Читать книгу WBG Deutsch-Französische Geschichte Bd. III - Rainer Babel - Страница 8
Einleitung
ОглавлениеVorliegender Band erscheint als Teil einer Reihe zur „Deutsch-Französischen Geschichte“. Mit der Wahl dieses Titels haben die Herausgeber zum Ausdruck gebracht, dass es im Folgenden nicht ausschließlich um eine Geschichte der „Staatenbeziehungen“ gehen soll. Das grundsätzliche Ziel ist vielmehr, dem Leser ein möglichst umfassendes Bild der vielfältigen Berührungen zwischen Deutschland und Frankreich auf allen ihren Ebenen – der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen ebenso wie der bisher meist privilegierten politischen – zu vermitteln.
Wie die Gewichte dabei zu verteilen sind, hängt, wie kaum betont werden muss, weitgehend vom Forschungsstand und den vorherrschenden Problemen der gewählten Epoche ab. Für diejenige, um die es im Folgenden geht, nämlich das 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts, steht die deutsch-französische Geschichte zunächst zweifellos im Zeichen des Antagonismus zwischen Frankreich und Habsburg. Dieses Spannungsverhältnis beruhte letztlich auf einem Suprematiekonflikt, in dem sich in König Franz I. und Kaiser Karl V., der Herrscher einer bereits relativ geschlossenen „nationalen“ Monarchie und das Oberhaupt eines europaweiten dynastischen Herrschaftsverbandes, dem auch das Reich zugehörte, gegenüberstanden. Aus der Kaiserkrone leitete Letzterer noch den Anspruch auf eine übergeordnete Führungsrolle ab: auf eine als friedens- und ordnungsstiftend verstandene „Universalmonarchie“ – ein Konzept, das alsbald in harten Widerspruch zu einem im 16. Jahrhundert voll ausgeprägten Selbstbewusstsein der französischen Monarchie trat: Dass der König von Frankreich in seinem Reich Kaiser sei, gehörte seit dem Mittelalter zu deren politischen Grundüberzeugungen. Karls V. Gegner deuteten den Begriff der „Universalmonarchie“ bald propagandistisch um und machten ihn zum Synonym für ein maßloses Dominationsstreben: Für Frankreich, dessen Leitlinie die Zerstörung der habsburgischen Machtbasis war, wurde der Kampf gegen die „Universalmonarchie“ somit für fast eineinhalb Jahrhunderte zur Legitimationsgrundlage seiner europäischen Politik, bis mit dem Westfälischen Frieden von 1648 und dem Pyrenäenfrieden von 1659 ein grundlegender Wandel eintrat.
Der französisch-habsburgische Konflikt war ein vielschichtiges Geschehen. Natürlich setzte er zunächst ein machtpolitisches Ringen um Territorien und strategische Positionen in Gang, aber zumindest in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war er, wie schon die Zeitgenossen erkannten, ein Kampf um Status und Vorrang, lässt sich also kaum angemessen einordnen, wenn man nicht auch seinen „ideellen Unterbau“, die Selbstwahrnehmungen der Beteiligten, zur Kenntnis nimmt. In seinen Wirkungen ging er weit über einen „deutsch-französischen“ Rahmen hinaus. Das lag schon an der Struktur des habsburgischen Herrschaftskomplexes, der sich wesentlich auf eine außerdeutsche Machtbasis stützte. Darüber hinaus berührte dieser Konflikt immer mehr oder weniger intensiv die anderen Glieder der europäischen Staatenwelt, die ihr Verhältnis zu den beiden Antagonisten ihren Interessen entsprechend bestimmen mussten. Zur Vielschichtigkeit des Konfliktgeschehens trug auch die besondere ständische Struktur des Reiches bei. Es ließ sich nicht einfach in den Dienst einer dynastisch-politischen Idee nehmen, wie Karl V. erfahren musste. Die in Frankreich schon weitgehend entwickelte „Identität von Monarch und Nation“1 konnte es hier in ähnlicher Form nicht geben: Wenn man von „Deutschland“ im Sinne einer kulturellen Referenz im 16. Jahrhundert sicher mit ähnlichem Recht sprechen darf wie von „Frankreich“, so gilt das nicht für die Ebene der politischen Aktionseinheit. Nicht nur, dass das Reich bekanntlich noch außerdeutsche Bestandteile hatte, seine Stände, oder zumindest die mächtigeren unter ihnen, wurden durch ihr Eigengewicht zu potenziellen Ansprechpartnern einer antihabsburgischen und antikaiserlichen französischen Politik.
