Читать книгу Denkschrift über Dr. Robert Kempner - Rechtsanwalt Professor Bernhard Armin Schäfer - Страница 8

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I. Prolog sowie Retrospektive zugleich

Lassen wir nun zunächst auch den Bedachten zu Wort kommen: 33

„Meine Herren Richter und Geschworenen:

Als ich 1945 wieder nach Deutschland kam, da wurde ich in Frankfurt a.M. in die Gewölbe der früheren Reichsbank geführt. Dort aufgestapelt waren die Goldzähne und Goldplomben, die den Opfern von Auschwitz und anderen Todeslagern ausgebrochen worden waren; da sah ich die goldenen Brillenfassungen der Kinder und Erwachsenen und die ihnen gestohlenen goldenen Uhren. Später erlebte ich als Ankläger eine Vernehmung des SS-Obergruppenführers Oswald Pohl,34 der inzwischen als mörderischer Chef der Konzentrationslager hingerichtet worden ist.

Er erzählte mir in Nürnberg:

„Je mehr Goldzähne, Ringe, Juwelen und Textilien von seinen SS-Leuten aus Auschwitz etc. eingebracht würden, umso mehr Uniformstoffe für die Waffen-SS würde der Reichswirtschaftsminister Walter Funk freigeben.“

Pohl sagte ferner:

„Wir hatten damals - nach der Organisation der Vernichtungslager - ein gemeinsames Mittagessen in der Reichsbank, waren dann in die Gewölbe hinuntergegangen, um die Goldringe, Goldzähne, etc. zu besichtigen.“ Im Nürnberger Dokument PS 4 045 kann jeder Interessierte diese Schilderung nachlesen.

Ich sage Ihnen eines, meine Herren Richter und Geschworenen:

Als ich vor 40 Jahren als Jurist in Berlin begann, da fungierte ich auch gelegentlich als „Leichenrichter.“ Ich musste die Toten bei der gerichtsmedizinischen Obduktion nach Mordtaten oder Unfällen mit ansehen. Man wird als Jurist dabei etwas abgestumpft. Auch im ersten Weltkrieg habe ich manches mitangesehen. Als ich dann selbst nach 1933 von der Gestapo verhaftet wurde, da habe ich noch mehr mit angesehen. Aber nichts hat mich so erschüttert wie diese Zähne, diese Goldzähne, das Produkt dieser hier Angeklagten. Vielleicht waren darunter die Goldfüllungen der Edith Stein,35 vielleicht die der Anne Frank36 und vielleicht die Goldfüllungen der Eltern von manchen, deren Kinder als Überlebende in diesem Gerichtssaal sitzen. Ich habe hier solche Überlebende gesehen.

Diese Goldzähne sind das Ende dieses computerartigen Mordes, bei dem der eine Programmierer war und der andere einen bestimmten Hebel gestellt hat; das ist alles mit verteilten Rollen geschehen: dort in Holland, wo man oben die Meldezettel und die Körper der Juden in den Käfig von Westerbork hineinsteckte und dann schließlich in Auschwitz die Asche herauskam. Die Goldzähne waren schon vorher ausgebrochen worden. Es ist ein ungeheuerlicher Prozess, meine Herren Richter und Geschworenen, den wir zu bewältigen haben, ganz ungewöhnlich, einer der Prozesse, die Weltgeschichte machen: …

… Die Computer-Mordmaschine arbeitete in einem Lande, in dem keine Kriegshandlungen mehr stattfanden und äußerlich Frieden herrschte. Über 70% der jüdischen Bevölkerung - mehr als in jedem anderen besetzten West-Staate - wurden ihre Opfer.37 Als Nebenkläger vertrete ich zwei Gruppen von ihnen, bevollmächtigt durch einzelne Überlebende dieser Gruppen: 38

Jüdische Opfer und die sogenannten nicht-arischen Christen, die sich beide in Auschwitz trafen in einer wahren Ökumene des Todes. Die ganze Welt ist an diesem Prozess interessiert, Deutschland, Rom, Jerusalem, vor allem auch die Niederlande. Die Holländische Botschaft in Bonn ebenso wie die deutsche Botschaft in Den Haag, und die deutschen, holländischen, amerikanischen oder französischen Journalisten sind ebenso interessiert, wie die in Sowjet-Russland und Polen.“ … 39

