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Neue Bündnispartner Frankreichs: Reichsfürsten, Papsttum und Osmanen
ОглавлениеIn der Zeit unmittelbar nach dem Frieden von Cambrai vollzog sich am französischen Hof der Aufstieg eines Mannes, der in den kommenden Jahrzehnten zur dominierenden Figur in der Umgebung des Königs werden sollte: der des Anne de Montmorency. Als Vertreter einer vorsichtig abwägenden Außenpolitik war Montmorency einem offenen Konflikt mit dem Kaiser abhold und hielt einen Ausgleich, bei dem Frankreich auf seine Kosten kommen könne, prinzipiell für möglich25. Auch ihm waren die Zugeständnisse des Kaisers in Cambrai freilich nicht weit genug gegangen. In der gegebenen Lage hielt Montmorency es für die gleichsam natürliche Strategie Frankreichs, antikaiserliche und antihabsburgische Tendenzen zu ermutigen und zu fördern, wo immer diese anzutreffen waren. „Alle Feuer, die man in Italien entfachen kann, schlagen zum Vorteil des Königs aus“, so hat er sich einmal geäußert26 – ein Wort, das ebenso gut auf das Reich bezogen hätte gesagt werden können. Dort waren die Reichsstände durch verschiedene Entwicklungen in Unruhe geraten. Nach den Reichstagen von Speyer 1529 und von Augsburg 1530 war der Graben zwischen dem Kaiser und den Ständen, die Luthers Lehre und die Reformation unterstützten, tief aufgerissen worden; ein Teil der deutschen Protestanten schloss im Februar 1531 im thüringischen Schmalkalden ein religionspolitisch motiviertes Verteidigungsbündnis unter der Führung des Landgrafen von Hessen und des Kurfürsten von Sachsen, das sich durch spätere Beitritte noch erweiterte. Aber auch durch die im Dezember 1530 erfolgte Wahl Ferdinands von Habsburg, des jüngeren Bruders des Kaisers und Herrschers der österreichischen Erblande sowie Ungarns, zum römischen König war eine reichsständische Oppositionsbewegung entstanden, der altgläubige und evangelisch gesinnte Stände gleichermaßen angehörten – wenn auch aus verschiedenen Gründen27. Schon in den zwanziger Jahren, als entsprechende Wahlpläne der Habsburger erstmals ruchbar geworden waren, hatte Bayern eine eigene Kandidatur ins Spiel gebracht und deshalb 1526/27 auch Verbindungen zu Frankreich sowie zu England und den anderen Mitgliedern der Liga von Cognac gesucht – angesichts der damaligen politischen Gesamtsituation, die von der Lage in Italien beherrscht wurde, ohne Erfolg28. Der Landgraf von Hessen als einer der einflussreichsten unter den evangelisch gewordenen Reichsfürsten sah in der Wahl einen Hebel, um das Haus Habsburg im Süden des Reiches zu schwächen: Dort stand seit der Vertreibung des 1519 zum Reichsrebellen erklärten Herzogs Ulrich das Herzogtum Württemberg unter habsburgischer Kontrolle, welches der Landgraf nun an die angestammte Dynastie zurückgelangen lassen wollte, um damit auf lange Sicht die Weichen für eine Machtverschiebung zugunsten der antihabsburgischen Kräfte in Oberdeutschland zu stellen29. Kursachsen schließlich, der dritte wichtige Reichsstand im Reigen der Wahlgegner, opponierte aus reichsrechtlichen Bedenken heraus gegen die Wahl Ferdinands.
Trotz ihrer unterschiedlichen Interessen und trotz ihrer Differenzen in der Religionsfrage fanden die Wahlgegner im Oktober 1531 im Saalfelder Bündnis zusammen. Eine Fühlungnahme mit dem französischen Hof verlief erfolgreich: Dort wollte man sich die Chance nicht entgehen lassen, die habsburgische Position im Reich durch die Förderung ständischer Tendenzen von innen her zu erschüttern, zumal das Saalfeldener Bündnis religionspolitisch neutral war. Frankreichs Vorschlag, Ferdinand abzusetzen und den römischen König neu zu wählen, fand allerdings nicht bei allen Wahlgegnern Zustimmung, vor allem nicht bei Sachsen. Die auf französischer Seite maßgeblich von Guillaume du Bellay, dem Bruder des Kardinals und Humanisten Jean du Bellay, geführten Verhandlungen mündeten Ende Mai 1531 im bayerischen Scheyern aber dennoch in ein Bündnis zwischen Frankreich, Bayern, Sachsen und Hessen. Der König erklärte, Schutz und Schirm der gerechtigkait, freihaiten und aldt herkommenden gewonhaiten des Reiches auf sich nehmen zu wollen, die durch habsburgisches Machtstreben gefährdet seien, und versprach, jedem der deutschen Bündnispartner im Fall eines Angriffs so beizustehen, wie er es vermöge, in jedem Fall aber unverzüglich eine Finanzhilfe von 100.000 Sonnenkronen zu leisten. Wenn der König von Frankreich dessen bedurfte, sollten 10.000 von ihm selbst zu besoldende deutsche Landsknechte an den Grenzen seines Reiches bereitgestellt werden. Das Bündnis sollte ferner dem Beitritt anderer Herrscher offen stehen, vor allem dem des Königs von England, dem Johanns I. Zapolya, der als Gegenkönig in Ungarn mit Ferdinand rivalisierte, und dem des Königs von Dänemark30.
