Читать книгу Unter dem Kauribaum - Rebecca Maly - Страница 6
KAPITEL 1
ОглавлениеZehn Monate zuvor. Wales, August 1860
In Meriels Bauch krampfte wachsende Angst alles zusammen. Sie stand an einem kleinen Fenster und beobachtete, wie sich eine pechschwarze Front näherte. Die Wolken schoben sich heran wie vorrückende Soldaten. Unter ihnen versank das hügelige Land von Wales in stumpfem Grau. Blitze zuckten, und der Donner ließ die Scheibe vibrieren. Sie war wellig, das günstigste Glas, das sie bekommen hatten, um etwas Licht in die dunkle Hütte zu lassen. Die Wände bestanden aus Findlingen, Holz und Torfsoden. Breit und buckelig waren sie, und ständig musste hier und da etwas ausgebessert werden.
Wieder donnerte es, und Meriel, die bis dahin noch gehofft hatte, der Sturm verschone sie, würgte an dem Wissen, dass der kommende Winter einem nie enden wollenden Alptraum gleichen würde.
Sie hörte, wie hinter ihr Geschirr zusammengeräumt wurde. Vater und ihr Bruder Padric, der mit fast achtzehn drei Jahre älter war als sie, hatten ihr Frühstück beendet. Es war für viele Wochen, vielleicht sogar Monate, das letzte Mal, dass sie als Familie zusammen sein würden. Die Mutter stand am Herd und schlug den Männern schweigend das letzte Stückchen Speck und einen frischen Brotlaib in ein Wachstuch. Sie war schmal, und sogar durch das wollene Tuch, das sie sich umgelegt hatte, stachen die Schulterknochen hervor. Ihr blondes Haar, in dem die ersten grauen Strähnen schimmerten, reichte ihr bis zu den Hüften. Die meiste Zeit, wie auch jetzt, trug sie es zu einem langen Zopf geflochten, den sie sich aufgesteckt hatte.
Vater nahm das Päckchen, legte seiner Frau eine Hand auf den Bauch und verharrte einen Moment lang, dann wickelte er den Speck aus und legte ihn auf den Tisch. „Ihr werdet ihn mehr brauchen. Padric und ich kommen schon klar.“
„Aber Ian …“, protestierte sie. Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, blickte ihr tief in die Augen und gab ihr dann einen Kuss auf die Wange. Die Mutter lächelte verhalten. Ihre Eltern waren die einzigen Eheleute, denen man ihre Liebe und die Achtung füreinander ansah, dachte Meriel wieder einmal. Auf den Dorffesten sah sie so viele Paare, die einander mit bitteren Mienen anblickten.
„Komm her, große Tochter.“
Meriel ging zu ihm. Der Vater drückte sie an sich. Sein Leib war fest, wie aus verdrehten Stahlseilen geschaffen. Er war ungeheuer stark, doch Padric wurde ihm Jahr um Jahr ähnlicher. Aus dem schlaksigen Jungen von früher war ein kräftiger Bursche geworden. Meriel umarmte auch ihn. Draußen donnerte es so laut, als würde der Himmel entzweigerissen. Sie zuckte zusammen. „Ihr könnt jetzt nicht aufbrechen!“
„Wir müssen. Die anderen warten nicht.“
Sie waren mit drei weiteren Männern aus der kleinen Ansiedlung Stonebridge verabredet, die sich über den Herbst ebenfalls als Holzfäller verdingten.
„Gott stehe euch bei“, flüsterte Meriel und drückte Padric einen Kuss auf die von Sommersprossen übersäte Wange.
Wieder krachte es. Der nächste Blitz fuhr hernieder und tauchte die ärmliche Hütte einen Wimpernschlag lang in gleißendes Blauweiß. Nun fuhr der Sturm auch ins Dach. Die Balken ächzten, und Meriel malte sich aus, wie die Steinplatten, mit denen es gedeckt war, ins Rutschen gerieten.
Doch es geschah nicht. Prasselnd und rauschend fuhr der Regen nieder. Böen pfiffen wie dämonische Geister um die Hütte. Als die Männer schließlich ihre Mäntel angezogen und die Rückentragen geschultert hatten, war das Zentrum des Sturms bereits über sie hinweggezogen.
Meriel hielt die fünfjährige Mary und den vierjährigen Carl an den Händen, als sie gemeinsam in den Hof traten.
