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Beata

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Beata ist in diesem Winter 18 Jahre alt geworden. Ihre körperliche Entwicklung verlief zunächst deutlich schneller, als bei normalen Menschen. Sie war ihrem Alter weit voraus, wenn man so sagen darf. Kaum dass sie ein Jahr alt war, konnte sie bereits laufen und sprechen und verfügte über einen über die Maßen wachen und verständigen Geist. Schon mit zwölf sah sie so aus, wie heute, eine sehr ansehnliche junge Frau. Seitdem scheint ihr Körper sich nicht weiter verändern zu wollen.

Sie ist fünf Fuß und eine Handspanne groß. Ihr Haar ist am Ansatz nachtschwarz, wird zu den Spitzen hin flammend rot und fällt halblang, ohne jegliche Welle darin, auf die Schulter. Es wächst nur noch sehr langsam, fast zwergisch langsam. Beata hat es zu einem Pferdeschwanz zusammen gefasst. Unter den schmalen Brauen blicken rehbraune Augen, an einer langen und dünnen Nase vorbei, äußerst aufmerksam ins Leben. Ebenmäßige Zähne hinter vollen Lippen strahlen bei jedem Lächeln aus dem schlanken, oval gestreckten Gesicht. Anders als ihre Mutter in diesem Alter ist Beata mehr als ausgiebig gerundet an Busen und Po, mit einer wespenartigen Taille. Trotzdem macht der körperliche Gesamteindruck deutlich, dass diese junge Frau vor Kraft nur so strotzt. Sie wiegt etwa 150 Pfund, doch ist man geneigt, sie leichter einzuschätzen. Ihre Stimme ist warm, mit einem leicht dunklen Ton.

Nachdem Beata von ihrer Zwergenamme entwöhnt war, lebte sie mit ihren Eltern auf dem kleinen Gut nahe Hosti. Mit großer Vorliebe war sie mit ihrer Mutter zusammen und beobachtete, was und wie diese etwas verrichtete. Schnell hatte sie erkannt, dass ihre Mutter mit ihren vielfältigeren Aufgaben ihr mehr zeigen konnte, als Karl. In der Regel dauerte es dann nicht lange und sie vollführte in kindlicher Weise spielerisch vergleichbare Tätigkeiten. Frieder half ihr ein wenig dabei und fertigte beispielsweise kleine Strohpüppchen und hölzerne Gerätschaften, mit denen Beata dann ihre Mutter nachahmte. Mit einem kleinen Hämmerchen schlug sie ebenso kleine Pfähle in die Erde, umspannte diese mit Gräsern und setzte in diese so geschaffenen Weiden Steine, die ihre Rinder oder Pferde darstellten. Für die Huteschweine, ebenfalls Steinchen, steckte sie kleine, noch mit Blättern behaftete Äste als Wald in den Boden. Was sie nach der Geburt ihrer Brüder Odo und Rudwin lernte, übte sie mit den Püppchen und konnte mit nicht einmal fünf Jahren bei der Versorgung ihrer weiteren Brüder Magnus und Markward das Geübte wohl anwenden.

Nach der Schneeschmelze im Jahre 606 erlaubte Magda Beata, zu den Zwergen zu gehen, um dort weiter zu lernen. Das Kind war schon in der Lage, die Aufgaben einer zehnjährigen auszuführen. Im Berg hatte sie dann endlich die Spielkameraden, die sie unter den Menschenkindern wegen ihrer sehr vorangeschrittenen Entwicklung nicht zu finden vermochte. Sie balgte sich mit den Zwergenjungs am Schmiedeamboss und Blasebalg genauso gerne, wie sie mit den Mädchen häusliche Arbeiten übte. Eine Haarpracht, wie viele junge Zwerginnen entwickeln, war ihr nicht vergönnt. Darum freute sie sich immer sehr, wenn sie ihre Freundinnen kämmen durfte. Bei der kämpferischen Ausbildung war sie natürlich gleich ihrer Mutter den Zwergen kräftemäßig unterlegen, doch was Gesteinskunde und andere Lehren anging, überflügelte sie ihre Mitschüler ohne Schwierigkeiten.

