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Auf dem Weg zu einer französisch-habsburgischen Entente?

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Neben dem Papst waren zwar beide Monarchen in Nizza anwesend gewesen, hatten ein persönliches Zusammentreffen jedoch strikt vermieden. Etwa einen Monat nach dem Abschluss des Waffenstillstands, am 14. Juli 1538, kam es im provenzalischen Aigues-Mortes doch noch zu einer persönlichen Begegnung – der ersten seit Franz’ Rückkehr aus der spanischen Gefangenschaft. Zum Erstaunen aller Beobachter demonstrierten der Kaiser und der König von Frankreich dabei ihren erklärten Willen, künftig in Frieden und Eintracht miteinander zu leben. Der nach wie vor für eine kaiserlich-französische Verständigung wirkende Montmorency, der im Jahr zuvor mit der seit Bourbons Flucht vakanten Würde eines Konnetabels von Frankreich ausgezeichnet worden war und im königlichen Rat die Fäden wieder fest in der Hand hielt, hatte Franz I. zu dieser Einladung an den Kaiser bewogen. Voller enthusiastischer Erwartungen auf ein besseres Verhältnis beider Monarchen schrieb er über diese Begegnung an seinen Bruder La Rochepot, dass Franz und Karl ein Bild der Eintracht abgegeben hätten, das für die Zukunft das Beste hoffen lasse43.

In Aigues-Mortes kam es freilich nur zu sehr allgemeinen Bekundungen des Willens, sich der Probleme der gesamten Christenheit gemeinsam anzunehmen. Eine weitere Demonstration guten Einvernehmens war eine Reise von Karls Schwester Maria von Ungarn, der Nachfolgerin Margarethes von Habsburg als Regentin der Niederlande, im November desselben Jahres nach Compiègne. Dort unterzeichnete sie ein Abkommen, mit dem Franz I. auf die Unterstützung niederländischer Rebellen verzichtete und Maria im Gegenzug französischen Adligen die Rückgabe ihrer während des Krieges im habsburgischen Herrschaftsbereich konfiszierten Güter garantierte44.

Französischerseits hatte von Anfang das neue Einverständnis mit dem Kaiser unter der Erwartung gestanden, dass eine Lösung der nach wie vor als zentral betrachteten mailändischen Frage auf dem Wege einer Übereinkunft möglich sei. Die auch zuvor schon erörterte Möglichkeit einer Heiratsverbindung zwischen Habsburg und Valois, bei der das Herzogtum Mailand die Mitgift sein sollte, brachten zwei französische Gesandte in Madrid, wohin Karl V. sich nach seinem Zusammentreffen mit dem französischen König begeben hatte, im Dezember erneut ins Gespräch. 1537 war allerdings der Dauphin verstorben und damit sein Bruder Heinrich, bis dahin Herzog von Orléans, an die erste Stelle der Thronfolge gerückt. Nun konnte nur noch an eine Belehnung von Franz’ I. drittem und jüngstem Sohn gedacht werden, des früheren Herzogs von Angoulême, der von Heinrich den Titel eines Herzogs von Orléans übernommen hatte. Er sollte eine Tochter oder eine Nichte des Kaisers heiraten, dessen Sohn Philipp hingegen des Königs Tochter Margarethe. Franz I. erklärte sich ferner bereit, zu England auf Distanz zu gehen und an der Seite des Kaisers an einem Kreuzzug teilzunehmen.

Die freundliche Aufnahme, die diese französischen Vorschläge am kaiserlichen Hof erfuhren, schien die Linie Montmorencys zu bestätigen. Der Konnetabel selbst sah in der Beseitigung der letzten Hindernisse für einen dauerhaften Frieden nur noch eine Frage der Zeit45. Tatsächlich kam es bald zu weiteren Demonstrationen des guten Willens von beiden Seiten: Als der in Spanien weilende Karl V. vor der Notwendigkeit stand, einer in Gent ausgebrochenen Revolte wegen selbst in die Niederlande zu ziehen, und entscheiden musste, ob er den kürzeren, aber gefährlichen Seeweg durch die Biskaya und den Ärmelkanal oder die längere Route über das Mittelmeer nach Italien und weiter über Land nehmen wollte, brachte er als dritte Option den Landweg durch Frankreich ins Gespräch. Franz I. erkannte die Gelegenheit, die neue positive Entwicklung seines Verhältnisses zum Kaiser kraftvoll zu befördern. Er lud Karl V. ein, durch Frankreich zu reisen, und so durchquerte der Kaiser vom November 1539 bis zum Januar 1540 begleitet von Franz’ Söhnen und vom Konnetabel Montmorency das Land und wurde an allen wichtigen Stationen seines Weges mit sorgsam vorbereiteten zeremoniellen Inszenierungen willkommen geheißen. In Loches erwartete ihn der König selbst, dessen labiler Gesundheitszustand eine längere Reise nicht erlaubt hatte46.

