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8| Martin

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Heute

Die Panikattacke, die ich letzten Abend beim Essen hatte, hat mich ziemlich durchgerüttelt. Es war furchtbar. Ich dachte wirklich, ich würde sterben. Kennen Sie das Gefühl, wenn man mit der Hand in dem Glas mit den Keksen stecken bleibt? Oder wenn der Lehrer plötzlich verkündet, dass man ins Büro des Direktors soll? Oder die plötzliche Erkenntnis, dass etwas Furchtbares geschehen wird, und man eine Heidenangst bekommt?

So fühlte es sich an, nur zwanzig Mal schlimmer. Man empfindet den übermächtigen Drang, zu weinen, aber aus keinem ersichtlichen Grund.

Also mache ich mir deswegen Sorgen, aber gleichzeitig schäme ich mich und fühle mich gedemütigt. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was Maggie jetzt von mir halten mag.

Sie war jedoch sehr nett zu mir. Es half, dass sie Ärztin ist. Sie war in dem Restaurant sehr liebenswürdig und redete beruhigend auf mich ein. Unser Date endete mit einem kleinen Kuss, von daher denke ich, dass das ein gutes Zeichen ist. Ich mag sie und finde sie umwerfend schön. Ich hoffe nur, dass ich mich in Zukunft in ihrer Gegenwart nicht zu schüchtern benehme.

Als ich heute das Woodlands betrat, musste ich daran denken, was Maggie gesagt hatte – dass ich einen Seelenklempner aufsuchen soll. Eigentlich will ich das nicht. Die Vorstellung, Antidepressiva nehmen zu müssen, ist deprimierend, und das meine ich ausnahmsweise nicht als Witz. Aber es stimmt schon, ich muss etwas unternehmen. Ich habe Schlafprobleme, meine Gedanken rasen und ich stelle mir alle möglichen furchtbaren Szenarien vor, während ich mich herumwerfe. Wenn ich es schaffe, in den Schlaf zu finden, habe ich Albträume, aus denen ich verwirrt und verängstigt erwache. Das Ganze ist so bizarr, denn was immer mit mir nicht stimmt, fing erst vor kurzem an und ist sehr schnell immer schlimmer geworden.

Nichtsdestotrotz setzte ich mein fröhliches Gesicht auf, als ich Mutters Zimmer betrat. Sie saß vor ihrem tragbaren Fernsehgerät und sah sich eine Seifenoper an. Der Schaukelstuhl, den ich ihr besorgt habe, wird rege genutzt. Wenn sie darin sitzt, strahlt sie völlige Zufriedenheit aus, wie Mrs. Whistler in diesem Gemälde.

»Hi, Mom!«

Sie sah auf und lächelte. Jenes seltene Funkeln in ihren Augen blitzte für einen kurzen Moment auf. Irgendwo in den Untiefen ihres Verstandes hatte ein elektrischer Impuls einen Nerv stimuliert, der ihr sagte, dass ich jemand sei, der ihr wichtig war. Ob sie sich heute an unseren genauen Verwandtschaftsgrad würde erinnern können?

Ich beugte mich über sie, umarmte sie und küsste sie auf die Wange. »Magst du deinem Sohn Hallo sagen, Mom?«

»Hallo«, sagte sie und küsste mich im Gegenzug sogar ebenfalls auf die Wange. Das kam selten vor.

Ich setzte mich auf die Bettkante, neben dem Schaukelstuhl. »Was siehst du dir an?«

»Oh, ich weiß nicht.« Sie drehte sich wieder zu dem Fernseher um, doch das Lächeln auf ihrem Gesicht blieb.

»Verfolgst du die Geschichte?«

»Was?«

»Verfolgst du die Geschichte im Fernsehen?«

»Oh, ich weiß nicht.«

Wir fuhren mit unserer üblichen, immer gleichen Unterhaltung fort. Was hatte sie zum Frühstück? War sie schon Spazieren? Wie ging es ihr? Ich bekam die üblichen generischen Antworten und dann verfielen wir in das vorhersehbare ratlose Schweigen, das stets irgendwann eintrat, wenn ich sie besuchte. Es ist beinahe so, als wäre mir der Gesprächsstoff mit meiner Mutter ausgegangen. Dinge, die mir wichtig waren, konnte ich mit ihr nicht besprechen, weil sie nicht wusste, wovon ich sprach. Wenn ich es versuchte, tat sie so, als würde sie mich verstehen, nickte und sagte Dinge wie: »Oh?«, oder: »Ist das so?«, oder: »Tut mir leid, das zu hören«, oder unzählige andere auswendig gelernte Antworten.