Im Alter von acht Jahren, kurz vor der Saatzeit, zog sie dann zu den Halblingen nach Lindenbach. Flora und Favna hätten an solch einer Schülerin ihre helle Freude gehabt. Alle Gewerke des Lebens erlernte sie so schnell wie sonst niemand. Zur Erweiterung ihres wachen Geistes führte sie lange und tiefgründige Gespräche mit Eringus, der ein ums andere Mal ob der klaren Logik des Kindes nur den Kopf schütteln konnte. So manche ihrer Fragen brachten sogar ihn an den Rand dessen, was er selbst wusste. So begannen sie dann, Probleme ausgiebigst und tiefschürfend zu erörtern und über Fragen zu philosophieren. Sie war eine eifrige Unterstützerin Jades, ging es um Götter und Glaubensangelegenheiten. Da sie aber auch keinerlei Beweise Für oder Wider hatte, versuchte der Drache fast ständig, derartige Diskussionen zu vermeiden. Zu seinem Leidwesen gelang dies aber nur sehr selten. Auch wenn die Fragen, die Eringus diesbezüglich selbst in sich trug, nicht geklärt werden konnten, war er, auch wenn er es niemals zugab, letztlich doch froh, eine so verständige Gesprächspartnerin zu haben. Es tat ihm gut, darüber zu reden. In ihrem letzten Disput beschloss Beata, in die Welt zu ziehen, um auch diese Fragen zu klären.

Aus diesem Grund und weil sie bei den Halblingen ihre Vorliebe für Kräuter und deren Wirkung entdeckt hatte, verließ Beata das Chynzychtal, als sie zwölf Jahre alt war. Sie umkreiste das alte Zwergenreich weiträumig und sprach mit vielen Menschen. Bei so manchem Heilkundigen oder Kräuterweib und in einigen Klöstern blieb sie, bis sie sich deren Wissen angeeignet hatte. Nachdem Beata bei den Zwergen deren Schrift gelernt hatte, lernte sie auch die Schrift und lateinische Sprache der Mönche und Nonnen. Sie beherrschte viele der Dialekte, die zu damaliger Zeit noch weitaus mehr waren, als heute.

Und während all dieser Lehrzeit lernte sie auch sich selbst immer mehr kennen. Schon lange hatte sie erkannt, dass sie sich von den Menschen unterschied. Sie lernte schneller, konnte anscheinend unbegrenzt Wissen behalten und entdeckte zwergische Züge an sich, wie zum Beispiel eben die sich nun verlangsamende körperliche Entwicklung. Sicherlich hing das mit der Muttermilch ihrer Zwergenamme zusammen. Daneben fand sie aber auch Fähigkeiten, deren Ursprung sie noch nicht klar zuordnen konnte. Zum Beispiel spürte sie die Anwesenheit von Menschen auf eine gewisse Entfernung, bevor sie derer ansichtig wurde. Und sie spürte deren Gefühle und konnte so erkennen, ohne wie Eringus Gedanken lesen zu können, ob diese sie belogen oder nicht. Sie hatte ein untrügliches Gespür für die Gefühle anderer. Auch hatte sie selbst wohl eine befriedende Ausstrahlung. Aggressive oder furchtsame Lebewesen, sei es Mensch oder Tier, wurden in ihrer Nähe immer schnell ruhig und friedlich. Auf ihrer Wanderung fand sie einstmals das Küken eines Aaren und es gelang ihr, das Kleine groß zu ziehen. Eine recht lange Zeit folgte ihr der Vogel aus freien Stücken, bevor er sich ein eigenes Revier suchte.

