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2. Die Struktur des Ich-Prinzips und die notwendige Unbestimmtheit des absoluten Ich als Tathandlung (15 – 18/FW I, 95 – 98)

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Um das Ich als Tathandlung explizieren zu können, legt Fichte dar, dass die Identitätssetzung ein Urteil ist. Nach Fichte gesteht bereits das gewöhnliche Bewusstsein zu, dass ein Urteil eine Handlung ist.30 – Dieses Zugeständnis macht allerdings weder das gewöhnliche Bewusstsein noch jedes ausgebildete philosophische Bewusstsein immer. So deutet z. B. Frege das Urteil nicht als Handlung, sondern als Geltungseinheit, in der vom Sinn (der Gegebenheitsweise von Gedanken) zur Bedeutung (dem Gegenstand selbst) übergegangen wird.31 Dass dazu auch eine Handlung, ein aktiver Vollzug des Übergehens notwendig ist, berücksichtigt Frege nicht. Dies ist in seiner Sicht eine Frage der Psychologie, die aber nicht für die Gültigkeit des Urteils selbst relevant ist; die Urteilsgeltung ist vielmehr nach Frege ausschließlich von Sinn und Bedeutung abhängig. – Fichte hinterfragt den bestehenden Sachverhalt des Urteils auf seine Möglichkeit hin: Möglich wird jedes Urteil durch eine Handlung; denn ein Urteil stellt eine Verbindung dar; Verbindungen liegen aber nicht einfach dinglich vor, sondern sie werden gemacht. Das heißt nicht, dass der verbundene Sachverhalt selbst gemacht wird, sondern dass die Erkenntnis des Gegenstandes als gesetzmäßige und regelhafte Verbindung dieser oder jener Aspekte von Gegebenem gemacht wird, sofern darin dessen spezifische Eigenschaften prädiziert und verknüpft werden (bzw. im verneinenden Urteil auseinander gehalten werden).

Eine Handlung setzt wiederum denjenigen voraus, der handelt, ein Handlungssubjekt; ein Akt ohne Akteur wäre absurd. Bezüglich der obersten Tatsache des Bewusstseins, also bezüglich des Satzes der Identität, gilt dies ebenfalls, auch für die Verknüpfung von A mit A ist ein verknüpfendes Handlungssubjekt anzunehmen. Von diesem Ich, das in allen Urteilen vorausgesetzt werden muss, ist mit dieser notwendigen Voraussetzung jedoch kein wirkliches Dasein erkannt, sondern bloß, dass es ein logisches Subjekt geben muss, wenn es logische Urteile gibt. Dieses ist eine gedanklich-ideale Geltungseinheit und kein ontologisch existierendes Subjekt, auch nicht das empirisch-reale (individuelle) Subjekt; sondern ein allgemeines Selbstbewusstsein.

Das Ich als reines Handlungssubjekt ist in sich selbst begründet, nicht in einem anderen. Alles, was mit sich identisch ist, wird hinsichtlich seiner Identität im Ich und durch es gesetzt; alles, was bewusst sein kann, muss mit sich identisch sein, also ist alles durch das Ich, zumindest seiner identischen Form nach, bedingt. Es kann keine höherliegende Bedingung für das Ich selbst geben, weil es selbst alles (seiner formalen Identität nach) bedingt. Sofern das reine Ich alles bedingt, kann es selbst nichts Bedingtes und damit auch nichts Bestimmtes sein. Daran zeigt sich, dass das absolute Ich zwar reine Handlung ist, aber als solche noch keine Spezifikationen oder Differenzierungen aufweist. Das absolute Ich ist nur Handlung überhaupt. Das Ich ist „der reine Charakter der Tätigkeit an sich: abgesehen von den besondern empirischen Bedingungen derselben“ (16/FW I, 96). Das absolute Ich als reine Handlung, zu dem in konsequenter Analyse der Satz der Identität führt, ist also inhaltlich völlig unbestimmt und leer. Es erhält Bestimmtheit allererst durch eine konkrete Spezifikation der Handlung. Die ausschließliche Selbstgleichheit des Ich mit sich impliziert dessen Unbestimmtheit. Bestimmtheit ergibt sich daraus, dass etwas gegen etwas anderes abgegrenzt wird. Dies geschieht bei der Selbstsetzung des „Ich = Ich“ nicht, da sich das Ich nur auf sich als mit sich Identisches bezieht. Gerade durch die Reinheit der Selbstbezüglichkeit ist das absolute Ich unbestimmt.