Also sah ich mir zusammen mit ihr die Seifenoper an und meine Gedanken wanderten zurück zu dem Restaurant und der Panikattacke. Meine Augen huschten zu der Kommode, wo die gerahmten Fotos standen. Ginas Abschlussfoto. Eines von mir mit meiner Mom. Ich, bei meiner Highschool-Abschlussfeier. Gina und ich. Mom, als sie noch jünger war.

Mom, als sie noch jünger war …

Die Black Stiletto.

Meine Mutter war die Black Stiletto gewesen.

Ein plötzlicher Adrenalinschub fuhr durch mich hindurch und ich hätte beinahe aufgestöhnt. Eine Welle der Angst schwappte über mich, und ich wusste, dass ich aus diesem Zimmer verschwinden musste. Mom durfte mich nicht dabei sehen, wie ich eine Panikattacke bekam.

Doch bevor ich aufstehen oder irgendetwas sagen konnte, drehte sie ihren Kopf zu mir herum und sah mich an. Sie hatte Tränen in den Augen, griff nach meiner Hand und legte sie in ihre, die auf ihrem Knie ruhte.

»Es tut mir leid«, sagte sie. Eine Träne rann an ihrer Wange hinunter.

»Mom, ist okay. Was ist los?«, fragte ich. Dann hatte ich das Gefühl, dass auch ich anfangen musste zu weinen.

»Ich verstehe«, sagte sie, als wäre sie mit mir auf einer Wellenlänge.

»Tust du?«

»Sie war …«

Oh mein Gott, wollte meine Mutter mir etwas über die Black Stiletto erzählen?

»Was, Mom? Was war sie?« Ich spürte, wie ich noch ängstlicher und sprachloser wurde.

Mom runzelte die Stirn. Was auch immer ihr auf der Zunge lag, war nicht greifbar. Für einen Moment rang sie nach Worten. Sie drückte meine Hand.

»Dem Baby zuliebe«, sagte sie.

»Was? Mom, was? Was, dem Baby zuliebe? Welches Baby?«

»Ich musste aufhören.«

»Aufhören? Aufhören womit? Die Black Stiletto zu sein? Willst du das damit sagen?«

Als der Name fiel, wandte sie sich wieder dem Fernsehgerät zu. Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf.

»Mom?« Trotz meiner immensen Aufregung stand ich auf und legte meine Arme um sie. »Ist okay, du brauchst nicht zu weinen.«

In dem Moment klopfte eine Schwester an die offene Tür und betrat das Zimmer. »Geht es Ihnen gut?«, fragte sie heiter, doch als sie uns sah, wurde sie besorgt. »Ist alles in Ordnung?«

Ich ließ Mom los und sagte: »Oh, meine Mutter ist wegen irgendetwas durcheinander. Ich weiß nicht, was es ist.«

Die Frau lief zu meiner Mutter, sprach ein paar aufmunternde Worte und fragte sie, wie es ihr ging. Mom antwortete entsprechend und schien sich zu beruhigen, während die Schwester ein Papiertaschentuch nahm und ihr das Gesicht abwischte. Ich erklärte ihr, dass meine Mutter plötzlich und ohne Grund zu Weinen begonnen hatte, aber ich wusste, dass das etwas war, das allen Alzheimer-Patienten widerfahren konnte.

Als sich die Schwester um meine Mutter kümmerte, nutzte ich das als Vorwand, um zu gehen, denn ich konnte es nicht länger ertragen, in diesem Raum zu sein. Ich spürte, dass etwas Schmerzhaftes zwischen mir und meiner Mutter vorging. Vielleicht diese Mitgefühl-Sache, die sie früher hatte. Sie spürte meine Angst und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Ich verabschiedete mich, küsste meine Mom noch einmal auf die Wange und machte, dass ich davonkam.

Vielleicht hat Maggie recht und ich sollte wirklich einen Seelenklempner aufsuchen.

