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5| Judys Tagebuch 1960

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4. Januar

Ich sehe furchtbar aus, liebes Tagebuch. Mir tut alles weh, und mein Gesicht sieht aus, als hätte mich ein Waffeleisen getroffen. Ich habe eine aufgeplatzte Lippe, einen geprellten rechten Wangenknochen und mein rechtes Auge ist geschwollen. Auf dem Auge sehe ich nur verschwommen. Wenn ich mich zu schnell bewege, kreischt mein gesamter Bauchraum auf, meine Unterarme schmerzen vom Blocken der Schläge, mein Schlüsselbein fühlt sich an, als wäre ein Elefant darauf getreten, und mein Hals tut weh. Zu guter Letzt habe ich heute auch noch meine Periode bekommen, also bin ich aktuell nicht gerade das umgänglichste Mädchen auf der Welt.

Aber ich habe mir nichts gebrochen. Die Verletzungen sind nicht so schlimm, wie sie hätten sein können.

Ich hatte das Geschlossen-Schild gestern an der Tür hängenlassen, damit ich ausschlafen konnte. Ich bin nicht vor Mittag aufgestanden, was ungewöhnlich für mich ist. Als ich mich im Spiegel sah, hätte ich am liebsten geheult. Hab ich auch, ein wenig. Dann aber untersuchte ich jeden Zentimeter meines Körpers, bewegte testweise meine Gliedmaßen und kam zu dem Schluss, dass ich auch ohne einen Arztbesuch wieder gesund werden würde. Es sah schlimmer aus, als es tatsächlich war.

Als ich heute Nachmittag Freddie im Bellevue Hospital besuchte, starrten mich alle an. Ich schätze, ich sah wohl so aus, als würde ich genau dorthin gehören, haha. Ich fürchtete, dass Freddie erneut einen Herzanfall bekommen könnte, wenn er mich so sah. Ihm fiel die Kinnlade herunter und Tränen stiegen ihm in die Augen, aber ich erklärte ihm rasch, dass es mir gutging.

»Was ist denn mit dir passiert?«

»Ach, du weißt schon, Boss«, antwortete ich mit einem Flüstern. »Die Stiletto hat gestern Nacht ein paar Probleme bekommen.«

Er zuckte zusammen, als hätte er Schmerzen. »Oh, Judy. Wann wirst du damit aufhören? Du wirst dich noch irgendwann damit umbringen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du solltest es besser wissen, anstatt mich so etwas zu fragen. Ich habe gestern Nacht zwei Menschen das Leben gerettet, aber das forderte seinen Tribut. Das ist alles. Ich bin froh darüber. Aber was ist mit dir? Wie fühlst du dich heute?«

Ich saß etwa eine Stunde bei ihm. Er war noch immer sehr schwach und wurde schnell müde. Wir sprachen darüber, was im Gym zu tun sei. Ich musste eingestehen, dass ich etwas Hilfe brauchen würde, um es am Laufen zu halten, zumindest zeitweise, bis er wieder nach Hause durfte.

»Ich dachte daran, Jimmy zu fragen, ob er eine Weile als Assistent einspringen würde«, sagte ich. Jimmy ist ein wirklich netter Schwarzer, der schon regelmäßig ins Gym ging, noch bevor ich dort zu arbeiten begann. Du weißt ja, ich kenne ihn schon eine ganze Weile, liebes Tagebuch. Er müsste jetzt so Ende dreißig sein, schätze ich. Freddie hielt das für eine gute Idee. Er wies mich an, Jimmy zu bezahlen, und überließ es mir, seinen Arbeitsplan auszuarbeiten. Ich hatte keine Ahnung, was Jimmy sonst noch arbeitete, aber wenn er ablehnte, wusste ich nicht, wen ich sonst noch fragen sollte.

Gestern Abend war ich müde und hatte immer noch Schmerzen, aber ich suchte die Tageszeitung nach einem Bericht über die Schießerei in Chinatown ab. Ich fand nichts, also ging ich ins Bett.

Heute Morgen öffnete ich das Gym. Die Stammkunden, die hereinkamen, sahen mich an und fragten mich, was los sei. Meine Geschichte lautete, dass man mich überfallen hatte. Ein paar der Jungs waren echt süß, wollten die Bastarde auftreiben und ihnen dann in den Arsch treten. Dann fragten sie, wieso das Gym die letzten beiden Tage geschlossen war und wo Freddie stecken würde. Alle waren schockiert und traurig, als sie von dem Herzanfall erfuhren. Sie versprachen, ihn im Krankenhaus zu besuchen, aber ich sagte ihnen, dass sie damit noch ein paar Tage warten sollten.