Mit dem Vertrag von Scheyern war eine auf einer ausschließlich ständisch-reichsrechtlichen Legitimationsgrundlage gegründete Anknüpfung Frankreichs mit wichtigen deutschen Fürsten geglückt. Dass das Abkommen die Erwartungen Franz’ I. schließlich doch nicht erfüllen konnte, lag in erster Linie an den Interessengegensätzen zwischen den Wahlgegnern und auch an den unterschiedlichen Erwartungen, die sie gegenüber Frankreich hinsichtlich einer Neuordnung der Reichsangelegenheiten hegten. Franz I. favorisierte eine offensive Linie, wie sie der Landgraf von Hessen in der Sache des vertriebenen württembergischen Herzogs Ulrich einzuschlagen wünschte: Im Januar 1534 verpflichtete er sich im Vertrag von Bar-le-Duc, Ulrichs Restitution durch Subsidien zu fördern. Zu diesem Zeitpunkt hoffte er wohl noch auf eine Teilnahme wenigstens Bayerns an einem solchen Unternehmen, sah sich hierin aber bald getäuscht: Philipp von Hessen und Ulrich standen letztlich alleine. Letzterer legte im Vertrag von Kaaden im Juni 1534 seine Differenzen mit den Habsburgern bei und erhielt sein Herzogtum zurück, wenn auch nur als österreichisches Afterlehen31. Sachsen und Bayern fanden ihrerseits zu einer Verständigung mit König Ferdinand. Damit aber waren dem Ansatz einer konfessionsneutralen und vornehmlich auf französischer Subsidiengewährung gegründeten Politik der Stärkung antihabsburgischer Tendenzen im Reich die Grundlagen entzogen. Frankreich blieb künftig vor allem auf den 1530 gegründeten Schmalkaldischen Bund, also auf ein konfessionelles Sonderbündnis der evangelisch gesinnten Stände, als Instrument seiner Reichspolitik angewiesen – eine nicht einfache Partnerschaft, die immer auch von bestimmten innenpolitischen Gegebenheiten in Frankreich, d.h. der Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Krone und den französischen Protestanten, abhängig blieb32.
Aber auch in Italien, wo Karl V. seit Cambrai wieder freie Hand hatte, suchte Franz in diesen Jahren Boden gutzumachen und sich vor allem dem Papst anzunähern. Die Vermählung Katharinas von Medici, einer verwaisten Nichte und Schutzbefohlenen Papst Clemens’ VII., mit Franz’ zweitem Sohn Heinrich stiftete sogar eine Familienverbindung; sie wurde begleitet von geheimen Absprachen über eine eventuelle Abtretung der vom Kirchenstaat lehnsabhängigen Städte Parma und Piacenza an das Paar sowie über päpstliche Unterstützung bei der Rückeroberung Mailands, die das vordringlichste Ziel des Königs in Italien war.
Aber auch hier führte die französische Politik nicht zum gewünschten Erfolg: 1534, im selben Jahr, in dem die französische Reichspolitik vorläufig scheiterte, starb auch Papst Clemens VII., was alle in italienpolitischer Hinsicht an ihn geknüpften Hoffnungen zunichte machte. Die ungünstigen Wendungen dieses Jahres dürften dafür verantwortlich gewesen sein, dass nun eine andere Option in den Vordergrund rückte: Im November 1534 hielt sich eine türkische Delegation beim französischen König auf, vermutlich um die Möglichkeit einer Kooperation gegen Habsburg auszuloten. Zu Beginn des folgenden Jahres wurde ein französischer Unterhändler mit einem klar umrissenen Auftrag an die Pforte abgefertigt: Er sollte die Bitte um beträchtliche Subsidien vorbringen und einen türkischen Angriff auf Neapel vorschlagen, um den Kaiser in Unteritalien zu treffen. König Ferdinand aber – und diese Einschränkung zeigt das Dilemma einer solchen Politik – sollte in Ungarn nicht beunruhigt werden, um eine Solidarisierung des ganzen Reiches mit dem Haus Habsburg zu vermeiden33. Die schriftliche Fixierung einer Allianz mit einem derartigen Ziel kam nicht in Frage. Folglich sind wir über die Einzelheiten dieser Gespräche nicht unterrichtet. Doch besteht kein Zweifel daran, dass es bei dieser Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Verständigung über gegenseitige militärische Unterstützung und darüber hinaus zu Handelsabsprachen kam34.