Ihre kleine Welt sah völlig verändert aus. Vor dem Haus stand das Wasser knöcheltief. Ein Brennholzstapel war umgestürzt, und über allem lag dunstige Nässe. Noch immer fiel Regen. Meriel wagte kaum nach Westen zu blicken, schließlich tat sie es doch. Dort, wo sie dem steinigen Boden mühevoll eine Ackerfläche abgerungen hatten, lag das Korn nun platt gedrückt am Boden. Es war beinahe reif und doch verloren.
Niemand sagte etwas. Mit finsterem Blick führte Padric den Wallach Paul aus dem Stall. Er trug ein Zuggeschirr mit einem breiten, gut gepolsterten Kummet. Das Pferd, das sonst kaum aus der Ruhe zu bringen war, verdrehte ängstlich die Augen und schnaubte laut. Ketten klirrten, als es seine handtellergroßen Hufe tänzelnd hob. Paul war Vaters ganzer Stolz und das Einzige von Wert, das die Familie besaß. Nur wegen des Kaltblüters bekamen die Männer immer Arbeit im Wald.
Meriel sah den dreien nach, zwei Männer und ein Pferd, die im Regen des abklingenden Gewitters verschwanden. Sie schluckte die Tränen hinunter, die sie nicht weinen wollte. Sie musste stark sein, für Mutter, für Mary, für Carl und auch für das kleine Geschwisterchen, von dessen Existenz sie heute erst durch Vaters Geste erfahren hatte.
„Kommt, gehen wir rein, ihr habt euren Brei noch nicht gegessen“, sagte sie und führte ihre kleinen Geschwister hinein. Mary zitterte bereits, das Unwetter hatte eine plötzliche Abkühlung gebracht.
Mutter würde draußen stehen bleiben, bis sie Mann und Sohn nicht mehr sehen konnte, vielleicht sogar noch etwas länger. Meriel kannte das bereits von anderen Abschieden und wollte ihr die Ruhe geben, die sie in diesen Momenten brauchte.
Das Unwetter zog genauso schnell ab, wie es gekommen war, und machte einem trügerisch blauen Himmel Platz. Die Sonne brannte herab und trieb die Feuchtigkeit aus dem Boden. Es war schwülwarm und so unangenehm, dass sie sich sicher war, am Abend ein neues Gewitter erwarten zu können. Meriel verbrachte den halben Tag damit, das Brennholz wieder aufzustapeln. Als sie damit fertig war, lehnte sie eine lange Leiter ans Wohnhaus und sah nach, ob das Dach unter den Windböen gelitten hatte. Die Steinplatten waren alle an ihren Plätzen.
Meriel arbeitete sich um das gesamte Dach herum, dann nahm sie sich die Scheune vor, wo sie eine Platte ersetzen musste. Die Gebäude waren glimpflich davongekommen, nicht aber die Felder. Von der Leiter aus konnte Meriel das ganze Umland überblicken. Die rollenden grünen Hügel, die von einem Gitternetz aus Steinmauern in kleinere Parzellen unterteilt waren, auf denen zumeist Schafe und einige wenige Rinder grasten. Es gab windgebeugte Eichen, Nester von Ginster und Heidekraut. Eine Allee uralter Eiben säumte die ferne Zufahrt zum Anwesen der Familie Vaughan.
Die Herrschaften besaßen mehr Land und mehr Geld als alle Einwohner von Stonebridge und dem Nachbarort Wall und die Pfarrei zusammen. Meriel hatte das riesige Haus nur selten aus der Nähe und noch nie von innen gesehen, aber sie kannte die Geschichten, die man sich im Ort erzählte. Von Tanzsälen, die von Hunderten Leuchtern erhellt wurden, von Gärten, so weit das Auge reichte, von Teichen mit goldenen Fischen darin. Angeblich standen dort Häuser ganz aus Glas, die im Winter mit Öfen beheizt wurden, damit die exotischen Pflanzen darin nicht litten, während die Menschen in Stonebridge erfroren.
Meriel konnte nur staunen über eine derartige Verschwendung. Statt der heimlichen Bewunderung, mit der viele Leute aus Stonebridge ihre reichen Nachbarn bedachten, hatte sie für die Vaughans nur Verachtung über.
Meriel, die noch immer auf der Leiter stand, sah sich nach ihrer Familie um. Die beiden kleineren Geschwister hockten auf dem Kartoffelacker und sammelten Schädlinge von den Pflanzen. Nach dem Gewitter waren sie vielleicht etwas leichter zu finden.