Während den ganzen Tag über Kunden eintrudelten, bekam ich die gleichen Fragen immer und immer wieder gestellt, weshalb ich mir schließlich einen Stift schnappte und auf die Rückseite eines Posters für ein Boxturnier alle Details über Freddie schrieb, wann Besuchszeiten waren und was mit mir passiert war und das es mir gutging. Louis, Wayne und Corky sind alles so großartige Jungs. Selbst Clark, der junge Schwarze, den ich trainiere, hatte Tränen in den Augen, als er das mit Freddie hörte.

Jimmy kam heute Nachmittag, also nahm ich ihn beiseite und fragte ihn, ob er mir aushelfen könne. Er meinte, dass er abends als Tellerwäscher in einem Restaurant arbeitet und die Extrastunden am Tag gut gebrauchen könne. Wir tüftelten einen Zeitplan aus, der uns beiden nützte. Ich würde natürlich den Hauptteil der Arbeit übernehmen, aber Jimmy würde greifbar sein, um mich abzulösen.

Jetzt ist es abends und ich kann mich endlich mit der Zeitung entspannen. Mittlerweile gibt es auch Neuigkeiten über den Chinatown-Zwischenfall. Und natürlich lautet die Schlagzeile in der Daily News: BLACK STILETTO IN VORFALL VERWICKELT. Toll. Genau das, was ich vermeiden wollte. In dem Bericht hieß es weiter, dass zwei Männer, die Besitzer des Lee Noodle Restaurants, von einem unbekannten Angreifer erschossen worden waren. Zeugen berichteten, die Black Stiletto am Tatort gesehen zu haben. Welche Zeugen? Es gab keine Zeugen! Vielleicht die Mutter und ihr Sohn. Die hatten mich natürlich gesehen. Wie auch immer, die Stiletto wurde natürlich gesucht, um verhört zu werden. Die Polizei ging davon aus, dass es sich um einen Raubüberfall handelte, der schiefgelaufen war. Ha, das wusste ich besser. Es gab keinen Überfall. Die bösen Jungs waren schlicht und ergreifend dort aufgekreuzt, um zwei Männer zu erschießen, und Pockengesicht hätte auch noch die Mutter und den Jungen getötet, wenn ich nicht angetanzt wäre.

Das war alles sehr verstörend. Ich musste an die tiefe Bestürzung in den Gesichtern der Mutter und des Jungen denken. Sie hatte ihren Ehemann verloren, der Junge seinen Vater und seinen Onkel. Ob der Onkel mit der Mutter oder dem Vater verwandt war, wusste ich nicht, aber anscheinend war er ein enges Familienmitglied, dem das Restaurant mit gehörte.

Ich entschied, dass ich mehr in dieser Sache herausfinden und im Speziellen nachsehen wollte, ob es dem tapferen chinesischen Teenager gutging. Wenn doch nur die Stiletto mit ihm reden könnte! Er sprach schließlich Englisch. Ihr würde er womöglich erzählen, was dort letzte Nacht wirklich vor sich gegangen war.

14. Januar

Ich habe in der letzten Zeit nicht viel geschrieben, weil ich vollauf damit zu tun habe, mich um das Gym zu kümmern und Freddie zu besuchen. Jetzt habe ich aber ein paar Minuten übrig, bevor ich mir mit Lucy einen Film ansehen werde. Die Katze auf dem heißen Blechdach läuft im Bleecker. Als er vor ein paar Jahren herauskam, hatte ich ihn nicht gesehen. Lucy und ich lieben Paul Newman. Er ist ein absoluter Traummann! Ihm würde ich überall hin hinterherlaufen. Er müsste mich nur mit diesen blauen Augen anzwinkern. Aber er ist mit Joanne Woodward verheiratet, weshalb ich davon ausgehe, dass das in nächster Zeit nicht passieren wird. Der Film wird zusammen mit Plötzlich im letzten Sommer gezeigt, aber den kennen wir schon, von daher denke ich nicht, dass wir für den noch bleiben werden. Außerdem mochte ihn auch nicht besonders.

Urks, im Radio läuft gerade dieses furchtbare »Running Bear«-Lied. Ich kann nicht glauben, dass das auf Platz Eins ist. Wann, oh, wann bringt Elvis endlich eine neue Platte raus? Dieses Jahr soll er ja wieder aus der Armee entlassen werden und nach Hause kommen, von daher vielleicht ziemlich bald!

