Читать книгу Denkschrift über Dr. Robert Kempner - Rechtsanwalt Professor Bernhard Armin Schäfer - Страница 9

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II. Eine Auswahl von Gratulationsschreiben anlässlich des 90. Geburtstages von Dr. Robert Kempner 42

1. Nothilfe Birgitta Wolf e. V.43

„Beitrag zur Festschrift für Dr. Robert M.W. Kempner 1989“

Als ich in den dreißiger Jahren ganz jung von Schweden nach Deutschland heiratete, musste ich viele neue, deutsche Vokabeln lernen – meine Schulkenntnisse reichten da nicht weit. Die Alltagssprache war schnell gelernt, aber nach ein paar Jahren stieß ich auf ein Wort, das für mich völlig neu und fremd war. Im Schwedischen fand ich kein Synonym dafür, es stand in keinem Lexikon und ich buchstabierte recht hilflos daran herum: „S-i-p-p-e-n-h-a-f-t“… In meiner Umgebung war man seltsam befangen, als ich um eine Erklärung bat. Sicher: Die zwei einzelnen Teile des Wortes konnte man mir schnell, direkt und ohne Schwierigkeit übersetzen: „Sippe“ und „Haft“ – aber die Realität des Wortes als sogenannter neuer Rechtsbegriff war verstandesgemäß und emotional für mich nicht erklärbar und nicht zu fassen.

Eine Familie, die also mit büßen muss für politische Auffassung und Taten eines nahestehenden oder entfernten Verwandten ? Das war einfach unbegreiflich für eine sehr junge und sehr naive Frau aus einem skandinavischen Land.

Als ich aber die tatsächliche Bedeutung und Auswirkung dieses neuen deutschen Wortes in seiner ganzen schaurigen Realität erfasste, belastete es mich wie ein Alptraum. Damals ahnte ich zwar noch nicht, dass etwas später die sechsjährige Tochter meines Bruders, deren Mutter in den KZ-Lagern Ravensbrück und Dachau Gefangene war, im besetzten Holland von den Nazis zurückgehalten wurde und keine Ausreisegenehmigung zu ihrem Vater im kriegsverschonten Schweden bekam und somit auch ein Opfer der Sippenhaft wurde. Ich wusste damals auch nicht, dass meiner eigenen Tochter – von deutschen Soldaten mit Tuberkulose angesteckt, die acht Jahre durch ihren Körper raste, bevor sie starb – das dringend benötigte Care-Paket, in einer Zeit vorenthalten werden sollte, wo sie als Tuberkulosekranke nur 80 Gramm Butter im Monat erhielt und wir Hunde schlachten mussten, um den rapiden Gewichtsabfall aufzuhalten.

Schriftlich und ganz offiziell mitgeteilter Grund der Ablehnung dieser Spende, die damals vielleicht ihr Leben hätte retten können: Die schwedische Schwester ihrer Großmutter war zwar vor der Machtergreifung gestorben, aber doch mehrere Jahre mit einem später hohen Nazi-Politiker verheiratet gewesen! Und dabei war es eine Schwedin, die die Institution der Care-Pakete für deutsche Kinder geschaffen hatte, Elsa Brändström. Ihre lange Halskette, kunstvoll aus Rosshaar von deutschen Gefangenen in Sibirien als Geschenk für sie verfertigt, besaß und trug ich, aber mein todkrankes, abgemagertes Kind durfte nicht ihr Care-Paket empfangen: Sippenhaft

Beim Zusammenbruch des Verbrecherregimes am Ende des Krieges begann die Rache, und so, wie ich vorher versucht hatte, Gefangenen in Gestapo-Gefängnissen und KZ-Lagern zu helfen, suchte ich nun Emmy Göring, die zweite Frau des Reichsmarschalls Hermann Göring, im Internierungslager für Frauen von Nazi-Verbrechern in Garmisch-Partenkirchen auf. Im Oktober 1945 hatte man sie als Frau von Göring in eine eiskalte Zelle ins Zuchthaus Straubing gebracht – kein Stuhl, kein Tisch war vorhanden, ein Strohsack und eine Pritsche waren neben dem Klo die ganze Einrichtung. Später wurde die achtjährige kleine Tochter Edda in die Zelle gebracht – auch sie bekam einen Strohsack zum Schlafen: Sippenhaft auch für das Kind. Im Zuchthaus hatte sich Emmy Göring durch die Kälte eine schwere, nicht heilbare Krankheit zugezogen und ich fand sie 1948 im Internierungslager in Garmisch-Partenkirchen in einem sehr elenden Zustand vor. Ich hatte Emmy Göring jahrelang nicht mehr gesehen und jetzt erzählte sie mir bei meinen Besuchen bis zu ihrer Spruchkammerverhandlung alles, was sie und das Kind durchlebt hatten, seitdem Hitler ihren Mann verhaften ließ, er sich Hitlers Todesurteil durch Flucht entzog und sich dem amerikanischen Militär gestellt hatte.

In der Zeit nach der Entlassung aus Straubing und vor der Einweisung in Lagern bei Göttingen und in Garmisch wohnte Emmy Göring in einer Jagdhütte im Wald in Sackdilling. Einmal in der Woche durfte sie ihrem Mann ins Gefängnis nach Nürnberg schreiben – besuchen durfte sie ihn nicht. Aber nicht nur der Nürnberger Gefängnisgeistliche besuchte sie, die freigelassene Zuchthausgefangene, die Frau eines politischen Verbrechers, der auf sein Todesurteil wartete, in der kleinen Hütte im Wald.

Eines Tages kam der amerikanische Ankläger, Staatsanwalt Dr. Kempner, und sie erzählte mir, dass sein Besuch ihr viel Mut gemacht hatte, denn er verabschiedete sich mit den Worten, dass, wenn sie – mit der so viele frühere „Freunde“ nichts mehr zu tun haben wollten – einmal einen Wunsch hätte, den er ihr vielleicht erfüllen könne, so solle sie ihn im Nürnberger Justizpalast aufsuchen. Das war ein Lichtstrahl in dem Dunkel des Verfehmtseins.