In der Einleitung zur erweiterten Neuauflage seines Buches „SS im Kreuzverhör, die Elite, die Europa in Scherben brach“, führte Dr. Robert Kempner unter anderem wie folgt aus:

„Als ich vor einem viertel Jahrhundert die erste Auflage dieses Buches vorbereitet habe, lebte noch die Generation, deren Angehörige millionenfach dem „Führer“ und seinen Stellvertretern den erhobenen Arm zum Hitlergruß entgegengestreckt hatten. Es war die Periode der großen Verdrängung.

Die Verurteilten der Nürnberger und anderer Strafprozesse waren bis auf wenige Ausnahmen aus den Gefängnissen entlassen worden, in einem Gnadenfieber, das ihre bezahlten und nicht bezahlten Lobbyisten mit großem Eifer zur Zeit des Kalten Krieges entfacht hatten. Man dachte damals nicht an die Moral, sondern an Wählerstimmen und Zulieferer zur Kriegsindustrie. Erst langsam änderte sich diese Periode. Die zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg war geschaffen. Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem hatte weltweites Aufsehen erregt.

Die Medien wurden neugierig, zu erfahren, was sich in Wirklichkeit zur NS-Zeit an Verbrechen ereignet hatte. Die Durchführung der 13 Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse war das größte kriminalistische Laboratorium gewesen. Aber ihre Resultate waren keineswegs genügend ausgewertet worden. Außerdem war in der Periode zwischen 1945 und 1950 noch vieles unbekannt, was erst später aus den deutschen Archiven ans Tageslicht kam. Im Jahr 1947 sagte mir Ernst Wilhelm Bohle40, der Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP (A.O.) in einem Verhör:

„Sie wissen ja noch nicht die Hälfte von den Verbrechen, die während des Dritten Reiches begangen worden sind!“

Wenn man wie ich Gelegenheit hatte, Hunderte von Mördern zu verhören, die Millionen deutsche und ausländische „Untermenschen“ ermordet hatten und in späteren Jahren auch viele überlebende Opfer ausbeuten konnten, so hat man das Panorama des Holocaustal Grauens erfasst. Dem gegenüber schienen die Äußerungen von Fälschern, Märchenerzählern, politischen Kosmetikern, Zeugen vom Hörensagen, Relativisten - je nach Finanzierung, politischer Einstellung, oder Unkenntnis - und Revisionisten unbeachtlich. …

… Ich präsentiere das Protokoll der Wannseekonferenz über die Endlösung der Judenfrage vom 20. Januar 1942 im Wortlaut, das ich bisher in keinem Lehrbuch gefunden habe. Wie der frühere Kommandant von Auschwitz Rudolf Höß seine Vernichtungspflicht sorgfältig ausgeführt hat, zeigt sein Geständnis vor dem IMT (Internationales Militärtribunal).

Und schließlich beweist eine Gegenüberstellung des Oberst Richters Manfred Roeder mit der Witwe des standrechtlich ermordeten Reichsgerichtsrats a. D. Hans von Dohnanyi die Zusammenarbeit von Wehrmacht und SS. …

… Es ist eine große Galerie des Grauens, die die Erweiterung dieses Buches bringt.

Die jetzige Generation ist daran interessiert zu erfahren, wie es wirklich war. Söhne der damaligen Akteure des Dritten Reiches fragen mich häufig:

… „was war denn mein Vater für ein Mann? Ich kenne ihn kaum, er war wenig zu Hause …“

Ich antwortete nach bestem Wissen und Gewissen.“ 41

33Edith Stein und Anne Frank – zwei von Hunderttausend“, Robert M. W. Kempner, Herder-Bücherei, Band 308, 1968, Seite 15 und 16.

34 Oswald Ludwig Pohl (* 30. Juni 1892 in Duisburg; † 7. Juni 1951 in Landsberg) war ein deutscher SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS. Pohl war als Leiter des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) maßgeblich an der Durchführung des Holocausts beteiligt. Als Kriegsverbrecher wurde Pohl während des Nürnberger Prozesses gegen das Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet (die ausführliche Biografie erfolgt im hiesigen Kapitel „Der SS-Einsatzgruppen-Prozess“).

