Читать книгу 2 Jahre später - Regina Mars - Страница 7
2. Arthur, 15
Оглавление»Fahr schon mal vor«, hatte seine Mutter gesagt. »Wir kommen nach, sobald wir können.«
Irgendeine wichtige Besprechung mit dem Label. Arthur kannte das schon. Trotzdem konnte er nichts gegen die Leere in seinem Bauch tun. Hunger war das nicht. Das war etwas anderes. Seit er klein war, war er seinen Eltern hinterhergerannt. Erst auf rundlichen Stummelbeinchen, dann auf immer längeren. Aber sie waren nie lang genug geworden, um die beiden einzuholen. Immerzu sah er nur ihre Rücken.
Er kannte es nicht anders. Besprechungen, Termine, wichtige Meetings. Arbeit rund um die Uhr. Selbst in den Sommerferien. Selbst jetzt.
Drei Tage lang hatte er sie für sich gehabt. Klar hatten sie jede Mahlzeit durchtelefoniert, aber zwischendurch, für eine oder zwei Stunden, waren sie eine Familie gewesen.
Sie hatten ihn aus der Sprachschule, die er als Zweitbester abgeschlossen hatte, abgeholt und noch ein paar Tage in Paris verbracht. Dann wollten sie in das Ferienhaus weiterziehen, das sie im letzten Jahr gekauft hatten. Das im Schwarzwald, umringt von Bäumen und gewärmt von der süddeutschen Sonne. Heimaturlaub lag voll im Trend, behauptete seine Mutter. Urlaub zuhause waren die neuen Malediven, das sagten auch all ihre Freunde.
Aber so toll hatten sie es im letzten Sommer wohl doch nicht gefunden. Als Arthur abreisebereit die Stufen ihrer Pariser Suite herunterkam, hatten sie ihm eröffnet, dass sie sich noch um etwas kümmern mussten. Eine Besprechung halt. Wie immer.
Er war alleine geflogen, hatte alleine ein Taxi genommen, alleine einen horrenden Betrag dafür gezahlt und war schließlich vor ihrer Ferienvilla gelandet. Villa Blau hieß sie.
Der Kies knirschte unter seinen italienischen Lederschuhen, als er ausstieg. Die Nachmittagssonne wärmte seine Kopfhaut und die Ruhe hier überraschte ihn. Nach drei Tagen Paris war es beinahe unheimlich. Der Wald hinter dem Gebäude war so dicht, dass sich alle Details in Schwärze verloren.
Als das Taxi hinter ihm startete und Steinchen verspritzend abfuhr, beschloss Arthur, das Beste daraus zu machen. Das Beste daraus, dass er ganz allein hier festsaß. Vielleicht gab es andere Leute in seinem Alter. Im angrenzenden Dorf oder der nahen Kleinstadt. Vielleicht fand er in der Bibliothek ein Buch auf Französisch oder gar Tschechisch und niemand würde ihn davon abhalten, etwas derart Nutzloses zu lesen.
Vielleicht würde er den Luchs wiedersehen.
Letztes Jahr, als sie das erste Mal hier Urlaub gemacht und seine Eltern beide während des Frühstücks am Telefon gehangen hatten, hatte er ein leises Geräusch vernommen. Aus den Bäumen, die die Villa umgaben.
Der Mischwald begann direkt hinter dem hohen Holzzaun, der die Terrasse einrahmte. In einer der dichten Kronen hatte sich etwas bewegt. Fast unmerklich, aber da war eindeutig ein Geräusch gewesen.
Zwei helle Augen. In einer Eiche, umgeben von dunklem Blattwerk. Arthur war zu Stein erstarrt. Die Kaffeetasse halb zum Mund gehoben, hatte er da gesessen und den Luchs angeglotzt.
Der Luchs war natürlich kein echter Luchs, sondern ein Junge in seinem Alter. Vierzehn war Arthur damals gewesen. Ungeschickt, unsicher, auf verzweifelte Art freundlich und mit Babyspeck an Wangen und Bauch. Der Junge, der da oben auf dem Ast hockte, geduckt wie eine sprungbereite Katze, hatte keinen Babyspeck. Er war schlank, nein, mager. Ungepflegt wie ein wildes Tier, mit einem ausgebleichten Pullover und einer Löwenmähne, die nach allen Seiten abstand.