Zu den fundamentalen Bedingungen seiner Reise hatte für den Kaiser die Zusicherung gehört, unterwegs nicht Pressionen ausgesetzt zu sein, und so wurde das noch nicht endgültig geklärte Thema Mailand während seines Zuges durch Frankreich nicht berührt. Karl V. gab lediglich das Versprechen, seine Absichten in absehbarer Zeit zu konkretisieren. Nach seiner Ankunft in den Niederlanden dauerte es allerdings noch zwei Monate, bis ein kaiserlicher Gesandter am französischen Hof eintraf. Die Vorschläge, die er überbrachte, schlugen allen in Frankreich unter dem Einfluss Montmorencys gehegten Hoffnungen ins Gesicht47.Von Mailand, das für Franz I. nach wie vor das Kernproblem seines Verhältnisses zum Kaiser darstellte, war in ihnen nicht im Entferntesten die Rede. In Aussicht gestellt wurde zwar die Vermählung von Karls Tochter Maria mit dem Herzog Karl von Orléans. Das Paar sollte jedoch die Niederlande und die Freigrafschaft Burgund als Morgengabe erhalten und dies auch nur unter dem Vorbehalt kaiserlichen Obereigentums und eines Rückfallrechts an das Haus Habsburg, falls männliche Erben ausbleiben sollten. Dafür sollte Franz I. jeden Anspruch auf Mailand aufgeben, Savoyen und Piemont an seinen Herzog restituieren, die Verträge von Madrid und Cambrai bestätigen und in ein dauerhaftes Bündnis mit den Habsburgern eintreten.

Dieser Vorschlag blieb nicht nur weit hinter den Erwartungen des Königs zurück, er weckte am Hof zugleich die Befürchtung, dass sich hier erneut die Verselbstständigung einer jüngeren Linie des französischen Königshauses in einer sensiblen Grenzzone ergeben könnte und damit eine Neuauflage des burgundischen Problems, das die Krone im späten Mittelalter so sehr in Atem gehalten hatte. Dennoch war Franz’ Antwort nicht ganz ablehnend. Zwar bestand er zunächst auf Mailand, ließ jedoch die Bereitschaft zu einem Verzicht erkennen, falls er selbst die Niederlande zu freiem Eigentum erhielte. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen begrenzte er seine Forderung schließlich auf die Übertragung der vollen Herrschaftsrechte in den Niederlanden an Karl und Maria und, für den Fall von deren Rückkehr an das Haus Habsburg, den Vorbehalt eines Anspruchs auf Mailand.

Den Verzicht auf sein Obereigentum an den Niederlanden wollte der Kaiser nicht leisten und bot nun doch noch die Einsetzung des Paares im Herzogtum Mailand an – aber unter bedeutenden Einschränkungen: Karl von Orléans sollte Mailand nur als Mitgift Marias erhalten, die Vergabe hatte nach dem Lehnsrecht des Reiches zu erfolgen. Franz I. aber sollte im Gegenzug das Herzogtum Burgund an den Kaiser zurückgeben: Bedingungen, die unannehmbar waren und es auch sein sollten, stand doch im kaiserlichen Rat der Beschluss, Mailand auf keinen Fall herauszugeben, zu diesem Zeitpunkt bereits unverrückbar fest48.

Auf französischer Seite wurde trotz der bitteren Enttäuschung, die die kaiserlichen Vorschläge bedeutet hatten, weiter um einen Ausgleich gerungen. Wenigstens ein Teil des Rates war im Mai 1540 unter dem Einfluss Montmorencys noch bereit, einer Übertragung der Niederlande an Orléans und seine Gemahlin zu den Bedingungen des Kaisers zuzustimmen. Dieses Projekt scheiterte schließlich am entschiedenen Widerstand des Dauphin, der eine eigene Herrschaft für seinen jüngeren Bruder, zu dem er eine höchst angespannte Beziehung unterhielt, so nahe an den Nordostgrenzen Frankreichs nicht wünschen konnte – anders als im Fall Mailand gab es hier keinen Pufferstaat wie Savoyen-Piemont und keine natürliche Barriere wie die Alpen49. Damit waren die von französischer Seite so erwartungsvoll begonnenen Verhandlungen über einen dynastisch-territorialen Kompromiss an ihr definitives Ende gelangt. Nur wenige Monate später, im Oktober 1540, setzte Karl V. seinen Sohn Philipp in Mailand ein – und dieses Ereignis machte deutlich, dass Frankreich auf eine friedliche Rückgewinnung dieses Herzogtums nicht mehr hoffen durfte.

WBG Deutsch-Französische Geschichte Bd. III

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