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Was steht für Sie auf dem Spiel?
ОглавлениеDas geht Film-Helden nicht anders. Denn in jedem Film muss sich der Held mutig einer zentralen Frage stellen: Was steht für ihn auf dem Spiel, wenn er sich aus der Balance bringen lässt, wenn er dem Ruf des Lebens folgt? Was sind die Konsequenzen seines Handelns? Muss er, um mit seiner großen Liebe zusammen sein zu können, Frau und Kinder verlassen? Muss er auf dem Weg zu seinem Ziel fünf Erzfeinde erschießen und damit riskieren, vom Jäger zum Gejagten zu werden? Das ist übrigens nicht nur im Film, sondern auch im ganz normalen Leben so. Wer sich fragt, ob er sein Studium abbricht, weil dieser Weg doch nicht der richtige ist, wird sich sicher auch überlegen, mit welchen Konsequenzen er dann zu rechnen hat: Was sagen die Eltern? Was die Kommilitonen? Wie sieht es mit den Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus mit einem abgebrochenen Studium?
Die große Frage dahinter lautet letztendlich: Werde ich mein Ziel erreichen? Kriege ich das hin? Oder bleibe ich lieber auf sicherem Terrain und arrangiere mich mit dem, was ich schon kenne? Ergebe ich mich lieber dem bekannten Unglück, als mich auf den Weg zu machen und das unbekannte Glück zu suchen? Heutzutage ist alles Mögliche machbar. Es gibt so viele Optionen: für oder gegen eine bestimmte Ausbildung, für oder gegen einen bestimmten Partner, Arbeitgeber oder was auch immer. Egal, wofür man sich entscheidet, immer schwingt die Angst mit, sich für das Falsche entschieden zu haben, denn etwas ganz anderes wäre theoretisch ja auch in Frage gekommen und hätte möglicherweise glücklicher gemacht. Diese Angst lähmt und frisst Energien. So verharren viele Menschen in einer Art Lähmung. Vor lauter Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, treffen sie lieber gar keine. Und geben so ihrer Sehnsucht keine Chance.
Welche zentralen Fragen sich in einem Leben stellen, wird oft nur langsam klar. Das ist in einem Film genauso. Christopher Vogler schreibt: „In vielen Geschichten geht es um Geheimnisse, die nur quälend langsam gelüftet werden, Schicht um Schicht werden die schützenden Hüllen um das schmerzhafte Geheimnis entfernt.“
Auch Evan, der Waisenjunge aus „Der Klang des Herzens“ weiß am Anfang des Films noch nicht, was sein Geheimnis ist. Er hat eine Ahnung davon und ein Gespür dafür, aber er kennt es nicht – genauso wenig wie der Zuschauer. Tatsächlich ist es so, dass Evans Eltern, die Musiker Lyla und Luis, nie aufgehört haben, nach ihm zu suchen. Evans tiefe Überzeugung, dass seine Eltern durch die Musik den Weg zu ihm finden werden, stellt sich als wahr heraus. Als Evan sich entschließt, seiner Sehnsucht zu folgen und aus dem Waisenhaus flieht, stößt er die Entwicklung an, die ihn am Ende nicht nur seiner Bestimmung als Musiker zuführt, sondern die ihn auch mit seinen Eltern wiedervereint:
Evan steht auf einer großen Open-Air-Bühne im Central Park. Er trägt einen schwarzen Frack und hält einen Taktstock in der Hand. Der Wind rauscht durch die Blätter wie damals auf dem Feld hinter dem Waisenhaus. Ein Windspiel aus dem Orchester nimmt den Klang auf und führt ihn fort. Die Harfe imitiert die Bewegung der Halme auf dem Feld. Die Streicher setzen zart ein. Evan dirigiert und schließt dabei die Augen. Seine innere Musik ertönt nun für alle hörbar – und auch seine Eltern können sie hören. Evans Mutter Lyla hatte unmittelbar vor Evan ihren Auftritt und kehrt um, als sie die ersten Töne von Evans Stück hört. Luis fährt gerade zufällig am Rande des Central Parks vorbei und entdeckt auf den Konzertplakaten Lylas Namen; auch er hört Evans Musik. Beide laufen wie magisch angezogen zur Bühne. Dort begegnen sie sich, fassen sich an den Händen. Die Dramatik des Films kommt in diesem Moment zur Ruhe. Evan dreht sich um, schaut Lyla und Luis in die Augen und weiß sofort: Seine Eltern sind seiner Musik gefolgt. Sie sind da. Alles wird gut. Worte sind dazu nicht mehr nötig. Sie sind vereint. Als Letztes ist Evans Stimme zu hören: „Die Musik ist immer da. Man muss einfach nur zuhören.“