Arthur hatte ihn nur angaffen können. Er hatte noch auf den Ast gestarrt, als der Luchs längst zusammengezuckt und im Blattwerk verschwunden war. Arthur hatte ein Rascheln auf der anderen Seite des Stamms gehört, als er weggelaufen war. Über den Blätterteppich, durch den düsteren Wald. Den Wald, vor dem Arthur sich fürchtete.
Aber der Luchs hatte sich nicht gefürchtet. Der war Arthur wie eine Wildkatze erschienen, ungezähmt und … frei. Etwas an ihm ließ ein wildes Sehnen in Arthur entstehen. Ein hartes Ziehen, einen Wunsch nach … Er wusste es nicht.
Aber als er sich umgesehen hatte, auf seine Eltern geschaut hatte, die immer noch telefonierten, die gepflegte Terrasse, den Zaun, der sie umgab … Da war er sich vorgekommen wie ein fetter Welpe, der sein Leben in einer Wohnung verbracht hatte. Ein Schoßhündchen. Irgendwie war er das auch.
In den nächsten Tagen hatte er versucht, seine Furcht zu überwinden und den Wald zu erforschen, stets in der Hoffnung, den Luchs wiederzusehen. Hatte er nicht. Und immer, wenn die Villa außer Sichtweite geraten war, hatte es ihn in der düsteren Stille des Waldes gegruselt. Also hatte er jedes Mal kehrtgemacht und war zurück in die Zivilisation geflüchtet.
Aber nun war er fünfzehn. Fast erwachsen. Arthur straffte sich und sah an der verschnörkelten Fassade der staubblauen Villa empor. Riesige Hängepflanzen ergossen sich aus jedem der orientalisch anmutenden Fenster. Die waren einer der Gründe gewesen, aus denen seine Mutter das Gemäuer gekauft hatte. Sie ließen die Villa exotisch wirken, mehr als die anderen Gebäude in der Gegend. Auch der Pool im Innenhof, der mit türkisblauem Mosaik gekachelt war, trug zu diesem Eindruck bei.
Arthur holte tief Luft. Diesmal würde er sich nicht vor dem Wald fürchten. Und vielleicht würde er den Luchs-Jungen wiedersehen, wenn er sich weit genug hineinwagte.
Mit hoch erhobenem Kopf ging er auf die Eingangstür zu. Herr Petersen war da und würde ihn empfangen, hatte seine Mutter gesagt. Der Gärtner. Wenn Arthur sich so umsah, schien der den Kampf gegen das wuchernde Gestrüpp zu verlieren. Aber Herr Petersen war im letzten Jahr schon krumm und recht schwächlich gewesen, also …
Es war nicht Herr Petersen, der die Tür öffnete. Es war der Luchs.
Arthur erkannte ihn sofort. Er war größer und noch magerer geworden, aber seine Augen waren so hell wie eh und je. Und seine Haare noch chaotischer. Und der Luchs erkannte ihn. So, wie dessen Augenbrauen nach oben wanderten, wie sein schmaler Mund sich öffnete … Er erinnerte sich an Arthur! Das machte ihn seltsam stolz. Er hielt sich nicht für sehr erinnernswert. Bevor er es verhindern konnte, breitete sich ein dämliches Lächeln auf seinem Gesicht aus.
»Hallo«, sagte er.
Der Luchs schwieg einen Moment lang. Er wirkte wieder wie eine Wildkatze, bereit zur Flucht. Als könnte er jederzeit die uralte Tür zuschlagen. Oder in einem Sprung über Arthur hinwegsetzen und in den Wald türmen. Aber er blieb.
»Hallo«, entgegnete er schließlich. Seine Stimme war rau, als wäre er erkältet.
»Ich …« Arthur wusste nicht genau, was er sagen sollte. »Ich bin Arthur von Hasslach. Ich bin schon von Paris aus vorgefahren. Meine Eltern kommen nach.«
Was laberst du da für einen Blödsinn?, dachte er. Du klingst wie ein Kleinkind. Du bist ein Mann, reiß dich zusammen!
