Читать книгу Eringus - Freddoris magische Eiszeit - Rainer Seuring - Страница 8
Wahr gesagt?
ОглавлениеSchon seit vielen Jahren treffen sich zwei in alten Schriften Forschende. Zum Einen ist dies der Zwerg Wilbalt Eisenbieger und zum anderen der Mönch Urban. Es ist auffällig geworden, dass sich aus den alten Schriften der beiden so unterschiedlichen Völker zutreffende Gemeinsamkeiten gelesen werden können.
Nachdem es dem Zwergen nicht gelungen ist, seine Meisterprüfung erfolgreich zu bestehen, hat er sich darauf verlegt, in einem Teilbereich als Berater für den Meister zu arbeiten. Jetzt kümmert er sich intensiv um Aussagen und Beziehungen zu anderen Völkern.
Nun darf man aber nicht davon ausgehen, dass in Zwergenbüchern zu lesen ist, was bei den Menschen passiert oder umgekehrt. Allerdings ließen sich Übereinstimmungen finden, ging es um Geschehnisse, die allgemein, also Mensch und Zwerg, betreffend waren. So zum Beispiel fanden sich Vorhersagen bezüglich des Erdbebens im Jahre 543, das überall spürbar war.
Bei seinen Bemühungen ist Wilbalt die Idee gekommen, Unterstützung bei den Menschen zu suchen. Allerdings sind die einzigen, verbindlichen Quellen bei den Mönchen zu suchen. Also ging er kurzerhand zum Kloster und bat um Einsicht in Schriften, die er zu finden hoffte. Dabei lernte er den Mönchen Urban kennen und schätzen.
Nachdem die letzte Zusammenkunft bei den Zwergen war, trifft man sich dieses Mal bei den Mönchen in St. Wolfgang. Üblicher Weise gibt es zunächst erst einmal eine herzliche Umarmung zur Begrüßung, worauf man sich des Bierfässchens bemächtigte und einen Humpen auf das gemeinsame Wohl trinkt. Dieses Ritual geht in dem heutigen Treffen gänzlich unter. Wilbalt sitzt bereits im Gästehaus des Klosters über einem sehr alten Buch, als Urban mit einer wohl nicht minder alten Schriftrolle unter dem Arm den Raum betritt.
„Dringende Neuigkeiten bring ich, Bruder Urban.“, ruft der Zwerg statt einer Begrüßung. Seine kastanienbraunen Haare fallen in leichten Wellen auf seine Schultern, um die er einen dünnen schwarzen Mantel trägt, der mit einer Hornspange gehalten wird. Darunter trägt er ein grünes Gewand und gleichfarbige Hosen, die in den bei Zwergen üblichen Stiefeln stecken. Der brustlange Vollbart liegt auf dem Mantel. Allerdings ist das Kinn gänzlich ohne Barthaar, weswegen die dadurch entstehenden zwei Teile des Bartes kunstfertig zusammengeflochten wurden. Über einer dicken Nase leuchten graue Augen.
Als Antwort bricht es auch aus dem Mönchen heraus: „Wir gehen schlimmen Zeiten entgegen.“ Er ist nicht minder aufgeregt, als der Zwerg. Das kahle Haupt des Mönchs wird von einem dunkelbraunen dichten Haarkranz umwunden. Eine lange Nase sticht zwischen grünen Augen und einem breiten Mund aus dem Gesicht hervor. Die Kutte wogt leicht um den schlanken Körper.
„Nun gut, als Gast sei dir der Vortritt gewährt, lieber Wilbalt.“, ergänzt er erzwungen ruhiger.
„Sieh hier, Bruder, was hier steht. Es ist aus den Weissagungen von Gilbret Steinschleifer, dem Seher von der Höch. Mertlin Felsbruch hat mich daran erinnert. Erstaunlich, was der Mann alles im Kopf hat. In meinen Augen hat er unseren alten Meister bereits bei weitem überflügelt.“
Eiligst ist der Mönch an den Tisch heran getreten. Der Zwerg zeigt auf die Stelle, die ihm so enorm wichtig erscheint. Er liest selbst lauter als nötig einen Absatz im Text, der da lautete:
Haben Zwerge vereint zwei eiskalte Winter erlebt,
die Welt dem fürchterlich Dritten zustrebt.
