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Werden Sie der Held Ihres Lebens!

Die Welt ist im Wandel, ich spüre es im Wasser, ich spüre es in der Erde, ich rieche es in der Luft. Vieles, was einst war, ist verloren, da niemand mehr lebt, der sich erinnert. (Herr der Ringe, Die Gefährten)

Prolog von Rainer Wälde

Ich erinnere mich noch genau an den ersten Kinofilm meines Lebens. Mein Vater hatte mich in die Stadt mitgenommen – mich ganz allein, weder mein Bruder noch meine Mutter waren dabei! –, und da saßen wir nun: in einem typischen Lichtspieltheater aus den 1960er-Jahren mit dunkelroten Polstersitzen, einer petrolblauen Mustertapete an den meterhohen Wänden, der rote Vorhang vor uns noch geschlossen. Ein Kartenabreißer hatte unsere Eintrittskarten kontrolliert, in meinen Händen hielt ich eine große Tüte mit Popcorn und – eine Sensation! – eine kleine Flasche Coca-Cola mit Strohhalm. Irgendwann wurde es dunkel im Kinosaal, der rote Vorhang rauschte nach oben und „Schneewittchen“ begann.

Dieser Nachmittag ist tief in meinem emotionalen Gedächtnis gespeichert: Ebenso wie der Film mich in Aufregung versetzte, genoss ich das Gefühl, mich neben meinem Vater sicher und beschützt zu fühlen. Dieser Nachmittag ist jedoch vor allem deswegen so prägend für mich gewesen, weil mein Vater an diesem Tag das erste Mal eine seiner großen Leidenschaften mit mir geteilt und sie damit auch in mir ausgelöst hatte: Kino und Filme waren von diesem Moment an etwas – und sind es bis heute geblieben –, von dem ich mich wie magisch angezogen fühle.

Etliche Jahre nach meinem ersten Kinobesuch, ich war ein junger Redakteur Anfang zwanzig, bekam ich eine Einladung zu einem Drehbuchworkshop. „Warum nicht?“, dachte ich mir und meldete mich an. Ich hatte zwar damals nicht vor, Drehbücher zu schreiben, aber interessant würde der Workshop allemal werden – denn Workshopleiter war Bart Gavigan, ein sehr bekannter Drehbuchexperte aus den USA. Er ist „Script Doctor“, das sind die Menschen, die schlechte Drehbücher überarbeiten, damit sie doch noch verfilmt werden können. Heute weiß ich, dass diese Einladung die Initialzündung für sehr vieles in meinem Leben war – beruflich, privat und letztendlich auch für dieses Buch.

Ich ging also zu diesem Workshop und lernte, dass jedem Film, jedem Hörspiel, jedem Buch ein ausgeklügeltes Drehbuch zugrunde liegt. So wie kein Haus ohne Bauplan gebaut werden kann, entsteht keine Geschichte ohne Drehbuch. Ich gestehe es ganz offen: Diese Erkenntnis hat mich als junger Redakteur vieler Illusionen beraubt. Die geheimnisvollen Traumwelten meiner Kindheit, in Büchern, in Hörspielen, in Kinofilmen – alle quasi am Reißbrett entstanden? Genauso wie man lernen konnte, ein Haus zu bauen, konnte man lernen, einen Film oder ein Hörspiel zu gestalten? Das war gar nicht Ausdruck ungebremster, genialer Kreativität? Sondern zu einem großen Teil Handwerk?


Die Idee, dass hinter der genialen Kreativität eine Dramaturgie steht, die Filme, Bücher und Theaterstücke in verschiedenen Akten mit Krisen, Höhepunkten und klarer Rollenverteilung ablaufen lässt, war natürlich nicht nur ernüchternd, sondern auch begeisternd. Vor allem die Tatsache, dass diese Dramaturgie einem Jahrtausende alten archetypischen Muster folgt – dem der Heldenreise. Schon die antiken griechischen Dramen sind danach aufgebaut. Aus dieser Heldenreise lassen sich typische Situationen, Figuren und Abläufe ableiten, die dann filmisch oder literarisch verarbeitet und dargestellt werden.

In den darauffolgenden Jahren beschäftigte ich mich immer wieder intensiv mit dem Drehbuchschreiben und der Heldenreise. Ich sah Kinofilme auf einmal mit ganz anderen Augen. Auch meine eigene Arbeit veränderte sich dadurch. Einer der Experten, die mich da ganz entscheidend geprägt haben, ist Christopher Vogler, ein amerikanischer Drehbuchautor und Publizist. Er hat auf Basis der Heldenreise eine Anleitung für Drehbuchautoren entworfen. Wenn ich heute Drehbücher für meine Filme entwickle, dann lehne ich mich oft daran an – aber auch in meinen Büchern und anderen Texten folge ich diesem Muster, mal mehr, mal weniger. Und so sieht dieser Zyklus der Heldenreise aus:


