberung des von Königen aus dem Hause Aragón beherrschten Königreichs Neapel-Sizilien freizubekommen, wo einst die französischen Anjou regiert hatten. So sollte die Basis für einen Kreuzzug gegen die Türken und für den Erwerb der oströmischen Kaiserkrone geschaffen werden. Der Versuch Karls VIII., die direkte französische Präsenz auf der Apeninnenhalbinsel wiederzubeleben, scheiterte alsbald an den organisatorischen Mängeln seines Feldzugs und an der feindseligen Haltung der italienischen Mächte8. Nach seinem Tod (1498) führte Ludwig XII. die aktive Italienpolitik seines Vorgängers fort – zunächst durchaus mit Erfolg. Er schloss 1499 einen Kompromiss mit Aragón über die Teilung des Königreichs Neapel, eroberte für Frankreich den wichtigen ligurischen Hafen Genua zurück und vertrieb die Sforza aus dem Herzogtum Mailand, auf das er über seine aus dem erloschenen Herzoghaus der Visconti stammende Großmutter Rechte geltend machte. 1505 erhielt er von Kaiser Maximilian sogar die förmliche Investitur für das Reichslehen Mailand. Aber schon 1504 hatte er einen ersten italienpolitischen Rückschlag hinnehmen müssen, als er von den Aragonesen wieder aus Neapel verdrängt worden war. 1513 wurde Frankreichs Präsenz auf der Apeninnenhalbinsel schließlich ein vorläufiges Ende gesetzt, als es einer Koalition italienischer Staaten unter der Führung des Papstes und mit der militärischen Hilfe der Schweizer gelang, das Herzogtum Mailand zu erobern, welches nun ganz unter eidgenössische Kontrolle geriet9.

So standen die Dinge noch, als Franz I. zu Beginn des Jahres 1515 Ludwig XII. auf den Thron folgte10: Noch im selben Jahr rüstete der neue König zu einer militärischen Expedition in die Lombardei und errang in der Schlacht bei Marignano einen glänzenden Sieg über die Eidgenossen, der ihn wieder in den Besitz Mailands setzte – und damit einer Schlüsselstellung, die unbedingt vonnöten war, um in Italien Einfluss auszuüben: An dieser strategischen Bedeutung Mailands lag es, dass das Herzogtum künftig zu einem Hauptzankapfel zwischen Frankreich und Habsburg werden sollte. Zunächst aber eröffneten sich noch weitere Aussichten für Franz I., vor allem die auf das vom Kirchenstaat zu Lehen gehende Königreich Neapel-Sizilien. Papst Leo X. zeigte sich vor allem unter dem Eindruck des Geschehens von Marignano zu einer Investitur des Königs von Frankreich bereit: Sie sollte nach dem für die unmittelbare Zukunft zu erwartenden Erlöschen des Hauses Aragón im Austausch gegen französische Unterstützung für die Medici in Florenz, ihrerseits nahe Verwandte des Papstes, vollzogen werden.

Zu diesem Zeitpunkt schien Franz I. also schon unaufhaltsam auf dem Wege zum mächtigsten Monarchen Europas. Sein späterer Rivale Karl von Kastilien und Aragón musste hingegen seine Autorität in den ererbten Reichen noch durchsetzen – die Stände von Aragón sollten ihm im Februar 1518, die von Kastilien erst im April 1519 huldigen. Anlässlich des Vertrags von Noyon (August 1516) zeigte sich die Überlegenheit des Königs von Frankreich in voller Deutlichkeit: Hier wurde die Vermählung Karls mit des Königs Tochter Louise in Aussicht genommen und dem Paar Neapel-Sizilien als Morgengabe in Aussicht gestellt – gegen einen jährlichen Tribut von 100.000 écus, was die Anerkennung einer fortdauernden französischen Oberhoheit bedeutete. 1517 kam es in Cambrai zu einem weiteren Vertrag, dem jetzt auch Karls Großvater Kaiser Maximilian beitrat – nachdem er einige halbherzige Versuche zur Rückeroberung des Reichslehens Mailand unternommen hatte. Die drei Herrscher versprachen sich künftig gegenseitigen Beistand gegen äußere Bedrohungen und vereinbarten einen gemeinsamen Kreuzzug. Wer in dieser Koalition den Ton angab, darüber gab es keinen Zweifel: Zu diesem Zeitpunkt schien niemand mehr die Festigkeit der französischen Macht in Frage stellen zu können, die die bis dahin unbesiegten Schweizer gedemütigt und sich in Italien solide verankert hatte.