Als ich an diesem Abend zu Hause eintraf, entschloss ich mich, Carol anzurufen. Meine Ex. Sie arbeitete als Verwaltungsangestellte bei einer Arzneimittelfirma, und ich dachte mir, dass ich sie fragen könnte, ob sie einen Psychiater empfehlen kann. Ihre Firma gehört zu den Anbietern, die von meiner Krankenversicherung abgedeckt werden, und so ungern ich Carol auch erzählen wollte, dass ich unter Angststörungen litt, war sie doch die einzige Person neben Maggie, die ich kannte, mit der ich darüber reden konnte.

Carol und ich pflegen eine freundliche Beziehung zueinander. Immerhin haben wir eine fantastische Tochter zusammen. Unsere gemeinsame Zeit in New York, als Gina sich von dem Überfall erholte, war ganz sicher unangenehm gewesen, aber ich denke, wir waren beide froh darüber, dass der andere da war. Ich kann nicht längere Zeit in ihrer Gegenwart sein, aber wir hassen uns auch nicht, so wie andere geschiedene Paare.

Sie begrüßte mich am Telefon mit einem unverbindlichen »Oh, hi Martin, wie geht es dir?«

Ich log, behauptete, dass es mir gut gehen würde, und fragte sie dann, ob sie etwas Neues von Gina gehört hätte.

»Ich habe gestern mit ihr gesprochen«, sagte Carol. »Ich denke, sie kommt zurecht. In der Schule kommt sie gut voran und es geht ihr besser. Ihr Kiefer tut nicht mehr so weh.«

»Gut, das zu hören.«

»Aber ich weiß nicht so recht. Wenn ich mit ihr rede, scheint sie viel über den Übergriff zu sprechen, ist dir das auch schon aufgefallen?«

Das war es nicht. »Meinst du nicht, dass das normal ist? Es ist erst einen Monat her. Sie haben ihr gerade die Drähte entfernt.«

»Ich weiß, aber wenn ich mit ihr rede, bringt sie immer wieder die polizeilichen Ermittlungen zur Sprache. Dass sie noch niemanden festgenommen haben, wie die Sache sich immer mehr in die Länge zieht und wie es sein kann, dass da draußen ein Serienvergewaltiger herumläuft, den niemand aufspüren kann. Sie hört sich dabei sehr aufgebracht an.«

»Na ja, wärest du nicht auch verärgert darüber? Ich wäre es ganz sicher. Ich wäre wütend.«

»Natürlich, ich ebenfalls, aber du solltest mit ihr reden, Martin. Sie … ich weiß auch nicht, es hört sich so an, als ob sie zu viele Hoffnungen darauf setzt, dass der Kerl gefasst wird. Ich will nicht, dass es sie auffrisst, verstehst du? Sie sollte sich weiter mit dem Therapeuten unterhalten, den sie aufsucht, und ansonsten versuchen zu vergessen, was vorgefallen ist.«

»Carol, das wird seine Zeit brauchen. So etwas gelingt nicht über Nacht.«

»Ja, ich weiß. Ich mache mir einfach nur Sorgen um sie.«

»Nun, das tue ich ebenfalls, aber sie konnte mich davon überzeugen, dass sie auf ihre Weise damit klarkommen muss, und sie ist klug und erwachsen genug, das auch zu schaffen.«

»Ich weiß, und du hast ja recht. Aber rede doch mal mit ihr. Vielleicht bringt sie das Thema zur Sprache?«

»Okay. Das letzte Mal, dass ich mit ihr sprach, ist schon eine Woche her, also ist es ohnehin an der Zeit, dass ich mich mal wieder bei ihr melde.«

Die Unterhaltung nahm dann eine andere Wendung, denn Carol sprach eine Weile über ihre Arbeit. Ich fand keinen geeigneten Zeitpunkt, um das Gespräch auf das Thema Psychiatrie umzulenken, und dann überraschte sie mich mit: »Oh, und sag mal, ich habe gehört, dass du dich mit jemandem triffst!« Sie sagte das so, als wären das gute Neuigkeiten und das Beste, was ihr passieren könnte.

»Äh, wo hast du denn das her?«

»Gina hat mir erzählt, dass du mit der Ärztin deiner Mutter ausgehst? Stimmt das?«

Dieses verflixte Kind! Ich hatte lediglich erwähnt, dass ich ein paarmal mit Maggie auf einen Kaffee aus war. Gina war deswegen ganz aus dem Häuschen gewesen, als wäre das eine große Sache.