Knapp anderthalb Jahrhunderte blieb der französisch-habsburgische Antagonismus zwischen der Kaiserwahl von 1519 und dem Friedensschluss von 1648 gleichsam das zentrale Strukturelement der europäischen Politik, um das sich auch das Verhältnis der Reichsstände zu Frankreich und zum Kaiser ordnete. Von den Interessen, Zielen und Motiven der Beteiligten, die einander abwechselnd am Verhandlungstisch und auf dem Schlachtfeld begegneten, wird deshalb noch ausführlich die Rede sein.
Daneben gab es aber noch andere Ebenen, auf denen sich eine „deutschfranzösische Berührung“ von diesem Geschehen teilweise oder gänzlich unabhängig vollzog. Deutsche und Franzosen begegneten sich auf Reisen oder kamen zu längeren Aufenthalten zueinander, sie entwickelten Meinungen, Bilder und Urteile voneinander, rezipierten wechselseitig geistige oder materielle Errungenschaften, oder trieben Handel – Lyon etwa war auch zu Zeiten Kaiser Karls V. ein bedeutender Umschlagplatz auch für deutsche Kaufleute, die dort in nicht geringem Umfang der französischen Krone Geld liehen und damit die Kriege gegen den Kaiser mitfinanzierten. Die historische Forschung hat sich diesen Zusammenhängen insgesamt sicher weniger zugewandt als der Geschichte der „politischen“ Beziehungen. Aber auch hier gibt es Erkenntnisse, die dargestellt werden können und auf die im Folgenden einzugehen sein wird.
Die Reihe sieht die Gliederung jedes Bandes in zwei Teile vor. Ein erster dient der Vermittlung von Grundlagen- und Überblickswissen. In einem zweiten Teil sollen ausgewählte einzelne Probleme herausgegriffen und einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Dabei kann es sich darum handeln, Aspekte des ersten Teils, beispielsweise die strukturellen Grundlagen der umrissenen Entwicklungen, näher zu beleuchten oder gegenwärtig aktuelle Themen der Forschung aufzugreifen und zu skizzieren. Den Leser wird es nicht überraschen, im ersten Teil dieses Bandes eine Darstellung im Wesentlichen des politischen Geschehens zu finden, während die im Vergleich dazu schlechter erforschten Fragen der wirtschaftlichen Beziehungen, der sozialgeschichtlichen Phänomene (Migration) usw. in einzelnen Kapiteln des zweiten Teils behandelt werden. Dort stehen sie neben Fragen beispielsweise der ideen- und bewusstseinsgeschichtlichen oder auch institutionellen Seite der politischen Beziehungen, ferner neben Ausführungen zum neuerdings wieder stärker diskutierten Problem eines „nationalen Bewusstseins“ in der Frühen Neuzeit und seinen Manifestationen in Deutschland und Frankreich oder zum fundamentalen Vorgang der Reformation und der Konfessionalisierung. Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, dass es sich verschiedentlich als notwendig erwies, in manchen Kapiteln des zweiten Teils die Epochengrenzen des Bandes durch Rück- oder Vorgriffe zu überschreiten, um die dargestellten Entwicklungen angemessen einzuordnen – soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen folgen eigenen Rhythmen und lassen sich nur sehr bedingt durch eine an die politische Geschichte angelehnte Epochenstruktur erfassen.
Den dritten Teil des Bandes stellt eine thematisch aufgeschlüsselte Bibliographie dar, die selbstverständlich nicht nur Literatur zur „Beziehungsgeschichte“ im engeren Sinn enthalten kann. Sie bemüht sich auch solche Werke aufzuführen, deren Fokus nicht unmittelbar auf eine deutsch-französische Problematik gerichtet ist, die aber in der Perspektive einer „Deutsch-Französischen Geschichte“ im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Belang sein können.
Wenn schließlich in der folgenden Darstellung und zumal in ihrem ersten Teil häufig die französische Perspektive privilegiert wird, so ist dies ein Stück weit auch dem Forschungsstand geschuldet, der die Reichspolitik Frankreichs besser dokumentiert als eine habsburgische Frankreichpolitik. Zu einem nicht geringen Teil liegt dies aber auch daran, dass die Dynamik im deutsch-französischen Zusammenhang im behandelten Zeitraum sehr wesentlich von Frankreich ausgegangen ist: Insofern spiegelt sich hier eine Realität der deutsch-französischen Geschichte während dieser ersten anderthalb Jahrhunderte der Neuzeit.
Dank zu sagen ist an dieser Stelle schließlich Gérald Chaix, Heinz Duchhardt, Werner Paravicini und Michael Werner, die sich der Lektüre des Manuskripts unterzogen und mit wichtigen Hinweisen und Rat nicht gespart haben. Das Register ist unter der Leitung von Frau Veronika Vollmer von Frau Sarah Fortmann, Frau Cornelia Escher, Herrn Johannes Götz und Herrn Christian Lücking erarbeitet worden. Auch ihnen bin ich für diese wertvolle Hilfe sehr verbunden.
1 LUTZ 1968 [315], S. 82.