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Оглавление1 Was sind Primärdirektionen?
Die Primärdirektionen bilden eine wichtige Prognosetechnik der klassischen Astrologie. Der Name geht auf PLACIDUS DE TITIS (1603 – 1688) zurück ([PI]), der sie von den von ihm propagierten Sekundärdirektionen unterscheiden wollte. Vorher hießen sie einfach Direktionen. Sie wurden bereits in der hellenistischen Astrologie verwendet ([WK1]).
Bei den meisten Systemen, die heute als Primärdirektionen bezeichnet werden, wird die zeitliche Veränderung des Horoskops im Zeitraum von einigen Stunden vor und nach der Geburt untersucht.3 Dabei geschieht es, daß ein Horoskopfaktor eine Stellung im Verhältnis zu Meridian und Horizont einnimmt, die bei der Geburt ein anderer Horoskopfaktor innehatte – er erreicht dessen mundane Position. Der Zeitraum, bis dies eintritt, wird mit einem Proportionalitätsfaktor, dem Direktionsschlüssel, in ein Lebensalter des Geborenen verwandelt. Man erwartet, daß in diesem Lebensalter ein Ereignis ausgelöst wird, das den Charakter der beiden in Kontakt tretenden Horoskopfaktoren hat.
Nach der Geburt stattfindende Direktionen heißen direkt, die anderen convers. Nicht alle Autoren sind sich einig darüber, ob die conversen Direktionen zu berücksichtigen sind.
Es gibt besonders zwei unklare Punkte in der Direktionslehre: Die Messung der mundanen Position (siehe Kapitel 4) und die Definition des Direktionsschlüssels (siehe Abschnitt 2.4).4 Analogieschlüsse, Einfühlung in die Himmelsvorgänge und empirische Studien können helfen, hier den richtigen Weg zu finden. Man muß aber akzeptieren, daß verschiedene Astrologen hier zu verschiedenen Ergebnissen kommen.
1.1 Genauigkeit und Grenzen
Für fast alle astrologischen Anwendungen – ausgenommen die Solarhoroskope – genügt eine Genauigkeit von etwa ±3 Bogenminuten für die Planeten und ±30 Bogenminuten für die Achsen, also von etwa zwei Minuten in der Geburtszeit. Davon machen auch die Primärdirektionen keine Ausnahme.
Bei dieser Genauigkeit in der Geburtszeit erhält man für primäre Achsendirektionen eine Genauigkeit in der Ereigniszeit von etwa einem halben Jahr – nach Ansicht vieler Astrologen ohnehin das Optimum, das mit Direktionsberechnungen erreicht werden kann: Der Umkreis, in dem eine Direktion als gültig angesehen wird, beträgt etwa 1 Jahr.
Die interplanetaren Primärdirektionen sind um ein Vielfaches unempfindlicher gegen Änderungen der Geburtszeit. Ein viertelstündiger Fehler in der Geburtszeit wird die Auslösungszeit einer interplanetaren Primärdirektion durchschnittlich meist um weniger als ein Jahr verändern.
Wer ein Ereignis zeitlich genauer fixieren will, muß verschiedene andere Verfahren zu Hilfe nehmen, insbesondere Transite (Übergänge der laufenden Planeten über Orte der Radix) und Ingresse (Übergänge der laufenden Planeten über primärdirektionale Orte).
Nun ist die Geburtszeit selten auf zwei Minuten genau bekannt. Dies macht eine Korrektur der Geburtszeit anhand von Lebensereignissen erforderlich. Die hierfür üblichen Verfahren werden im Abschnitt 3.4 allgemein und in 3.5 anhand eines Beispiels erörtert.
Die Primärdirektionen werden traditionell als die stärkste Prognosemethode angesehen – sie sollten jedoch auch nicht isoliert verwendet werden. Der Glaube, bei Verwendung des richtigen Systems würde das primär entwickelte Horoskop die Ereignisse des Lebens mit der Präzision eines Uhrwerks anzeigen, beruht auf einer unrichtigen Anschauung vom Wesen der Astrologie. Der große zeitliche Umkreis von einem Jahr wird den Direktionen ja vor allem deshalb eingeräumt, weil man von ihnen bestenfalls Annäherungen erwartet.
Die Planeten sind schließlich keine wirkenden Faktoren, sondern ihre Stände werden nur von der sublunaren Natur – Erdseele und menschliches Unbewußtes – interpretiert. Hierin liegt soviel Freiheit wie sie z.B. der Interpret eines Musikstücks hat. Der Mensch selbst ist in der Astrologie das Subjekt, der aktiv Handelnde. Es ist wahr, oft ’tanzt er, wenn die Aspekte ihm pfeifen’ – aber das Wie seines Tanzes bleibt schwierig vorauszusagen. Einen Eindruck von der unerschöpflichen Vielfalt von Möglichkeiten, mit der Konstellationen durch den Menschen interpretiert werden, erhält man durch die Metagnose.
