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Die Befestigung der Nazi-Macht.

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Wir wollen nun untersuchen, wie die Verschwörer, Schritt für Schritt und unter scheußlichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit ihre Macht im Staate ausbauten; um Deutschland für den Angriffskrieg bereit zu machen, der nicht zu umgehen war, wollten sie ihre Ziele erreichen.

Die Deutschen der zwanziger Jahre waren ein durch Niederlage und Zerfall ihrer überlieferten politischen Anschauungen enttäuschtes und verwirrtes Volk. Die demokratischen Teile dieses Volkes, die an der Entwicklung des neuerrichteten und schwächlichen Staatsgebildes der Weimarer Republik arbeiteten, wurden von den demokratischen Kräften der übrigen Welt, einschließlich meines eigenen Landes, nur unzureichend unterstützt. Man kann nicht leugnen, daß Deutschland, als eine allgemeine Krise in der Welt seine Schwierigkeiten noch vermehrte, sich in seinem wirtschaftlichen und politischen Leben einem so starken und verworrenen Druck ausgesetzt sah, daß kühne Maßnahmen notwendig waren.

Nun ist es gewiß jedem Volk freigestellt, seine inneren Fragen nach eigenem Ermessen zu lösen. Das Programm der Nazis war aber sofort als ein Verzweiflungsruf zu erkennen, bestimmt für ein Volk, das noch unter den Wirkungen eines verlorenen Krieges litt. Die Ziele der von den Nazis verkündeten Politik waren offensichtlich in Europa nur erreichbar, wenn der Krieg von neuem ausbrach und erfolgreicher endete. Denn die Antwort der Verschwörer auf die deutschen Fragen war der Plan, die im ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete zurückzugewinnen und andere fruchtbare Landstriche Mitteleuropas durch Enteignung oder Ausrottung ihrer Einwohner zu erwerben. Sie erwogen auch, alle anderen Nachbarvölker zu vernichten oder dauernd zu schwächen, um die eigentliche Herrschaft über Europa und wahrscheinlich die Welt zu erlangen. Die genauen Grenzen ihres Ehrgeizes brauchen wir nicht zu umschreiben, denn ein Angriffskrieg war und ist gegen Vertrag und Gesetz; gleichgültig ob es um einen großen oder einen kleinen Einsatz geht.

Es gab nun damals zwei Regierungen in Deutschland, – die wirkliche und die scheinbare. Die Formen der deutschen Republik wurden eine Zeitlang aufrechterhalten; sie war die nach außen sichtbare Regierung. Aber die wirkliche Macht im Staate war außer und über dem Gesetz, sie ruhte im Führerkorps der Nazi-Partei.

Am 27. Februar 1933, kaum einen Monat nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, wurde das Reichstagsgebäude in Brand gesetzt. Daß dieses Symbol einer freien parlamentarischen Regierung in Flammen stand, kam den Nazis sehr gelegen, so daß man glaubte, sie hätten das Feuer selbst gelegt. Wenn wir die Liste ihrer Verbrechen, die bekannt geworden sind, überdenken, können wir gewiß nicht annehmen, daß sie vor einfacher Brandstiftung zurückschrecken würden. Es ist jedoch nicht notwendig, die Streitfrage zu entscheiden, wer das Feuer angelegt habe. Wichtig ist allein, wer Nutzen aus dem Brande gezogen und welche Wirkung dieser Brand in der öffentlichen Meinung hervorgerufen hat. Die Nazis beschuldigten sofort die Kommunistische Partei, das Verbrechen angestiftet und ausgeführt zu haben, und waren sehr eifrig darauf bedacht, diese vereinzelte Brandstiftung als den Beginn einer kommunistischen Revolution auszugeben. Sie nutzten die entfachte Bestürzung aus und begegneten der angeblichen Revolution mit einer wirklichen. Das Reichsgericht hat zwar in dem darauf folgenden Dezember mit Mut und Unabhängigkeit, wie anerkannt werden muß, die angeklagten Kommunisten freigesprochen, aber die verhängnisvolle Entwicklung der Dinge, die die Nazi-Verschwörer so stürmisch vorangetrieben hatte, ließ sich nicht mehr ändern.

Am Morgen nach dem Reichstagsbrand erhielt Hitler von dem alten und kränkelnden Reichspräsidenten von Hindenburg die Unterschrift zu einer Verordnung, die weitgehende Rechte persönlicher Freiheit, wie sie in der Weimarer Verfassung enthalten waren, außer Kraft setzte.

Die Verordnung sah vor: die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief–, Post–, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen, sowie Beschränkungen des Eigentums, auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig (1390-PS).

Das Ausmaß der Beschränkung der persönlichen Freiheit nach der Verordnung vom 28. Februar 1933 kann man am besten verstehen, wenn man sich die Rechte nach der Weimarer Verfassung, die aufgehoben worden waren, vergegenwärtigt:

„Artikel 114. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig.

Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am darauffolgenden Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist; unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen ihre Freiheitsentziehung vorzubringen.

Artikel 115. Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich. Ausnahmen sind nur auf Grund von Gesetzen zulässig.

Artikel 117. Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch Reichsgesetz zugelassen werden. Artikel 118. Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht.

Artikel 123. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Versammlungen unter freiem Himmel können durch Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.