Das war ein Aufheben der Sippenhaft, eine mitmenschliche Geste, die den Bann durchbrach und ein wenig später machte sich Emmy Göring auf den Weg nach Nürnberg. Sie wollte Dr. Kempner um die Erlaubnis bitten, dass sie mit Edda ihren Mann im Gefängnis besuchen dürfte.

Unmittelbar und sofort konnte Dr. Kempner nicht ihren Wunsch erfüllen, denn die Erlaubnis hätte sofort eine Kette von ähnlichen Anträgen ausgelöst, aber er gab ihr den Mut, gleich ein Gesuch aufzusetzen, damit ihr eine Sprecherlaubnis für ihren Mann vom Gericht erteilt werden würde.

Emmy Göring fuhr mit einer Hoffnung, die fast Gewissheit war, dass durch die Fürsprache des Anklägers, die sie erahnte, ihr Antrag vom Gericht positiv entschieden werden würde.

So war es. Ende August 1946 kam der Gefängnispfarrer und brachte die gute Nachricht: Alle Frauen durften nun achte Tage lang, und zwar jeden Tag für eine halbe Stunde, ihre gefangenen Männer besuchen, wenn auch hinter Glas und Gittern.

Als ich diese Erzählung von Emmy Göring im Frauenlager in Garmisch-Partenkirchen erfuhr, wusste ich, dass der Ankläger in dem größten Prozess in Europa gegen politische Verbrecher nicht nur, wie die Justitia, blind die mit Schuld beladene Waage sinken ließ, sondern dass er auch zum Anwalt der Frauen der Angeklagten geworden war.

Und dafür möchte ich Dr. Robert Kempner heute an seinem 90. Geburtstag danken.

Er durchbrach die in der Nazizeit entstandene furchtbare Tradition der unmenschlichen Sippenhaft und verstand seine Aufgabe als Staatsanwalt so, wie sie mir mein leider viel zu früh verstorbener Förderer und Freund, der Generalstaatsanwalt in Hessen, Dr. Fritz Bauer, erklärte. Er erzählte mir einmal, wie er als Kind immer gemeint hätte, ein Staatsanwalt sei ein besserer Anwalt als alle anderen, denn er wäre zugleich der Anwalt für den Staat, für den Täter und für das Opfer – und in der letzten Konsequenz gehört die Familie des Täters immer mit zu den Opfern.

Das hat Robert Kempner verstanden. Und danach hat er gehandelt.

Dafür gehört ihm unser Dank.

Birgitta Wolf

2. Prof. Dr. Peter Steinbach 44

Hochverehrter und lieber Herr Kempner,

vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, mich intensiv mit Ihrer wichtigen Rolle in jenem Prozess zu beschäftigen, der in Deutschland immer wieder als "VergangenheitsbewäItigung" bezeichnet wird. Sicherlich stimmen wir beide in der Kritik an der Vorstellung überein, die Vergangenheit ließe sich "erledigen' oder "bewältigen " - durch Ihre scharfe Kritik des Nationalsozialismus in der Endphase der Weimarer Republik haben Sie Spielräume und Versäumnisse der Republikaner dieser preisgegebenen ersten deutschen Demokratie skizziert. Ihre Mitwirkung an den Nürnberger Prozessen hat uns geholfen, die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen auf eine kompromissIose, rechtsstaatliche Weise zu führen.

Dadurch konnten diese Verfahren niemals ernsthaft diskreditiert werden - sie halfen uns, dem Gnadenfieber der fünfziger Jahre ebenso wie der Schlussstrichmetaphorik der sechziger und siebziger Jahre zu widerstehen.

Im Haus des Henkers vom Strick zu reden, bedeutet allemal, Ressentiments zu wecken. Sie, sehr verehrter Herr Kempner, haben sich dadurch nicht beeindrucken lassen, sondern sich auf die Seite derjenigen gestellt, die Opfer deutscher Geschichte waren. Sie wollten Wiedergutmachung und zugleich Aufklärung. Wir verdanken Ihnen viel.

Es ist für mich ein Zeichen ausgleichender Gerechtigkeit, dass Sie am 17. Oktober 1989 Ihren 90. Geburtstag feiern können. Wir können uns nicht damit begnügen, Ihnen konventionell zu gratulieren - Dazu verdanken wir Ihnen allzu viel.

Sie verkörpern in gewisser Weise die Kontinuität deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Sie haben fünf Reiche durchlebt, erlitten, begleitet: Kaiserreich, Weimarer, Republik, NS-Regime, Bundesrepublik und DDR.

Sie haben Diskontinuitäten empfunden und zugleich erfahren, dass kein Gemeinwesen auf grüner Wiese, außerhalb von Zeit und Raum, gegründet werden kann.

Politik muss sich immer auch mit Politikfolgen befassen, hat Folgen vergangener Politik zu bewältigen.

Wohl zu keiner Zeit ist die Aufgabe, Hypotheken abzutragen, derart als unausweichlicher Auftrag empfunden worden, wie in den Kriegsjahren, die Emigration und Widerstand aIs Voraussetzung des Untergangs des Nationalsozialismus und damit als Vorbedingung eines Neuanfangs gesehen haben, sie haben sich der Bestrafung von Rechtsschändern gewidmet, die gerade der Widerstand prinzipiell wollte, wie die Protokolle, Diskussionen und Ergebnisse der Kreisauer Freunde um Moltke und Yorck zeigen.

Sie haben diesen Auftrag unabhängig von deutschen Diskussionen, aber ganz im Sinn der Widerstandskämpfer angenommen und Jahre Ihres Lebens, mehr als die Hälfte Ihrer Zeit, der Aufklärung von Verbrechen, der Ahndung von Gewalttaten, der Entwicklung neuer Maßstäbe als Folge dieser Auseinandersetzungen gewidmet.

