Читать книгу Denkschrift über Dr. Robert Kempner - Rechtsanwalt Professor Bernhard Armin Schäfer - Страница 11
ОглавлениеIV. Herkunft, Kindheit und Jugend
Robert Kempner stammt aus einem linksliberalen, durch Naturwissenschaften und Medizin geprägten Elternhaus mit jüdischen Wurzeln. Sowohl sein Vater, Walter Kempner57, ein strenger Liberaler, Robert Kempner wusste nicht, ob er freisinnig oder sozialdemokratisch gewählt hat, ebenso seine Mutter, mehr links- als nationalliberal, bürgerlich-sozialdenkend, „hatten mit dem Kaiserreich nicht viel im Sinn, wenn überhaupt, dann mit dem König von Preußen, weil Kempners Mutter die erste Frau war, die von seiner Majestät den königlich-preußischen Professorentitel bekommen hat.“ 58
Sowohl Kempners Vater, der aus einer jüdischen Familie aus dem Niederschlesischen Glogau stammte, als auch seine Mutter, Lydia Rabinowitsch-Kempner, die aus dem jüdischen Großbürgertum Litauens kam, waren als Bakteriologen wissenschaftliche Mitarbeiter am Robert-Koch-Institut59 in Berlin. Zuvor, von 1895 bis 1898, war Lydia Rabinowitsch, die zu den führenden Tuberkuloseforscherinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts zählte, als Dozentin am Woman´s Medical College in Philadelphia tätig.60 Dr. Kempners Eltern waren zwar im Kaiserreich integriert, haben aber an seine Majestät nie geglaubt, auch nicht an Bismarck; seine Blut- und Eisen-Sache spielte in der Familie Kempner keine Rolle, „diesen Schwindel hat man verachtet.“61 Man glaubte an den wissenschaftlichen Fortschritt, an die Entwicklung der Arbeiterschaft und auch an die des Bürgertums. Man hing nicht am Obrigkeitsstaat, auf der anderen Seite fühlte man sich nicht als „Outsider“, sondern innerhalb dieser Gemeinschaft war man in einer gewissen Opposition.
Dass etwas „faul dort oben war“, wusste man doch, man tat jedoch seine Militärpflicht, denn man wollte keinesfalls, dass der Staat besiegt wird.62 Die große Identifikationsfigur der Familie Kempner war Robert Koch,63 dessen Patenkind Robert Kempner war. Man hatte Robert Koch angehimmelt und gestaunt, dass der Privatarzt aus Clausthal-Zellerfeld und späterer Kreisarzt aus Wollstein in Posen nach einem halben Jahr Suchen unter dem Mikroskop merkwürdige Bazillen entdeckt hatte.64
Der 1899 geborene Robert Kempner war das älteste dreier Kinder aus der Ehe seiner Eltern, seine jüngere Schwester war Philologin, sein jüngerer Bruder Walter65 studierte Medizin, kam über den Internisten Prof. von Bergmann an das Kaiser-Wilhelm-Institut zu Otto Warburg und wanderte 1934 in die USA aus, wo er als Universitätsprofessor tätig wurde. Kempners Vater starb 1920 an einer Kehlkopftuberkulose, seine Mutter Lydia erkrankte an Brustkrebs und starb am 03. August 1935 an den Folgen eines Herzanfalles, welchen Sie nach der Verhaftung von Robert Kempner am 12.03.1935 erlitten hatte und von dem sie sich nicht mehr erholte.66 Die Familie Kempner wuchs in Berlin-Lichterfelde auf, wo Robert zur Schule ging und mit 17 Jahren, nach dem Notabitur, sich freiwillig zu den Gardeschützen meldete.67
Kempner kämpfte in sowie um die Marne und erhielt vor dem Kriegsende das Eiserne Kreuz zweiter Klasse für Tapferkeit vor dem Feind verliehen.68 Kempner konnte sich an keine Gelegenheit erinnern, wo er es getragen hätte, es wurde von ihm immer im Safe, zusammen mit den Orden seiner Eltern, aufgehoben und später wurde Kempner noch das Verdienstkreuz für Frontkämpfer69 verliehen.
