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Die deutsche Fürstenopposition und die „voyage d’Allemagne“ Heinrichs II.

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Vor diesem Hintergrund erweisen sich die reichs- und deutschlandpolitischen Konzeptionen Frankreichs, wie sie im Jahr 1552 zum Tragen kommen sollten, wieder als Teil einer umfassenderen Strategie auf europäischer Ebene. Ihre Vorgeschichte reicht zurück in die Zeit der großen Niederlage des Schmalkaldischen Bundes gegen den Kaiser im Jahre 154769.

Entscheidend für Karls V. Erfolg gegen die Schmalkaldische Liga war unter anderem die Unterstützung des jungen und ehrgeizigen Moritz von Sachsen gewesen. Durch seine Parteinahme hatte dieser Spross der albertinischen Linie des Hauses Wettin das Kräfteverhältnis im Reich zugunsten des Kaisers verschoben70. Moritz hatte dies den Kurhut eingetragen und den größten Teil der Territorien seines als Kurfürsten abgesetzten und als Reichsrebellen geächteten Vetters Johann Friedrich von Sachsen. Aber er hatte sich damit den deutschen Protestanten entfremdet und ganz vom Kaiser abhängig gemacht.

In den reichspolitischen Konstellationen, in denen Karl V. nach dem Zusammenbruch der Schmalkaldener in der Schlacht bei Mühlberg konkurrenzlos dominierte, wurde Moritz zu einer Schlüsselfigur. Er hatte mehrere Gründe, nun wieder auf Distanz zum Kaiser zu gehen71. Seinem reichsfürstlichen Selbstbewusstsein konnte weder die von Karl jetzt mit großer Energie betriebene Nachfolge seines Sohnes Philipp im Reich behagen, noch durfte er sich mit der beharrlichen Weigerung des Kaisers abfinden, den 1547 gefangen gesetzten Landgrafen Philipp von Hessen freizulassen, dessen Schwiegersohn er war und für dessen Freiheit er sich verbürgt hatte. Und schließlich musste Moritz noch mit einem anderen Umstand rechnen: dem Erstarken einer neuen antikaiserlichen Fürstenpartei, wie sie sich ab 1550 im Nordosten des Reiches um den Markgrafen Hans von Küstrin tatsächlich zu formen begann, eine Partei, die sich jederzeit zugunsten des gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen auch gegen ihn wenden konnte, der in den Augen seiner Glaubensgenossen zutiefst kompromittiert war72. In der Allianz von Königsberg vom Februar 1550 hatten sich Hans von Küstrin, sein Schwiegersohn Herzog Albrecht von Preußen und Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg zusammengefunden, um ihre Religion und ihre territorialherrlichen Rechte gegen kaiserliche Übergriffe zu schützen. Im Sommer desselben Jahres stießen noch Heinrich von Mecklenburg und Franz Otto von Lüneburg hinzu. Moritz selbst hatte vor allem zwei Reichsfürsten an sich gebunden, die seine misstrauische Distanz zum Kaiser teilten: den unruhigen und kriegerischen Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach und den Landgrafen Wilhelm von Hessen, Sohn des gefangen gehaltenen Landgrafen Philipp.

Beide Gruppierungen standen sich, trotz ihrer gemeinsamen Gegnerschaft zu Karl V., abwartend gegenüber und suchten unabhängig voneinander im Ausland, vor allem aber in Frankreich, nach Unterstützung. Dort versuchte man zunächst, der Uneinigkeit dieser keimenden deutschen Fürstenopposition ein Ende zu setzen. Erst als im Vertrag von Torgau im Mai 1551 ihre beiden Flügel sich auf ein gemeinsames Ziel – die Befreiung der noch immer gefangen gehaltenen Fürsten Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen – und auf ein gemeinsames Vorgehen einigten, sandte man aus Paris Jean de Fresse, den Bischof von Bayonne, zum raschen Abschluss einer Allianz nach Deutschland73. Die Verhandlungen nahmen Ende September 1551 ihren Anfang. Bald stellten erneute Zwistigkeiten im deutschen Lager den erfolgreichen Abschluss jedoch in Frage. Hans von Küstrin verließ am 3. Oktober das Lager von Torgau, aus der ursprünglich von ihm angeführten Gruppierung verblieb nur noch der Herzog von Mecklenburg an der Seite Moritz’ von Sachsen. Mit der in Torgau verbliebenen Rumpfpartei gelangte Fresse mehr schlecht als recht zu einer vorläufigen Übereinkunft über ein gemeinsames Vorgehen gegen den Kaiser, die allerdings noch ausklammerte, welche Subsidien die deutschen Verbündeten vom französischen König erhalten sollten. Der endgültige Abschluss der Allianz sollte nun dem Markgrafen Albrecht Alkibiades obliegen, der sich zum König von Frankreich zu begeben hatte, um sich mit diesem direkt über die Höhe der französischen Subsidien zu verständigen. Es bedurfte noch dreier Monate, bis der Allianzvertrag unterschriftsreif war: Am 15. Januar 1552 wurde er von Heinrich II. in Chambord schließlich ratifiziert.

