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VIER
ОглавлениеDetective Chief Inspector Christopher Bourke stieß die Tür zum Polizeiposten in Lower Barton so heftig auf, dass sie gegen den Wandstopper knallte.
Sergeant John Greenbow blickte überrascht hoch und sagte: »Guten Morgen, Sir.«
»Ebenfalls Morgen«, brummte Christopher. »Ob er allerdings gut ist, ist Ansichtssache.«
»Alles in Ordnung, Sir?«
»Natürlich, Greenbow.« Christopher zog eine Augenbraue hoch. »Was sollte nicht in Ordnung sein? Ist, während ich weg war, etwas vorgefallen, das ich wissen sollte?«
»Zechprellerei im Three Feathers. Die Akte liegt auf Ihrem Schreibtisch.«
»Bei John Shaw?«
Der DS nickte. »Sechs ältere Ladies haben die besten Speisen und teuersten Getränke bestellt und die Rechnung nicht bezahlt. Mr Shaw erstattete Anzeige, seine Personenbeschreibung ist leider vage. Sie trifft auf Hunderte Frauen jenseits der sechzig zu.«
»Geben Sie die Meldung an alle Reviere in Devon und Cornwall weiter«, sagte Christopher, drehte sich um und ging in sein Büro. Die Tür fiel lauter als nötig ins Schloss.
Der Sergeant sah seinem Vorgesetzten erstaunt nach. Bourke wirkte, als habe er in der Nacht kein Auge zugetan. Greenbow wusste, dass der DCI und die Hotelinhaberin Sandra Flemming ein Paar waren. Wenn Bourke die Nächte bei seiner Freundin verbrachte, wirkte er hin und wieder zwar etwas müde, aber niemals mürrisch und derart schlecht gelaunt wie heute. Die Zechprellerei schien Bourke nur am Rand zu interessieren, obwohl er sich sonst auch in kleine Fälle verbiss und keine Ruhe gab, bis der Schuldige überführt war. Ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend beschlich Greenbow. Gestern war der Chef den ganzen Tag im Hauptquartier in Exeter gewesen. Drohte doch die Schließung des Postens in Lower Barton, obwohl es im letzten Jahr geheißen hatte, das Thema sei vom Tisch? In den letzten Monaten hatte es nur geringfügige Delikte gegeben: Ein paar Schlägereien, häusliche Gewalt, bei der sie hatten einschreiten müssen, einen versuchten Wohnungseinbruch und zwei Autodiebstähle. Einmal war auch ein Hund als vermisst gemeldet worden. Greenbow hatte das Tier wohlbehalten auf dem Gelände von Wheal Kerris wiedergefunden, der alten Zinnmine von Higher Barton. Der Sergeant arbeitete gern in Lower Barton und an der Seite von DCI Bourke. In der Regel war der Chief ein freundlicher, aufgeschlossener Mann, nach Dienstschluss gingen sie manchmal zusammen ins Pub und tranken ein oder auch zwei Pint Tribute. Auch wenn es Greenbow nicht anstand, seinen Chef auszufragen, konnte er nicht warten. Er klopfte an die Bürotür und trat ein.
»Sir, wegen gestern … Während Sie in Exeter waren …«
Mit fünf Fingern fuhr sich Christopher durch das kurze, feuerrote Haar, das daraufhin nach allen Seiten abstand, was ihn aber nicht störte. Lange blickte er Sergeant Greenbow an und sagte schließlich: »Sie möchten wissen, warum man mich ins Hauptquartier zitiert hat.«
»Wird Lower Barton nun doch aufgelöst?«, platzte Greenbow heraus. »Hat der Führungsstab seine Meinung geändert?«
Ein verhaltenes Lächeln zuckte um Christophers Mundwinkel, er seufzte und erklärte: »Keine Sorge, Greenbow, unser Posten bleibt erhalten. Ein paar Monate Ruhe bedeutet ja nicht, dass die Polizei in Lower Barton überflüssig ist.« Christophers Daumen klickte ununterbrochen auf den Drücker des Kugelschreibers, er wirkte so nervös, wie Greenbow seinen Chef nie zuvor erlebt hatte. »Es ist etwas anderes«, fuhr Christopher leise fort. »Sie werden es in den nächsten Tagen erfahren, da es auch Sie betrifft. Es ist eine Neuigkeit, über die wir uns beide, besonders aber Sie, außerordentlich freuen sollten …«
»Ich?«, fragte Greenbow verwundert. »Mein Eindruck ist eher, dass Sie von Begeisterung meilenweit entfernt sind.«
»Dabei sollte das Gegenteil der Fall sein«, murmelte Christopher. »Es ist nämlich so, dass …«
Als John Greenbow zwanzig Minuten später das Büro seines Chefs verließ, fühlte er sich hin- und hergerissen. Mit dieser Nachricht hatte er nicht gerechnet. Jetzt verstand er, warum DCI Christopher Bourke eine Laune hatte, als würde man ihn zum Schafott führen.