Die Sterne zwingen nicht, sie machen nur geneigt, wird oft angeführt. Das ist Unsinn. Die Sterne machen überhaupt nichts. Wir tun etwas, und dies oft, nicht immer, im Einklang mit entsprechenden Konstellationen. ([Be2], S.95)5
Auch wenn es von einem wissenschaftlichen Standpunkt sinnlos erscheint, so liegt der Wert der Astrologie vor allem in der Metagnose, genauer: Im verstehenden Einfühlen in die Sinnzusammenhänge von Sternenlauf und Menschenleben. Eine Verbesserung der Prognose kann, als Nebeneffekt, durch die in der Metagnose erworbene Erfahrung erreicht werden.
1.2 Signifikator und Promissor
Bei einer Direktion wird ein Horoskopfaktor – der Promissor (’Versprecher’) – durch die Erddrehung auf die mundane Position eines radikalen Faktors – des Signifikators (’Bedeuter’) – geführt. Oft werden Signifikator und Promissor in der Deutung unterschiedlich behandelt (Einzelheiten zur Deutung siehe im folgenden Abschnitt 1.3).
Gelegentlich liest man, Promissor und Signifikator könnten dadurch unterschieden werden, daß der eine stillsteht und der andere sich bewegt. Dies ist allerdings eine Standpunktfrage. Betrachtet man das durch den Geburtszeitpunkt gegebene Achsensystem als fest, so bewegen sich die Horoskopfaktoren durch die Radixhäuser. Von diesem Standpunkt aus ist der Promissor der bewegte, der Signifikator der stillstehende Part. Betrachtet man aber die Wanderung des Achsensystems durch den Tierkreis, so ist natürlich der Signifikator der bewegte Faktor.
In Wahrheit wird der Signifikator also nur dadurch charakterisiert, daß man seine mundane Positionslinie als die Meßkurve ansieht, die vom Promissor gekreuzt werden soll (siehe Abschnitt 2.2 und die dortige Illustration).
Die unterschiedliche Behandlung von Signifikator und Promissor in der üblichen Direktionsberechnung bringt es mit sich, daß jede Direktion doppelt vorkommt: einmal als direkte und einmal als converse Direktion, wobei die Rollen von Signifikator und Promissor vertauscht werden. Die entsprechenden Direktionsbögen solcher Paare liegen nicht etwa nahe beieinander; es können sich Unterschiede von Jahrzehnten in der Auslösungszeit ergeben. Trotzdem hängen die ausgelösten Ereignisse oft sinngemäß zusammen. In dem in dieser Arbeit behandelten Horoskop Friedrich Nietzsches wird z.B. die Direktion d. zum Zeitpunkt des geistigen Zusammenbruchs fällig, während die symmetrische converse Direktion c. mit seinem über zehn Jahre später erfolgten physischen Tod korrespondiert (siehe 3.6).
Es sei noch bemerkt, daß im Verfahren von GOLDMAYER (siehe 2.5) der Unterschied von Signifikator und Promissor gänzlich aufgehoben ist, indem bei beiden in die Direktion eingehenden Faktoren die mundane Position berücksichtigt wird. Die Differenz dieser mundanen Positionswerte ergibt dann den Direktionsbogen.
Berücksichtigt man alle direkten und conversen Direktionen mit den zehn Planeten und Aszendent und MC als Signifikatoren, so werden, selbst bei Beschränkung auf die starken Aspekte , im Jahr etwa sechs Direktionen fällig. Wenn man, wegen des Umkreises (siehe 1.1), noch die Direktionen des Vorjahres und des folgenden Jahres hinzunimmt, ergibt sich das Problem, wie man diese Vielzahl von Direktionen zu einer vernünftigen Prognose zusammenfassen sollte.
Der Astrologe GUSTAV SCHWICKERT hat tatsächlich mit dieser extremen Fülle von Direktionen gearbeitet – darüberhinaus verwendete er gleichzeitig mehrere mundane Positionskonzepte, mehrere Schlüssel und sowohl die Breite des Geburtsorts als auch die des Ereignisorts! Der entstehenden barocken Fülle von Direktionen versuchte er dann mit einer besonderen Theorie der Interferenzen Herr zu werden, die er in seinem umfassenden Werk Die Direktionslehre ([Sch]) darlegt. Gustav Schwickert stellt mit dieser nicht zur Nachahmung zu empfehlenden Methodenvielfalt allerdings eine Ausnahme dar.
In der Tradition gab es, um der großen Zahl der Direktionen Herr zu werden, den sogenannten ”ptolemäischen Vorbehalt”: dieser bestand einfach darin, nur die stärksten Horoskopfaktoren als Signifikator zu erlauben; diese stärksten Horoskopfaktoren sind nach PTOLEMÄUS ASC, MC, Sonne, Mond und Glückspunkt. Von diesen wird der Glückspunkt heute im allgemeinen vernachlässigt.6 Berücksichtigt man nur diese Signifikatoren, so verbleibt man mit ein bis zwei Primärdirektionen im Jahr – eine Anzahl, die es erlaubt, zu konkreten Deutungen zu gelangen.