Zuletzt lernte Beata in St. Wolfgang bei den Mönchen, als sie vom Tode Karls erfuhr. Unverzüglich machte sie sich auf den Weg, um ihrer Mutter beizustehen. Gemeinsam mit ihren Geschwistern übernahm sie vorübergehend die Führung des Gutes und der Herberge mit Schänke. Nachdem sie alles geregelt fand machte sie sich auf den Weg, ein eigenes Heim zu gründen.

Inzwischen hat sie sich einen Namen als die größte Kräuter- und Heilkundige in der weitesten Umgebung gemacht. Selbst aus dem Boierischen kommen die Menschen, um von ihr Rat und Hilfe zu erhalten. Südöstlich von Erlenbusch und in gerader Linie östlich von St. Wolfgang hatte sie hinter dem ehemaligen römischen Grenzwall einen Ort gefunden, in den sie sich förmlich verliebte. In dem stellenweise recht sumpfigen namenlosen Gelände fanden sich Kräuter in großer Zahl und Vielfalt, dass sie unbedingt dort ihre Heimstatt nehmen musste. Fast augenblicklich wollte sie damit beginnen, eine Hütte zu errichten, doch auf den Rat der Halben in Erlenbusch hin, ließ sie die bevorstehende Winterzeit verstreichen. Welch kluger Rat, denn dies Gebiet wird liebend gern von den Wassern von Lache und Chynzych, die hier ein Gewirr von Gräben gezogen haben, überflutet und das von ihr erwählte Inselchen war wochenlang derart tief unter Wasser, dass an ein Wohnen dort überhaupt nicht zu denken war.

Davon lies sich Beata aber nicht unterkriegen und schon bald fand sie eine recht hoch liegende Halbinsel, die ihr gefiel. Das leise Plätschern der Chynz unterstrich die unbeschreibliche Ruhe, die hier herrschte.

Mit Hilfe der vereinten Zwerge aus Steinenaue und der Halben aus Erlenbusch wurde Beatas neue Heimstatt errichtet. Weiträumig wurde ein tiefer und breiter Graben gezogen, der aus der Halbinsel eine rechte Insel machte. Der Aushub wurde dazu genutzt, den Grund noch ein wenig mehr zu erhöhen. Gleichzeitig würden zukünftige starke Hochwasser von dem tiefen Flussbett besser abgeleitet.

Das große Haus, in dem Beata alles unterbringen kann, was sie benötigte, ist zusätzlich noch auf Pfähle gestellt, die tief in den Boden gerammt wurden. Das Haus ist mehr als geräumig und nach Art der Halblinge, also fast wie ein späteres Fachwerk, gebaut. Auf die, bei den Halblingen üblichen, Farben hat man, auf Beatas Bitten hin, verzichtet. Es soll unscheinbar im Wald stehen. Von der Brücke über den Graben führt ein Pfahlweg direkt zu dem, das Haus umlaufenden, Freisitz. Auf der Vorderseite befindet sich die Tür in der rechten Hälfte, während die Linke ein Fenster mit Klappläden hat, das von innen mit einem dicken Querbalken fest verschlossen werden kann. Um ausreichend Licht ins Haus zu bekommen, sind auf der Rückseite nochmals zwei Fenster und auf den längeren Seitenwänden sogar jeweils drei Fenster vorhanden. Trotzdem ist sogar bei hellstem Sonnenschein in der Hütte wegen der dicht belaubten Bäume meist ein geheimnisvolles Dämmerlicht. Weil das Haus hoch genug gebaut ist, gibt es noch einen Zwischenboden, den man innen über eine Leiter erreichen kann. Allerdings erstreckte sich dieser zusätzliche Boden nur über zwei Drittel der Grundfläche. Das vordere Drittel ist frei gelassen. Dort oben gibt es nur ein kleines rundes Fenster an jeder Seite.

Das Dach ist so weit als möglich herab gezogen, sodass auch der ganze Freisitz überdacht ist. Wer aber sehen will, was vor der Insel geschieht, muss sich deshalb bücken.