35 Edith Stein, Ordensname Teresia Benedicta a Cruce OCD, oder Teresia Benedicta vom Kreuz (* 12. Oktober 1891 in Breslau; † 9. August 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau), war eine deutsche Philosophin und Frauenrechtlerin jüdischer Herkunft. Edith Stein wurde 1922 durch die Taufe in die katholische Kirche aufgenommen und 1933 Unbeschuhte Karmelitin. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde sie „als Jüdin und Christin“ zum Opfer des Holocaust. Sie wird in der katholischen Kirche als Heilige und Märtyrerin der Kirche verehrt. Teilen der evangelischen Kirche gilt sie als Glaubenszeugin. Papst Johannes Paul II. sprach Teresia Benedicta vom Kreuz am 1. Mai 1987 selig und am 11. Oktober 1998 heilig. Ihr römisch-katholischer und evangelischer Gedenktag ist der 9. August. Sie gilt als Brückenbauerin zwischen Christen und Juden.

36 Annelies Marie „Anne“ Frank (* 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main als Anneliese Marie Frank; † Februar oder Anfang März 1945 im KZ Bergen-Belsen) war ein niederländisch-deutsches Mädchen, das 1934 mit seinen Eltern und seiner Schwester Margot in die Niederlande auswanderte, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, und kurz vor dem Kriegsende dem nationalsozialistischen Holocaust zum Opfer fiel. In den Niederlanden lebte Anne Frank ab Juli 1942 mit ihrer Familie in einem versteckten Hinterhaus in Amsterdam. In diesem Versteck hielt sie ihre Erlebnisse und Gedanken in einem Tagebuch fest, das nach dem Krieg als Tagebuch der Anne Frank von ihrem Vater Otto Frank veröffentlicht wurde. Das Tagebuch gilt als ein historisches Dokument aus der Zeit des Holocaust und die Autorin als Symbolfigur gegen die Unmenschlichkeit des Völkermordes in der Zeit des Nationalsozialismus.

37 Hervorzuheben unter den vielen und häufig namenlosen Opfern ist Prof. Dr. Titus Brandsma O. Carm. (* am 23. Februar 1881 in Oegeklooster bei Bolsward als Anno Sjoerd Brandsma; † 26. Juli 1942 im KZ Dachau), welchem eine überragende Rolle im holländischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zukam. Pater Titus Brandsma war ein niederländisch-friesischer promovierter Philosoph, römisch-katholischer Theologe und Karmelit. Im Jahr 1955 begann der Seligsprechungsprozess für Pater Titus Brandsma. Am 9. November 1984 sprach Papst Johannes Paul II. Pater Brandsma den sogenannten heroischen Tugendgrad zu, eine Vorstufe zur Seligsprechung und bestätigte, dass er in odium fidei (aus Glaubenshass) getötet wurde. Die Seligsprechung erfolgte am 3. November 1985. Aktueller Postulator ist Giovanna Brizi. Unterstützt wurde der Seligsprechungsprozess durch die in Nijmegen ansässige Titus Brandsma Memorial Vereinigung sowie durch die niederländische Provinz der Karmeliten. Pater Brandsma wird in der katholischen Kirche als Märtyrer verehrt. Sein liturgischer Gedenktag ist der 27. Juli. Pater Titus Brandsma hatte bereits 1935 scharf gegen die Judenverfolgung in Deutschland geschrieben. Er versuchte in der holländischen katholischen Presse eine einheitliche Front gegen die Drangsalierungen durch die Nazis zu schaffen. Viele Monate ist er von Beamten Wilhelm Harsters (ausführlich dargestellt im hiesigen Kapitel „Die Rechtsfortbildung im weiteren Sinne“), des Befehlshabers der Sicherheitspolizei, beschattet worden, bis sie ihn am 19. Januar 1942 im Kloster Doddendaal verhaftete. In den Berichten des Befehlshabers der Sicherheitspolizei, also Harsters, ist am 27. Januar 1942 folgende Nachricht zu finden: „Am 19.01.1942 wurde der Adviseur des Röm. kath. Journalistenverbandes, Prof. Dr. Titus Brandsma, vorläufig festgenommen. Brandsma ist Ordensgeistlicher aus dem Karmeliterorden und im Hauptberuf Philosophieprofessor an der katholischen Universität Nijmegen. Als maßgeblicher Kleriker im Röm. kath. Journalistenverband in den Niederlanden ist Brandsma einer der Hauptquertreiber gegen eine einheitliche Ausrichtung der katholischen Presse im nat.- soz. und den Erfordernissen der Zeit entsprechenden Sinne (vgl. Lebensgebiete „Presse“). Bei der Durchsuchung der Arbeitsräume des Prof. Brandsma konnten außerordentlich interessante Schriftstücke, darunter zwei Rundschreiben des Erzbischofs von Utrecht an die holl. Bischöfe und an die Direktoren und Hauptschriftleiter der RK Presse, sichergestellt werden, welche wichtige Aufschlüsse geben über Hintergründe und Hintermänner der katholischen Pressepolitik in den Niederlanden. Die drei wichtigsten Schriftstücke werden diesem Lagebericht im Anhang als Anlage 2) beigefügt. Die Ermittlungen im Falle Brandsma sind noch nicht abgeschlossen.“ Pater Titus Brandsma wurde am 19. Juni 1942 nach dem Konzentrationslager Dachau abtransportiert und starb nach schweren Misshandlungen durch eine tödliche Injektion in den Puls (aus „Edith Stein und Anne Frank – zwei von Hunderttausend“, Robert M. W. Kempner, Herder-Bücherei, Band 308, 1968, Seite 137 und 138; „Die Ermordung des Paters Titus Brandsma“.

