Читать книгу Camp 21 - Rainer Wekwerth - Страница 7

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2.

Mike sah im Rückspiegel, wie zwei Polizisten aus dem Wagen stiegen. Sie trugen verspiegelte Brillengläser. Das Blaulicht zuckte noch immer. Machte Mike nervös.

Verdammt, das würde Ärger geben. Richtigen Ärger.

Einer der Cops kam näher, während sein Kollege ihn absicherte, die Hand über der Waffe an seiner Seite. Der Mann war groß, mindestens einen Kopf größer als er selbst. Er hatte harte Gesichtszüge und einen schmalen blassen Mund.

Einen Meter hinter ihm blieb er stehen. Mike musste den Kopf verdrehen, um ihn zu sehen. Er kurbelte das Fenster herunter.

»Die Hände aufs Lenkrad!«, befahl der Officer. »Sehen Sie nach vorn.«

Mike gehorchte.

»Der Beifahrer soll das Fenster herunterlassen und seine Hände rausstrecken.«

»Sir?«

»Ich will seine Hände sehen.«

Ricky neben ihm rührte sich nicht. Mit verkniffenem Gesichtsausdruck saß er da.

»Mach schon, Ricky«, zischte Mike ihm zu, aber sein Bruder verzog nur verärgert den Mund.

»Der kann sich ins Knie ficken.«

»Ricky, bau jetzt keine Scheiße, streck die Arme raus.«

Mike wandte sich um. Der Polizist wurde unruhig. Er konnte seine Augen hinter den Brillengläsern nicht sehen, aber er spürte, wie ihn die Blicke des Mannes festnagelten.

»Die Hände. Jetzt!«

Hart. Unmissverständlich.

»Sofort, Sir«, sagte Mike und dann, zu Ricky gewandt: »Bitte tu es.«

»Mann!«, stöhnte Ricky, aber er kurbelte das Fenster herunter und streckte beide Hände durch. Mike atmete erleichtert auf.

»Sie …«, der Cop deutete auf Mike, »steigen aus. Ich will die Fahrzeugpapiere und den Führerschein sehen. Wo sind sie?«

»Im Handschuhfach, Sir.«

»Nehmen Sie die Sachen langsam heraus. Machen Sie keine schnellen Bewegungen.«

»Okay.«

Er beugte sich zu Ricky hinüber, öffnete die Klappe zum Handschuhfach.

»Ich hab keinen Bock mehr«, maulte sein Bruder. »Außerdem ist mir nicht gut. Ich glaube, ich muss kotzen.« Er würgte.

»Ricky …«

Der Blick, den er auffing, traf ihn bis ins Mark. Bisher hatte er es nicht richtig wahrgenommen, aber Ricky war vollkommen zugedröhnt. Seine Augen waren glasig. Er wirkte schläfrig und abwesend.

»Ich steig jetzt aus.«

»Nein … nein, tu das nicht.«

Aber Ricky schüttelte den Kopf. Mike wusste nicht, was er machen sollte. Wenn er nach Ricky griff, konnte der Polizist die Bewegung falsch deuten, aber keinesfalls konnte er seinen Bruder gegen den Befehl des Cops aus dem Wagen steigen lassen.

»Sir«, rief er. »Meinem Bruder ist schlecht. Er muss sich übergeben.«

»Sie bleiben, wo Sie sind!«, brüllte der Polizist.

Ricky rülpste. Etwas in seinem Magen gluckerte laut.

»Bitte, Sir …«

»Nein!«

Neben ihm stöhnte Ricky. »Ich muss …« Er würgte erneut.

Der Polizist riss seine Waffe aus dem Halfter. Mike fasste nach der Schulter seines Bruders.

Die Zeit blieb für einen Moment stehen.

Dann drückte Ricky den Türöffner herunter und taumelte aus dem Wagen.