Die Mutter war beim Getreidefeld. In dem hilflosen Versuch, das Verlorene zu retten, bemühte sie sich, die niedergedrückten Halme wieder aufzurichten. Sie hatte Stecken und dünne Zweige bei sich, die sie unter die Pflanzen schob. Wenn sie den Boden nicht berührten und es die nächsten Tage trocken bliebe, würde das Korn vielleicht noch reifen, statt zu faulen.
Meriel tat es im Herzen weh, die drei so zu sehen und nichts tun zu können. Vielleicht sollte sie fortgehen und eine Arbeit annehmen. Aber wer würde schon ein dürres Mädchen mit dreckigen Händen einstellen, wenn schon kräftige Burschen und die feine Müllerstochter keine Arbeit bekamen.
Meriel stieg von der Leiter und ging auf das Feld. Schweigend blieb sie neben der Mutter stehen. Umgeknickte Halme, so weit sie schauen konnte. Die Ähren waren noch grünlich, und auf dem Acker stand in Senken das Wasser. Es war hoffnungslos.
Mutter nahm sie an der Hand, ihre Blicke begegneten sich. Lange sahen sie einander einfach nur an. „Ich bin so froh, dass ich dich habe, mein Mädchen.“
Meriel lächelte zögernd. „Ist es wahr, dass wir noch ein Geschwisterchen bekommen?“
„Ja, auch wenn ich wünschte, dass Gott mich mit dieser Bürde verschont hätte.“
„Wie meinst du das? Ist ein Kindlein nicht immer ein Grund zur Freude?“, fragte sie irritiert.
Meriel hatte liebevolle Eltern. Sie wusste noch, dass andere Kinder in der Schule sie darum beneideten. Denn Meriel und Padric waren nie grün und blau geschlagen worden, und der Vater hatte die Rute nur dann zur Hand genommen, wenn sie es wirklich verdient hatten.
„Komm, gehen wir ein Stückchen, Tochter. Du bist schon fast selbst eine Frau und nun alt genug, um solche Dinge zu verstehen.“ Ihre Stimme war kühl geworden, als läge ein plötzlicher Frosthauch in der Luft.
Meriel folgte ihr zu einer Findlingsmauer, die den Acker begrenzte. Dort setzten sie sich.
„Du warst zu jung, um es zu verstehen, Tochter, aber im Jahr nach deiner Geburt und auch zwischen dir und Padric habe ich Kinder bekommen.“
Meriel erinnerte sich schwach an eine Wiege, in die sie nicht hineinsehen konnte, weil sie noch zu klein war, und an ein Kindchen im Wickeltuch. Da sie die Erinnerungen nicht einordnen konnte, hatte sie diese schließlich mit ihren jüngeren Geschwistern in Verbindung gebracht. Jäh wurde ihr die Bedeutung von Mutters Worten bewusst.
„Was ist geschehen?“, fragte sie flüsternd.
„Es waren harte Zeiten, wir haben gehungert. Und obwohl dein Vater mir immer etwas von seiner kargen Kost abgezweigt hatte, versiegte meine Milch. Ich konnte sie nicht ernähren. Wir waren hilflos. Sie wurden von Tag zu Tag weniger. Am Anfang haben sie noch geweint vor Hunger. Wir sind von Haus zu Haus gezogen, zu jedem, der eine Kuh oder Ziege im Stall hat, aber sie gaben uns nichts oder hatten selber nicht genug. Als die Kindchen dann aufgehört haben zu weinen, wussten wir, dass es nicht mehr lange dauert, bis Gott sie zu sich holt.“
Sie barg das Gesicht in den Händen, zog die Schultern hoch und weinte so still, dass Meriel es nur an ihren Bewegungen merkte. Nicht wissend, wie sie sie trösten sollte, legte sie ihr einen Arm um die Mitte. Es tat ihr so unendlich leid. Um die Mutter und auch um die Geschwister, die sie niemals kennengelernt hatte.
„Ich sollte dieses Kind nicht bekommen“, sagte Mutter schließlich leise.
Als sie sich aufrichtete, war ihr Gesicht aschfahl. Mit langsamen, zitternden Bewegungen strich sie sich die Tränen von den Wangen.
Ihre Worte erschreckten Meriel. „Du hast doch keine Wahl.“
Mit leerem Blick wandte sie sich ihr zu. Es war, als stünde Nebel in ihren blaugrauen Augen.
