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Das politische System

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Der Ausbruch der Corona-Seuche im Jahr 2020 hat vielfach zu der Erfahrung geführt, dass zur Begegnung der überraschenden und unbekannten Bedrohung aller nicht beratende Vernunft, sondern das Lebensgefühl politisch das Heft in die Hand genommen und die Führung übernommen hat. Es war das Lebensgefühl Einzelner, wie in Großbritannien, den USA und in Brasilien oder das Lebensgefühl einer Nation, wie in Schweden. In Deutschland hat sich die mit Wissenschaft vertraute politische Führung an die Wissenschaft gewandt, an die führenden Virologen und Epidemiologen. Die Aufklärung mit ihrer Übertreibung des Vernunftvermögens, die in Kants These von der moralisch gesetzgebenden Vernunft gipfelt, hat sie in Verruf gebracht, für die Praxis tauglich zu sein. Die reine Vernunft, die es im Haushalt menschlicher Lebenskräfte unmöglich gibt, ist erdacht für Bewohner eines Reiches reiner Geister, nicht aber für lebendige Gesellschaften. Das wusste Aristoteles noch besser, dass für praktische Belange die Vernunft tauglich ist, die berät, nicht befiehlt, die Vernunft, die mit Klugheit und Besonnenheit gepaart ist. Wer sie einbringt, wird auch von Empfindungen geleitet sein, die für Kant der Vernunft nicht nur fremd, sondern ihr Gegensatz sind. Hat jemand bei einer Handlung etwas empfunden, dann kann es sich laut Kant unmöglich um eine vernünftige Handlung gehandelt haben, weil sie nicht rein vernünftig war. Das ist kein philosophischer Exkurs, sondern gehört unmittelbar zur Sache: Der Politiker, der sich in seinem Handeln durch Vernunft beraten lässt, ist kein kalter, für menschliches Ergehen unempfindlicher Mensch. Er ist nur einer, der sich von Emotionen nicht überwältigen lässt, seien es philanthropisch oder national gestimmte. Nur empfindsame Menschen sind zu einem politischen Handeln fähig, das vernunftberaten das für Menschen Zuträgliche im Sinn hat.

In Corona-Zeiten verbindet sich mit dem politischen System unmittelbar das vom Staat geleitete Gesundheitssystem. Mit ihm wird die Für- und Vorsorglichkeit des Staates, zu der er verpflichtet ist, auf die Probe gestellt. Nun gibt es keine präventiven Maßnahmen für das Unvorhersehbare. Doch das gilt allein für das völlig Unvorhersehbare, und das war bei der Corona-Seuche nicht der Fall. Verwandte Viren von hoher Bedrohungspotenz waren bereits am Werk gewesen. Die rasche Eindämmung und Beendigung der Epidemien ließ das politische und ökonomische Interesse an einer weiterführenden Erforschung dieser Viren ebenso rasch erlahmen, ja eben beendigen. Hier hat das politische System die Probe nicht bestanden, im pharmazeutischen und auch im klinischen Bereich die nötige Vorsorge zu treffen. Nicht selten waren Haushaltseinsparungen der Grund dafür, die zugunsten einer Finanzierung von für die Gewinnung der Wählergunst Effektiverem vorgenommen wurden. Das Nichtbestehen ist freilich in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich ausgefallen.

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