Für die empfindlichen Kräuter, die hier nicht schon von Natur aus wuchsen, wurde ein großer Garten auf der Insel angelegt und mit einer fast vier Fuß hohen Mauer eingefasst, damit auch hier das Hochwasser keinen Schaden anrichten kann. Saatgut hat sie reichlich von den Halblingen bekommen und auf ihrer Wanderung gesammelt. Mit viel Geschick gelang es Beata dann auch zum Beispiel die sehr empfindliche Alraune zu pflegen. Weil der Weg zu ihrem Haus durch oft sumpfiges Gelände führt, wurde nach römischem Vorbild ein Pfahlweg angelegt, wo eine normale Befestigung nicht ausreichend erschien. Trotzdem gab es Zeiten, in denen Beatas Reich nicht verlassen oder aufgesucht werden konnte. Wegen der vielen verbauten Pfähle und dem hoch aufgeschütteten Hügel pflegte man dieses Gebiet danach als Bule zu bezeichnen. Wer die Bule kennt weiß, wie hungrig des Sommers hier die sehr zahlreichen Stechfliegen sein können. Für die junge Frau war dies aber kein Problem. Es waren allerdings nicht nur die Kräuter, die dafür sorgten, dass ihre Insel nahezu frei von diesen Saugern war. Wohl durch die Zwergenmilch der Amme meiden sie die Fliegen gleich einem Zwerg.

Aufgrund all dieser Umstände nährte sich der Ruf Beatas, ein unheimliches Kräuterweib zu sein. Man suchte sie, wenn man sie brauchte, doch man mied sie, wo man nur konnte. Die Tatsache, dass sie sonderlich aller Siedlungen ihr Heim genommen hat, macht das nicht ein bisschen besser.

Was die Ernährung anbelangt, so findet Beata in der Bule einen reich gedeckten Tisch. Viele der Kräuter waren und sind natürlich nicht nur Heilmittel, sondern durchaus auch zum Verzehr in Salaten geeignet. Reichlich wilde Beeren, Pilze und Früchte gibt es und Fisch und Fleisch sind zum Greifen nahe. Hat sie wirklich einmal Lust auf Getreide für einen Brei oder zum Backen, besucht sie die Brüder im Kloster St. Wolfgang, welches ja nur eine kurze Strecke entfernt liegt.

Von den Kranken erhält sie nach erfolgreicher Heilung auch stets Nahrungsmittel, als Lohn für ihre Dienste. Es mangelt ihr an nichts.

* * * * *

Beata ist noch mit Einrichtungsarbeiten beschäftigt, als es eines Tages im Sommer 619 an ihrer Pforte klopft. Davor steht eine ebenfalls noch junge Frau mit besonderem Aussehen.

„Ich grüße euch, Beata.“, beginnt sie mit etwas piepsiger Stimme. „Ich bin auf der Suche nach euch.“

„So ist denn eure Suche beendet.“, erwidert Beata etwas ungehalten ob der Störung. „Wer seid ihr und was ist euer Begehr?“ Sie ist etwas mürrisch, weil die Fremde sie aus ihren Gedanken gerissen hat.

„Ich bin Steinschneiders Guda und möchte euch fragen, ob ihr vielleicht für eine helfende Hand Verwendung hättet.“, lautet die eingeschüchterte Antwort.

Erstaunt mustert Beata ihre Gegenüber von oben bis unten und zurück. Vor ihr steht eine junge Frau, gleich ihr ausgiebig gerundet, doch über der Hüfte nicht ganz so schlank. Sie ist etwa zwei Handspannen kleiner als Beata, wodurch der lange etwas höher angesetzte braune Pferdeschwanz noch um einiges länger wirkt.