Es ging alles schnell. So schnell. Der zweite Cop stürzte heran, packte Ricky im Genick und drückte ihn zu Boden, noch während sich dieser übergab. Der andere Polizist richtete seine Waffe auf Mikes Gesicht. Mike blickte in die Mündung und hatte das Gefühl, in einen Tunnel zu sehen. Eine Hand riss die Fahrzeugtür auf und zog ihn aus dem Wagen.

Mike prallte hart auf den heißen Asphalt. Seine Kiefer klappten abrupt zusammen. Dann spürte er das Knie des Polizisten in seinem Rücken. Heißer Schmerz jagte durch seine Zähne. Seine Hände wurden brutal nach hinten gebogen, Handschellen schnappten um seine Handgelenke zu.

»Ich … bekomme keine Luft«, wollte Mike sagen, aber es kam nur ein dumpfer Laut heraus.

Sein Kopf dröhnte. Das Atmen fiel ihm schwer. Alles wirbelte durcheinander. Ein Kaleidoskop wirrer Bilder tanzte vor seinen Augen, dann durchzuckte ein Gedanke seine Verwirrung.

Ricky?

Ricky war so still. Warum hörte er seinen Bruder nicht?

Er versuchte, sich aufzurichten. Wollte nach seinem Bruder sehen. Ihm sagen, er solle ruhig bleiben, alles werde gut, aber der Mann auf seinem Rücken presste ihn unerbittlich nieder.

»Rühr dich keinen Millimeter, Junge«, zischte der Polizist. »Oder ich breche dir jeden Knochen im Leib.«

Mike gab seinen Widerstand auf. Sein Körper erschlaffte.

»Unter Kontrolle«, rief der Mann seinem Kollegen zu.

»Hier auch«, kam es zurück.

Gott sei Dank. Ricky hatte sich nicht weiter gewehrt. Die Sache würde sich klären lassen. Sie waren keine Verbrecher, nur zwei Jungs, die ein bisschen Spaß haben wollten. Das würden die Polizisten verstehen.

Es war ein schöner Tag.

Er wurde an den Handschellen gepackt und so grob auf die Füße gerissen, dass er das Gefühl hatte, beide Schultern kugelten sich aus. Sein erster Blick galt Ricky, der auf der anderen Seite des Wagens auf die Motorhaube gepresst wurde. Ricky schrie schmerzerfüllt auf. Klar, der Motor war heiß und das Blech zusätzlich durch die Sonne erhitzt.

»Was tun Sie da?«, rief Mike. »Lassen Sie ihn los.«

Wieder schrie Ricky. Er wehrte sich gegen den Griff. Mike konnte sehen, dass seine Hände nicht gefesselt waren. Irgendwie gelang es ihm, sich zu befreien. Er wirbelte herum.

»Nein!«, brüllte Mike, aber es war zu spät.

Ricky stieß den Polizisten von sich.

Der Mann stolperte einen Schritt nach hinten, fing sich aber gleich wieder. In einer einzigen fließenden Bewegung zog er seinen Schlagstock vom Gürtel und schlug zu. Mike konnte nicht sehen, wo Ricky getroffen wurde, aber sein Bruder brach augenblicklich zusammen. Stumm, ohne jedes Geräusch, sackte er zu Boden.

Entsetzen machte sich in Mike breit.

»Ricky?«, brüllte er, aber es kam keine Antwort. »Ricky?«

Der Cop in seinem Rücken trat ihm die Beine weg. Mike sackte nach hinten, wurde aber aufgefangen und zum Streifenwagen gezogen. Wie einen Sack Getreide schleifte ihn der Mann hinter sich her, öffnete die Tür zum Rücksitz und stieß ihn hinein.

»Was ist mit meinem Bruder?«, rief Mike. »Tun Sie ihm nichts.«

Aber der Polizist antwortete nicht, sicherte Mike an einer Vorrichtung im Fahrzeug und zog ihn in eine aufrechte Position.