Innerhalb der praktischen Philosophie, die das Streben des Ich nach Selbstbestimmung darstellt, wird im Rückblick die Unbestimmtheit des absoluten Ich, mit dem die Grundlage beginnt, deutlicher: „Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich: alles in ihm ist Ein und ebendasselbe Ich, und gehört (wenn es erlaubt ist, sich so uneigentlich auszudrücken) zu Einem und ebendemselben Ich; es ist da nichts zu unterscheiden, kein Mannigfaltiges; das Ich ist Alles, und ist Nichts, weil es für sich nichts ist, kein Setzendes und kein Gesetztes in sich selbst unterscheiden kann. – Es strebt (welches gleichfalls nur uneigentlich in Rücksicht auf eine künftige Beziehung gesagt wird), kraft seines Wesens sich in diesem Zustande zu behaupten. – Es tut in ihm sich eine Ungleichheit, und darum etwas Fremdartiges hervor. (Dass das geschehe, lässt sich a priori gar nicht erweisen, sondern jeder kann es sich nur in seiner eigenen Erfahrung dartun. Ferner können wir bis jetzt von diesem Fremdartigen weiter auch gar nichts sagen, als dass es nicht aus dem inneren Wesen des Ich abzuleiten ist, denn in diesem Falle wäre es überhaupt nichts zu Unterscheidendes.)“ (182/FW I, 264 f.) Dieses Fremdartige ist das Entgegensetzen des Nicht-Ich, und dieses bildet eine Unterscheidung im Ich, die es in sich findet, ohne aber das Nicht-Ich selbst hervorgebracht zu haben. Das Dass-Sein des Nicht-Ich, also die pure Existenz des Nicht-Ich ist nur für das innere Erleben eines jeden Selbstbewusstseins gegeben, insofern ist die Existenz des Nicht-Ich ein kontingentes Faktum, das nicht apriori deduziert werden kann. Wenn ein Skeptiker also das Nicht-Ich leugnet, kann ihm dieses nicht apriori bewiesen werden. Allerdings ist die Struktur und die Form, in der Ich und Nicht-Ich interagieren sehr wohl apriori zu demonstrieren; aus dem Begriff eines endlichen Ich ist nämlich die Interaktionsform von Ich und Nicht-Ich zu deduzieren, aber eben nicht die bloße Existenz des Nicht-Ich. Erst in dieser Interaktionsform von Ich und Nicht-Ich bekommt das Ich Bestimmtheit, unabhängig von dieser Interaktion ist das absolute Ich und dieses ist notwendigerweise unbestimmt.

Bezüglich des Ich als Tathandlung zeigt sich die Methode der eidetischen isolierenden Abstraktion besonders deutlich: Von allen Spezifikationen und Differenzierungen des konkreten und „tatsächlichen“ Ich wird abgesehen, und es bleibt die bloße Handlung überhaupt zurück. Die Handlung überhaupt ist das, was zur Bestimmtheit fähig ist, was also bestimmbar ist, ohne selbst bestimmt zu sein. Dieser allgemeine Charakter der bloßen Bestimmbarkeit ohne Bestimmtheit eignet allen drei ursprünglichen Tätigkeiten des Ich (also sowohl dem Setzen [1. Grundsatz] als auch dem Entgegensetzen [2. Grundsatz] als auch dem Beziehen [3. Grundsatz]): „Jenes ursprüngliche Setzen nun, und Gegensetzen, und Teilen ist NB. kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fühlen, u.s.f. sondern es ist die gesamte Tätigkeit des menschlichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewusstsein nie vorkommt, die unbegreiflich ist; weil sie das durch alle besondere (u. lediglich insofern ein Bewusstsein bildende) Akte des Gemüths bestimmbare, keineswegs aber ein bestimmtes ist“.32 Das Ich als bloße Handlung ist also dasjenige, was in allen spezifischeren Handlungen immer mitvorhanden und mitvollzogen ist, aber nicht vollständig in diesen aufgeht, weil es selbst die Undifferenziertheit dessen ist, was nur die Möglichkeit hat, sich zu differenzieren. Gleichwohl kann man von diesem undifferenzierten, reinen Handlungs-Ich nur durch seine Differenzierungen in einzelnen, spezifischen Handlungen wissen, die seine Konkretionen sind. Die reine, bloße Handlung ist nicht ohne ihre Konkretionen wissbar; sie bliebe sonst völlig „namenlos“ und unbewusst; zwischen absolutem Ich und spezifischem Ich liegt eine „egologische Differenz“.

