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Allein unter Frauen
ОглавлениеUnfreiwillige nächtliche Gesellschaft hatte ich selbst sogar schon vor dem Studium, allerdings von deutlich angenehmerer Natur. Es geschah auf meiner ersten Auslandsreise gleich nach dem bestandenen Abitur. Mein Reiseziel war Südwest-England, genauer gesagt das ausgesprochen charmante Seebad „Weston-Super-Mare“ an der schönen Severn-Mündung nahe Bristol. Dort, wo meine elf Jahre ältere Schwester nach ihrer Heirat mit Robert Stark, einem waschechten Engländer, ihre neue Heimat gefunden hatte.
Die Reise fand zu einer Zeit statt, als Großbritannien noch das absolute Mekka der Popmusik war, für junge Leute wie mich also ein absolut hippes Reiseziel. Mein unfreiwilliges Abenteuer im Bett ereignete sich aber schon auf dem Weg dorthin an Bord der Autofähre „Prinz Hamlet“. Dieses seinerzeit hochmoderne Fährschiff pendelte mehrmals wöchentlich zwischen Bremerhaven und der südost-englischen Hafenstadt Harwich hin und her und wurde von einer schwedischen Reederei betrieben. Die ganze Überfahrt von Deutschland nach England dauerte etwa einen halben Tag und die ganze, darauf folgende Nacht.
Als armer Schulabgänger hatte ich natürlich die billigste von allen möglichen Schiffspassagen gebucht und fand mich so in einer extrem kleinen, fensterlosen Innenkabine wieder. Es gab noch nicht einmal eine Nasszelle, sondern nur ein Waschbecken und zwei Etagen-Doppelbetten. Meine Mitbewohner waren alles Frauen.
Das war für mich in keiner Weise ein Grund zur Besorgnis, denn erstens war ich noch vollkommen grün hinter den Ohren und zweitens hatte ich mir zuhause mein Zimmer immer mit meiner älteren Schwester teilen müssen, bevor sie mich schnöde verließ und ohne mich in die große, weite Welt ging.
Die beiden jüngeren, in meinen Augen gar nicht so unflotten England-Touristinnen, mit denen ich die kleine Mehrbett-Kabine teilen durfte, fanden die ganze Angelegenheit auch einigermaßen lustig. Nur die dritte, etwas ältere Einzelreisende in unserer gemeinsamen Schlafstatt war absolut „not amused“. Ziemlich genervt sprach sie mich an: Da wäre doch bestimmt eine Verwechslung passiert, ich solle bitte sofort zur Rezeption gehen, um die Fehlbelegung zu korrigieren! Sie sagte das in einen ziemlich unfreundlichen, für mich einigermaßen ungewohnten Befehlston.
Irgendwie verstand ich die ganze Aufregung nicht. Wieso sollte ich eine Fehlbelegung sein? Auf die naheliegende Idee, dass die schwedische Schiffsbesatzung, die wohl eher Englisch als Deutsch verstand, meinen Vornamen irrtümlicherweise für weiblich gehalten und mich nur deshalb (versehentlich!) in diese Frauenkabine gesteckt haben könnte, kam ich nicht.
Da man in dieser kleinen Kabine sowieso nichts anderes anstellen konnte, hatte ich mich schon halb ausgezogen und ins warme Bett gekuschelt. Obwohl oder gerade weil ich so unfreundlich angeraunzt wurde, verspürte ich überhaupt keine Lust, noch einmal aufzustehen und nach draußen auf die ungemütlichen und feucht-kalten Schiffskorridore zu gehen: Wenn die gute Frau ein Problem mir hatte, warum ging sie dann nicht selber zur Rezeption?
Irgendwie musste sie meine Gedanken erraten haben, denn sie verschwand für längere Zeit aus unserer Mehrbettkabine. Wahrscheinlich hatte sie die Hoffnung, dass ich nicht mehr da sein würde, wenn sie zurückkam.
Ich war aber tatsächlich noch da, als sie zurückkam, wurde wieder wach und wunderte mich sehr, warum die gute Frau sich bei halboffener Tür im Dunkeln aus- und umzog. Auch aus ihrer Sicht gesehen kamen mir ihre gymnastischen Übungen fast ganz ohne Licht doch ziemlich unbequem vor. Schließlich gab es in unserem Zimmer eine durchaus einwandfrei funktionierende, ausreichend helle Deckenbeleuchtung.
Wieder kam ich nicht auf die Idee, dass ich der Grund für das heimliche Gemunkel im Dunkeln sein könnte. Dabei lag ich ganz tief im untersten Etagenbett und hatte deshalb natürlich einen ausgesprochen exquisiten Ausblick auf alles, was um mich herum und über mir passierte.
Wenn die arme Frau, die meinte, sich im Dunkel umziehen zu müssen, nur gewusst hätte! Ich war an dem, was sie da vor meinem Bett für Verrenkungen anstellte, herzlich wenig interessiert. Nach der anstrengenden und umständlichen Bahnreise von meiner Heimatstadt „Heide in Holstein“ über Hamburg und Cuxhaven nach Bremerhaven wollte ich mich eigentlich nur ausschlafen. Ihr unter den BH oder gar unter das knappe Höschen zu schauen, war für den Moment absolut ohne jedes Interesse für mich. Denn gut und geschmackvoll angezogene Frauen habe ich Zeit meines Lebens immer für deutlich attraktiver gehalten als die nackten, langweilig zart-rosanen Tatsachen. Und, wie schon erwähnt, ich war damals in jeder Hinsicht noch Jungfrau und deshalb absolut rein im Geiste.
Irgendwann war das Gehampel vor meinem Bett endlich vorbei, und in der kleinen Kabine leuchtete nur noch die Notbeleuchtung. Nach einer kurzen Nacht sah ich meine Widersacherin am anderen Morgen nur noch von hinten: Ihre Sachen packen und raus aus der Kabine waren eins.
Mir konnte es egal sein, denn die anderen beiden Mädels hatten mich dafür umso mehr in ihr Herz geschlossen und begleiteten mich in der Bahn noch bis London, wo sich unsere Wege dann leider für immer voneinander trennten.