Man trägt ihr Hilfe an. Ihr, dem unheimlichen Kräuterweib. Eigentlich braucht sie keine Hilfe. Die Arbeiten, die es zu verrichten gilt, bewältigt sie allein. Und sei es nicht heute, dann vielleicht morgen. Es gibt nichts Dringendes ihn ihrem Leben. Sie empfindet aber, dass da besondere Beweggründe existierten, warum diese Guda ausgerechnet bei ihr anklopft. Das sagte auch der Blick der grauen Augen über der Stupsnase im runden Gesicht.

„So tretet ein, auch wenn ich keiner Hilfe bedarf. Doch ihr interessiert mich.“

Damit tritt sie zur Seite und gibt den Weg in das Haus frei.

Schüchtern, nicht ängstlich, wie Beata spürt, geht Guda an ihr vorbei und blickt sich im Inneren neugierig um. Die Kochstelle befindet sich im vorderen Bereich, nicht unter dem Zwischenboden, damit ausreichend Luft bis zum Dach ist. In der Nähe der Feuerstelle steht ein Tisch mit zwei Hockern. Nach hinten sieht sie noch zwei Türen, von denen eine wohl zu einer Schlafkammer führt, denn eine Lagerstatt ist sonst nirgends zu sehen. Sicherlich ist oben, bei den zum Trocknen hängenden Kräutern, ebenfalls keine. Weil Guda weiß, dass Beata sehr wohl die Lebensweise der Zwerge kennt, vermutet sie (zu Recht) hinter der zweiten Tür den Abort. Die Chynz trägt ihren Teil dazu bei, den Unrat sofort zu beseitigen. An den Wänden stehen sehr viele Regale, gefüllt mit irdenen Krügen und Schüsseln, mit und ohne Deckel, und metallenen Töpfen und Gerätschaften.

Beata lässt Guda Zeit, sich umzusehen. Schließlich aber sagt sie:

„Nehmt Platz und erzählt, was genau euch zu mir führt. Ich spüre, dass es um mehr geht, als nur die Suche nach Arbeit und Auskommen. Und eine rechte Zwergin, wie euer Name glauben machen kann, seid ihr auch nicht.“

Überrascht und verlegen blickt Guda zu Boden und setzt sich. Dann hebt sie ihren Kopf, fasst allen Mut zusammen und erzählt:

„Ihr habt Recht, Beate, ich bin keine reine Zwergin; nur ein Teil von mir. Mein Vater ist Ulbert Steinschneider, ein Zwerg. Vor fast siebzehn Jahren nahm er Frascha, die Menschenfrau zu seinem Weib, die mich zwei Tage vor der Wintersonnwende des gleichen Jahres gebar. Gemeinsam lebten wir in einer Menschensiedlung, bis vorigen Jahres meine Mutter starb. Das ist halt das Problem zwischen Mensch und Zwerg. Die Lebensdauer der Menschen ist deutlich kürzer.

Nun hielt meinen Vater aber nichts mehr in der Siedlung und er nahm mich mit in den Berg. Ich habe es lange versucht, doch ich konnte im Berg nicht leben. Dafür ist zu viel Mensch in mir. Bei den Menschen in der Siedlung fühlte ich mich auch nicht wohl und so suchte ich schon bald nach einer Lösung. Da hörte ich von euch und dachte, bei euch möchte es vielleicht gehen. Sicher seid ihr niemand, der auf die Herkunft alleine schaut. Vielleicht fänd ich Unterkunft bei euch für treue und redliche Arbeit. Gleich, was es auch sei.“

Mit hoffnungsvollem Blick erwartet Guda eine Reaktion auf ihre Lebensgeschichte. Beatas Blick sagt ihr, dass sie bleiben kann. Oder hat sie sich getäuscht? Die Worte klingen anders.