Diese Leere und Undifferenziertheit unterscheidet das Ich als reine Handlung auch grundsätzlich von Gott und dessen Bewusstsein, das im Gegensatz zu der Leere des absoluten Ich die vollständige Erfülltheit mit aller positiven Vollkommenheit ist. Fichte fängt daher sein System nicht mit dem Absoluten (Gott) an. Bereits Schiller verwechselt das absolute Ich bei Fichte mit Gott, wenn er ironisch an Goethe über diesen schreibt: „Die Welt ist ihm nur ein Ball, den das Ich geworfen hat, und den es bey der Reflexion wieder fängt!! Sonach hätte er seine Gottheit wirklich declariert, wie wir neulich erwarteten“.33 – Erst Schelling entwirft mit seinem Identitätssystem seit 1801 einen Systemanfang mit dem Absoluten, das eine reine Identität ist, die, nach Spinozas Vorbild, als metaphysische Substanz zu denken ist. Dieses Absolute ist nach Schelling die eine, sich selbst setzende Substanz, die causa sui.

Nach Fichte setzt sich das Ich zwar auch selbst, aber es erschafft sich nicht aus dem Nichts und hat als anfängliche Tathandlung keine objektive Erfüllung. Das tathandelnde Ich kann diesen Anfang seiner selbst gar nicht mehr einholen, das Ich war immer schon Ich, es entsteht nicht aus dem Nichts, wie dies bei der causa sui der Fall ist.34 Sofern dem Ich der Tathandlung in seinem Akt der Selbstsetzung Sein zukommt, ist dies noch kein wirkliches Dasein: „Die Wissenschaftslehre unterscheidet sorgfältig absolutes Sein und wirkliches Dasein, und legt das erstere bloß zum Grunde, um das letztere erklären zu können“ (195 Anm./FW I, 278 Anm.). Das Ich der Tathandlung wird also von der Wissenschaftslehre nur begründungstheoretisch konzipiert und konstruiert, um das wirkliche Dasein und Erfahrung als Tatsachen des Bewusstseins zu erklären, d.h., es handelt sich um eine notwendige Hypothese.35

Im Gegensatz zu dieser bloßen Erklärungskonstruktion des reinen, absoluten Ich als Tathandlung ist es aber auch zumindest horizonthaft miterlebbar, und zwar in der intellektuellen Anschauung. Diese erwähnt Fichte in der Grundlage jedoch nicht. Wohl weil es sich um eine Darstellung der Prinzipien des Wissens handelt, die das Ich als Fundament allen Wissens durch den methodisch vermittelnden Weg über die Logik erreicht und darüber hinaus immer rückbezogen auf die Tatsachen des Bewusstseins argumentiert. Die Berufung auf die intellektuelle Anschauung bildet dagegen ein intuitionistisches Postulat an den mitvollziehenden Philosophen, ein spontanes Wissen um die bloße Handlungstätigkeit aus Freiheit selbst zu erleben.36

Die intellektuelle Anschauung entwirft Fichte in der kurze Zeit vor der Grundlage erschienenen Aenesidemus-Rezension vom Februar 1794 (vgl. FW I, 16), wo er die intellektuelle Anschauung als die Realisation des sich selbst schlechthin setzenden „Ich bin“ bestimmt. Das reine, noumenale, unsinnliche Ich (der Tathandlung) ist dort eine „transzendentale Idee“ (a. a. O.); diese wird offensichtlich – was hinsichtlich einer Idee für das endliche Ich im kantisch-fichteschen, transzendental-kritischen Sinn eigentlich ein Widerspruch ist – in intellektueller Anschauung „realisiert“; es ist eigentlich Kennzeichen der reinen Vernünftigkeit von Ideen, dass sie sich gerade nicht realisieren lassen. Wohl um diese Schwierigkeit, dass die intellektuelle Anschauung die Realisation einer Idee ist, zu vermeiden, unterlässt es Fichte, in der Grundlage dem einzuführenden Philosophen diese unmögliche Aufgabe zuzumuten.37