Es türmt sich das Eis, dem Herzen wird bang,
denn dieser Winter, er dauert sehr lang.
Bestätigend nickte Bruder Urban, schiebt seine Rolle Wilbalt zu und zeigt seinerseits auf einen Spruch, welcher besagt:
Ist die Bulla im zweiten Jahr tot,
bringt ein langer Winter viel Not.
Natürlich muss der Mönch den Text übersetzen. Bis heute fand sich noch kein Zwerg dazu bereit, Latein zu lernen.
„Ihr Menschen habt schon gar merkwürdige Art, Weissagungen zu verschlüsseln, bester Urban. Das musst du mir erklären. Das ist nicht so einfach, wie die Zwergensprüche.“
„Das ist sehr wahr. Deine Warnung ist leicht zu verstehen. Ihr Zwerge habt euch mit den Kleyberchern vereint und dies ist der zweite strenge Winter seit dem. Also wird der nächste Winter der Längste von allen werden.
Die Sprüche in unseren alten Schriften sollen auch nicht von jedem verstanden werden. Nur das Volk unseres Gottes soll teilhaftig der Wahrheit werden. Darum die Verschlüsslungen. Aber gerne werde ich es dir verdeutlichen.
Vor wenigen Tagen hat uns die Nachricht erreicht, dass schon lange Papst Bonifatius V auf dem Heiligen Stuhl in Rom sitzt, nachdem im vorigen Jahr sein Vorgänger, Papst Adeodatus verstorben ist. Jener Papst Adeodatus aber war der Erste, der ein päpstliches Siegel, die Bulla, benutzte. Nun bist auch du in der Lage, den Spruch zu deuten.“
„Ja, nun wohl. Im nächsten Winter ist dieser Papst Adingsbums im zweiten Jahr tot. Darum wird der Winter dann sehr lange werden. Ich hätte nicht gedacht, dass zu gleicher Zeit auch du solch eine Warnung finden würdest. Vielmehr nahm ich an, du müsstest erst noch suchen.“
„Das wäre sicher auch von Nöten gewesen und ich zweifle, ich wäre fündig geworden. Doch fiel mir diese Schrift mehr durch Zufall in die Hände und ich möchte nicht unbedingt darüber sprechen. Ich werde bestimmt auch schon so genug Ärger deswegen bekommen. Da muss ich nicht noch herum Posaunen, woher ich dies habe.“, antwortete Urban nachdenklich.
„Sei es, wie es sei. Was machen wir mit unserem Wissen? Irgendetwas muss geschehen. Sicherlich ist diese Nachricht von enorm großer Wichtigkeit. Nicht umsonst findet sie sich bei euch wie bei uns.“
„Diese Frage ist meinesteils ziemlich leicht zu beantworten. Ich werde vor meinen König treten, ihm von unserer Entdeckung berichten und ihm empfehlen, die größten Vorräte aller Zeiten anzulegen.
Ich bin mir sicher, er wird auf der Stelle die notwendigen Anweisungen erteilen und auch unsere Freunde warnen. Wir Zwerge halten mit sowas nicht hinterm Berg, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Oh doch, Wilbalt. Ich verstehe. Leider bin ich mir bei meinem Abt in dieser Hinsicht nicht so ganz sicher. Ich werde mir viel einfallen lassen müssen, um ihn zu beschwichtigen und zu überzeugen. Und ob er dann entsprechend handelt?“ Der Rest seiner Gedanken bleibt offen.
Zu guter Letzt nimmt man dann doch noch einen guten Schluck Bier zu sich und beendet mit der obligatorischen Umarmung die kürzeste Zusammenkunft, die jemals zwischen Beiden stattfand.
* * * * *
Wie vorher gesehen (was nicht sehr schwer war) hat König Sigurd tatsächlich Anweisung gegeben, all mögliche Anstrengungen zu unternehmen, die beste und größte Ernte aller Zeiten zu erzielen. Er lässt sogar neue zusätzliche Felder anlegen und so viel wie nur möglich an Saat ausbringen. Gleichzeitig schickt er Boten zu den Halblingen in Lindenbach und Erlenbusch und natürlich auch zu seiner lieben Magda. Gleichzeitig bietet er Lagerplatz in den Höhlen und Gängen der Festung an, falls vorhandene Scheunen und Lagerstätten nicht reichen mögen. Falls wirklich solch ein harter und langer Winter kommen würde, wäre die Zwergenfestung der sicherste Platz im ganzen Chynzychtal.
