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Die fröhliche Tramperin
ОглавлениеDie Reise durch die irische Republik war in jeder Hinsicht ein Abenteuer: Jedes Quartier war anders – ein Dachzimmer war so niedrig, dass ich beim Auszug mit meinem Kopf einfach die Lampe von der Decke fegte. Der Wirt lachte nur. Überhaupt waren die Iren ein fröhliches Volk: Erlaubt war, was gefällt. „Halbe Pizza mit Pommes Frites” war das Top-Angebot einer irischen Gaststätte. Mir drehte sich schon beim Anblick dieses handgeschriebenen Reklameschildes im Fenster des Gasthauses der Magen um.
Den Gipfel der Fröhlichkeit erlebten wir dann wenige Tage später, als wir eine hutzlige Alte, ganz in Schwarz gekleidet, am Straßenrand stehen sahen, den Arm heraus und den Daumen in die Höhe gestreckt. Facebook war damals noch nicht erfunden, also war das kein Like-it-Zeichen, sondern nur der zarte Hinweis, dass diese alte Dame als Tramperin von freundlichen Autofahrern mitgenommen werden wollte.
Natürlich ließen wir uns diese günstige Gelegenheit, mit der lokalen Bevölkerung intensiver ins Gespräch zu kommen, nicht entgehen. Marion trat auf die Bremse, und ich hielt der guten Frau galant die Tür auf. Sie stieg auch ohne einen Moment zu zögern bereitwilligst zu uns ins Auto. Sicher hatte sie noch nie einen dieser heute so beliebten Splatterfilme gesehen, in denen mordlustige junge Pärchen reihenweise einsame und ahnungslose Tramperinnen dahinmeucheln. Andererseits war unsere neue Beifahrerin auch schon in einem Alter, wo das lustvolle Meucheln selbst für den abgebrühtesten Gewohnheitsmörder etwas an Reiz verliert.
Sei dem, wie es war, ich drehte meinen Kopf nach hinten in Richtung Rücksitzbank, wo unsere neue, einheimische Bekanntschaft saß und uns beide mit großem Interesse beäugte. Was es denn so für neue Nachrichten gäbe, fragte ich jovial und erwartete den üblichen Klatsch und Tratsch über Hochzeiten in der Nachbarschaft oder vielleicht die überraschende Auflösung eines äußerst mysteriösen Falles wiederholten Milchkannen-Diebstahls in dem County, durch das wir gerade fuhren.
Doch ihre fröhliche Antwort, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde, lautete nur kurz und knapp:
„Today, they’ve blown the British ambassador to pieces!“ (Flöt, flöt…)
Ich glaubte, mich verhört zu haben, weil ihr diese unglaubliche Schreckensnachricht so blümchenartig unaufgeregt über die Lippen gekommen war:
„Sagten Sie gerade, die britische Botschaft sei in die Luft gesprengt worden?“, fragte ich ungläubig zurück.
„Nein, nein, den britischen Botschafter haben sie in die Luft gesprengt!“
Ihre gute Laune, mit der sie diese grandiose Neuigkeit gelassen aussprach, ließ sich kaum noch steigern.
Reich bebilderte Zeitungsberichte bestätigten gleich am anderen Tag die grausame Tat: Vom Botschafter, seinem Fahrer und dem großzügigst dimensionierten Diplomatengefährt (ein gepanzerter Bentley) waren nur noch ein vollkommen zertrümmertes Autowrack und ein großes und über einen Meter tiefes Loch in einer der unzähligen namen- und gesichtslosen irischen Landstraßen übrig.
Ob unsere Hutzelalte in Wirklichkeit ein verkleideter irischer Terrorist war, der sich von uns an den Ort seiner nächsten Schandtat fahren ließ? Nein, diese Annahme wäre dem Augenschein nach vollkommen abwegig gewesen: Sie sah mir eher nach einer ebenso frommen Kirchgängerin aus wie unsere erste irische Hausmutter mit dem unbequemen Einbettzimmer.
Es war wohl eher so, dass es all die frommen und grundehrlichen Einwohner der Republik Irland damals vollkommen okay fanden, ab und zu mal einen britischen Botschafter in die Luft zu sprengen. Und weil die Iren halbe Sachen verabscheuen, war später in Dublin – der Endstation unserer irischen Rundreise – die Straße mit der britischen Botschaft gesperrt, weil sie nach dem Botschafter auch gleich seinen Amtssitz ebenfalls mit einer ordentlichen Prise scharfen Sprengstoffs bedacht hatten.
Nur: Warum hassen die Iren die Engländer bloß so innig und abgrundtief? Umgekehrt ist es doch überhaupt nicht so! Ich glaube, der Hauptgrund ist die englische Polizeistunde: Im Pub schon nachts um Elf mit dem Trinken aufhören zu müssen, das bringt auch den friedliebendsten Iren irgendwann einmal auf die Palme. In der Provinzstadt Sligo erhoben sich alle Iren im Pub nach der „Last Order“ (der letzten Bestellung des Abends) wie ein Mann und schmetterten aus voller Brust und Überzeugung mit hoch erhobenen Biergläsern: „Off to Dublin in the Green!“ („Auf nach Dublin in den Kampf!“ )
Danach ging der Wirt zur Tür, schloss zu, damit kein Engländer mehr herein konnte, und wir alle feierten fröhlich weiter bis zum Morgengrauen...