»Verhalte dich ruhig!«, befahl er, dann ging er zu seinem Kollegen hinüber und begutachtete die Lage. Kurz darauf war er zurück, öffnete die Beifahrertür, griff nach dem Funkgerät und machte eine Meldung an die Zentrale. Mike verstand kaum etwas, aber er bekam mit, dass ein Abschleppwagen für den Ford Mustang angefordert wurde. Seine Hoffnung, alles noch einigermaßen unter Kontrolle zu halten, flog dahin. Sie saßen bis zum Hals in der Scheiße.

Noch schlimmer war seine Sorge um Ricky.

War er verletzt? Bewusstlos?

Mike reckte den Hals und versuchte, durch das Absperrgitter, das die Frontsitze von der Rückbank trennte, etwas zu erkennen, aber der Mann vor ihm verdeckte die Sicht. Der Polizist beendete seine Meldung und drehte sich zu ihm um.

Mike sah ihn an. »Sir, bitte. Ich mache keinen Ärger. Bitte sagen Sie mir, was mit meinem Bruder ist.«

Das Gesicht des Mannes blieb ausdruckslos, aber er wandte sich seinem Kollegen zu, von dem nur der Kopf hinter dem Mustang zu sehen war.

»Mit ihm ist alles okay.«

Mike beobachtete, wie der Cop Ricky auf die Füße zog. Sein Bruder trug nun ebenfalls Handschellen. Jeder Widerstand in ihm war erloschen. Den Blick gesenkt, stolperte er neben dem Polizisten her. Ein schmaler Blutstreifen zog sich aus seiner Nase das Kinn hinunter.

Als beide heran waren, wurde Ricky zu Mike auf den Rücksitz bugsiert und gesichert, dann die Fahrzeugtür zugeschlagen. Er schaute zu seinem Bruder und erschrak.

Rickys Schultern hingen nach unten, er keuchte wie nach einem Hundertmeterlauf. Alles an ihm wirkte zerbrochen.

»He, Ricky? Alles gut?«

Was für eine dämliche Frage. Nichts war gut und würde es so bald auch nicht werden.

Ricky antwortete nicht.

»Ricky, bist du verletzt? Hast du Schmerzen?«

Drei sich eine Ewigkeit anfühlende Sekunden antwortete Ricky nicht, dann sagte er leise: »Ich hab mich angepisst.«

»Ach, Ricky, das ist doch …«

»Wie ein kleines Kind … angepisst.«

Mike holte tief Luft. Irgendetwas stimmte nicht mit Ricky. Die Situation war schlimm, aber die Art, wie sein Bruder neben ihm saß und mit tonloser Stimme sprach, machte ihm mehr Angst als alle Cops der Welt.

»Hast du Schmerzen?«, fragte er erneut.

»Weiß nicht«, kam es zurück.

»Ricky, bitte konzentrier dich. Ich muss wissen, was mit dir los ist. Brauchst du einen Arzt?«

Ricky drehte den Kopf. Das Blut, das aus seiner Nase gelaufen war, begann zu trocknen. Er sah um Jahre älter aus. »Nein, ich denke nicht.«

Neben dem Streifenwagen hatten die beiden Polizisten ihre Besprechung beendet. Die Fahrertür wurde aufgerissen, einer der Cops beugte sich ins Wageninnere. Es war der Mann, der Mike festgenommen hatte.

»Ist der Wagen gestohlen?«

»Nein, Sir. Er gehört meinem Vater.«

»Henry, hol die Fahrzeugpapiere. Sie sind im Handschuhfach.«

Eine Minute später war der Kollege mit den Zulassungspapieren zurück.

»Führerschein und Ausweis?«, wurde Mike gefragt.

»In meiner Hosentasche.«

Der zweite Cop öffnete die Fahrzeugtür. Mike musste sein Gesäß anheben, damit der Mann an seinen Geldbeutel herankam.

Er reichte ihn dem Kollegen, der den Ausweis herauszog und sorgfältig studierte.

»Mike Sanders, ist das dein Name?«

»Ja, Sir.«

»Das Foto sieht dir nicht besonders ähnlich.«

»Ich hatte da noch längere Haare.«

Der misstrauische Blick des Mannes glitt über ihn hinweg, dann schien er zufrieden zu sein.