Die Halblinge ihrerseits verbreiten die Kunde in den anderen Dörfern der kleinen Gärtner weiter und so beginnt eine emsige Betriebsamkeit.
Tatsächlich werden später im Herbst ganze Wagenladungen Ernte in die Steinenaue hinauf rollen. Man fühlt sich wohl gerüstet, selbst wenn der Winter doppelt so lange als üblich dauern werde. Die meist gehasste Beschäftigung ist dann fortan das Aussieben und Wenden des Getreides und auch das Umlagern von Obst und Gemüse, um diese Menge an Erntegut vor Fäulnis und Schimmel zu behüten. Eine, was das Getreide angeht, sehr staubige Arbeit.
* * * * *
„Bruder Abt, dürfte ich ein wenig eurer geringen Zeit in Anspruch nehmen?“, bittet Urban am gleichen Tag, sofort nach der Unterredung.
„Nun, Bruder Urban, wollt ihr mir etwas beichten?“, beantwortet Abt Laurentz mit einer Gegenfrage. Der Mann ist jünger als der Mönch und sitzt an einem Tisch, auf der die Bibel aufgeschlagen liegt. Allerdings liegt sie verkehrt herum und die Schrift steht somit auf dem Kopf, wie Urban nebenbei feststellen kann. Die blassgrauen Augen verleihen Laurentz einen stechenden Blick. Das hagere Gesicht verstärkt den unangenehmen Eindruck. Der Mund ist dünnlippig und wirkt sehr verbissen.
Der Mönch druckst ein wenig herum. „Im Grunde ja und nein, Bruder Abt.“
„Drückt euch klarer aus, Bruder.“ Laurentz ist seit einem Jahr Abt in St. Wolfgang und leider nicht so milde wie sein Vorgänger, Abt Nikolaus.
„Als denn!“, fasst sich Urban ein Herz, nachdem er noch einmal tief Luft geholt hat. „Ihr wisst ja von meinen regelmäßigen Treffen mit Wilbalt, dem Zwerg. Einmal im Monat besprechen wir die Erkenntnisse, die wir aus den alten Schriften gewinnen um zu sehen, was wichtig für uns alle sei.“, erklärte er ausschweifend.
„Ihr verschwendet gerade meine Zeit, Bruder. Kommt zum Kern der Sache.“, unterbricht ihn der Abt ungeduldig.
„Natürlich, Bruder Abt. Sofort. Wilbalt fand also in den Zwergenschriften einen Hinweis, wonach nach dem zweiten strengen Winter nach der Zwergenvereinigung ein weiterer noch sehr viel schlimmerer Winter käme. Dieses wäre demnach der nächste Winter.“
„Ihr erwartet doch nicht von mir, dass ich mich als gottesfürchtiger Mönch dem Unfug alter Zwergenspinner anvertraue. Wo kämen wir da hin?“
„Geduldet euch, Bruder Abt. Auch in unseren Schriften fand sich eine vergleichbare Warnung.“, beschwichtigt Urban, wohl wissend, dass es sogleich großen Ärger geben würde.
„Ach, was ihr nicht sagt, Bruder Urban. Wo soll das denn geschrieben stehen? Nirgends in der Heiligen Schrift findet sich ein Hinweis auf einen kalten Winter, der die Gläubigen plagen würde. Also, zeigt mir die Stelle.“ Der Abt macht den Eindruck, er würde in Kürze explodieren. Sein Gesicht nimmt langsam eine rötliche Färbung an. Ein untrügliches Zeichen für den steigenden Blutdruck des Klostervorstehers.