Der Mangel an Erfolg, mit dem die französische Politik in den Jahren seit dem Frieden von Cambrai operierte, veränderte schließlich auch die Kräfteverhältnisse in der unmittelbaren Umgebung des Königs: 1535 wurde er Montmorency, der sich immer gegen einen offenen Bruch mit dem Kaiser gestellt hatte, zum Verhängnis. Zwar war seine Linie der verdeckten Aktion ohne rechte Alternative gewesen, aber es war zunehmend deutlich geworden, dass die Hoffnung unrealistisch war, Frankreich in Italien wieder Einfluss verschaffen und vielleicht sogar Mailand zurückgewinnen zu können, ohne den Frieden mit dem Kaiser aufs Spiel zu setzen. In der Tat war diese Politik ja auch in gewisse innere Widersprüche gelaufen: Die Unversöhnlichkeit, die gerade Montmorency den französischen Protestanten gegenüber an den Tag legte, musste deren deutsche Glaubensgenossen abstoßen. Die Annäherung an den Papst konnte nach der Exkommunikation Heinrichs VIII. den langjährigen Allierten England nur beunruhigen. Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund und mit divergierenden Interessen fanden sich in ihrer Opposition zu Montmorency und seinem Kurs zusammen: Darunter waren des Königs Schwester Margarethe von Angoulême und die beiden Brüder du Bellay, die Sympathien für die Protestanten hegten, ferner der Kardinal de Tournon35, der den französischen Einfluss in Italien durch eine baldige Eroberung Mailands wiederbegründet sehen wollte, und der Admiral Chabot, der gemeinsam mit Montmorency aufgestiegen war und von Anfang an um die dominierende Stellung im Rat mit ihm rivalisiert hatte. Vielfach trat nun wohl auch ganz einfach der Wunsch zutage, sich an dem für sein bekanntermaßen herrisches und verletzendes Gebaren vielgehassten Ratgeber für vergangene Demütigungen zu rächen: Mancher habe, so schrieb der Kardinal du Bellay in seinen Erinnerungen, dem König das Wort Krieg ins Ohr geflüstert, nur um dem Herrn von Montmorency zu schaden36.
Dass die Zeichen wieder auf Krieg standen, war von manchen Beobachtern schon im Zusammenhang mit französischen Rüstungen im Frühjahr vermutet worden, doch waren diese damals noch als Sicherheitsmaßnahme angesichts kaiserlicher Vorbereitungen zur Expedition gegen den nordafrikanischen Korsaren Kaireddin Barbarossa erklärt worden37 – Montmorency hatte sich seinerzeit dafür verbürgt, dass Frankreich dem Kaiser während dieses Unternehmens nicht in den Rücken fallen werde. Im Juli 1535, nachdem seine Funktionen auf seinen Rivalen Chabot übergegangen waren, verließ er den Hof. Einige Monate noch verblieben die Dinge in trügerischer Ruhe. Als im November in Mailand der letzte Spross des von Karl V. wieder in sein Lehen eingesetzten Hauses Sforza, Herzog Francesco II., starb, ließ Franz I. unverzüglich das Ansinnen an den Kaiser herantragen, seinem zweiten Sohn Heinrich von Orléans die Investitur zu erteilen. Aus kaiserlicher Sicht war der Herzog von Orléans freilich ein denkbar ungeeigneter Kandidat, konnte er durch seine Gemahlin Katharina von Medici doch Ansprüche auf weitere italienische Herrschaften, vor allem auf Urbino, geltend machen und Frankreichs Einfluss somit fest auf der Apeninnenhalbinsel verankern. Als Zweitgeborener war er zudem nicht weit genug vom französischen Thron entfernt. Doch ließ der Kaiser durchblicken, dass er eine Belehnung von Franz’ drittem Sohn, dem Herzog von Angoulême, weniger kategorisch ausschließe38.