„Dann lasst mal hören, was ihr glaubt, mir helfen zu können. Dann will ich gerne entscheiden, ob ich euch brauchen kann.“

„Ich kann euch alles abnehmen, was schwere, wirklich schwere Arbeit ist. Die Kräfte einer Zwergin hab ich wohl. Leider bin ich in feinen Dingen nicht so geschickt. Wohl auch mein Zwergenlos.“ Enttäuscht stellte Guda mit einem Blick auf ihre wenig zarten Hände fest, dass sie eigentlich nicht viel anbieten kann, daher ergänzte sie schnell eifrig: „Doch was ich nicht kann, das mag ich gerne von euch lernen.“

„Das will ich euch wohl glauben, Guda. Lernen können wir alle alles, wenn wir nur wollen.“

„Oh, ja, ich will lernen, Beata. Bitte lasst mich bei euch bleiben.“, bettelt die Halbzwergin. Dabei macht sie Anstalten, sich vor ihr nieder zu knien.

Lachend verhindert Beata dies, indem sie sie an den Händen fasst. „Wie werde ich eine Hilfesuchende abweisen, die am gleichen Tage wie ich geboren wurde. Bin ich doch nur zwei Jahre älter als du.“ Mit dem du sind die förmlichen Schranken gefallen. „Ich will es gerne mit dir versuchen.“

„Vielen vielen Dank!“, ruft Guda, umarmt Beata stürmisch und küsst sie voller Freude auf den Mund.

Von diesem unschicklichen Verhalten merkwürdig berührt, löst sich Beata aus der Umarmung. „Fürs Erste kannst du auf dem Zwischenboden dein Lager beziehen, wenn du magst. Wollene Decken sind genug da und ein Unterbett habe ich auch noch. Dann werden wir sehen, wie wir uns die Arbeit teilen werden.“

* * * * *

Im Lauf der Zeit zeigt sich, dass Guda tatsächlich nur für die groben Arbeiten und für gelegentliches Kochen taugt. Mit dem Gärtnerischen kann sie sich nicht anfreunden. Gefährliche Verwechslungen mit den Kräutern, wie beispielsweise Bärlauch mit Maiglöckchen, und bei Pilzen und Beeren sind fast an der Tagesordnung. Doch letztlich harmonisieren die zwei Frauen ganz hervorragend miteinander. Beide haben gefunden, was sie nicht suchten und sind es trotzdem mehr als zufrieden. Ihre Zuneigung zueinander wächst stetig. Inzwischen schlafen die beiden gemeinsam in der Kammer.

Junge Burschen, die meinen, sich eines dieser Weiber nehmen zu können, merken gar bald, wie wehrhaft Beata und Guda sind. Selbst ohne Waffe ist Beata nicht zu überwältigen und Guda, mit ihrem Zwergenblut steckt sowieso jeden Mensch in die Tasche.

Es dauert nicht lange und bereits im weiteren Umkreis ist bekannt, dass das Kräuterweib ein Zwergenweib zu sich genommen hat. Das muss mit Hexerei zu tun haben. Das ist widernatürlich. Genauso schnell haben die zwei Frauen ihren Spitznamen weg. Weil sie beide die Haare im Pferdeschwanz tragen sind sie nun die rote und die braune wilde Stute. Letztlich haben auch Beata und Guda davon erfahren. Sie haben darüber nur gelacht. Dass sie ins Gerede kommen, war von vornherein klar. Bis dato haben die zwei Frauen Glück, denn in ihrer Umgebung ist noch nichts geschehen, was das Volk vielleicht auf den bösen Blick oder andere schwarze Magie zurück führt. Allzu leicht kommen Menschen mit schlechtem Ruf dann in Gefahr, für ein Unglück verantwortlich gemacht zu werden. Ob sich das Pärchen gegen den aufgebrachten Mob durchsetzen könnte, ist fraglich.

Nur gut, dass niemand die familiäre Verbindung zu Magda in Hosti kennt. Der Ruf der Mutter sollte auf keinen Fall beschädigt werden.

* * * * *

Es ereignete sich folgende Anekdote:

Des Abends sitzen Beata und Guda gerne noch ein wenig auf dem Freigang vor dem Haus und gönnen sich den einen oder anderen Krug Bier, wobei Guda den Mönchsbräu, Beata aber den Zwergenbräu bevorzugt.