Schweigend holt Urban das Pergament unter der Kutte hervor, öffnet es und weist auf die Stelle des Textes. Und Laurentz Gesichtsfarbe wird schlagartig blasser. Statt zu lesen rollt er die Schrift zu und betrachtet sie sich. Dann sieht er tief in Urbans Augen mit einem Blick, der Wasser zu Eis gefrieren ließe. Sogleich wird sein Ton leise und bedrohlich als er fragt: „Woher habt ihr diese Rolle?“
„Ihr wisst es, Bruder Abt, denn es gibt nur dieses eine Exemplar in unserem Kloster. Und ja, ich weiß auch, dass dies eine verbotene Schrift ist.“, erwidert der Mönch mutig. Und sehr viel leiser fügte er hinzu: „Und ich weiß auch, dass ihr genauso an den Wahrheitsgehalt dieser Schrift glaubt, wie ich. Sie fiel mir entgegen, als ich eure Kammer reinigte. Wo sie zuvor war, ist euch bekannt.“
Das war Urbans einziger Trumpf, um sich vor Strafe zu bewahren. Die Tatsache, dass diese Rolle im Kloster, verschlimmernd noch im Raum des Abtes, war, ist absolut verwerflich. Ein Grund, dieses Kloster auf der Stelle zu schließen und die Brüder in den Schoß der Mutter Kirche zurück zu holen.
Hektisch blickt sich Abt Laurentz um und verbirgt schnellstens die Rolle unter seiner Kutte. „Fühlt euch nicht zu sicher, was dies Pergament angeht. Ein Wort von euch über seine Existenz und es ist schneller verbrannt, als ihr zwanzig Stockhiebe ertragen habt.“
Das ist mehr als deutlich und Urban nickt furchtsam. So hoch er sein Wissen als möglichen Schutz erachtete, so wenig ist es doch tatsächlich wert. Trotzdem lenkt der Abt erstaunlicher Weise ein. „So seid ihr denn auch Teilhaber an diesem Wissen. Was wollt ihr damit machen? In alle Welt hinaus schreien? Dass alle Ungläubigen, den alten Göttern anhaftenden Unwissenden sich wappnen können?“
In den nächsten 49 Gebeten dankt Urban Gott auf das Herzlichste für diesen augenblicklich folgenden Einfall. „Im Gegenteil, Bruder Abt. Sicherlich werdet ihr nur den engsten gläubigen Freunden die rechten Ratschläge erteilen. Da bin ich mir sicher. Doch sehe ich auch die Möglichkeit, den Ungläubigen die Größe Gottes zu zeigen.“
„Wie soll das von Statten gehen?“ Laurentz ist sichtlich interessiert, ist er doch begierig, seine Herde der Gläubigen zu erweitern und so das Wohlwollen der höheren Würdenträger der Kirche zu erlangen.
„Nutzt jeden Raum in diesem Kloster, der verfügbar ist und lagert darin Nahrungsmittel für unzählig viele Tage und Menschen. Leiden dann die Menschen Not, so könnt ihr sie speisen im Namen unseres Herren und sie so zum Glaubenswechsel bewegen. Ihr werdet die meisten Gläubigen aller umliegenden Abteien um euch versammeln können. Man wird euren Namen preisen, eure Güte, Weitsicht und Klugheit.“
Urban hat seinen Abt erkannt. Dessen Antlitz entspannt sich zusehends und wird zunehmend friedlicher. „Ihr seid ein schlauer Kopf, Bruder Urban.“, stellt Laurentz fest. „Ich werde mir diesen Vorschlag gründlich überlegen.“
* * * * *
Abt Laurentz hat Urbans Vorschlag wirklich in die Tat umgesetzt, wobei er äußerst spärlich und nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit einigen ganz Wenigen eine Warnung zu kommen lässt. Bis zum Wintereinbruch sind selbst die neu erbauten Stallungen und Scheunen bis unters Dach gefüllt. Und Urbans Gebete erweitern sich um die furchtsame Bitte, es möge auch tatsächlich ein sehr langer und strenger Winter kommen. Seines Abtes Äußerungen was geschehen werde, falls der Winter ausbliebe, lassen ihn größte Ängste für sein zukünftiges Wohlergehen hegen.
* * * * *
Das Jahr ging dahin und es war ein gutes Jahr. Die Ernte fiel ausgesprochen üppig aus. Und der Winter der Prophezeiung kam. Es war ein später Winter, und es war ein kalter Winter, aber es war ein kurzer Winter.
Lenzing im Jahre 620 ist vorbei, es wird wärmer, Eis und Schnee sind geschmolzen. Die Schneeglöckchen sind längst schon wieder verblüht.
Wilbalt, der Zwerg, und Urban, der Mönch, grübeln über den kargen Texten und suchen nach einer Erklärung, warum sie sich so fürchterlich haben täuschen können. Alles schien doch so eindeutig.