Dieses hatte für ihn eine gewisse praktische Bedeutung bei den Nazi-Entlassungen nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums im Jahre 1933. Es gab Ausnahmen für Frontkämpfer, damit konnte man aber nur operieren, „wenn einer wegen fortgesetzten Judentums im strafverschärfenden Rückfall herausgeschmissen wurde.“70
Im November 1918 kam Kempner nach Hause, nach Berlin-Lichterfelde. Er traf in der Nacht zu Hause ein, betrat sein Elternhaus über die Waschküche, wie er schilderte 71 und hatte noch einen Anzugsstoff dabei, bzw. dieser gehörte seinem Kameraden Arnold, welcher Kempner begleitete. Auf dem Rückzug wurden die kolossalen Militärbestände geräumt und Arnold hatte in Brüssel einen Ballen Stoff abgezwickt und auf seinem kleinen Panjewagen heimgeschafft. Das war sein Heiligtum und sein Vermögen. Am Morgen kam Kempners Vater:
„Was macht Ihr denn da unten?“, besorgte die nötigen Desinfektionsmittel und entlauste Kempner und Arnold.
„Was ist das für ein Stoff?“
Arnold sagte: „Das ist ein Uniformstoff aus den Wehrmachtslagern in Brüssel.“
Kempner wurde dann sehr böse auf seinen Vater, der auf Arnolds Schilderung erwiderte:
„Gestohlene Wehrmachtsbestände wollen wir bei uns nicht aufheben.“
Halb Europa war verbrannt und ausgeplündert, da kommt der Sanitätsrat Kempner und sagt: „So etwas heben wir bei uns nicht auf.“ 72
57 Walter Kempner, Vater von Robert Kempner (* 17. Juni 1869 in Glogau; † 29. Februar 1920 in Berlin) war ein deutscher Mediziner (mit Titel Sanitätsrat) und beschäftigte sich auch wissenschaftlich mit Hygiene und Mikrobiologie. Kempner promovierte 1894 an der Münchner Medizinischen Fakultät mit einem Beitrag zur Aetiologie der Säuglingstuberkulose. Er heiratete 1898 in Madrid – auf einem internationalen medizinischen Kongress – Lydia Rabinowitsch-Kempner, die mit ihm zusammen im Hygienischen Institut von Robert Koch arbeitete. Sie galten als eines der großen Wissenschaftlerehepaare neben Marie und Pierre Curie und Oskar und Cécile Vogt und veröffentlichten auch zusammen, was auch im Ausland rezipiert wurde. Kempner stellte 1897 in Kochs Labor mit einem Antiserum die erste Therapiemöglichkeit gegen Fleischvergiftungen her. 1905 wurde er in die Berliner Medizinische Gesellschaft aufgenommen. Kempner starb 1920 an Kehlkopftuberkulose.
58 Robert M. W. Kempner „Ankläger einer Epoche“, Lebenserinnerung, Ullstein 1983, Seite 16 ff.; Fritz Bauer Institut (HG); „Im Labyrinth der Schuld“, Täter-Opfer-Ankläger, Jahrbuch 2003 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Campus, Seite 168 ff. mit weiteren Nachweisen.