In der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), sagt Fichte von der reinen in sich zurückgehenden Tätigkeit des Ich, dass sie gar kein Bewusstsein und auch kein Selbstbewusstsein sei (vgl. FW I, 458 f.) und dass sie aufgrund der Unmittelbarkeit des Wissens um sich, als Anschauung zu bezeichnen ist. Gleichermaßen ist es ein Wissen von bloßer Handlung ohne eine gegenständlich-dingliche Fixierung. Die intellektuelle Anschauung als Wissensvollzug reiner Handlung lässt sich nur als Gegenbestimmung zum „Sein“ bzw. zum Seienden, d.h. zu den dinglichen Fixierungen erleben. Wechselseitig einander negativ ab- und ausgrenzend bestimmen sich reine, bloße Handlung (intellektuelle Anschauung) und Sein/Seiendes (vgl. FW I, 461).

Üblicherweise wird das Fehlen der intellektuellen Anschauung in der Grundlage dadurch erklärt, dass Fichte sich angesichts des Verdikts Kants, intellektuelle Anschauung sei für uns Menschen unmöglich, nicht getraut habe, diese dort namhaft zu machen. Dies wäre aber nur ein unphilosophisch-äußerlicher Grund, der durch andere, ebenfalls veröffentlichte Schriften Fichtes, in denen er sie an zentral beleuchteter Stelle erwähnt, widerlegt wird. Grund für die Nichterwähnung ist wohl eher die sachliche Problematik der intellektuellen Anschauung als einer realisierten Idee. Eine sachliche Begründung für das Fehlen der Erwähnung der intellektuellen Anschauung in der Grundlage besteht wohl eher in Folgendem: Da der Weg zu dem reinen Ich in der Grundlage durch die Logik und den Satz der Identität „A = A“ vermittelt ist, und dieser Weg eine intersubjektiv darstellbare Methode ist, die begrifflich allgemein nachvollziehbar ist, kann in diesem Kontext auf die Berufung auf die Intuition der intellektuellen Anschauung verzichtet werden.

Das Ich als Tathandlung ist die uneingeschränkte Tätigkeit der selbstanfänglichen Selbstsetzung. Der Terminus „Selbstsetzung“ bezeichnet eine schrankenlose, d.h. eine nicht durch anderes begrenzte Position. Darin ist aus der Sicht des endlich-begrenzten Ich der Widerspruch enthalten, dass hier das setzende Ich in gleicher Hinsicht auch als gesetztes Ich zu verstehen ist. Der Produzent der Handlung ist gleichermaßen das Produkt der Handlung. Umgekehrt kann auch gesagt werden: Das Produkt der Handlung ist auch deren Produzent. Das Ich ist in der Tathandlung mit sich völlig identisch, d.h., zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten gibt es keinen Unterschied. Insofern bildet die Identität des absoluten Ich den Ausgangspunkt und das Prinzip der Wissenschaftslehre: Es kann prinzipiell gar kein Wissen ohne identisches Ich geben. Diese Identität besteht in der Untrennbarkeit und Ununterscheidbarkeit der beiden Relata in der Aussage „Ich bin Ich“. Diese Relation hat eigentlich nur ein Relatum, nämlich die Beziehung zu sich selbst; diese Selbstrelation ist ungetrübt und durch anderes nicht beschränkt und besteht in einem einfachen Akt. In dem Urteil „Ich bin Ich“ kann das erste Ich, also dasjenige an der Subjektstelle, als das Setzende und das zweite Ich, an der Prädikatstelle, kann als das Gesetzte betrachtet werden. In dieser Hinsicht ist das Prädikat-Ich das Seiende, das Hervorgebrachte. Die Tathandlung wird aber erst völlig eingesehen und mitvollzogen, wenn begriffen ist, dass umgekehrt auch das Prädikat-Ich, also das Gesetzte, das Setzende ist und dass daher auch das Subjekt-Ich das Gesetzte ist (vgl. 16f./FW I, 96f.). Setzendes und gesetztes Ich stehen also in einer völlig symmetrischen Relation; das tathandelnde Ich ist deswegen „absolutes Subjekt“. Absolut ist es, weil keine Heteronomie in ihm gesetzt ist, es ist ausschließlich es selbst.