Nun wollte es das Geschick, dass beiden das Fässlein leer wurde und alsbald machten sich sowohl Zwerg als auch Mönch im Hochsommer auf den Weg, den Frauen Nachschub zu liefern. Weil der Zwerg mit seinem Ochsengespann eher los zog, traf man sich just auf der großen Straße.

„Wohin des Weges, Bruder?“, fragte der Zwerg.

„Zu Guda, die bei dem Kräuterweib in der Bule lebt.“, lautete die Antwort des Mönches, der seinen Karren mit einem Fass Bier hinter sich herzog. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht hinab, denn auf diesem Wegesabschnitt gab es im Moment nicht ein kleines bisschen Schatten.

„So haben wir den gleichen Weg, Bruder. Lasst uns euren Karren und das Fass zu dem meinen hinten aufladen. Ich nehme euch gerne mit. Was sollt ihr euch so plagen in der Hitze heute.“

Gesagt, getan. Und unter lustigem Plaudern über dies und jenes zogen die Beiden ihrem Ziel entgegen, als plötzlich dem Mönch einfiel:

„Hält der Pfahlweg zum Kräuterweib überhaupt das große Gewicht des Karrens und seiner Ladung? Mich deucht, es möchte zu groß sein.“

„Wäre der Pfahlweg Menschenwerk, wäre euer Einwand wohl berechtigt, doch haben wir Zwerge diesen Weg gebaut. Der wird schon halten. Als damals die Hütte errichtet wurde, wurden ganz andere Gewichte darüber hinweg geschafft und nie gab es Grund zur Sorge. Seid ganz beruhigt.“

So ganz beruhigt war der Mönch davon aber nicht und auch der Zwerg war sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher, wie seine Rede klang. Nachdenklich ruhig setzte man die Reise fort. Als man dann am Pfahlweg anlangte, hielt der Zwerg das Gefährt an, stieg vom Kutschbock und betrat den hölzernen Weg, der gerade breit genug war, ein Fuhrwerk zu tragen. Mit festem stampfendem Tritt schritt der Zwerg voraus und wand sich dann dem Mönch zu.

„Seht her, Bruder!“, rief er und sprang dann mehrmals in die Luft um laut krachend mit seinen Stiefeln wieder auf dem Weg zu landen. Nichts passierte. „Das hält noch sehr viel mehr, als nur den Wagen und uns.“ Voller Stolz blickte der Zwerg zum Mönch hinauf.

Damit kehrte er wieder zurück und setzte sich auf den Bock. Mit zufriedener Miene trieb er den Ochsen an und rumpelnd rollte das Gefährt weiter. Nur noch wenig vom Ziel entfernt, als der Weg über einen Wasserarm führte, knackte es vernehmlich bedenklich. Augenblicklich hieß der Zwerg den Ochsen stehen zu bleiben, um nicht durch das Gerumpel der Holzräder sein Gehör zu beeinträchtigen. „Hörtet ihr auch etwas, Bruder?“

Zu einer Antwort aber kam es nicht mehr, denn nun krachte es gar fürchterlich und Mann und Fuhre stürzten seitlich weg und landeten im Wasser, das zum Glück nicht sehr tief war. Beide Fässer geborsten. Triefend nass saßen die Lieferanten im Bach.

„Von wegen: Zwergenwerk – hält noch viel mehr.“, äußerte der Mönch abfällig.

Im vom Bier und Schlamm getrübten Wasser griff der Zwerg nach einem Pfahlstück, betrachtete es kurz und hielt es in die Höhe.

„Biberwerk!“

Seit dieser Zeit und bis auf den heutigen Tag hat der Wasserlauf den Namen Doppelbiergraben und die Umgebung Doppelbiersumpf.

Eringus - Freddoris magische Eiszeit

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