38 siehe Ausführungen im hiesigen Kapitel „Die Rechtsfortbildung im weiteren Sinne“.

39 Robert M. W. Kempner, „SS im Kreuzverhör“ - „Die Elite, die Europa in Scherben brach“, DELPHI POLITIK, 1987, Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 4, Einleitung zur erweiterten Neuauflage, Seite 202, 203, „Der Appell des Nebenklägers im SS-Prozess“ (Dr. Kempner) im Februar 1967 sowie „Edith Stein und Anne Frank – zwei von Hunderttausend“, Robert M. W. Kempner, Herder-Bücherei, Band 308, 1968, Seite 15 und 16.

40 Ernst Wilhelm Bohle (* 28. Juli 1903 in Bradford, Großbritannien; † 9. November 1960 in Düsseldorf) war von 1933 bis 1945 Leiter der NSDAP/AO, der Auslandsorganisation der NSDAP. Am 11. April 1949 wurde Bohle im Wilhelmstraßenprozess, zu fünf Jahren Haft verurteilt, jedoch schon am 21. Dezember 1949 vom amerikanischen Hochkommissar John Jay McCloy wieder begnadigt. Anschließend war er in Hamburg als Kaufmann tätig. Ernst Wilhelm Bohle gab in der Nachkriegszeit den Anstoß zur Neugründung einer Organisation, die sich für den Ausbau zwischenstaatlicher Wirtschaftsbeziehungen zur Südafrikanischen Union einsetzte. Über verschiedene Zwischenstufen, zu denen ab Anfang 1950 „Südafrikanische Studiengesellschaften“ in Hamburg, München, Stuttgart und Düsseldorf gehörten (der Düsseldorfer Kreis wurde vom ehemaligen „Reichspressechef“ Otto Dietrich geleitet), entstand 1965 wieder die Deutsch-Südafrikanische Gesellschaft (DSAG). Robert Kempner widmete Bohle aus Anlass dessen Todes einen kurzen „Nachruf“. Er hatte Bohle im Kriegsverbrechergefängnis Landsberg bei der Bearbeitung von Gnadengesuchen näher kennengelernt und bezeichnete ihn als einen der wenigen, die ausdrücklich die Untaten von Nazi-Deutschland bereut hatten und um Verzeihung baten.

41 Robert M. W. Kempner, „SS im Kreuzverhör“ - „Die Elite, die Europa in Scherben brach“, DELPHI POLITIK, 1987, Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Band 4, Einleitung zur erweiterten Neuauflage, Seite 9 und 10.

Denkschrift über Dr. Robert Kempner

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