„Doch, die habe ich. Wir Frauen kennen Mittel und Wege …“
„Nein, nein, das darfst du nicht, hörst du!“
„Ach, mein Mädchen. Warum soll ich mich und das Kindchen quälen? Es wird im Februar kommen, wenn der Hunger am größten ist. Wir werden für uns selbst nicht genug haben. Denke an die kleine Schwester und den kleinen Bruder, die du schon hast, Meriel.“
Die Mutter schien ihren Entschluss gefasst zu haben. Doch in Meriel wehrte sich alles gegen die Vorstellung, dass sie absichtlich ein Kind verlieren wollte.
„Nein, nein, das lasse ich nicht zu!“, sagte sie wütend und ballte die Hände zu Fäusten. In ihrer Brust schien ein wildes Feuer zu lodern.
„Versprich mir, dass du es nicht tust, Mama. Ich finde einen Weg!“
„Sieh dich doch um, Kind. Die Weizenernte ist dahin. Die Kartoffeln sind voll mit Käfern und Maden. Mit Glück wird sie gerade so für uns selbst reichen. Das Geld, das die Männer heimbringen werden, brauchen wir, um Schulden abzubezahlen und vielleicht noch für Saatgut und Mehl.“
Meriel sah ihre Mutter beschwörend an. „Mit Gottes Hilfe, ich werde dafür sorgen, dass wir keinen Hunger haben müssen.“
Die Mutter schüttelte ihren Kopf. Unbewusst berührte sie ihren Bauch und zog ihre Hand gleich darauf wieder fort, als verbiete sie sich, für die Frucht ihres Leibes Gefühle zu hegen.
„Mama, ich schwöre es“, sagte Meriel mit pochendem Herzen, wild entschlossen, es ihr zu beweisen.
Zwei Wochen später
Sie hatten den Weizen geschnitten, der weder reifte noch ganz trocken wurde, und ihn Bündel für Bündel aufgerichtet. Und an einem heißen Tag war es endlich so weit. Sie konnten dreschen. Dazu hatten sie eine Stelle im Hof sorgfältig gereinigt, bis nur noch fester Lehm übrig war, der kaum ein Sandkörnchen verlor.
Meriel ging mit einem Handkarren auf das Feld und belud ihn hoch mit Garben. Mit der Heugabel wuchtete sie mehr und mehr der Bündel hinauf. Vom Hof klang der stete Rhythmus der Dreschflegel zu ihr hin. Selbst die Kleinen halfen mit. Sie wussten, wie wichtig dieser Tag war. Sie mussten so viel Korn einbringen und dreschen wie möglich, denn schon kündigte sich wieder ein Wetterwechsel an.
Meriel drückte soeben die Garben auf dem Handkarren fest, damit sie weitere aufladen konnte, als sie neben sich eine Bewegung wahrnahm. Dort hockte ein Kaninchen. Keine zwei Schritt von ihr entfernt, nagte es an einigen trockenen Halmen. Offenbar nahm es sie gar nicht wahr.
Die Kaninchen schienen keinen Hunger zu kennen. Dieses sah sogar regelrecht fett aus. Meriels Gedanken überstürzten sich. So ein Tier wäre ein wahres Festessen. Wenn sie es doch nur erwischen könnte!
Mit angehaltenem Atem, die Heugabel mit beiden Händen gefasst, drehte sie sich so langsam um, wie sie nur konnte. Schweiß rann ihr über die Stirn. Das Kaninchen hörte auf zu kauen, sah sie einen Moment lang irritiert an. Die Nase wackelte langsam auf und ab.
Meriels Muskeln waren aufs Äußerste gespannt. Jetzt nur nichts falsch machen!
Das Kaninchen wandte sich wieder dem Futter zu und nahm eine ganze Ähre zwischen die Pfoten. Da stieß Meriel zu. Die scharfen Zinken der Heugabel bohrten sich durch den kleinen Leib und tief in den Boden darunter. Das Kaninchen zuckte und stieß einen erschreckend menschlichen Schrei aus, der Meriel eine Gänsehaut über den Körper jagte. Hastig sah sie sich nach einem Stein um, mit dem sie seinem Leid ein Ende machen konnte. Doch das war gar nicht nötig. Es war tot.