So haben Sie ein Vermächtnis der Deutschen erfüllt, die Opfer nationalsozialistischer Gewalttaten wurden und ihren Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem NS-Regime durch ihre Ermordung nicht mehr leisten konnten.

Für mich verkörpern sie so mehr als eine Brücke über Epochen deutscher Geschichte - sie verklammern auf Ihre Weise "Vergangenheitsbewältigung" und Zukunftsgestaltung, so sehr diese Zukunft inzwischen auch unsere Geschichte geworden ist.

Ich glaube, im Widerstand haben manche über jene Probleme nachgedacht, die nach 1945 ihr Verhalten und Handeln bestimmten. Die Frage der Verantwortung und Schuld berührte immer wieder sensible Bereiche der Selbstbestimmung von Widerstandskämpfern. Lassen Sie mich Sie heute an Alfred Delp erinnern, der in der Haftzeit mit gefesselten Händen über die Frage der Schuld reflektierte und sein Kassiber als Vermächtnis hinterlassen hat.

Die Schuld im Täglichen war Begleiterscheinung des alltäglichen Lebens: "Weil wir in einer bestimmten Zeit und geschichtlichen Stunde leben und geschehen lassen, was geschieht ,,dies macht die Ausgangslage aller Schuldigen aus. Die Konsequenz sieht Delp sehr deutlich in der "äußersten menschlichen Ungeborgenheit” seiner Zelle, in der "traurigsten Einsamkeit”, die zugleich “Weihestunde seines Lebens, da es hieß: zum Tode verurteilt und für immer ehrlos" sein sollte:

"Die Schuld muss überwunden werden, wir müssen von ihr loskommen, sonst gehen wir unter. Gerade um die Schuld tanzt der Mensch viele Tänze, die aber nicht in gelöster Rhythmik geschehen, sondern im Grunde Krämpfe sind. Der Mensch kann versuchen, seiner Schuld davonzulaufen. Das ist vergeblich. Er kann versuchen, sie einfach zu verleugnen, er kann den alten Griechentraum träumen, er kann sie wegdiskutieren: das alles mag ihm für eine kurze Stunde den Blick trüben und das Gewissen vernebeln. Die geschehenen Taten sind unterschriebene Wechsel. Und diese müssen eingelöst werden. Der Mensch kann sich von seiner Schuld nur lösen, wenn er sich zu ihr bekennt und zugleich erkennt und anerkennt, dass die Schuld der Kreatur eine Wunde schlug, deren Heilung alle Kunst und alle Kraft der Kreatur übersteigt."

Sie haben, hochverehrter Herr Kempner, der Nachkriegsgesellschaft geholfen, die Augen geöffnet zu halten, mehr: den Blick auf die vergangene Wirklichkeit zu richten. Sie haben sich nach Kräften bemüht, diese Wirklichkeit nicht im Meinungskampf verkommen zu lassen. Sie waren für uns alle sehr wichtig, denn Sie verkörperten Konsequenz, Rigidität und zugleich Versöhnlichkeit.

Denn der Vollzug des Rechts kann versöhnen. Sie haben damit die Möglichkeiten verbessert, eine individuelle Verantwortungsethik zu kräftigen, die sich von der Ethik einer demokratischen und an der Menschenwürde orientierten Gesinnung nicht trennen lässt. Sie haben sich wahrlich verdient gemacht.

Deshalb möchte ich Ihnen zu Ihrem 90. Geburtstag in Dankbarkeit gratulieren und den Wunsch ausdrücken, dass uns Ihre Kritik, Ihr Optimismus, Ihre Unbestechlichkeit und Prinzipienfestigkeit noch lange Richtschnur bleiben und auch die weitere Zukunft dieser deutschen Gesellschaft, die nicht mehr Nachkriegsgesellschaft sein will, prägen können und mitgestalten werden.

In aufrichtiger Verbundenheit bin ich stets

Ihr Peter Steinbach

3. Hermann Bohle 45

Verehrter Professor Kempner,

unsere erste Begegnung werde ich nicht vergessen. Vor gut 42 Jahren, Anfang Juni 1947, waren meine Mutter und ich durch Ihre Vermittlung aus dem Rheinland in den Nürnberger Justizpalast gekommen, um meinen Vater Ernst Wilhelm Bohle wiederzusehen, der dort von Ihnen im letzten Nürnberger Prozess angeklagt werden sollte.

Bevor wir ihn trafen, hatten sie uns mitteilen lassen, ein Gespräch mit lhnen sei möglich, falls wir das wünschten.

Dieser Umgangsstil beeindruckte mich, einen jungen Mann von fast 19 Jahren, der damals (wie lhnen sehr wohl bekannt war) noch immer an die Nationalsozialisten glaubte - aber auch deren ganz andersartigen Verkehrston kannte.

Dass Sie die Frau Ihres Angeklagten zu einer Begegnung mit Ihnen nicht zwingen wollten, empfand ich als nobel.

Der Eindruck verstärkte sich bei unserer Unterhaltung in lhrem Dienstzimmer, Sie unternahmen keinerlei Versuch, meiner Mutter oder mir irgendwelche Mitteilungen zu entlocken; zugleich machten Sie deutlich, dass es lhnen am Respekt gegenüber meinem Vater nicht fehlte, der seit der ersten Vernehmung wusste, was er nach den 12 Jahren des Dritten Reichs als Gauleiter der N.S.D.A.P. und (1937/41) Staatssekretär im Auswärtigen Amt verantworten musste.

Diese Auffassung belegte er im Wilhelmstraßen-Prozess mit seiner Schuldigerklärung.