»Oh, wir waren nur gemeinsam Kaffeetrinken. Und ein paarmal Essen. Das ist alles.«

»Wie heißt sie? Dr. McDaniel, oder?«

»Ja. Margaret. Maggie. Und sie ist nicht wirklich Moms Ärztin, sie macht dort nur ein paar Krankenbesuche. Mom geht noch immer zu Dr. Schneider, wobei … wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal da war. Maggie kümmert sich derzeit viel um sie.«

»Dann klingt es aber schon so, als wenn sie ihre Ärztin wäre.«

»Ja, kann sein.«

»Ist sie nett?«

»Meine Mom? Klar, sie ist herzallerliebst.«

Carol lachte. Ich schaffte es immer noch, sie aufzuheitern. »Martin!«

»Ja, sie ist nett. Weißt du, da ist nichts weiter. Wir sind einfach nur Freunde.«

»Wenn du das sagst.«

»Wirklich.«

»Okay. Nun, vielleicht magst du deine Freundin ja mit zu einer Party bringen?«

»Oh, schmeißt du eine Weihnachtsfeier?«, fragte ich.

»Zum Teil. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund.«

Ich war so dämlich. Ich kam nicht drauf, worauf sie hinauswollte. »Welchen denn?«

»Ross und ich haben beschlossen, zu heiraten. Wir wollen ein kleines Treffen an den Feiertagen ausrichten, wenn Gina zuhause ist. Wir werden die Zeremonie dort abhalten und danach eine kleine Hochzeitsfeier geben.«

Ross Maxwell. Der reiche Anwalt, mit dem sie sich seit einer Weile traf. Ich schätze, damit hätte ich irgendwann rechnen müssen, aber ich hatte es nicht wahrhaben wollen. Carol war seit Monaten mit ihm zusammen. Sie nannte mir den Tag und die Uhrzeit, aber das ging zu einem Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Ich denke, ich stand unter Schock. Mein Brustkorb fühlte sich an, als hätte jemand alle inneren Organe mit einer Hacke herausgeholt und eine Leere hinterlassen, wie ich sie seit den Wochen nach unserer Scheidung nicht mehr empfunden hatte.

»Martin?«

Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. »Äh, wow. Das ist, äh, also, ich gratuliere!«

»Danke. Wenn du dich damit wohlfühlst, dann kannst du gern deine befreundete Ärztin mitbringen. Wir schicken die Einladungen diese Woche noch raus. Und hey, wenn du es nicht einrichten kannst, verstehe ich das. Ich nehme es nicht krumm.«

»Willst du denn, dass ich komme?«

Ich merkte, wie sie zögerte. »Nur, wenn es für dich okay ist. Ich würde es schön finden, wenn wir alle Freunde sein könnten, weißt du? Ross mag dich …«

»Nein, tut er nicht. Er kann mich nicht ausstehen.«

»Oh, das ist nicht wahr. Hör‘ auf damit.«

»Er behandelt mich von oben herab. Ich bin ein kleiner arbeitsloser Verlierer und er eine große Nummer als Anwalt.«

»Martin, hör auf. Außerdem hast du doch jetzt wieder einen Job.«

»Ich denke, so kann man es nennen.«

»Ich werde mich nicht mit dir darüber streiten, Martin. Entweder du kommst oder du kommst nicht, das überlasse ich dir. Du bekommst eine Einladung, und ich würde mich freuen, wenn du dabei bist, wenn das für dich okay ist. Aber weshalb hast du eigentlich angerufen?«

Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie nach einem Namen eines Seelenklempners zu fragen würde an diesem Punkt so wirken, als würde ich mich über ihre Heiratspläne lustig machen wollen.

»Nichts Wichtiges. Ich muss Schluss machen. Richte Ross meine Glückwünsche aus.«

»Okay, das mache ich. Und du redest mit Gina?«

»Das werde ich. Wir sprechen uns später.«

Nachdem ich aufgelegt hatte, spürte ich eine weitere Panikattacke heranrollen. Ich fasste es nicht, dass mich Carols Neuigkeiten so mitnahmen, aber so war es. Deshalb hatte ich auch keinerlei Bedenken, mir ein paar Tequilas einzuschenken und die nächsten Stunden als Couchpotato zu verbringen, bis es längst Schlafenszeit für mich war.

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