Eine Entscheidung hatte sich noch nicht abgezeichnet, als Frankreich im Februar 1536 die Initiative an sich riss und wieder auf eine aggressivere Linie einschwenkte. Über seine Mutter Louise von Savoyen hatte Franz I. schon zuvor gewisse Ansprüche auf Teile des Herzogtums Savoyen geltend gemacht und nahm jetzt daraus resultierende Streitigkeiten mit Herzog Karl III. zum Anlass, Savoyen und Piemont von einer französischen Armee unter Chabot besetzen zu lassen – allerdings ohne mailändisches Territorium zu verletzen. Im März erreichte Chabot die Hauptstadt Turin. Der Sinn des Manövers lag offen zutage: Im Hinblick auf Mailand konnten Savoyen und Piemont entweder als Faustpfand für weitere Verhandlungen oder als unverzichtbare militärische Operationsbasis für eine Eroberung dienen39.
Karl V., der gerade aus Nordafrika zurückgekehrt und nach einem Besuch in Neapel nach Rom weitergezogen war, blieb kaum anderes als der Versuch, Zeit zu gewinnen. So ließ er zunächst seine Bereitschaft erkennen, eine Investitur von Franz’ zweitem Sohn, des Herzogs von Orléans, in Mailand ins Auge zu fassen. Wenig später allerdings denunzierte er vor dem Papst und dem Kardinalskollegium den offensiven Charakter des französischen Vorgehens und machte deutlich, dass Voraussetzung für alle weiteren Gespräche mit Frankreich die vollständige Räumung Savoyens und Piemonts sei. Für eine eventuelle Belehnung mit Mailand kam für ihn nur der jüngste Sohn des Königs, der Herzog von Angoulême und kein anderer in Frage. Schließlich brachte Karl V. – wie schon 1528 – ein Duell zwischen ihm und dem König von Frankreich ins Gespräch, wobei Mailand oder Burgund der jeweilige Siegespreis sein sollten.
Am 24. April traf der Kaiser in Siena mit einem Emissär des französischen Königs, dem Kardinal Johann von Lothringen, zusammen, der die französische Gegenforderung überbrachte: die Investitur Franz’ I. selbst in Mailand bei tatsächlicher Herrschaftsausübung durch den Herzog von Orléans. Was das Schicksal Savoyens und Piemonts betraf, so leugnete der König jeden Zusammenhang mit der mailändischen Frage. Er bot an, seine Rechte, die allein Grund der Invasion gewesen seien, einem päpstlichen Schiedsspruch zu unterwerfen – ein durchaus geschickter Schachzug, durch den Karl V. genötigt wurde, die militärische Präsenz Frankreichs vor den Toren Mailands auf unbestimmte Zeit zu dulden oder aber als Erster zu den Waffen zu greifen. Der Kaiser entschied sich für die zweite Option und, wie schon fünfzehn Jahre zuvor, für eine Invasion der Provence aus Oberitalien heraus durch das Gros seiner Truppen, während eine zweite Armee unter Heinrich von Nassau von den Niederlanden her angreifen sollte.
Angesichts der angespannten Lage rief Franz I. Montmorency, der als erfahrenster Militär des Landes galt, an den Hof zurück. Mit einem Angriff auf die Provence rechnete man hier bereits. Montmorency setzte eine Verteidigungsstrategie um, die den Feind aller Versorgungsmöglichkeiten auf französischem Territorium berauben sollte. In weiten Teilen des Landes wurden die Felder verwüstet und die Getreidemühlen zerstört. Aix, das in so kurzer Zeit nicht befestigt werden konnte, wurde evakuiert, Marseille und auch die Städte der westlichen Provence wurden durch Garnisonen gesichert, um Nachschub aus Spanien für die kaiserlichen Truppen zu unterbinden. Montmorency selbst ging mit dem Gros der französischen Kräfte bei Avignon in Stellung40. In der Tat lief der Angriff der kaiserlichen Armee ins Leere: Ende September 1536 musste sie, da ihr der Weg nach Norden und Westen von Montmorency versperrt war, angesichts einer täglich schlechter werdenden Versorgungslage und grassierender Seuchen nach Italien zurückkehren. In Nordfrankreich hatte Nassau trotz einiger Einzelerfolge die Verteidigungslinien der Picardie nicht durchbrechen können41.
Zwei Jahre eines unentschiedenen Ringens in Nordfrankreich und im Piemont folgten, bis die Kontrahenten – nach einem provisorischen Waffenstillstand im November 1537 – am 18. Juni 1538 in Nizza unter päpstlicher Vermittlung zu der Verständigung fanden, die sie angesichts ihrer erschöpften Reserven dringend benötigten. Zwar kam es nicht zu einem formellen Friedensschluss, wie Papst Paul III. ihn zum Besten eines allgemeinen Konzils gewünscht hatte, doch wenigstens zu einem auf zehn Jahre befristeten Waffenstillstand auf der Basis des status quo ante. Frankreich blieb vorerst im Besitz des größten Teils der savoyardisch-piemontesischen Lande und auch das Schicksal Mailands war nach wie vor offen42.