Meine blauen Flecke verblassen langsam. Meine Lippe ist verheilt, aber noch etwas schorfig, und mein Auge ist wieder wie neu. Ich hatte schon Angst, dass ich etwas von meiner Sehkraft eingebüßt hätte, denn die Verschwommenheit hielt ganze drei Tage an. Ich hatte beschlossen, einen Arzt aufzusuchen, wenn es nach dem vierten Tag nicht besser werden würde, aber das tat es zum Glück. Ich habe immer noch ein wenig Schmerzen, aber es geht mir schon viel besser. Unnötig aber zu erwähnen, dass die Stiletto seit jener Nacht in Chinatown eine kleine Auszeit eingelegt hat.

Allerdings ging ich heute Mittag, während Jimmy für mich einsprang, mit der Absicht zurück zur Elizabeth Street, in Chinatown etwas zu essen, aber ich wollte mir außerdem noch einmal ansehen, wo die Schießerei stattgefunden hatte. Die Straßen in Chinatown waren voller Menschen, trotz des kalten Wetters. Hauptsächlich Chinesen, aber ich sah auch ein paar Weiße unter ihnen, die wahrscheinlich wie ich zum Essen hier waren. Das Lee Noodle Restaurant hatte geschlossen. Das Schild an der Tür war mit chinesischen Schriftzeichen bedeckt und einem einzelnen englischen Wort: Geschlossen. Ich wählte einen Laden auf der anderen Straßenseite und setzte mich an einen Tisch direkt am Fenster. Von da aus konnte ich das Lee Noodle Restaurant sehen. Ich beobachtete das Gebäude, während ich aß – ich hatte mir eine delikate sauer-scharfe Suppe, Mu-Shu-Hühnchen und heißen Tee bestellt – aber es rührte sich nichts.

Dann, gerade als ich mein Geld auf den Tisch legte und gehen wollte, bemerkte ich Licht in dem Restaurant. Ich hatte niemanden kommen sehen, war mir aber sicher, dass die Lampen vor fünf Minuten noch nicht gebrannt hatten. Ich verließ das Restaurant und überquerte die Straße. Neben dem Restaurant war eine Tür, die zu den Apartments in den oberen Etagen des Gebäudes führte. Offenbar lebte die Familie – und ich hoffte inständig, dass sie noch lebten – in einem dieser Apartments, denn der Name »Lee« stand auf einem Briefkasten hinter der Tür. So beiläufig, wie es mir nur möglich war, legte ich meine Hände und mein Gesicht gegen das Schaufensterglas und spähte hinein. Von hier aus konnte ich nicht das gesamte Restaurant überblicken, nur den Durchgang auf der rechten Seite, der zum Gastraum führte. Außerdem sah ich die Hälfte des Kassentresens. Ich ließ es darauf ankommen und klopfte an die Tür. Nach einem Moment erschien die Frau, die ich in jener Nacht gesehen hatte. Sie wedelte mit ihrem Zeigefinger hin und her. »Geschlossen! Geschlossen!«, rief sie laut von hinter der Tür. Ich wusste nicht, was ich anderes erwartet hatte, also lächelte ich nur, nickte, und ging weiter. Ich hatte gehofft, den Jungen zu sehen, aber dann wurde mir klar, das es wochentags und er bestimmt in der Schule war. Mit den chinesischen Traditionen im Umgang mit Trauer kenne ich mich nicht aus, aber ich dachte, dass es durchaus Sinn machte, wenn er wieder seinem normalen Alltag nachging. Wobei für ihn nichts mehr normal sein würde. Er war Zeuge der Ermordung seines Vaters und seines Onkels geworden, und hatte dabei geholfen, sich selbst und seine Mutter zu verteidigen. Ich fragte mich, ob er mit seinen Freunden über die Black Stiletto gesprochen und wie er Seite an Seite mit ihr gekämpft hatte.

Eine kleine Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass ich vergessen sollte, was in jener Nacht geschehen war, und weiter mein Leben leben sollte. Doch meine Instinkte, jenes Bauchgefühl, welches für all das verantwortlich war, was ich seit meiner Zeit als Teenager getan hatte, verriet mir, dass Chinatown noch nicht zum letzten Mal von der Black Stiletto gehört haben dürfte.

STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3)

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