»Ist das dein Bruder?«

»Ja.«

»Name?«

»Richard Sanders.«

»Ausweis?«

Ricky antwortete nicht, saß nur da und starrte dumpf auf den Boden.

»Hast du deinen Ausweis dabei?«, fragte Mike.

Ricky schüttelte den Kopf.

»Nun ja, spielt keine Rolle«, sagte der Cop. »Die Kollegen sind gleich da. Ihr werdet zur Fulton County Police Station gebracht. Dort überprüfen sie eure Identität und nehmen eure Aussagen auf. Außerdem wird ein Test auf Alkoholkonsum und Drogenmissbrauch gemacht. Wir schreiben einen Bericht, ein Richter wird entscheiden, ob gegen euch ein Haftbefehl erlassen wird.«

Haftbefehl?

»Sir«, sagte Mike. »Ist das nötig? Wir haben nichts Schlimmes getan. Sind nur ein wenig herumgefahren.«

Der Mann nahm seine Sonnenbrille ab. Ein Blick aus harten Augen traf Mike. »Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit. Verkehrsgefährdung. Widerstand gegen die Polizei. Das sind ernste Vergehen, mein Junge. Du bist siebzehn, dein Bruder sieht sogar noch jünger aus, aber das wird euch nicht helfen. In diesem County herrschen Recht und Ordnung.«

Mike wurde schwindelig. Das alles klang, als wären sie Schwerverbrecher. Er musste unbedingt etwas unternehmen.

»Wir haben einen Fehler gemacht, sicher, aber doch niemanden gefährdet. Ich habe nichts getrunken und auch keine Drogen genommen. Okay, wir waren zu schnell, aber jetzt kennen Sie unsere Identität. Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Ein Bußgeld oder so etwas?«

»Nein. Dein Bruder hat sich der Festnahme widersetzt, einen Polizisten angegriffen.«

»Sir, ich bitte Sie!«

Die Fahrzeugtür wurde wieder zugeschlagen.

»Verdammt, verdammt, verdammt«, fluchte Mike. »Verdammte Scheiße.«

»Dad wird uns umbringen«, murmelte Ricky vor sich hin.

»Ach ja«, ätzte Mike. »Das sagtest du bereits. Ricky, falls du es noch nicht bemerkt hast, wir haben ganz andere Probleme. Ich wünschte, Dad wäre hier. Ich wünschte, er würde uns so richtig zusammenstauchen, drei Monate Hausarrest verpassen oder sonst etwas tun. ER IST ABER NICHT HIER! Begreifst du es nicht? Die bringen uns zur County Police Station. Wir werden verhört und womöglich einem Haftrichter vorgeführt und DANN IST ALLES MÖGLICH. Mann, wenn es dumm läuft, verbringen wir die Nacht im Knast. Hast du Bock darauf?«

»Nein«, gab Ricky kleinlaut zu und sofort tat Mike sein Ausbruch leid. Statt rumzubrüllen, sollte er sich um Ricky kümmern, den das alles schon genug verwirrte. Er musste ruhig bleiben, egal, wie er sich selbst fühlte, und versuchen, seinem Bruder Zuversicht zu vermitteln. Auch wenn er selbst keine Zuversicht in sich spürte.

»Okay, tut mir leid, ich habe übertrieben. Wird schon nicht so schlimm werden. Dad holt uns da raus.«

Ricky sah zum ersten Mal seit Langem auf. Sein Blick flehte nach Trost. »Meinst du?«

»Sicher, mach dir keine Sorgen.«

Fünf Minuten später wurden sie in einen Transporter mit der Aufschrift »Fulton County Police« verladen. Bevor Mike einstieg, wandte er sich noch einmal an den Polizisten, der ihn festgenommen hatte.

»Das Ganze tut mir leid, Sir.«

Nichts regte sich in dem Gesicht des Mannes. Die Sonne spiegelte sich in der silbernen Brille.

»Nein, noch nicht«, sagte der Cop. »Aber bald.«

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