Artikel 124. Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Dies Recht kann nicht durch Vorbeugungsmaßregeln beschränkt werden. Für religiöse Vereine und Gesellschaften gelten dieselben Bestimmungen. Der Erwerb der Rechtsfähigkeit steht jedem Verein gemäß den Vorschriften des bürgerlichen Rechts frei. Er darf einem Verein nicht aus dem Grunde versagt werden, daß er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt.

Artikel 153. Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen.

Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offenzuhalten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen.

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ (2050-PS).

Man muß allerdings aus Billigkeit gegenüber Hindenburg hinzufügen, daß die Verfassung selbst ihn ermächtigte, diese Grundrechte vorübergehend außer Kraft zu setzen, „wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird“. Es muß auch zugegeben werden, daß Reichspräsident Ebert bereits früher dieses Recht ausgeübt hatte.

Der nationalsozialistische Staatsstreich wurde aber dadurch möglich, daß sich die Bestimmungen der von Hitler und Hindenburg erlassenen Verordnung von allen früheren Verordnungen ähnlicher Art unterschieden. Wenn Ebert die Bestimmungen der Verfassung über die Rechte des Einzelnen außer Kraft gesetzt hatte, war in seiner Verordnung ausdrücklich ein Schutzhaftgesetz, das der Reichstag während des vorigen Krieges im Jahre 1916 angenommen hatte, wieder für gültig erklärt worden. Dieses Gesetz bestimmte Vorführung vor den Richter innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach der Verhaftung, gab das Recht auf einen Verteidiger und auf Einsicht in die Akten, gestand die Berufung zu und sah bei ungerechtfertigter Verhaftung einen Entschädigungsanspruch aus der Staatskasse vor.

Die von Hitler und Hindenburg erlassene Verordnung vom 28. Februar 1933 enthielt solche Sicherungen nicht. Daß sie fortgelassen waren, mag Hindenburg nicht bemerkt haben; bestimmt hat er die Folgen nicht vorausgesehen. Die Nazi-Polizei und die Parteigliederungen, die ja bereits unter Hitler bestanden und gearbeitet hatten, waren nun nach der Herausgabe dieser Verordnung völlig ungehemmt und nicht gebunden an irgendwelche Verantwortlichkeit. Jemanden im geheimen verhaften und auf unbestimmte Zeit festhalten zu können, ohne Anklage, ohne Beweismaterial, ohne Verhör und ohne Rechtsbeistand, hieß, jeden einer unmenschlichen Bestrafung auszusetzen, der der Nazi-Polizei verdächtig oder mißliebig war. Kein Gericht konnte dagegen Einspruch erheben oder die Entlassung aus der Haft verfügen oder Einsicht in die Akten zur Nachprüfung verlangen. Das deutsche Volk war in den Händen der Polizei, die Polizei in den Händen der Nazi-Partei und die Partei in den Händen einer Gruppe von Übeltätern, als deren überlebende und maßgebende Führer die Angeklagten hier vor Ihnen sind.

Die Nazi-Verschwörung wollte, wie wir zeigen werden, nicht nur den Widerstand ihrer Gegner überwinden; sie war vielmehr stets darauf aus, die Kräfte zu vernichten, die mit ihrer Staatslehre nicht versöhnt werden konnten. Sie wollte nicht nur die sogenannte „Neue Ordnung“ errichten, sondern auch ihre Macht, wie Hitler voraussagte, „auf tausend Jahre“ sichern.

Die Nazis waren sich nun niemals im Zweifel oder uneinig darüber, wer diese Widerstrebenden seien. Einer der ihren, Generaloberst von Fritsch, umschrieb sie am 11. Dezember 1938 in knapper Zusammenfassung mit folgenden Worten – und ich hebe sie nachdrücklich hervor, weil sie den Vernichtungsplan des Nazi-Programms so deutlich identifizieren–:

„Kurz nach dem Weltkrieg kam ich zu dem Schluß, daß wir in drei Schlachten siegen müßten, wenn Deutschland wieder mächtig werden sollte: erstens im Kampf gegen die Arbeiterschaft – Hitler hat diesen Kampf gewonnen, zweitens gegen die katholische Kirche, vielleicht besser gesagt: gegen den Ultramontanismus, und drittens gegen die Juden“ (1947-PS).

Der Kampf gegen diese Gruppen wurde nie unterbrochen. Er wurde aber im Innern nur als ein Übungsgefecht geführt zur Vorbereitung des Feldzuges gegen die gleichen Kräfte in der ganzen Welt. Wohl lassen sich geographisch und zeitlich die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammenfassen und unterscheiden: einmal innerhalb Deutschlands vor und im Kriege, und zum anderen in den besetzten Gebieten während des Krieges. In den Plänen der Nazis aber waren sie nicht voneinander getrennt. Sie gehören zu dem einheitlichen und fortlaufend betriebenen Plan, Völker und Einrichtungen auszurotten, von denen einmal der Sturz ihrer „neuen Weltordnung“ ausgehen könnte.

Wir betrachten daher in unseren Darlegungen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Ausdruck eines einheitlichen Planes der Nazis und halten uns bei ihrer Untersuchung im einzelnen an die Einteilung des Generalobersten v. Fritsch:

Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46

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