Der Vertrag stand unter der Fiktion, dass die deutschen Fürsten für das Reich insgesamt handelten: Er sah eine gemeinsame Aktion der Verbündeten zur Befreiung der gefangen gehaltenen Fürsten vor, war darüber hinaus aber auch eine Vereinbarung zur Bekämpfung der habsburgischen Tyrannei und des Jochs, welches der Kaiser dem Reich auferlegt habe. Aus diesem Grund sollte die Allianz, an der der König von Frankreich als „Schutzherr“ des Reiches teilnahm, allen deutschen Fürsten offen stehen. Der König versprach, sich mit Subsidien in Höhe von 240.000 écus für die ersten drei Monate des Feldzugs und 70.000 écus für jeden weiteren Monat an der Finanzierung des Unternehmens zu beteiligen. Was die militärische Ebene betraf, so sollte er einen Entlastungsangriff gegen die Niederlande ausführen und eventuell die Verbindung mit den Truppen der deutschen Verbündeten suchen. Daneben sollte er in seiner Eigenschaft als protecteur des libertés germaniques die Reichsstädte Metz, Toul und Verdun sowie andere Städte des Reiches, die französischer Sprache seien, in seine Gewalt bringen und als Reichsvikar behalten. Im Gegenzug verpflichteten die deutschen Verbündeten sich, den Interessen des Königs wo immer möglich entgegenzukommen und bei der nächsten Kaiserwahl eine ihm genehme oder, falls er es wünsche, seine eigene Kandidatur zu fördern.

Mitte Februar 1552 kam es im hessischen Jagdschloss Friedewald noch einmal zu einer Zusammenkunft zwischen dem Bischof von Bayonne und den deutschen Verbündeten der Krone, die spannungsreich verlief74. Die deutschen Fürsten waren mit der Höhe der französischen Subsidien unzufrieden; ihnen missfiel ferner eine Garantie für die Unversehrtheit kirchlichen Besitzes, die der König von Frankreich zugunsten der geistlichen Stände und zur Beruhigung der Altgläubigen abgegeben hatte. Reibungen gab es auch wegen der Stellung und Rolle des Königs innerhalb des Bundes, denn Heinrich II. suchte durchaus, die Stellung eines „Schutzherrn“ der Reichsstände im Sinne eines staatsrechtlichen Hierarchieverhältnisses zu interpretieren.

Schwierig gestaltete sich auch die Verständigung über den Angriffsplan. Fresse versuchte, die deutschen Fürsten zu überreden, sich mit der königlichen Armee, die zum Rhein ziehen sollte, zu vereinigen anstatt den Kaiser zu verfolgen, erntete damit aber Ablehnung.

Ende März begannen die militärischen Operationen. Die Truppen der deutschen Fürsten hatten sich um Schweinfurt versammelt, von wo aus sie sich am 27. März in Marsch setzten. Von den unterwegs hinzustoßenden Kontingenten Albrecht Alkibiades’ verstärkt, zogen sie gegen Augsburg, das sich ihnen am 4. April öffnete, und weiter gegen Ulm.

Die französischen Truppen hatten sich am 31. März vollständig um Joinville versammelt. Am übernächsten Tag, dem 2. April, brach der Connétable Montmorency mit einer Vorhut auf, um Metz zu besetzen. Auf dem Weg dorthin wurde am 5. April Toul eingenommen und am 10. April war Metz erreicht, wo Heinrich II. am 18. April seinen feierlichen Einzug hielt.

Von Metz zog die königliche Armee über die Vogesen weiter in Richtung auf Straßburg. Gegen den 3. Mai hatte sie sich in voller Stärke in der unmittelbaren Nähe der Stadt bei Zabern versammelt. Schon schien Straßburg selbst gefährdet, als die Entwicklung der allgemeinen Lage den Dingen eine andere Richtung gab. In Deutschland hatte Moritz von Sachsen unmittelbar nach den ersten Erfolgen gegen den Kaiser Kontakte zu dessen Bruder, König Ferdinand, gesucht und aus eigener Initiative Verhandlungen eingeleitet. Es zeichnete sich ebenfalls rasch ab, dass die Hoffnung getrogen hatte, die deutschen Stände würden nach den ersten Niederlagen des Kaisers in ihrer Gesamtheit Frankreich zufallen. Die vier rheinischen Kurfürsten, die von Heinrich besonders umworben wurden, blieben neutral und boten dem König von Frankreich lediglich an, vermittelnd tätig zu werden.

Dies alles bedeutete das vollständige Scheitern der französischen Pläne: Es wurde offenbar, dass die deutsche Fürstenopposition unter Moritz von Sachsen Frankreich kühl kalkulierend benutzt hatte und dass die Reichsstände nicht willens waren, eine quasi kaiserliche Funktion des Königs als „Schützer“ zu akzeptieren. Heinrich II. brach das Unternehmen Mitte Mai ab. In einem letzten Versuch das Gesicht zu wahren, begründete er die Rückkehr nach Frankreich damit, dass der Beginn der Verhandlungen zwischen Moritz und Ferdinand der habsburgischen Tyrannei in Deutschland nun ein Ende setzen werde, was seinen weiteren Verbleib an der Grenze zum Reich nicht mehr notwendig erscheinen lasse75.

Einzig greifbares Ergebnis dieses als „voyage d’Allemagne“ in der Historiographie bekannt gewordenen Unternehmens Heinrichs II. war die Kontrolle über die Städte Metz, Toul und Verdun, die nicht mehr geräumt wurden – aber eben dies verschaffte Frankreich einen unter strategischen Gesichtspunkten unschätzbaren Brückenkopf an seiner östlichen Grenze.

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