Ungläubig, dass es ihr tatsächlich gelungen war, zog Meriel die Heugabel aus ihrer Beute und hob sie auf. Das Fell war weich und warm. Die Augen, die sie eben noch neugierig gemustert hatten, verloren bereits ihren lebendigen Glanz. In Meriel rangen unterschiedliche Gefühle miteinander. Da war unbändige Freude, weil sie ein Festessen erbeutet hatte, und zugleich die Schuld, dieses kleine Leben auf dem Gewissen zu haben. Sie befühlte den flauschigen Leib. Ja, das war ein fettes Kaninchen. Vorsichtig sah sie sich noch einmal um, dann schob sie es unter die Garben. Es war den Bauern verboten, auf dem Pachtland Wild zu erlegen. Niemand durfte sie dabei sehen.
Meriel begann ein Lied zu summen, dann sang sie leise, während sie den Karren fertig belud und zurück zum Dreschplatz fuhr.
Am Abend schmerzten ihnen allen die Arme und der Rücken. Mary saß schon ganz schief auf ihrem Stuhl, und der kleine Carl weinte vor Müdigkeit. Auch Meriel hatte sich gesetzt, nachdem sie den Tisch gedeckt hatte.
Dann war es endlich so weit. Die Mutter trug eine tönerne Kasserolle herein, aus der es herrlich duftete. Nun vergaß auch Carl seine Müdigkeit. Die Augen weit aufgerissen, starrte er wie gebannt auf das Festmahl, das vor ihm aufgetischt wurde.
Es war an Meriel, jedem etwas aufzutun. Sie sparte nicht, obwohl Mutter sie mahnend ansah. „Jeder soll sich satt essen“, sagte sie entschlossen. Niemand protestierte. Gemeinsam aßen sie den gesamten Topf leer und kratzten die Reste mit einem alten Brotkanten aus.
Als Meriel später auf ihrer Strohmatratze lag, konnte sie nicht einschlafen. Durch ein kleines offenes Fenster, das sie im Winter mit einem Holzbrett und Lumpen zustopften, trieb kühler Wind hinein. Es roch erdig und ein wenig feucht, nach gemähtem Gras und überreifen Pflaumen, die neben ihr auf einem Darrgestell trockneten. Meriel hatte diesen winzigen Raum für sich. Hier gab es außer ihrem schlichten Lager, das aus einem strohgefüllten Sack und einigen Rupfendecken bestand, nicht viel mehr. Mutters Aussteuertruhe stand hier und ihre eigene, die weitgehend leer war.
Außerdem die Darre, denn in diesem Zimmerchen wurde es von allen am wärmsten. Es war ein Gestell mit mehreren Etagen, auf denen von Frühjahr bis Herbst Verschiedenstes trocknete. Es begann mit Kräutern wie Brennnessel, Melisse und Minze, dann folgten die ersten Früchte: Himbeeren, Walderdbeeren, Brombeeren. Über das Jahr wandelten sich die Düfte, und jeder Monat besaß seinen eigenen Charakter. Erbsen, Bohnen, Hagebutten, Apfelscheiben und schließlich Nüsse. Meriel oblag es, dafür zu sorgen, dass die Ernte gleichmäßig trocknete, sich die Feuchtigkeit nicht staute oder das Dörrgut gar zu schimmeln anfing.
Vieles davon verkauften sie auf dem Markt. Nur die Reste und das, was zum Verkauf nicht taugte, behielten sie für sich.
Es war nie genug. Nie genug wie heute, da sich Meriels Bauch angenehm voll anfühlte und es darin leise gluckerte. Wenn sie so nur jeden Abend einschlafen könnte! Zumindest ohne Hunger, das wäre schon ein Fortschritt.
Die Lösung war ebenso so simpel wie schwierig. Sie müsste häufiger ein Kaninchen fangen. Das Glück, noch eines mit der Heugabel zu erwischen, war unwahrscheinlich, aber wenn sie eine Falle bauen könnte, oder gleich mehrere! So würde es gehen, so könnte sie ihr Versprechen gegenüber Mutter einhalten, für genügend Essen zu sorgen.
Die Nacht verstrich weitgehend ohne Schlaf, während Meriel in Gedanken durchging, was sie alles für ihr Vorhaben benötigte. Sie erinnerte sich daran, dass Vater im Vorjahr Schlingen benutzt hatte, um einen Marder zu erwischen, der ihren Hühnern nachstellte. Sie bestand aus nichts mehr als einer Haselrute, mehreren Stöckchen und einer Schlinge. Meriel hatte zugesehen, wie er sie aufstellte. Es war leicht.
Das kann ich auch!, dachte sie entschlossen und schlief endlich ein.
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