Die Wahl Karls V. zum Kaiser 1519 und die Ereignisse in ihrem Gefolge führten dann zu jener Umkehrung der Verhältnisse, wie sie den weiteren Verlauf des französisch-habsburgischen Konflikts prägte. Aus der Konzeption Karls V. und seines Großkanzlers Gattinara ergab sich die Notwendigkeit, das augenscheinlich als gefährlichster Konkurrent um die europäische Hegemonie einzustufende Frankreich in ein umfassendes Herrschaftskonzept einzupassen. Dies führte zu der „neuartigen Härte“ der Auseinandersetzung, die Heinrich Lutz konstatiert hat und die sich in den kaiserlichen Plänen zur rigorosen Beschneidung der territorialen Integrität Frankreichs im Frieden von Madrid exemplarisch äußert11. Auf französischer Seite hatte ein solches Vorgehen freilich seine Entsprechungen: So tauchte der Gedanke der Absetzung des Kaisers in der Epoche Franz’ I. immer wieder in Bündnisplänen und strategischen Erwägungen auf, jedoch ohne einer Realisierung nahe zu kommen12. Aber nach dem Tode Franz’ I. kam es unter Heinrich II. zu einem nicht nur Projekt bleibenden Versuch, mit allen Mitteln die eingetretenen Machtverhältnisse umzukehren und Karl V. der kaiserlichen Würde zu entkleiden.

Ein neuer Stil der politischen Auseinandersetzung manifestierte sich in der Phase zwischen den Verträgen von Madrid (1525) und Crépy (1544) – eine Phase, in der, wie Lutz formuliert, „variable Versuche dynastischer und territorialer Kompromisse“ im Vordergrund standen13 – auch durch das Instrumentarium, dessen sich zumindest der schwächere Konfliktpartner bediente. Dazu gehörte zum einen Frankreichs Paktieren mit der natürlichen Opposition gegen Karl V. im Reich, die zunächst nicht ausschließlich, aber zunehmend von dessen protestantisch gewordenen Fürsten gebildet wurde, während die evangelische Bewegung in Frankreich selbst spätestens seit der Mitte der dreißiger Jahre unter immer schärferen Druck geriet14. Zum anderen gehörte dazu die Verständigung mit einer nichtchristlichen Macht, dem Osmanischen Reich: Ließen sich die Protestanten im Reich als innere Opposition instrumentalisieren, so konnten die Türken den habsburgischen Herrschaftskomplex von außen gleich von mehreren Seiten her bedrängen: zum einen vor den Toren der österreichischen Erblande und des Reichs in Ungarn, dessen Krone Karls V. Bruder Ferdinand 1526 als durch Erbvertrag bestimmter Nachfolger des in der Schlacht bei Mohács gefallenen Königs Ludwig erwarb, zum anderen von See her in Unteritalien. Schließlich ließen sich über die Türkei auch deren tributpflichtige nordafrikanische Vasallen ins Spiel bringen, die als Korsaren eine permanente Bedrohung für die spanischen und italienischen Küsten darstellten und darüber hinaus den geregelten Schiffsverkehr auf dem Mittelmeer empfindlich stören konnten. Beide Hebel, der protestantische wie der türkische, waren freilich nicht ganz risikolos zu bedienen: Ein Zusammengehen mit den Protestanten im Reich konnte den König von Frankreich schnell bei den Altgläubigen in Misskredit bringen, ein Einverständnis mit den Osmanen hingegen bei der gesamten Christenheit; Letzteres konnte darüber hinaus die protestantischen Reichsfürsten wieder näher an den Kaiser heranführen.

WBG Deutsch-Französische Geschichte Bd. III

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