Der Terminus „absolutes Subjekt“ kommt dem Ich zu, sofern es hinsichtlich aller bestimmteren Urteile unbedingt setzend ist und in diesem Setzungsakt nicht durch anderes bedingt ist, das es zur Setzung zwingen könnte (vgl. hierzu 16 Anm./FW I, 96 Anm.): Ob das Ich überhaupt etwas setzt oder nicht setzt, ist nur von ihm selbst abhängig und macht seine radikale Form der Freiheit aus; diese Setzungstätigkeit des vollziehenden Subjekt-Ich ist der Grund, weshalb auch in der Identitätsaussage, wie in jeder Aussage, das, worüber die Aussage ergeht, als (grammatisches) Subjekt bezeichnet wird. Dagegen wird in Aussagen dasjenige als (grammatisches) Prädikat bezeichnet, was das Ich in sich als am vorgängig bereits gesetzten Aussagesubjekt Vorgefundenes findet; also dessen Eigenschaften. Wenn das Ich daher in Aussagen etwas über etwas aussagt, sagt es eigentlich etwas über sich selbst aus, nämlich über das, was es in sich setzt und was es als dem Gesetzten Zukommendes gesetzt hat. Die Kopula bildet daher „den Übergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das Gesetzte“ (16 Anm./FW I, 96 Anm.).

Zu differenzieren ist, dass das ursprüngliche Ich selbst nicht als vermitteltes Reflexions-Ich verstanden werden darf; es gibt also nicht zunächst einen Akteur, dann einen Akt und anschließend ein auf diesen Akt zurückkommendes Ich. Beim absoluten Ich der Tathandlung bilden Akteur, Aktstruktur und Vollzug des Aktes – mit einem Wort Heideggers – eine „gleichursprüngliche Strukturganzheit“. Nur das Urteil, welches das Ich vollzieht, wenn es etwas als etwas bestimmt, hat die diskursive Reflexionsstruktur des Setzens und des reflexiven Übergehens zu einer an diesem Gesetzten gesetzten Eigenschaft vermittels der Kopula. Das Urteil ist also eine spezifische (reflexive) Setzung und als solche vom Setzen überhaupt, welches das absolute Ich selbst ist, zu unterscheiden; hier findet kein reflexiver Akt zwischen zwei Unterschiedenen statt; sondern unmittelbare Identität. Fichte hat also im Rahmen des ersten Grundsatzes der Grundlage kein Reflexionsmodell des Ich vor Augen, sondern ein Modell der unmittelbaren und vollständigen Selbstidentität, denn „das sich setzende Ich, und das seiende Ich sind völlig gleich, Ein und ebendasselbe. Das Ich ist dasjenige, als was es sich setzt, und es setzt sich als dasjenige, was es ist“ (18/FW I, 98). Reflexive Akte setzen diese absolute Selbstidentität des Ich immer schon voraus und können sie nicht erklären; weil in jedem Reflexionsakt bereits Verbindung und Trennung vorliegen, die ein durchgängig mit sich identisches Ich zur Voraussetzung haben. Ohne die durchgängige absolute Identität des Ich könnte eine Verknüpfung von Verschiedenem nicht vollzogen werden.38