Dort nannte er die Endlösung - Sie zitieren ihn damit in lhren Lebenserinnerungen - „das furchtbarste Verbrechen des Jahrhunderts“, für das er (wie er mir später viele Male wiederholte) als einer der führenden Leute jener Zeit auch ohne unmittelbare Beteiligung die moralische Mitschuld trage.46

Mein Vater selbst und gerade Sie, Professor Kempner, haben mir dabei geholfen, mich des Ernst Wilhelm Bohle dennoch nicht schämen zu müssen. Als er starb, publizierten Sie in der FAZ und im "AUFBAU" (New York) einen Leserbrief, der mit dem Hinweis begann, es sei wohl ungewöhnlich, wenn ein Ankläger einen Nachruf für seinen Angeklagten schreibe.

1954 durfte ich auf Einladung der Regierung der Vereinigten Staaten als junger Journalist sechs Wochen lang durch die USA reisen. Da luden Sie mich zu sich nach Hause in Philadelphia ein - nicht ohne zuvor (wie Sie mir erzählten) auf die Anfrage des US-Generalkonsulats in Düsseldorf, ob man „den“ einladen könne, bejahend zu antworten. In Philadelphia holten Sie mich am Bahnhof ab, anderthalb Tage Gespräche mit Ihnen und lhrer Frau Gemahlin gehörten zum Spannendsten, das ich bis dahin auch journalistisch gehört und gesehen hatte.

Ich schildere Ihnen diese Erinnerungen, die Ihnen so deutlich wie mir nicht mehr sein mögen, weil ich die Beziehung zum Ankläger meines Vaters sehr persönlich verstehe. Dies deswegen, weil Sie ihn fair behandelt haben und eben nicht der „Menschenjäger“ gewesen sind, als der Sie Ende der vierziger Jahre in einer deutschen Zeitung verunglimpft wurden.

Das einzig Gute an dieser ansonsten skandalösen Vokabel war es, dass die Veröffentlichung damals bereits eine Variante der den Deutschen wiedergegebenen Pressefreiheit exemplifizierte. Als “Ankläger einer Epoche“ widmeten Sie mir zum Neujahr 1984 ein Exemplar Ihrer Memoiren. „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt“ schrieben Sie mir hinein. Erstmals seit 1947 zeigten Sie mir, was gerechte Gesinnung ist - trotz allem, was Ihnen und Millionen Menschen widerfuhr.

Das gab erst mir ein Beispiel - inzwischen meinen Kindern.

Daraus erklären sich mein Dank an Sie und meine Zuneigung.

Am 17. Oktober werden meine Gedanken bei Ihnen sein.

Ihr Hermann Bohle

4. Dr. Hans-Jürgen Döscher 47

Lieber Herr Dr. Kempner,

1972 war es, als ich gegen Ende meines Geschichtsstudiums erstmals Ihren Rat suchte zur Frage der Beteiligung klassischer Ministerien des Deutschen Reiches an den Judenmorden im Zweiten Weltkrieg. Für diese Verbrechen wurden bis in die siebziger Jahre hinein nahezu ausschließlich die SS und ihre Gliederungen verantwortlich gemacht. Die SS geriet so zum Alibi fast einer ganzen Nation. Ranghohe Vertreter des Auswärtigen Ants und der Wehrmacht stellten ihre Ressorts in den Nürnberger Prozessen und in der Memoirenliteratur als Zentren des Widerstands gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft dar.

Selbst 1979 figurierte das Auswärtige Amt in einer offiziellen Broschur noch als "Stätte der Opposition". Diese vielfach beanspruchte Oppositionsrolle der traditionellen Eliten in Diplomatie und Armee gegen das NS-Regime verschleierte indes deren antisemitische Grundhaltung ebenso wie deren partielle Beteiligung beim Vollzug nationalsozialistischer Gewaltpolitik.

Auf Grund Ihrer Aktenkenntnis als Ankläger im sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess rieten Sie mir damals, die Rolle des Auswärtigen Amts im Zuge der euphemistisch "Endlösung" genannten Vernichtung der Juden in Europa zu untersuchen. Ihr Rat erwies sich als Wegweiser und Herausforderung zugleich. Je mehr Bestände ich in deutschen und amerikanischen Archiven sichtete, desto reichhaltiger sprudelten die relevanten Quellen. Die Aktenfülle war zeitweise so überwältigend, dass die Archivstudien für meine Dissertation "SS und Auswärtiges Amt im NS-Herrschaftssystem" mehrere Jahre beanspruchten. Die gewonnenen Erkenntnisse überraschten und bedrückten mich gleichermaßen, offenbarten sie doch neben einem verbreiteten Antisemitismus im früheren Auswärtigen Dienst die folgenschwere Verstrickung seiner leitenden Beamten in die Verbrechen des Regimes. Ohne die "diplomatische" Mitwirkung und propagandistische Abschirmung durch das Auswärtige Amt erscheint die Vernichtung der Juden West- und Südosteuropas kaum vorstellbar.

Ihren Nachforschungen in den Jahren 1946 bis 1948 ist es u.a. zu verdanken, dass im Zuge der Vorbereitungen für den Wilhelmstraßen-Prozess zahlreiche Schlüsseldokumente zum Holocaust aufgefunden wurden, darunter das einzig erhaltene, in den Akten des AA überlieferte Protokoll der Wannsee-Konferenz von 20. Januar 1942, bei der die systematische Vernichtung aller Juden in Europa zwischen den verantwortlichen SS-Dienststellen und den mitwirkenden Reichsressorts ein vernehmlich beschlossen wurde.

Neben den für die historische Forschung bedeutsamen Akten hinterließ der Wilhelmstraßen-Prozess bleibende Spuren im Völker- und Verfassungsrecht. So sind die Menschenrechtskonvention und die Konvention gegen Völkermord ebenso auf den Nürnberger Prozess zurückzuführen wie die Artikel 1 (Schutz der Menschenwürde) und 26 des Grundgesetzes (Verbot des Angriffskrieges).

