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Sehnsucht ist alterslos

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Das Gefühl, dass etwas fehlt, dass das, was ist, ja wohl noch nicht alles gewesen sein kann, dieser Lebenshunger hört sich eigentlich nach einer klassischen Krise in der Lebensmitte an, oder nicht? Ich bin mir da ganz sicher: Das ist nicht nur ein Thema für Menschen zwischen vierzig und fünfzig. Sondern auch junge Menschen sind davon betroffen – zum Beispiel dann, wenn sie sich auf einen vorgezeichneten Weg gemacht haben und irgendwann feststellen, dass dieser Weg doch nicht ihrer ist. Dass sie sich fehl am Platz fühlen. Die Sehnsucht nach einem authentischen Leben, nach Aufbruch, nach Neubeginn ist alters- und klassenlos. Sie kommt immer dann, wenn sich Menschen in eingefahrenen Lebenssituationen wiederfinden und ihr Dasein nur noch aus Routinen und Ritualen besteht, die ihnen nichts mehr bedeuten.


Auch mir ging das als jungem Menschen so. Auf Drängen meiner Familie studierte ich Jura und Betriebswirtschaft an einer Verwaltungsfachhochschule – der Traum meiner Mutter war es, dass ich irgendwann Bürgermeister sein würde! Ich quälte mich jedoch recht lust- und motivationslos durch die Semester. Manches machte mir durchaus Spaß – ein Praktikum im Landratsamt beispielsweise ist mir in guter Erinnerung, die Tätigkeit auf dem Standesamt war spannend! Aber die meisten Inhalte fand ich einfach nur staubtrocken. Sie schienen Millionen Lichtjahre von dem entfernt, was mich faszinierte und begeisterte.

Eines Tages sprach mich einer meiner Professoren nach einer Vorlesung an: „Herr Wälde, sagen Sie mal, wie ist das denn eigentlich mit Ihnen und Ihrem Studium hier?“ „Was meinen Sie denn?“, fragte ich zurück – ich verstand überhaupt nicht, worauf er hinauswollte. „Na ja, es kommt mir oft so vor, als seien Sie nur körperlich anwesend. Und in Gedanken sehr weit weg. Sie schauen fast immer verträumt zum Fenster hinaus.“

In diesem Moment fühlte ich mich so, als stünde ich nackt vor ihm. Es war mir unsäglich peinlich, dass er mich durchschaut hatte. Mir schossen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich im ersten Moment überhaupt nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich machte mir Gedanken um mein Image, ärgerte mich fürchterlich, dass ich so bloßgestellt wurde – und gleichzeitig war ich froh, dass mich endlich jemand erkannt hatte. Was heißt froh: Ich war wie elektrisiert! Dieses Gespräch mit dem Professor war für mich der Moment, in dem ich mir meiner großen Sehnsucht bewusst wurde: Die Sehnsucht aus Kindertagen nach Abenteuer, nach einer Arbeit in und mit den Medien, nach dem Ausleben meiner kreativen Energie – sie war wieder da. Und dass der Professor mich als „Träumer“ bezeichnete, beleidigte mich nicht mehr, sondern gab mir recht. All diesen Widerwillen, den ich in den Monaten und Jahren meines Studiums verspürt hatte – er war weder eingebildet noch ungerechtfertigt, sondern entsprang so offensichtlich meinem ganz anders gearteten Naturell und meinen Begabungen, dass sogar meine Professoren das merkten! Ich war also gar nicht antriebslos oder gar faul, wie ich befürchtet hatte, sondern hatte einfach nur die falsche Ausbildung gewählt! Das Leben hielt auch für mich mehr bereit als trockene Verwaltungsparagraphen und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten!

Fantastisch!

Von diesem Moment an war mir klar, dass ich mein Studium zwar abschließen, aber niemals die von meiner Familie für mich vorgesehene Beamtenlaufbahn einschlagen würde. Der Protest zu Hause war groß, wie Sie sich vielleicht vorstellen können. Meine Familie verstand mich überhaupt nicht. Aber ich bewarb mich beim Radio und ging unbeirrt meinen Weg, der für mich ein echter Herzensweg war und mich zu dem gebracht hat, was ich heute am liebsten tue: Filme machen.

Dass die Sehnsucht uns aus dem Gleichgewicht bringt und wieder einen Ausdruck oder einen Platz in unserem Leben findet – dafür ist oft nur ein kleiner Impuls nötig.

Wer diesen Impuls wahrnimmt und daraufhin seine Sehnsucht entwickelt, bekommt oft Angst vor der damit möglicherweise einhergehenden Veränderung. Ich denke, wenn diese Sehnsucht hochkommt, dann ist das gesund und förderlich. Denn sie setzt viel in Gang. Sie bringt Menschen letztendlich dazu, das zu leben, was in ihnen ist, und ihrer Bestimmung zu folgen.

Das alles kostet Kraft – keine Frage. Meinen Weg gegen den Widerstand der Menschen zu gehen, die mir so nahe standen, war sehr anstrengend. Es kostet aber auch Kraft, seiner Sehnsucht nicht zu folgen, und die Verletzungen des ganz normalen Lebens zu verstecken. In einer ausbalancierten Welt gilt es als Maß aller Dinge, stets glücklich und erfolgreich zu erscheinen – und sich entsprechend in der (Netzwerk-)Öffentlichkeit zu präsentieren. Ganz normale Katastrophen wie abgebrochene Ausbildungen, nicht eingeschlagene Karrierewege, erfolglose Jobsuchen oder gescheiterte Beziehungen haben da wenig Platz, denn sie machen den Eindruck des geordneten Lebens kaputt. Disbalancen sollen nicht sichtbar werden. Lieber setzt man sich eine Maske auf, die einen selbst schützt – das ist immer auch eine Frage des Stolzes. Wer seine Maske fallen lässt und sich selbst nicht mehr idealisiert darstellt, muss aushalten, dass andere ihn scheinbar schwach erleben. Das fühlt sich im ersten Moment schrecklich an.

Deshalb: Es gehört enorm viel Mut dazu, sich mit seinen Fragen, seinen Sehnsüchten und seinen Unzulänglichkeiten anderen zuzumuten. Die gewohnt vertraute Welt zu verlassen und sich auf das Leben einzulassen. Aber es zahlt sich aus. Sie übernehmen Verantwortung, führen Regie im eigenen Leben und vertrauen damit letztlich Gott, der es gut mit Ihnen meint.

Du bist der Held deiner Geschichte

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