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Endstation Rumpelkammer

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Ich weiß nicht mehr, ob es tatsächlich Rosslare oder nur eines der vielen namenlosen Dörfer war, die weit verstreut in der menschenleeren irischen Landschaft lagen, jedenfalls trafen wir nach kurzer Zeit auf eine größere Ansammlung gemauerter Behausungen, in der die Straßen nicht nur von Hunden, sondern auch von dem einen oder anderen Exemplar der Gattung Mensch bevölkert waren. Überraschend schnell fanden wir ein Haus mit einem einigermaßen anheimelnden Aussehen, in dessen Vorgarten neben einem hellblau gestrichenen Gartenzaun und ein paar Blumen das ersehnte Schild mit der Aufschrift „Bed and Breakfast“ stand.

Marion klopfte an die Haustür, und ohne jede Verzögerung wurde uns aufgetan. Anscheinend waren wir aus dem Haus schon einige Zeit neugierig beäugt worden. Das erste, was uns aus dem halbdunklen Hausinneren sofort ins Auge sprang, war ein großes Kruzifix, das direkt über dem Treppenaufgang hing. Da nicht anzunehmen war, dass man sich hier vor Vampiren fürchtete, war klar: Jetzt sind wir im erzkatholischen Herzen Irlands angekommen!

Die Hausherrin persönlich hatte uns die Tür geöffnet, also überließ ich Marion das Reden. Mit dem Ergebnis, dass wir nach einer kurzer Abstimmung über die Zimmermiete und die Frühstückszeit unser Zimmer beziehen konnten.

Das Zimmer, das uns als Schlafstelle für unsere erste Übernachtung in Irland zugedacht war, war selbst für unseren jugendlichen, von allzu hohen Erwartungen wenig getrübten Geschmack doch etwas zu klein und zu spartanisch eingerichtet. Zwar gab es ein Waschbecken, einen Schrank, einen kleinen Tisch und auch ein Bett, aber genau dieses Bett war das Problem, für Marion ebenso wie für mich: Doppelbett wäre geschmeichelt gewesen, das Bett hatte noch nicht einmal Queen-Size-Maße. Eigentlich war es nur ein Bett für eine einzige, mäßig große Person. Und für diese eine Person gab es auch nur eine einzige Bettdecke.

Marion schoss sofort wieder aus dem Zimmer, um das vermeintliche Missverständnis aufzuklären – vergeblich: Anscheinend überstieg es vollkommen den geistigen Horizont unserer katholisch-frommen Hauswirtin, dass ein Mann und eine Frau, die gemeinsam eine Reise taten, nicht in ein- und demselben Bett schlafen wollten. Meine leicht panisch werdende Bekannte versuchte daraufhin, der guten Frau in ihrem gebrochenem Schul-Englisch verständlich zu machen, dass wir genau das nicht waren, nämlich keineswegs Mann und Frau. Und zwar weder verheiratet, noch verlobt, ja noch nicht einmal eng befreundet. Bloße Reisegenossen also.

Allerdings hätte Marion unserer armen Gastgeberin genauso gut erzählen können, im Hof hinter ihrem Haus wären Außerirdische gelandet. Als fromme Irin verweigerte sich unsere Wirtin stocksteif der Annahme, ein Mann und eine Frau im heiratsfähigen Alter könnten gemeinsam unterwegs sein, ohne nicht wenigstens kirchlich getraut zu sein. Gut möglich, dass sie in unserem Auto noch eine mehrköpfige Kinderschar vermutete, die wir dort versteckt hatten, um sie im Schutze der anbrechenden Nacht heimlich ins Haus zu lassen. Dass wir nur deshalb um ein zweites Zimmer baten, um mit diesem Trick das Geld für die Übernachtung unserer Kinder zu sparen. Kurz und gut, es gab kein zweites Zimmer und kein zweites Bett. Und eine zweite Bettdecke gab es auch nicht.

So hatte die arme Marion schon gleich zu Beginn unserer zweiwöchigen Irland-Rundreise in der ersten Herbergsmutter ihren Meister gefunden und bekam deshalb während dieser ersten gemeinsamen Nacht am Ziel unserer gemeinsamen Abenteuerreise kein Auge zu. Ruhelos wälzte sie sich, meistens allein unter der schmalen Bettdecke liegend, ihren eigenen, vom (Angst-)Schweiß nassen Rücken gegen meinen ebenfalls leicht feuchten, weil ebenfalls schwitzenden Rücken gepresst, die ganze Nacht von einer auf die andere Seite hin- und her. Ich hingegen schlief wenigstens ab und zu den Schlaf totaler Erschöpfung. Und zwar immer dann, wenn ich den die ganze Nacht andauernden Kampf um die schmale Bettdecke, die in etwa die Ausmaße eines in der Wäsche eingelaufenen Badehandtuchs hatte, für ein paar Minuten für mich entscheiden konnte.

Am anderen Morgen saß ich einigermaßen ausgeschlafen am Frühstückstisch und wunderte mich nicht das erste und auch nicht das letzte Mal in meinem Leben, wie Frauen aus einem bei Lichte besehen absolut nichtigen Anlass tatsächlich den Saft für einen ganzen Tag schlechte Laune ziehen können. Vollkommen zu Unrecht musste ich in unserem nächsten Quartier irgendwo in einer anderen trostlos öden Pampa zwischen Rosslare und Cork die Nacht wortwörtlich in einer Rumpelkammer schlafen, damit Marion ihr eigenes Zimmer hatte, das sie ganz für sich allein beziehen konnte.

Nun, ich habe auch diese zwiespältige Erfahrung bei einigermaßen guter körperlicher und seelischer Gesundheit überlebt, obwohl mitten in der Nacht die unverschlossene Haustür synchron mit meiner eigenen Kammertür aufsprang und eine eiskalte Windböe mit lautem Geheul zur Tür herein und durch den offenen Kamin meiner kleinen Kammer wieder hinaus zog. Zähneklappernd saß ich senkrecht im Bett und brauchte danach einigermaßen lange, um wieder zurück in einen halbwegs ruhigen Schlaf zu finden.

Aber wie heißt es doch so schön: Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort! Aber warum nun ausgerechtet ich die alleinige Schuld an unserer ersten, schlaflosen Nacht auf der Insel zugewiesen bekam und dafür büßen musste, darüber bin ich mir bis heute immer noch nicht wirklich im Klaren!

Wir haben alle mal klein angefangen

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