Ein anderer traditioneller Vorbehalt ist es, Direktionen unberücksichtigt zu lassen, bei denen sowohl Signifikator als auch Promissor eine Achse, eine Häuserspitze oder der Mondknoten sind. Man könne zwar einen Planeten zu seinem Aufgang führen, nicht aber den kulminierenden Punkt. Hier werden also die eigentlich nicht sinnlich wirklichen Punkte wie ASC, MC, von den Himmelskörpern unterschieden.
Vom Standpunkt der Dominantenlehre, wie sie z.B. im Kursus der Astrologie von HERBERT FRHR. V. KLOECKLER ([Kl]) dargelegt wird, erscheint es sinnvoll, die individuellen Dominanten als Ordnungsprinzip zu verwenden, d.h. diejenigen Planeten, die ’durch die Geburtszeit stark ausgenutzt werden’.7 Das ergibt eine wichtige Modifikation des ptolemäischen Vorbehalts: Die Dominanten können ja eine größere Bedeutung als selbst Sonne und Mond haben und sollten daher als Signifikator unbedingt berücksichtigt werden. Auch wenn man nicht mit dem ptolemäischen Vorbehalt arbeitet und alle Planeten als Signifikator zuläßt, liefert die Dominantenlehre ein willkommenes Instrument zur Bewertung der Direktionen nach Stärke.
Eine verbreitete Minimallösung ist natürlich, nur die Direktionen zu ASC und MC zu berücksichtigen. Direktionen mit Planeten als Signifikator werden dagegen meist sekundär oder als Sonnenbogen gerechnet statt primär. Wer mit einer solchen Minimallösung arbeitet, bringt sich allerdings ganz um das wertvolle Prognoseelement der interplanetaren Primärdirektionen.
Als Promissor kommen alle sensitiven Orte des Horoskops in Betracht, also: alle Planeten, alle Achsen, ihre Aspektorte und Halbdistanzpunkte (zur Verwendung der Halbdistanzpunkte gibt es unterschiedliche Auffassungen: Manche wollen nur besonders markante Halbsummen berücksichtigen, wie z.B. ). In einigen Schulen werden auch die Spitzen der Zwischenhäuser dirigiert (ÖAG, siehe [WS]).
Einige Astrologen fassen jeden Promissor als Ekliptikpunkt auf, setzen also seine ekliptikale Breite stets Null. Der Signifikator wird mit oder ohne Breite gerechnet. Von den vier möglichen Kombinationen: Bei Signifator/Promissor die Breite zu berücksichtigen/nicht zu berücksichtigen, finden sich drei in der Literatur. Einzig der Fall: Promissor mit, aber Signifikator ohne Breite kommt nicht vor. Traditionell, d.h. bis ins 16. Jahrhundert, werden Signifikator und Promissor als Ekliptikpunkte behandelt.8
1.3 Zur Deutung von Direktionen
Viele Astrologen deuten Direktionen ähnlich wie z.B. Transite, d.h. ein Übergang wird einfach nach Bedeutung der beiden in Kontakt tretenden Faktoren und des auftretenden Aspekts bewertet. Der Unterschied zu Transiten ist nur, daß den Direktionen mehr Gewicht beigemessen wird. Wichtig für den Lebensbereich, in dem sich die Direktion auslöst, ist vor allem die radikale Hausposition des Promissors.
Andere Autoren empfehlen, die Determinationslehre nach MORIN ([Mo]) für eine genauere Deutung heranzuziehen. Diese wird z.B. in dem klassischen Werk von SINDBAD und WEISS ([SW]) erläutert. Eine Besonderheit der Determinationslehre ist der extensive Rückgriff auf die Domizile und Exile der Planeten; man berücksichtigt Felderherrschaft, Dispositoren, Rezeption u.a., um zu konkreten Aussagen zu gelangen. Nach Morin und seinen Anhängern sind Signifikator und Promissor unterschiedlich zu deuten: Der Signifikator symbolisiert den durch die Direktion angesprochenen Wesensteil, der Promissor ’verspricht’ diesem etwas, zeigt also die konkrete Richtung, in die sich dieser Wesensteil entwickelt. ERICH CARL KÜHR drückt es so aus ([EK], S. 58):
Der Signifikator ist passiv und zeigt an, was durch das Ereignis betroffen wird, und der Promissor ist aktiv und zeigt an, was geschieht.
Wer an einer Sammlung von Aphorismen zur Deutung von Primärdirektionen interessiert ist, kann z.B. das Werk Astrologische Prognose von PARIS ([Pa]) zu Rate ziehen (oder auch A. VON PRONAYS Lehrbuch Astrologische Direktionen ([AP])).