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WILLKOMMEN IN WIEN

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VORWORT

Grüße Sie!“: Wer kennt sie nicht, die Adresse des Herrn Ober an die Gäste in einem Wiener Kaffeehaus. Die beiden kargen Worte beinhalten alles, was diesen Menschenschlag so besonders macht in der Kulturgeschichte: Unterwürfigkeit, Beflissenheit, eine gewisse Bereitschaft zur Denunziation und womöglich auch noch so etwas wie Freundlichkeit. In jedem Buchstaben dieser Anrede steckt Wien, wie es leibt und lebt. Statt mit Direktheit sollte man beim Versuch, sie zu verstehen, eher mit Ironie rechnen, mit einem doppelten Boden, durch den es sich auch einmal fallen lässt. Man ist schon auf eine sehr ortsübliche Art willkommen, wenn man sich hier aufhält. Wie immer ist das Kaffeehaus auch hier der beispielhafte Schauplatz Wiener Befindlichkeit.

Wien ist eben anders und Wien bleibt Wien: Dies vielfältig bestätigt zu bekommen ist der Sinn dieses Buches. Es heftet sich an die Fersen von Menschen, die sich in der Stadt bewegt haben und hier in sehr unterschiedlicher Weise willkommen waren – die sich in ihr eingerichtet und sie dabei auch im Gegenzug geprägt haben. Dass sie in Wien waren, für kurz oder ein Leben lang, soll man der Stadt ansehen. Dass man es ihnen selbst ansieht, ist selbstverständlich. Fast zwei Jahrtausende umfasst ihre Zeitgenossenschaft, so lange, wie Wien inzwischen währt. Es sind Figuren der Kulturgeschichte, die immer auch Weltgeschichte ist, und wenn Elemente von Herrschaft, dynastischem Denken und Standesgemäßheit nie ganz auszuschließen sind, sollen eher freischwebende Gestalten betrachtet werden, bei denen Intelligenz, Virtuosität und Eigensinn die tragende Rolle spielen. Sie sind herausragend und außenseiterhaft in einem. Dass es angemessen ist, die Rolle von Frauen deutlicher herauszustellen, ist so einem Programm mittlerweile eingeschrieben.

25-mal kommen also Gewährsleute zur Sprache. Marc Aurel für die Zeit um 180: Der ist zwar ein Herrscher, aber ein philosophisch ausgewiesener. Walther von der Vogelweide um 1200: Sänger und Poet, buchstäblich eine „Hofschranze“, er wohnt nämlich „Am Hof“. Der Meister des Schottenaltars 1470: ein Anonymus, er malt die erste authentische Vedute Wiens. Konrad Celtis um 1500: Humanist, Dürer-Freund und Entdecker der Tabula Peutingeriana. Anton Pilgram um 1515: Steinmetz und Baumeister an Sankt Stephan, „Fenstergucker“. Jakob Hoefnagel 1609: Kartograf und Verfasser der ersten topografisch brauchbaren Vogelschau. Abraham a Sancta Clara, zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts: Prediger, Sprachvirtuose, Jahrhundertzeuge. Rosalba Carriera 1730: Wanderkünstlerin von Weltruf mit einem Jahr in Wien. Angelo Soliman, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts: freigelassener Sklave, Aufklärer, Figur der Wiener Gesellschaft. Maria Theresia Paradis um 1780: blinde Musikerin und Mensch-Maschine. Madame de Staël 1808 und 1812: Aufklärerin, scharfzüngige Frau von Welt und Verfasserin des Buches De l’Allemagne. Eduard Fischer 1852: Schöpfer des Stadtmodells im Wien Museum. Johann Strauß zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Er hat irgendwas mit einem Fluss zu tun. Lina Loos: Cafetierstochter, Schauspielerin, Stadtschönheit und Wiener Figur um 1900.

Emil Kläger um 1910: Reporter aus dem Wien von unten. Veza Canetti in den 1930ern: Schriftstellerin und Tochter des zweiten Bezirks mit all seinen Problemen und all seiner Vielfalt. Margarete Schütte-Lihotzky seit den frühen 1920ern: Architektin, Kommunistin, Jahrhundertzeugin. Hermann Leopoldi um 1925 und um 1955: Weanaliad-Protagonist. Carol Reed 1948: Der dritte Mann neben Orson Welles und Graham Greene. Ernst Herbeck ab 1966: schizophrener Dichter mit Wien-Prägungen. John Lennon/ Yoko Ono 1969: Made a lightning trip to Vienna eating chocolate cake in a bag. Thomas Bernhard 1960 bis 1990: Vorzeigeliterat und Aufreger. Martin Kippenberger 1985 und 1995: Maler und Faktotum, Fiakerrallye auf der Prater Hauptallee. Ingeborg Strobl: Künstlerin, Teil der DAMEN mit ganz persönlichen Liebeserklärungen an Wien. Anna Popelka/ Georg Poduschka: Architekten unter dem Teamnamen PPAG und Designer der Stadtmöblierung schlechthin, der Enzis im MuseumsQuartier.

Mit den Genannten als Guides lädt dieses Buch also zur Stadtbesichtigung ein. Die Tour ist delegiert, jeweils übertragen auf eine andere Person, die das Erkunden der Gegend auch besser beherrscht, denn für den historischen Moment ist sie hier zu Hause.

Mit den Genannten als Guides lädt dieses Buch also zur Stadtbesichtigung ein. Die Tour ist delegiert, jeweils übertragen auf eine andere Person, die das Erkunden der Gegend auch besser beherrscht, denn für den historischen Moment ist sie hier zu Hause. Delegiert: Jedes Buch arbeitet auf seine Weise mit Stellvertreterschaft. Man sitzt auf einem Fleck und lässt die Zeilen und die Seiten für sich agieren – in einer Welt, die woanders stattfindet. Dass diese Tatsache jetzt einer eigenen Bemerkung wert ist, hat mit der speziellen Gegenwart zu tun, in der es ratsam ist, sich eher wenig zu rühren und die Abenteuer im Kopf auszuleben: Das Buch bietet in diesem Sinn Stadtreise statt Reise. Aus hygienischen Gründen – und für die persönliche CO2-Bilanz kann es auch nicht schaden, wenn der Besuch sich auf die Lektüre beschränkt.

Auf das Delegieren, das dieses Buch in Aussicht stellt, hinzuweisen, hat auch mit Wien im Besonderen zu tun. Hier ist der Philosoph Robert Pfaller zu Hause, der seine theoretische Beschäftigung mit der Wirklichkeit eben darauf aufbaut. Er hat den Begriff der Interpassivität geprägt, die, als Kehrseite der Interaktivität, darauf setzt, Dinge von anderen unternehmen zu lassen, während man selbst nichts oder etwas anderes tut – während man jedenfalls der Inaktivität frönt: „Erst hat man ein Haustier“, schreibt also Pfaller, „dann ein Video für es; erst einen Fernseher und dann einen Videorekorder; erst ein Telefon und dann einen Anrufbeantworter; erst eine Kunstsammlung und dann eine öffentliche Institution, die sie für einen besitzt; erst eine geliebte Person und dann einen Liebhaber bzw. eine Geliebte für sie; erst möchte man einen Witz hören, dann ist man froh, wenn ein anderer über ihn lacht.“

Genauso möge es funktionieren: Erst ist man in Wien und dann kauft man ein Buch, das erzählt, wie andere dort gewesen sind. Willkommen in Wien.

RAINER METZGER

JANUAR 2021

Willkommen in Wien

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