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III. Der dritte Grundsatz (Form bedingt; Gehalt unbedingt): Dem teilbaren Ich ist ein teilbares Nicht-Ich entgegengesetzt (25 – 43/FW I, 105 – 123)

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Da der dritte Grundsatz die beiden ersten bereits als geltend voraussetzen darf, kann für ihn auf vermittelnde Vorbedingungen verwiesen werden, die ihn erklärbar machen. Aber dennoch ist er nicht vollständig aus den ersten beiden zu folgern, sonst hätte er nicht den Status eines Grundsatzes. Es muss also auch im dritten Grundsatz einen unableitbaren, aber notwendigen Rest geben, der ihn als ein irreduzibles Fundament des menschlichen Wissens auszeichnet.

Genau umgekehrt zum zweiten Grundsatz, ist nach Fichte beim dritten die Form bedingt und vorherbestimmt, und der Inhalt bzw. die Materie ist unbedingt. Die Form des dritten Grundsatzes ergibt sich aus den ersten beiden Grundsätzen. Die beiden ersten Grundsätze enthalten eine Schwierigkeit, die bislang zwar noch verborgen blieb, die aber doch vorhanden war. Aus dieser Schwierigkeit wird formal vorgezeichnet, was der dritte Grundsatz zu leisten hat und wie er strukturiert sein muss. Daher ist die Form des dritten Grundsatzes bedingt, d. h. aus den ersten beiden als „Aufgabe“ (26/FW I, 105) vorgegeben.

Wie die weitere Untersuchung zeigen wird, besteht die zu lösende Schwierigkeit und „Aufgabe“ darin, dass erster und zweiter Grundsatz einander widersprechen. Der Widerspruch besteht darin, dass der erste Grundsatz ein absolutes Ich setzt, das eigentlich für ein ihm entgegengesetztes Nicht-Ich keinen Platz mehr lässt. Wie kann es angesichts eines absoluten Ich gleichermaßen und neben ihm auch noch ein Nicht-Ich geben? Und umgekehrt ergibt sich das Problem, wodurch eigentlich das Nicht-Ich begrenzt wird; der zweite Grundsatz gibt darüber keine Auskunft, er sagt nur, dass das Nicht-Ich dem Ich entgegengesetzt ist, aber wie kann eine solche Entgegensetzung überhaupt geschehen? Aufgrund dieser Probleme bedürfen die ersten beiden Grundsätze einer genauen Zuweisung ihres jeweiligen Geltungsbereichs. Diese Zuweisung verschiedener Geltungsbereiche können die ersten beiden Grundsätze offensichtlich nicht selbst leisten; denn die Setzung des Ich im ersten und des Nicht-Ich im zweiten Grundsatz erfolgen unbedingt; d.h. schlechthin und ohne jede Einschränkung, eine Zuweisung von verschiedenen Geltungsbereichen setzt dagegen eine Einschränkung der beiden Gesetzten Ich und Nicht-Ich voraus. Erst der dritte Grundsatz ist zu dieser einschränkenden Vermittlungsleistung zwischen den beiden ersten Grundsätzen in der Lage.

Die Lösung der durch den Widerspruch gestellten Aufgabe skizzenhaft vorwegnehmend sagt Fichte: „Die letztere [die Lösung; Einf. R. S.] geschieht unbedingt und schlechthin durch einen Machtspruch der Vernunft“. (26/FW I, 106) Damit verweist Fichte auf den Fundamentalcharakter der spezifischen Handlung, die dem dritten Grundsatz zugrunde liegt. Ein unbedingter „Machtspruch der Vernunft“ hat Autonomie, also den Charakter der Selbständigkeit, es gibt keinen äußeren Grund für ihn. Daher ist dann das Vermittelnde zwischen erstem und zweitem Grundsatz, d. h. zwischen Ich und Nicht-Ich, als ebenfalls grundsätzlich geltend zu verstehen.

Der „Machtspruch der Vernunft“ ist ein Vorverweis Fichtes auf den dritten Teil der Wissenschaftslehre, auf die praktische Philosophie, denn der „Machtspruch“ erfolgt, weil sich im Rahmen der theoretischen Wissenschaftslehre, die den zweiten Teil der Wissenschaftslehre bildet, die gleichermaßen geltende unüberbrückbare Differenz und die dennoch notwendige einheitliche Vermittlung zwischen Ich und Nicht-Ich als unmöglich herausstellen wird. Es ist weder denkbar, dass nur ein Ich ist, noch dass nur ein Nicht-Ich ist. Beides ist in Absolutsetzung dem tatsächlichen Bewusstsein auch nicht angemessen, denn damit überhaupt etwas bewusst sein kann, muss es einerseits subjektive und andererseits objektive Aspekte haben. Dafür ist aber ein Vermittlungspunkt beider notwendig, der darin bestehen wird, dass das Nicht-Ich im absoluten Ich selbst gesetzt sein soll; nicht ist, denn dies würde, wie gesehen, einen Widerspruch beinhalten. Notwendigerweise ist die Vereinigung von Ich und Nicht-Ich also ein bloß Gesolltes, etwas, das zwar stets als Aufgabe vorschwebt und gefordert wird, aber faktisch nie vollständig zu verwirklichen ist; sofern das Sollen die Grundbestimmung der praktischen Wissenschaftslehre ist, weist Fichte hier also auf diese voraus (vgl. auch 65/FW I, 144; wo Fichte den „Machtspruch der Vernunft“ ausdrücklich auf das Sollen bezieht).

Bis der Widerspruch in seiner klarsten und reinsten d.h., auch unüberbrückbarsten Form vor unseren Augen steht, können allerdings noch zahlreiche Differenzierungen hergeleitet werden, die daraus folgen, dass der erste und der zweite Grundsatz gelten müssen. Mit dem dritten Grundsatz und der ihm folgenden theoretischen Wissenschaftslehre, die den zweiten Teil des Gesamtsystems bildet, wird also der Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich nicht geleugnet oder gelöst, sondern es werden stufenweise immer genauere Differenzierungen des Widerspruchs aufgestellt. Die Differenzierung des notwendigen und nicht einfach falschen Widerspruchs führt zu immer komplexeren Vermittlungsgliedern zwischen den beiden einander ausschließenden Bestimmungen Ich und Nicht-Ich.66 Die Vermittlungsglieder enthalten aber auf immer spezifischerer Ebene auch wieder eine Modifikation des Grundwiderspruchs und treiben somit über sich selbst hinaus, eben bis hin zum Sollen der praktischen Wissenschaftslehre.

Weil die beiden ersten Grundsätze und mit ihnen Ich und Nicht-Ich bereits aufgestellt sind und sich auch eine spezifische Aufgabe mit besonderer Lösungsstrategie vorzeichnet, ist es nun im dritten Grundsatz möglich, herleitende und beweisende Argumentationsfolgen zu liefern; daher kommt nun zum ersten Mal in der Wissenschaftslehre eine Deduktion vor.

Johann Gottlieb Fichtes 'Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794'

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