Ich weiß nicht, was Sie wahrnehmen, wenn Sie diesen Bauplan lesen. Vielleicht merken Sie sofort, wofür ich eine Weile gebraucht habe: Diese Heldenreise ist nicht nur ein Bauplan für Filme und Hörspiele, Bücher und Theaterstücke, sondern für ein ganzes Leben! Oder sagen wir besser: für Schlüssel- und Krisensituationen eines Lebens. Versuchen Sie doch einfach mal, irgendeine schwierige Entscheidung, die Sie in Ihrem Leben getroffen haben, diesem Schema zu unterwerfen – ich verspreche Ihnen, es wird gelingen! Sicherlich nicht Punkt für Punkt, aber im Großen und Ganzen schon. Fragen Sie sich: An welchem Punkt meiner Heldenreise stehe ich? Was hindert mich daran, die Verantwortung für mein Leben zu übernehmen? Ich bin sicher: Wenn Sie Antworten auf diese Frage gefunden haben, werden Sie Ihr eigenes Leben, Ihre Biografie ganz neu verstehen!

Von dieser Überlegung ist es dann nicht mehr weit zu der Erkenntnis, dass der Held des eigenen Lebens nur jeder Mensch selbst sein kann. Und daraus folgt wiederum zwingend, dass ein Held den Ausgang seiner Geschichte an jeder Stelle der Handlung, an jedem Tag seines Lebens in der Hand hat. Er kann selbst entscheiden, ob er der Sehnsucht nachgibt, seine gewohnte Welt verlässt und das Abenteuer beginnt. Zu jedem Zeitpunkt hat er die Wahl. Es gibt nichts, dem er willenlos ausgeliefert wäre, oder das er nicht aus einer anderen Perspektive betrachten könnte. Das heißt: Wir sind alle Gestalter unseres Lebens. Es gibt keinen Umstand, kein Schicksal, keine Bürde, der wir nicht durch Taten oder einen anderen Blick darauf entkommen könnten. Wir können etwas tun – immer. Wir haben es selbst in der Hand, was wir aus unserem Leben machen.

Die spannende Frage dabei ist: Kann man auf dem Weg durch die Höhen und Tiefen des eigenen Lebens immer erkennen, dass man die Fäden selbst in der Hand hat? Ich glaube, die Herausforderung liegt genau darin, sich dies immer wieder bewusst zu machen – gerade in schweren Zeiten, in denen das Leben es scheinbar nicht gut mit einem meint. Auch Frodo, der Held aus „Herr der Ringe“ denkt auf seiner Reise immer mal wieder, dass alles, was ihm widerfährt, Schicksal und deshalb nicht von ihm zu beeinflussen sei. Das ist aber beileibe nicht so. Dass der Ring in die richtigen Hände kommt und die Sonne wieder aufgeht, liegt an Entscheidungen, die Frodo als Held selbst getroffen hat. Natürlich hat er auf seiner Reise Begleiter und Gefährten, Helfer, Berater, weise Menschen, Mentoren, die Lebenserfahrung haben und ihn unterstützen. Dennoch trifft er seine Entscheidungen alleine und bestimmt so seine Lebensreise. Und das können wir alle tun, Schicksal hin oder her.


Irgendwann brachte mich diese Erkenntnis auf die Idee, eine an die Heldenreise angelehnte Anleitung zur Gestaltung des eigenen Lebens zu schreiben: das Drehbuch des Lebens. Dieses Buch halten Sie jetzt in den Händen. Es ist nicht nur eine Anleitung, Ihrer eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen, sondern auch eine Einladung, ganz aktiv das Drehbuch Ihres eigenen Lebens zu schreiben – immer im Bewusstsein, dass unterwegs unvorhergesehene Dinge passieren, dass es Unplanbares gibt, für das Sie gleichwohl die Verantwortung übernehmen. Denn nur Sie selbst entscheiden, wie Sie mit Ungeplantem und Überraschendem umgehen und was Sie daraus machen. Sie treffen Ihre Entscheidungen. Auch darüber, welches Genre Ihre Lebensgeschichte hat. Manchmal werden Sie das Gefühl haben, mitten in einem Western zu sein, in einem Drama oder in einer Seifenoper. Entscheidend ist jedoch zu erkennen, wofür wir die Verantwortung haben, und dann im entsprechenden Moment unsere Erkenntnisse einzusetzen – nur dann können wir Dinge zum Guten wenden und gestärkt aus der Krise hervorgehen. Leitend für mich ist dabei auch immer der Gedanke, dass ich an einen Schöpfer glaube und weiß, dass da noch einer auf dem Regiestuhl sitzt und über mein Leben mitentscheidet.

Über das Beschreiben der Heldenreise hinaus ist es hilfreich, konkret zu werden. Am Ende jedes Kapitels stehen Fragen, die Sie dabei unterstützen können. An welchem Punkt ihrer Heldenreise stehen Sie? Was hindert Sie, die Verantwortung für Ihr Leben zu übernehmen? Was wollen Sie mit diesem Buch erreichen? Schreiben Sie die Antworten Ihrer eigenen Heldenreise auf.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Zeit mit diesem Buch – werden Sie der Held Ihres Lebens!

Rainer Wälde

Du bist der Held deiner Geschichte

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