Meinen persönlichen Dank für Rat und Hilfe, die Sie mir über viele Jahre gewährt haben, verbinde ich mit besonderem Respekt für Ihre Verdienste als Anwalt und Autor bei der Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen.

In dankbarer und herzlicher Verbundenheit

stets Ihr Hans-Jürgen Döscher

5. Dr. Alfred Emmerlich 48

Verehrter Herr Kempner,

niemand, der sich mit Ihrem Leben und Ihrem Wirken auseinandersetzt, kann gleichgültig bleiben. Ihr konsequenter, mit hohem persönlichem Einsatz und Risiko geführter Kampf gegen die Nazis fordert immer wieder heraus, duldet unsere Trägheit nicht.

Bei den Nazis von gestern und heute, bei ihren Artverwandten und Kumpanen haben Sie nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie ihr ebenso unerschrockener wie unerbittlicher Gegner sind. Die Mitläufer haben Sie nicht im Unklaren darüber gelassen, dass sie ihre Ausreden und Ausflüchte durchschauten.

Die Beschwichtiger und Verdränger hatten bei Ihnen nie eine Chance, noch weniger diejenigen, die die ungeheuerlichen Verbrechen verheimlichen, vertuschen oder ignorieren wollten. Die, die Ruhe verlangten und Vergessen, haben Sie beharrlich geschüttelt und aufgerüttelt, weil es einen Ausweg des Vergessens nicht gibt.

Sie, lieber Herr Kempner, haben den Unwillen mancher Zeitgenossen zu spüren bekommen und nicht nur das, sondern auch Ärger, Zorn und Hass.

Ich weiß nicht, welche Wirkungen diese negativen Reaktionen bei Ihnen hinterlassen haben. Ihre Reden, Ihre Schriften und Ihr Handeln beweisen, dass Sie sich dadurch nicht haben irritieren lassen, dass Sie vielmehr Ihren Weg gradlinig und zielstrebig weitergegangen sind.

Ich bin sicher, dass die Hochachtung, die Ihnen und Ihrem Wirken gilt, dass die Anerkennung, die Ihnen von allen Menschen zu Teil wird, auf deren Urteil Sie und wir, die mit Ihnen solidarisch sind, Wert legen, wichtiger für Sie sind als die Anfeindungen. Der Dank der vielen, denen Sie persönlich geholfen haben, und der Dank derjenigen, die Ihr Leben und Ihr Wirken als einen wichtigen geschichtlichen Beitrag erkennen, auch die Bewunderung, die Ihnen und Ihrer Lebensleistung entgegengebracht wird, werden Sie mit Freude und Genugtuung entgegennehmen.

Der Fachbereich Sprache, Literatur, Medien der Universität meiner Heimatstadt Osnabrück hat Ihnen 1986 den Grad und die Würde eines Doktors der Philosophie ehrenhalber verliehen. In der Ernennungsurkunde heißt es unter anderem:

„Der Fachbereich ehrt in Robert M. W. Kempner einen hervorragenden Juristen, Historiker, Publizisten und Sachbuchautor, der sich stets kompromisslos gegen das Unrecht gestellt und die politische Kultur in der Bundesrepublik aktiv mitgeprägt hat.“

In der Ernennungsurkunde wird ferner festgestellt, dass Sie sich in Ihren Schriften und in Ihrem Handeln unermüdlich und unbeirrt für die Durchsetzung von humanen Rechtsnormen und rechtsstaatlichen Verfahren im Umgang mit Tätern und Opfern des Nationalsozialismus eingesetzt haben.

Ihre herausragende literarische, journalistische und dokumentarische Tätigkeit wissen andere besser als ich zu würdigen. Als Jurist und Rechtspolitiker sehe ich in Ihnen einen der bedeutenden deutschen Juristen dieses Jahrhunderts. Schon 1928, also mit 29 Jahren, wurden Sie als Justiziar der Polizeiabteilung in das preußische Innenministerium berufen.

Sie waren Mitverfasser des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1931 und haben dazu zusammen mit Erich Klausner und Christian Kerstiens einen Standardkommentar veröffentlicht. Schon damals zeigte sich, dass Sie nicht zu den Juristen gehören, denen die Juristerei Selbstzweck ist, die sich mit ihr begnügen und die das Juristische zum allgemeinen Maßstab machen.

Sie haben Ihre hervorragende juristische Befähigung stets als ein Mittel zur Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit und Humanität sowie zum Kampf gegen Unterdrückung und Gewaltherrschaft eingesetzt.

Zu bewundern ist nach wie vor, mit welcher Klarheit Sie als junger Mann, der gerade seine Ausbildung abgeschlossen hatte, schon in den 20er Jahren das verbrecherische Wesen des Nazismus und die von ihm ausgehende Gefahr für die Menschheit erkannt haben. Ihre weit gefächerte publizistische Arbeit, unter anderem in der Zeitschrift des Republikanischen Richterbundes „Die Justiz – Monatsschrift für die Erneuerung deutschen Rechtswesens“, gibt dafür ein auch heute noch nachlesenswertes Zeugnis. Besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang Ihre unter dem beziehungsreichen Pseudonym „Eike von Repkow“ 1932 veröffentlichte Schrift „Justizdämmerung – Auftakt zum Dritten Reich“, in der das die Nazis entlarvende Material mit dokumentarischer Genauigkeit zusammengestellt worden ist.

Unermüdlich haben Sie sich für die Schaffung eines Völkerstrafrechts und die Einrichtung eines Weltstrafgerichtshofs eingesetzt, damit auch Kriegen und Kriegsverbrechen mit rechtlichen Mitteln entgegengetreten werden kann und die Verantwortlichen für Kriege und Kriegsverbrechen in einem rechtsstaatlichen Verfahren dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Bildung der International War Crimes Commission und die Nürnberger Prozesse gaben Ihnen die Möglichkeit, an der Verwirklichung dieser Idee mitzuarbeiten. Sie haben dazu beigetragen, dass die Verfahren in Nürnberg nach rechtsstaatlichen Regeln durchgeführt und dass Erkenntnisse über den Nazismus zutage gefördert worden sind, die historische Bedeutung haben.