Sofern dem Ich im Akt der Selbstsetzung ein Gesetztsein zukommt, ist es „für sich“, d.h., es ist kein Ding, das bloß „für anderes“ ist, sondern das Ich ist für das Ich da. Dieses Ich als ursprüngliches Für-sich-Sein ist daher auch kein Ding an sich; das absolute Ich ist nicht als ein Zugrundeliegendes bzw. eine Substanz und tritt dann nachträglich in eine Relation zu sich (wobei die Relation eine Eigenschaft des Zugrundeliegenden wäre). Vielmehr ist das Ich, was es ist, immer schon für ein Ich. Mit dieser Bestimmung vermeidet Fichte die Schwierigkeiten der rationalen Psychologie, wie sie in der Metaphysik vor Kant auftraten und von diesem auch schon im „Paralogismuskapitel“ der Kritik der reinen Vernunft als unzulässige Hypostasierung kritisiert wurden.39 In der rationalen Psychologie wurde bereits z.B. bei Descartes, Leibniz, Wolff und Baumgarten die Seele als ein Ding an sich verstanden, dem ontologische Existenz als Substanz im Reich der Intelligibilia zukommt. Die Bestimmung der Substanz, der Eigenschaften inhärieren, wird in dieser Tradition abstrakt als gültig vorausgesetzt. Die Eigenschaften, die der Ich-Substanz zukommen, sind deren Gedanken. Die Relation von Substanz und Akzidenz ist nach dieser Tradition asymmetrisch, d. h., die Substanz ist nicht mit ihren Akzidenzien identisch, d. h., wenn aufgeschlüsselt ist, was Gedanken oder Vollzüge sind, ist damit noch nicht vollständig bestimmt, was die Ich-Substanz selbst ist, denn die Substanz ist das Zugrundeliegende der Eigenschaften und nicht selbst eine ihrer Eigenschaften, insofern ist die Substanz nicht mit ihren Akzidenzien identisch und somit auch nicht vollständig durch sie bestimmbar; dies gilt auch dann, wenn es sich um Wesenseigenschaften handelt, bei diesen liegt auch ein asymmetrisches Verhältnis zur Substanz vor. Diese Unklarheit wird bei Fichte vermieden: Hinsichtlich des Aktes der Setzung ist das Ich keine zugrundeliegende Substanz oder ein Ding an sich, das auch unabhängig von der Vollzugssetzung sein könnte, sondern das Ich ist mit seiner Setzung identisch; es ist reines Für-sich-Sein ohne ein Zugrundeliegendes jenseits dieser Eigenschaft. Insofern trifft auf das Ich der Tathandlung die Bestimmung der Substanz wegen der reinen Selbstsetzung und des Für-sich-Seins nicht zu. „Dasjenige, dessen Sein (Wesen) bloß darin besteht, dass es sich selbst als seiend, setzt ist das Ich, als absolutes Subjekt. So wie es sich setzt, ist es; und so wie es ist, setzt es sich; und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin, und notwendig. Was für sich selbst nicht ist, ist kein Ich“ (17/FW I, 97; vgl. auch 17f./FW I, 98). Mit dieser fundamentalen Bestimmung des Ich als Für-sich-Sein und Selbstsetzung vermeidet Fichte also eine dogmatische, metaphysische, rationale Psychologie.

Dieser Zusammenhang, dass das Ich reines und ausschließliches Fürsich-Sein ist und kein existierendes „Ding an sich“, wird auch in der „Erläuterung“ deutlich (vgl. 17/FW I, 97). Dort expliziert Fichte, dass die Frage: „Was war das Ich bevor es zu sich in ein Selbstverhältnis der Identität trat?“, völlig sinnlos ist; denn das Ich war gar nicht; das Ich ist überhaupt erst, wenn es das ursprüngliche Selbstverhältnis mit der Identitätssetzung vollzogen hat. Dem Subjekt-Ich, das sich mit sich als dem Objekt-Ich vollständig identifiziert, wird vom Alltagsbewusstsein (fälschlicherweise) ein Zugrundeliegendes untergeschoben, das dem Identifikationsakt als Basis vorausliegen soll. Dies ist aber bei dem sich selbst erfassenden Ich völlig unzulässig, da es der Identifikationsakt selbst ist. Ein Zugrundeliegendes würde auch die Identifikation unvollständig werden lassen, denn das Zugrundeliegende des Aktes ist mit diesem nicht identisch. Auch das Zugrundeliegende müsste nach dieser Vorstellung wiederum ein mit sich identisches sein, damit wird aber das sich identifizierende Ich bereits für die (fälschliche) Annahme eines Substrats des Aktes vorausgesetzt. Daran zeigt sich die Unhintergehbarkeit des Ich; von ihm lässt sich selbst in einer Substrattheorie nicht abstrahieren. Wollte man von seinem Ich abstrahieren, dann hätte man das Ich im Akt der Abstraktion bereits wieder mitvorgestellt, als das den Akt der Abstraktion vollziehende. Die Bezweiflung des Ich setzt dieses bereits als unhintergehbar, unabstrahierbar und unbezweifelbar immer schon voraus.

