Читать книгу 2 Jahre später - Regina Mars - Страница 11

6. Arthur

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Die Uhr in der Eingangshalle tickte. Arthur saß auf den Treppenstufen, hielt ein Buch in den Händen und wartete. Manchmal schaffte er es, sich darin zu verlieren. Dann wieder war er unruhig, sprang auf, tigerte die Stufen hoch und runter, durchstreifte das ganze Haus und umrundete den Innenhof. Viel weiter wagte er sich nicht.

Vor der Villa verlief die Straße. Sonst gab es nur den Wald. Und in den traute er sich immer noch nicht. Sobald er ein paar Schritte gegangen war, fühlte er sich verloren in der Düsternis, der Stille, die böse zu flimmern schien. Die Bäume, die dunkel über ihm aufragten, und der bewölkte Himmel kamen ihm vor wie ein schlechtes Omen. Verdammt, warum war er so ein Feigling?

Als er zum dritten Mal in die kühle Luft der Eingangshalle zurückkehrte, brummte sein Handy. Erleichtert über die Ablenkung fummelte er es aus der Hosentasche. Vielleicht Kai, obwohl, der hatte die Nummer gar nicht …

Es war seine Mutter.

»Arthur, Schätzchen! Wie geht es dir? Nein, Moment, ich muss kurz … Arti, bleib kurz dran, ja? Da ruft mich wer an.«

»Mach ich«, sagte er, aber sie war schon weg. Er seufzte. Unschlüssig sah er sich in der Eingangshalle um. Schaute auf seine Schuhspitzen. Braunschwarzer Dreck und Blattfetzen klebten daran. Andenken an den ergebnislosen Ausflug an den Waldrand. Man konnte den Matsch sogar riechen, erdig und schwer.

Er wartete auf das helle Tuten. Wartete lange. Das Handy am Ohr wurde schwitzig-feucht, bis seine Mutter endlich zurückkehrte.

»Tut mir echt leid, Schätzchen. Das war wichtig. Also, wie geht es dir? Ich hoffe, du isst nicht so viel.«

»Nein, nein.« Beschämt dachte er an die vier Butterbrote, die er gefrühstückt hatte. »Mir geht’s super. Wie ist es bei euch?«

»Oh, gut. Die Chevaliers haben uns eingeladen, ein paar Tage auf ihrer Jacht zu verbringen und wir sind gerade dahin unterwegs. Du kommst so lange allein zurecht, oder? Bist ja ein großer Junge.«

»Ja, klar.« Er versuchte, besonders männlich zu klingen. Klappte so halbwegs. »Aber ihr kommt noch, oder?«

»Natürlich kommen wir! Wir wollen doch unseren Lieblingssohn … Oh, Moment. Bin gleich wieder da.«

Tuten. Arthur wartete eine Viertelstunde lang, dann beendete er den Anruf. Sie rief nicht zurück.

Er seufzte schwer. So waren sie, seine Eltern. Vor zwei Jahren waren sie in Nepal gewandert und plötzlich hatten sie kein Netz mehr gehabt. Es waren die glücklichsten Stunden gewesen, die Arthur je mit seinen Eltern verbracht hatte. Sie hatten sich Wanderlieder ausgedacht und, obwohl sie ihn beide getadelt hatten, weil er so schnell aus der Puste kam, war es einfach wunderbar gewesen. Es erstaunte ihn immer wieder, dass ein trantütiger Moppel wie er von diesem lebhaften Paar abstammte.

Ein Geräusch ließ ihn hochfahren. Das Geräusch, auf das er die ganze Zeit gewartet hatte! Der Transporter quälte sich hörbar über die Einfahrt und Arthur kam ein furchtbarer Gedanke. Wie musste er wirken, hier, alleine auf den Treppenstufen? Als hätte er die ganze Zeit auf Kai gewartet. Als hätte er nichts Besseres zu tun, als wäre er ein total verzweifelter Versager!

Er sprang so schnell auf, dass er fast kopfüber die Treppe hinuntergekugelt wäre und hechtete in die Bibliothek. Das Ledersofa ächzte, als er sich darauf warf und hastig das Buch aufschlug. Ruhig, dachte er. Ich darf nicht schnaufen, wenn er reinkommt. Ganz locker sein.

Als Kai in die Bibliothek kam, eine schäbige Reisetasche über der Schulter, hing Arthur vollkommen gelassen in den Polstern. Er wandte erst den Kopf, als Kai die Tasche polternd zu Boden fallen ließ.

»Oh, hey«, sagte Arthur entspannt. »Schon zurück?«

Kai nickte. Irgendetwas stimmte nicht. Da war eine winzige Wunde auf seiner Wange, ein kleiner roter Fleck, aber das war es nicht. Er hielt sich anders. Seine Schultern hingen und selbst seine Haare standen nicht so ab wie sonst.

»Ist was passiert?« Arthur richtete sich auf.

Kai schüttelte den Kopf.

»Kann ich mich zu dir legen?«, fragte er mit matter Stimme.

Arthur explodierte innerlich fast, schaffte es aber, »Okay« zu sagen.

Blitzschnell war Kai neben ihm. Arthur versteinerte, als er über ihn krabbelte, sich an ihn kuschelte und einen Arm über Arthurs Brust legte. So wie er heute Morgen.

Sein Herz verwandelte sich in einen Presslufthammer. Nein. Nein! Das musste Kai doch merken! Der blonde Kopf lag genau auf seiner Brust. Verdammt schwer. Verdammt schön.

Kais Wärme durchdrang Arthurs Körper und er roch ihn. Sauber und frisch geduscht, nach Kernseife und gottseidank immer noch nach Feuerwerk. Haarspitzen kitzelten Arthurs Kinn.

Vielleicht sollte er etwas sagen? Etwas Cooles? Etwas … Verdammt, was konnte er sagen?

Geh nie wieder weg?

Nein. Auf gar keinen Fall.

Arthur grübelte und grübelte, bis er an den regelmäßigen Atemzügen erkannte, dass Kai eingeschlafen war. Dann kam er sich ein wenig blöd vor. Doch vor allem war er glücklich. Überglücklich. Er ließ das Buch vorsichtig sinken, das er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Freude kribbelte durch seine Blutbahnen. Er beobachtete Staubwirbel, die glitzernd in der Luft tanzten. Wie spielende Fische kreisten sie in den goldenen Sonnenstrahlen, die durch die hohen Fenster schienen. Draußen erklang, ganz leise, das Geräusch der Heckenschere.

Vorsichtig, Millimeter um Millimeter, bewegte er seine linke Hand, bis sie auf Kais Haaren ruhte. Strohig und fest. Er widerstand dem Drang, hindurchzufahren, und genoss ihr Kitzeln auf seiner Handfläche. Genoss das Gefühl, das Kais Nähe in ihm auslöste. Die tiefe Ruhe, die unter all der Aufregung entstand.

Stundenlang lagen sie so. Zumindest kam es ihm vor wie Stunden. Ab und zu las er ein paar Seiten in dem Buch, dann sah er wieder an die Decke und seufzte leise.

2 Jahre später

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