Dass in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland die Art. 25 (Völkerrecht Bestandteil des Bundesrechtes) und 26 (Verbot des Angriffskrieges) aufgenommen worden sind, ist zurecht als Ergebnis von Nürnberg und damit als großer persönlicher Erfolg von Ihnen bezeichnet worden.

Nach Abschluss der Nürnberger-Prozesse haben Sie sich ganz dem Auftrag unterworfen, die Erinnerung an den Nazismus wachzuhalten und das Bewusstsein der Nation für die Gefahren von Faschismus und Nazismus zu schärfen, damit sie nie wieder eine Chance erhalten.

Sie haben Ihre ganze Kraft aufgewandt, als Anwalt der Opfer, damit den Toten die ihnen gebührende Ehrerbietung entgegengebracht werde und die Überlebenden für das Unrecht, das ihnen so unbarmherzig zugefügt worden ist, Wiedergutmachung erfahren. Nicht zuletzt dank Ihres unermüdlichen und unvergleichlichen Engagements ist das Erreichte ermöglicht worden.

Sie gehören zu den Wenigen, die ein exemplarisches Leben geführt haben. Sie sind den Menschen mit hohen Erwartungen und Ansprüchen entgegengetreten.

Sie haben aber Ihr Leben und Ihr Handeln diesen Maßstäben uneingeschränkt unterworfen. Sie sind sich stets treu geblieben. Sie haben gezeigt, dass Reden und Handeln, dass Sollen und Sein identisch sein können. Sie haben ein Beispiel gegeben.

Sie gehören zu den Vorbildern für die, die eine Welt der Freiheit, der Menschenrechte, der Humanität und der Solidarität wollen.

Unsere heutige Welt und die Welt, von der wir träumen, der unsere Sehnsucht und unsere Hoffnung gilt, braucht Menschen, die leben und handeln wie Robert M. W. Kempner.

Herzliche Grüße und gute Wünsche

Ihr Alfred Emmerlich

6. Hans-Eberhard Klein 49

Sehr geehrter, lieber Herr Dr. Kempner,

zur Vollendung Ihres 90. Lebensjahres gratuliere ich Ihnen herzlich.

Sonne, Kraft und die Herrlichkeit möge Ihnen in den noch kommenden Jahren beschieden sein.

Berufenen soll es vorbehalten bleiben, Ihre verdienstvollen Beiträge zur Regeneration der Deutschen erschöpfend zu würdigen.

Ihr Wirken bleibt für mich und meine Kollegen Mahnmal. Es soll, wie Sie es im Sommer 1964 formuliert haben, ,,jedermann zur Wachsamkeit gegen verbrecherische Cliquen und 0rganisationen aufrufen, die sonst ein Land überwuchern könnten”.

Den gleichen Gedanken brachte der unvergessene Fritz Erler zum Ausdruck, als er in der Bundestagssitzung vom 10. März 1965 zur Frage der Verjährung von NS-Gewaltverbrechen diesen so formulierte:

"…wir wehren uns gegen jene früher einmal weit verbreitete Irrlehre von der Kollektivschuld des deutschen Volkes. Was aber bleibt, ist Verantwortung, Verantwortung all der Älteren, zu denen sich auch die einstmals Jüngeren dieses Hauses nun langsam zählen müssen, dafür, dass es einmal so weit kam, Verantwortung auch derer, die im Widerstand standen und nicht stark genug waren, das Unheil beizeiten aufzuhalten, Verantwortung derer, die in Weimar nicht nur von den Extremen her die Demokratie zerstört haben, sondern auf der Seite der Demokratie nicht fähig genug waren, jene Demokratie mit Zähnen und Krallen und Geschick gegen die Anfechtungen des Totalitarismus zu schützen, ein Stück Mitverantwortung wohl auch jener Umwelt, die der Weimarer Demokratie jenes Mindestmaß an nationalen Zugeständnissen verweigerte, die man später in überreichem Maße der Hitlerschen Erpressungspolitik gegenüber aufgebracht hat.”

Gewisse Leute aus einer gewissen Ecke titulieren Sie als "Rächer - (der) als stellvertretender US-Hauptankläger beim alliierten Foltertribunal in Nürnberg deutsche Militärs und Politiker an den Galgen brachte.”

Gewissen Leuten muss immer wieder in ein gewisses Buch geschrieben werden, was der auch Ihnen verbundene Prof. Dr. Czeslaw Pilichowski im Zusammenhang mit der Frage der Verjährung von NS-Gewaltverbrechen feststellte:

"Beim Prozess der nationalsozialistischen Hauptverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg saßen zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die führenden Vertreter eines Staates - des Dritten Reiches - auf der Anklagebank, also diejenigen, die den Angriffskrieg geplant und organisiert hatten, die auf höchster Ebene Befehle zum Völkermord gegeben hatten, die die Verantwortung dafür trugen und die das Gefühl der Menschen für Recht und Moral durch die grauenhaften Verbrechen an den VöIkern Europas und am eigenen Volk verunglimpft hatten."

Meine Glückwünsche verbinde ich mit dem Dank für Ihre Mitwirkung bei diesem Menschheitsprozess.

Ihr ergebener Hans-E. Klein

7. Curt Riess 50

Lieber Freund Kempner,

Sie werden also 90:

Und dazu möchte ich Ihnen gratulieren, genauer, ich möchte Ihnen gratulieren, dass Sie mit 90 noch so sind, wie Sie immer waren.

Sie werden hunderte von Telegrammen und Briefen zu Ihrem Geburtstag erhalten und meiner wird nur einer von vielen sein, die Sie vielleicht oder vielleicht auch nicht lesen werden. Immerhin, mein Brief ist ein spezieller: Ich kenne Sie wohl am längsten von allen heute noch Lebenden. Ich bin ja zwar noch nicht 90, aber bin doch schon im Begriff es zu werden. Vielleicht schaffe ich es.