Mit dem radikalen Verständnis der Spontaneität des Ich als ursprünglicher, unableitbarer Selbstanfänglichkeit werden von Fichte aber nicht nur einerseits die Widersprüche der Tradition der metaphysisch dogmatischen, rationalen Psychologie vermieden, sondern zugleich wird ein biologistisch-evolutionäres Erklärungsmodell des Ich ausgeschlossen. Ein evolutionärer (naturalistisch-biologistischer) Ansatz stellt sich die Frage, wie das selbstbezügliche Ich aus nichtselbstbezüglicher Biomasse hat entstehen können; wobei es sich genau um die Frage handelt, was das Ich war, bevor es sich auf sich selbst bezog, d. h., woraus die Selbstbezüglichkeit entstanden ist. Eine Frage, die nach Fichte sinnlos ist; oder die – mit einem Wort Carnaps – ein „Scheinproblem“ des Naturalismus darstellt. Fichte kannte natürlich die Evolutionstheorie und auch die biologistisch-neurologischen Ansätze der späteren und heutigen Zeit nicht; aber dennoch sagt er pointiert gegen eine solche bereits zu seiner Zeit aufkommende Tendenz in den mannigfaltigen, teils exotistischen Reisebeschreibungen und in der Populärphilosophie: „Vor nichts aber hüte – sowohl die Geschichte, als eine gewisse Halbphilosophie, – sich mehr, als vor der völlig unvernünftigen, und allemal vergeblichen Mühe, die Unvernunft, durch allmähliche Verringerung ihres Grades, zur Vernunft hinaufzusteigern; und, wenn man ihnen nur die hinlängliche Reihe von Jahrtausenden gibt, von einem Orang-Utang zuletzt einen Leibniz, oder Kant, abstammen zu lassen!“40 Aus heutiger Sicht lässt sich zwar absehen, dass die evolutionäre Entwicklung biochemischer Reiz-Reaktionsmuster des Gehirns im sich komplexer entwickelnden Durchgang durch verschiedene Species die notwendige Bedingung für die Selbstbezüglichkeit des menschlichen Ich ist, aber damit ist die biologische Evolution des Gehirns noch nicht als zureichender Grund für die Selbstbezüglichkeit eines Ich bewiesen. Ein biologistischnaturalistischer Ansatz muss notwendigerweise die radikale Selbstanfänglichkeit des Ich bestreiten; nach ihm kann nur eine graduelle Steigerung bio-chemischer Prozesse des Gehirns für den Übergang von der Nichtselbstbezüglichkeit einfacher Neuronenverbindungen zu der Selbstbezüglichkeit komplexerer Neuronenverbindungen konsequent konzipiert werden; was allerdings nach Fichte die Freiheit als das Andere der Naturdetermination und den Gedanken der Selbstanfänglichkeit aufhebt. Das Ich bildet nach einer solchen Konzeption nur eine besonders komplex determinierte Biomasse.41

Das Ich als Tathandlung ist Subjekt-Objekt-Identität; dies, so fügt Fichte in einer Anmerkung zur zweiten Auflage der Grundlage von 1802 ein, sei die Terminologie, derer er sich nach der Grundlage bedient hat (vgl. 18/FW I, 98). Allerdings konzipiert er dies bereits 1795 / 96 in der Vergleichung des von Herrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre. Dort führt Fichte über das Ich-Prinzip als Tathandlung aus: „In dieser absoluten Identität des Subjects und Objects besteht die Ichheit: Ich ist dasjenige, was nicht Subject seyn kann, ohne in demselben ungetheilten Acte Object, und nicht Object seyn kann, ohne in demselben ungetheilten Acte Subject zu seyn; und umgekehrt, was so ist, ist Ich: beide Ausdrücke sagen bestimmt dasselbe. Aus dieser Identität nun, und aus ihr allein, so dass man nicht das mindeste weiter hinzuzusetzen braucht, geht die ganze Philosophie hervor; durch sie wird die Frage vom Bande des Subjects und Objects auf einmal für immer beantwortet, indem sich zeigt, dass sie gleich ursprünglich in der Ichheit verbunden sind. Durch sie wird der kritische Idealismus gleich zu Anfange aufgestellt, die Identität der Idealität und Realität; der kein Idealismus ist, nach welchem das Ich nur als Subject, und kein Dogmatismus, nach welchem es nur als Object betrachtet wird“ (FW II, 442). Fichte nimmt hier den später für Heidegger so zentralen Terminus der „Gleichursprünglichkeit“ vorweg und bestimmt mit seiner Hilfe die völlig symmetrische Relation von Subjekt-Ich und Objekt-Ich in der Tathandlung.