59 Gründung des Robert-Koch-Institutes: Ein eigenes Institut zur Erforschung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten wurde in Preußen seit 1887 erwogen. Der X. Internationale Medizinische Kongress 1890 in Berlin gab schließlich den Ausschlag für die Gründung des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten am 1. Juli 1891, mit wissenschaftlich-experimentellen Abteilungen und einer klinischen Abteilung. Robert Koch leitete das Institut bis 1904. Seine ersten Mitarbeiter Georg Gaffky und Friedrich Loeffler wurden seine späteren Nachfolger im Amt. 1897 erfolgte die Grundsteinlegung für den Neubau am Nordufer, der im Sommer 1900 bezogen werden konnte. Im selben Zeitraum entstand nicht weit entfernt das Rudolf-Virchow-Krankenhaus, das 1906 eröffnet wurde. Auf Anregung Robert Kochs wurde hier eine Infektionsabteilung eingerichtet, die von einem Arzt geleitet wurde, der gleichzeitig Mitarbeiter des Koch’schen Instituts war. So sollte der Grundsatz der Trennung zwischen „wissenschaftlichen“ und „Krankenabteilung“ erhalten bleiben. Weitere Kooperationen ergaben sich durch die „Wutschutz“ (Tollwut) – und andere neue Abteilungen. 1912, zum 30. Jahrestag der Entdeckung des Tuberkel-Bazillus, erhielt das Institut den Namenszusatz „Robert Koch“, nach dem Ersten Weltkrieg verschwand das „Königlich“ aus dem Namen und wurde in „Preußisches Institut für Infektionskrankheiten Robert Koch“ umbenannt. Der Bau ist bis heute der Hauptsitz des Robert Koch-Instituts. Das Institut übernahm entsprechende Aufgaben für Städte und Reichsbehörden. Auch internationale Anfragen wurden beantwortet.
60 Fritz Bauer Institut, „Im Labyrinth der Schuld“, Seite 168.
61 wie vor sowie „Ankläger einer Epoche“, Seite 16 ff.
62 „Im Labyrinth der Schuld“, Seite 168 sowie „Ankläger einer Epoche“, Seite 16 ff.
63 Fritz Bauer Institut, „Im Labyrinth der Schuld“, Seite 168 m. w. N.
64 „Ankläger einer Epoche“, Seite 17.
65 Walter Kempner, Bruder von Robert Kempner (* 25. Januar 1903 in Berlin, Deutschland; † 27. September 1997 in Durham (North Carolina), North Carolina, USA) war ein deutscher Mediziner. Kempner wurde als jüngster Sohn des Mediziners Walter Kemper sowie der Mikrobiologin Lydia Rabinowitsch-Kempner geboren. Seine Schwester Nadja Kempner starb bereits 1932 an Tuberkulose. Im Jahr 1934 emigrierte Kempner in die USA. Walter Kempner gilt als Erfinder der Reis-Diät, die er an der Duke University 1939 entwickelt hat.
66 Dr. Katharina Graffmann-Weschke, Inaugural-Dissertation über die Mutter von Dr. Robert Kempner, „Lydia Rabinowitsch-Kempner (1871 – 1935), Leben und Werk einer der führenden Persönlichkeiten der Tuberkuloseforschung am Anfang des 20. Jahrhunderts“, Forschung und Wissen, GCA-Verlag, 1997, Aus dem Institut für Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin; Seite 134, 135 m. w. N.
67 „Ankläger einer Epoche“, Seite 20, 21.
68 wie vor, Seite 23.
69 Das Ehrenkreuz des Weltkrieges (oft auch nach seiner häufigsten Verleihungsstufe Ehrenkreuz für Frontkämpfer oder Frontkämpferehrenkreuz benannt) wurde am 13. Juli 1934 durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg anlässlich des 20. Jahrestages des Kriegsbeginns 1914 gestiftet und war eine Auszeichnung aus der Zeit des Nationalsozialismus für die Teilnehmer und die Hinterbliebenen von Teilnehmern des Ersten Weltkrieges. Das Ehrenkreuz wurde oft von Gegnern des NS-Regimes, auch von jüdischen Weltkriegsteilnehmern, beantragt, weil sie sich im Besitz dieser Auszeichnung vor politischer und rassischer Verfolgung besser geschützt meinten. Auch die jüdischen Weltkriegsteilnehmer wurden mit dem Ehrenkreuz ausgezeichnet. Dies hatte später, wie andere Orden aus dem Ersten Weltkrieg, keine Auswirkung auf das Vorgehen des Regimes gegenüber den jüdischen Trägern.
70 „Ankläger einer Epoche“, Seite 23 und 24.
71 wie vor, Seite 24.
72 wie vor, Seite 24.