Wann haben wir uns kennengelernt? Ich glaube so um 1930 herum. Jedenfalls weiß ich genau, wo. Nämlich im alten Ullstein-Haus. Sie waren damals im preußischen Innenministerium, wenn ich mich nicht irre. Und sie sprachen im Ullstein-Haus vor, weil sie Unterstützung für ein damals schon sehr gewagtes Unternehmen suchten, für ein Strafverfahren gegen Adolf Hitler, mit dem ZieI der Auflösung seiner Partei.

Sie hatten bei den Ullsteins wenig Erfolg. Genau genommen: keinen. Alle liberalen Zeitungen in Deutschland, die doch eine gewisse Macht besaßen und von denen die meisten ja in jüdischen Händen waren - ich denke nicht nur an die Ullsteins, auch an die Mosse mit dem “Berliner Tageblatt", an die Frankfurter Zeitung - versagten.

Sie wurden publizistisch alleingelassen.

Ich erinnere mich noch daran wie gestern. Und ich erinnere mich, dass Sie später, viel später, so Ende der dreißiger Jahre, Hermann Ullstein, einen der fünf Brüder Ullstein, in New York trafen, einen vielfachen Millionär, der viel zu spät mit ganzen zehn Reichsmark Deutschland verlassen hatte. Wir kamen damals auf den „Fall“ zu sprechen, und er gab zu, dass die Ullstein-Presse einen Teil der Schuld daran trug, dass Hitler je zur Macht gekommen war.

Daraus entstand ein Artikel für die Saturday Evening Post, der viel Aufsehen erregte. Sie haben ihn sicher damals gelesen.

Ja, sie kamen auch nach New York, viel später als ich, der ja schon 1933, sofort nach der Machtergreifung, auswanderte, und von einer französischen Zeitung als Korrespondent in die Vereinigten Staaten geschickt wurde. Ich habe niemals verstanden, dass Sie Deutschland nicht sofort verließen. Denn im Gegensatz zu mir waren sie doch gefährdet! Aber sie waren - und sind wohl noch - ein Preuße, der so schnell seine Pflicht oder was er dafür häIt, nicht im Stich lässt.

Ich sehe Sie noch, wie Sie meine New Yorker Wohnung betraten. Es war nur wenige Tage nach Ihrer Ankunft, und Sie waren ein wenig ratlos. Aber das dauerte nicht lang. Sie machten wohl die notwendigen Examina nach und waren bald ein angesehener Anwalt. Ich hörte immer mal wieder von lhnen. Ich glaube es war aus dem nahen Staat Pennsylvania.

Wir trafen uns wieder - in Nürnberg. Ich kam als Korrespondent des New York Times-Syndicate und auch als einer, der dem General CIay sehr nahestand. Sie wissen ja, dass der General nichts von dem Nürnberger Prozess hielt, von dem er verkündete, er beweise nichts, als dass man einen Krieg nicht verlieren dürfe.

Sie und ich waren ganz anderer Ansicht. Ich hielt und halte den Nürnberger Prozess für sehr wichtig, sei es auch nur, dass er dem deutschen Volk klar machte, was seine "Führer" verbrochen hatten.

Sie waren ein großartiger Ankläger. Sie waren wesentlich wichtiger als Sie in Ihren eigenen Memoiren „Ankläger einer Epoche“ geschrieben haben. Ich war richtig stolz auf Sie.

Ich bin es noch heute. Und ich freue mich ehrlich, dass es Sie noch gibt. Und dass so viele Deutsche nicht die Lehren aus dem Nürnberger Prozess gezogen haben - das ist, weiss Gott, nicht Ihre Schuld.

Wir beide waren nie Verfechter der Kollektivschuld des deutschen Volkes. Was in jenen tausend Jahren geschah, wussten nicht alle Deutschen, und unter denen, die es wussten, gab es viele, die dagegen waren.

Aber ich frage mich heute, so lange nach den Nürnberger Prozessen, ob es heute nicht eine Kollektivschuld der Deutschen daran gibt, dass so viele Neonazis entstanden sind. Das wäre wohl in einer Demokratie zu verhindern gewesen.

Aber dafür sollen diejenigen sorgen, die nach uns kommen.

Nochmals: Glückwunsch.

Ihr, in Treue ergebener

Curt Riess

8. Dr. Jürgen Schmude 51

Sehr verehrter Herr Kempner,

in diesem Jahr Ihres neunzigsten Geburtstages trifft es sich, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland den bedrückenden Gedenktag des Kriegsbeginns vor fünfzig Jahren nicht allein begehen müssen, sondern dabei auch die vierzig Jahre des demokratischen Aufbaus seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Blick haben dürfen. Beides gehört zusammen. Und mit großer Dankbarkeit nehmen wir heute wahr, dass es trotz der ungeheuren Schuld und aller Verbrechen einen neuen Anfang gegeben hat und dass dieser im Ganzen gelungen erscheint.

Sie, sehr verehrter Herr Kempner, haben wichtigen Anteil und großes Verdienst am Aufbau der Demokratie und des Rechtsstaats in der Bundesrepublik. Gelingen konnte dieser Weg nur in der unnachsichtig klarstellenden und wertenden Auseinandersetzung mit den Übeln und Schandtaten der Vergangenheit. Sie haben diese Auseinandersetzung tatkräftig zum Erfolg geführt. So wichtig dafür Ihre Aufgabe in Nürnberg war, so hilfreich war es, dass Sie sich anschließend erneut für ein Leben und Wirken in Ihrer und unserer Heimat entschieden, in der Ihnen während der Diktatur so übel mitgespielt worden war.