– Kritisch gegen Fichte ist einzuwenden, dass die Objektivität, die dem Ich im „Ich = Ich“ zukommt, eine ganz andere ist, als diejenige, die, auch nach Fichte selbst, den Gegenständen der Erkenntnis und den Dingen der Welt zukommt. Daher ist mit der Subjekt-Objekt-Einheit nicht zugleich die Problematik der Objektkonstitution vollständig lösbar, denn mit der Selbstverobjektivierung des Ich in der Tathandlung ist – auch nach Fichte selbst – noch keine bestimmte Objektivität gesetzt, sondern die Selbstverobjektivierung des absoluten Ich ist gleichermaßen auch Selbstversubjektivierung, „im selben Akt“. In der Vergleichung entwirft Fichte, dass die einseitige Betrachtung des Ich als Objekt zur Anschauung, die einseitige Betrachtung des Ich als Subjekt zum Begriff führe. Allerdings darf man ein Objekt nicht mit einer bloßen Anschauung identifizieren, ebensowenig das Subjekt mit dem Begriff. Derartige Grobheiten unterlaufen Fichte sonst nicht und sind wohl der verkürzten Darstellung der Vergleichung zuzuschreiben. –

Von zentraler Bedeutung für das tathandelnde Ich ist die „Gleichursprünglichkeit“ von Subjekt und Objekt. Fichte betont in der zitierten Vergleichung auch, dass die Tathandlung bzw. das Ich als Subjekt-Objekt-Einheit der Verlebendigung durch die (intellektuelle) Anschauung bedarf, weil es sonst nur eine philosophische Konstruktion ist; wird sie jedoch vom Philosophierenden auch in der Anschauung erlebt, dann kommt ihr noch größere Evidenz zu (vgl. FW II, 442).

Das absolute Ich als Subjekt-Objekt-Einheit entwirft Fichte später auch in der Bestimmung des Menschen von 1800 (vgl. FW II, 225 f.). Dort wird eine im Bewusstsein nicht mehr vollziehbare Besonderheit des ursprünglichen Ich deutlich: Die Subjekt-Objekt-Einheit des absoluten Ich besagt, dass es einerseits sowohl Subjekt als auch Objekt ist, und andererseits besagt sie gleichfalls, dass das absolute Ich weder Subjekt noch Objekt ist. Einerseits ist das absolute Ich Subjekt, weil es Wissendes ist; es ist aber auch Objekt, weil es Gewusstes ist. Andererseits gilt, dass beim absoluten Ich das wissende Subjekt unmittelbar auch gewusstes Objekt ist, weil es mit diesem identisch ist, denn das Wissende ist das Gewusste. Das Subjekt kann also hier nicht dem Objekt gegenübergestellt werden, daher ist das absolute Ich kein Subjekt, dessen man sich dadurch bewusst werden könnte, dass es dem Objekt entgegengesetzt ist. Gleichermaßen ist das absolute Ich aber auch kein Objekt, das einem Subjekt entgegengesetzt werden könnte, da im absoluten Ich das gewusste Ich (Objekt) unmittelbar mit dem wissenden Ich (Subjekt) identisch ist. Das Objekt-Ich kann also nicht als ein dem Subjekt-Ich (Wissendes) Entgegengesetztes bewusst werden. Nach Fichte folgt aus dieser Subjekt-Objekt-Struktur, die ein Sowohl-als-auch-und-weder-noch bildet, dass das absolute Ich notwendigerweise nicht bewusst werden kann (vgl. FW II, 225f.), weil das Bewusstsein eine einsinnig unterscheidende Relation mit klar voneinander abgrenzbaren Polen ist; dies fehlt in der Subjekt-Objekt-Einheit. Dieses Fehlen ist aber nicht einfach ein Mangel, sondern eine Notwendigkeit, wenn die in sich differente Einheit des Bewusstseins nicht grundlos sein soll; wie dies z. B. in dem Bewusstseinsentwurf Reinholds der Fall war. Das absolute Ich als gleichermaßen Wissendes und Gewusstes ist nach Fichtes Ausführungen in der Bestimmung des Menschen „allgegenwärtig“ (FW II, 250). Dies bedeutet, dass die Subjekt-Objekt-Einheit kein abstrakt jenseits aller spezifischen Bewusstseinsakte liegendes Absolutes ist, sondern permanent und konstant in allen Bewusstseinsakten mitanwesend ist; allerdings selbst unthematisch und unbewusst.42

Johann Gottlieb Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794'

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