So konnten Sie gestaltend, mahnend und kritisierend in Ihr AIter hinein bedeutsamen Einfluss nehmen.

Vor acht Jahren schrieb ich Ihnen als Bundesminister der Justiz zu einem Ihrer Zeitungskommentare mit dem Titel "Der Dolch unter der Richterrobe" brieflich unter anderem folgende Erwiderung:

"Die Einleitung von Strafverfahren ist regelmäßig am Nachweis des direkten Vorsatzes gescheitert, zumal es sich überwiegend um Urteile von Kollegialgerichten handelte, bei denen das Abstimmungsverhalten der einzelnen Richter wegen des Beratungsgeheimnisses nicht mehr feststellbar war.”

Diese meine Stellungnahme war wohl richtig und doch ärgere ich mich inzwischen über sie. Denn der Skandal, dass nicht ein einziger jener Schandrichter bestraft werden konnte, ist mir seither ständig unverständlicher, anstößiger und schwerer erträgIich geworden. Insoweit hat es eine das Rechtsempfinden befriedigende Klärung und Ahndung wahrIich nicht gegeben. Ich hoffe und wünsche, dass dieses schwerwiegende Versäumnis nicht noch einmal böse FoIgen nach sich zieht.

Mit herzlichen Glückwünschen und Grüßen

Ihr Jürgen Schmude

42 90. Geburtstag Dr. Kempners am 17. Oktober 1989.

43 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Nothilfe Birgitta Wolf e.V., Ramsach, 8110 Murnau, Seite 242 bis 245.

44 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Prof. Dr. Peter Steinbach, Politikwissenschaft, Historische und Theoretische Grundlagen, Universität Passau, im Juni 1989, Seite 206 bis 208.

45 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Hermann Bohle, (Sohn des Ernst Wilhelm Bohle), Schreiben vom 12. Juli 1989, Brüssel, Seite 23, 24.

46 „Wir sollten die Gräueltaten zugeben“ Seine Erklärung (Seite 13 521 des Protokolls vom 23. Juli 1948) lautete: … Verteidigerin Dr. Elisabeth Gombel (Frage): Haben Sie irgendeine Verantwortlichkeit über die Tätigkeit der Auslandsorganisation hinaus empfunden? Bohle (Antwort): Zunächst habe ich geglaubt, dass meine Verantwortlichkeit auf die Auslandsorganisation als mein ausschließliches und tatsächliches Tätigkeitsfeld beschränkt sei, aber nach all dem, was ich während dieser Zeit gesehen, gehört und diskutiert habe, bin ich dazu gelangt, diesen Standpunkt zu revidieren. Frage: Wollen Sie bitte dem Hohen Gerichtshof erklären, was Sie damit meinen? Antwort: Was ich hiermit meine? Ich glaube, es sollte heilige Aufgabe und erste Pflicht eines jeden Deutschen, der während des nationalsozialistischen Regimes eine leitende Stellung bekleidete, sein, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um vom Namen Deutschlands den Makel zu entfernen, den die verbrecherischen Taten darauf geworfen haben. Wir wissen, dass die geringe Achtung des menschlichen Lebens und die Sorglosigkeit für menschliche Leiden nie und nimmer ein deutscher Charakterzug gewesen ist und aus diesem Grunde glaube ich, dass wir offen die Gräueltaten, die verübt worden sind und den deutschen Namen in der Welt beschmutzt haben, zugeben sollten. Ich glaube nicht, dass wir versuchen sollten, unsere nationale Ehre dadurch zu verteidigen, dass wir auf Verbrechen und Untaten anderer verweisen, von welchen einige zweifellos denen gleich sind, die der Nationalsozialismus verübt hat. Ich glaube, wir sollten dazu zu stolz sein. Und ich glaube, und das ist meine feste Überzeugung, dass die Welt ihren Glauben an unsere nationale Ehre wiedergewinnen wird, wenn wir selbst in unseren Bekenntnissen aufrichtig und freimütig sind und auch unseren Willen zur Wiedergutmachung zeigen. Ich glaube, diese Verantwortlichkeit haben wir führenden Männer, nicht nur den Opfern dieser Verbrechen gegenüber, sondern ebenso sehr gegenüber dem deutschen Volk als solchem, das mit oder ohne Teilnahme irregeleitet worden ist und heute ohne eigene Schuld in der Welt verachtet wird. Das ist das, was ich von Verantwortlichkeit über meine eigene Tätigkeit hinaus verstehe“ …

47 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Dr. phil. Hans-Jürgen Döscher, geb. 1943, Historiker, 4404 Telgte bei Münster, Autor verschiedener Beiträge zur Zeitgeschichte, u.a. Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. Diplomatie im Schatten der „Endlösung“, Berlin (Siedler) 1987; „Reichskristallnacht“. Die Novemberpogrome, Berlin (Ullstein) 1988; hier Seite 37 und 38.

48 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Dr. Alfred Emmerlich, Mitglied des Bundestages (MdB), Bundeshaus, Bonn 1, Seiten 43 bis 47.

49 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Hans-Eberhard Klein, Oberstaatsanwalt, Frankfurt am Main, 30. Juni 1989, Seite 109, 110.

50 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Curt Riess, Scheuren auf der Forch, Kanton Zürich, Seite 173, 174.

51 „Gratulationen zum 90. Geburtstag von Robert M.W. Kempner“; Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, D-5300 Bonn 2, 1989 (Eine Herausgabe der Zusammenfassung von Gratulationen einer Vielzahl von Weggefährten bzw. Personen, welche Dr. Kempner überwiegend persönlich kannten), hier: Dr. Jürgen Schmude, Mitglied des Bundestages (MdB), Bundeshaus HAT 1111, Bonn 1, von 1978 bis 1981 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, von 1981 bis 1982 Bundesminister der Justiz und 1982 Bundesminister des Innern, Schreiben vom 27.07.1989, Seite 186, 187.

Denkschrift über Dr. Robert Kempner

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