»Du bist den ganzen Weg allein gefahren?«, fragte der Luchs und legte den Kopf schief. Er schien tatsächlich beeindruckt davon, dass Arthur seinen rundlichen Hintern erst in einen Flugzeugsitz und dann in ein Taxi verpflanzt hatte.
»Keine große Sache.« Arthur versuchte, mit jeder Faser seines Seins cool zu wirken. »Ich bin auch schon von Kuba nach Berlin geflogen.«
Jetzt klingst du wie ein Angeber, du Idiot.
Der Luchs nickte bedächtig.
»Wir dachten, ihr kommt später«, sagte er. »Ich sollte gar nicht hier sein. Mein Vater kümmert sich noch um den Innenhof.«
»Dein Vater?« Erst Sekunden später brachte Arthur es zusammen. »Herr Petersen ist dein Vater?«
Der Luchs nickte wieder. Gesprächig schien er nicht zu sein. Aber er trat zur Seite und ließ Arthur passieren. Er bot sogar an, ihm mit dem Gepäck zu helfen, aber Arthur lehnte ab. Natürlich lehnte er ab. Wie würde er denn aussehen, wenn er zu schwach war, zwei Koffer die Treppe hochzuschleppen? Er gab sich Mühe, sein Keuchen zu unterdrücken, als er es bis in den Flur geschafft hatte. Dort ließ er sie zu Boden fallen und folgte dem Luchs in den nach Chlor duftenden Innenhof. Je länger er hinter dem schmalen Rücken herging, desto mehr durchwühlte er sein Gehirn nach etwas, das er sagen konnte.
»Wie heißt du?«, brachte er schließlich heraus. Betont cool hakte er die Daumen in die Schlaufen seiner Jeans.
»Kai.« Der Luchs sah ihn an.
»A-Ach so.« Mist, hatte er das kleine Stottern bemerkt? Arthur wusste nicht, was mit ihm los war. Sein Herzschlag hämmerte in seinem Hals und er spürte den anderen Jungen, als würde er Elektrizität verströmen, durch die Luft oder so. Er schluckte.
»Hilfst du deinem Vater im Garten?«, fragte er. Der Luchs, nein, Kai, nickte.
»Ich soll nicht hier sein«, sagte er und blickte Arthur an. »Kannst du deinen Eltern nichts verraten?«
»Klar.« Arthur zuckte lässig mit den Achseln. »Aber warum? Du hilfst doch.«
»Ich bin …« Der Blonde schien zu überlegen, wie er das ausdrücken sollte. »Ich habe deine Mutter mal getroffen. Angeblich war ich nicht nett.«
»Wer sagt das?«
»Mein Vater. Und deine Mutter. Ich hab irgendwas gesagt …« Kai kratzte sich den Hals. »Ich war unhöflich. Das bin ich manchmal, auch wenn ich das nicht will.«
»Aha.«
Was sollte er darauf antworten? Egal, denn sie betraten den Innenhof. Der wurde fast gänzlich von einem römisch anmutenden Schwimmbecken mit Mosaikmuster eingenommen. Sonnenstrahlen brachten das Wasser zum Glitzern. Der Hof war zu drei Seiten eingerahmt von Wänden voll verschnörkelter Fenster und Balkone, die vor Hängepflanzen überquollen. Die vierte Seite ging auf die Terrasse hinaus, auf der Arthur damals mit seinen Eltern gefrühstückt hatte. Dort war ein gebeugter Mann damit beschäftigt, die Fugen der Bodenfliesen von Moos zu befreien. Er sah auf, als sie näherkamen. Dann sprang er förmlich in die Höhe.
»Arthur.« Er lächelte, ein wenig verzweifelt. »Ich bin fast fertig mit dem Boden. Ich schätze, morgen könnt ihr sicher hier frühstücken. Es tut mir leid, dass es etwas länger gedauert hat …«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte Arthur. Er sah den grauhaarigen Mann an, den er für älter gehalten hatte, als er sein konnte. Schließlich war er Kais Vater. Sie sahen sich nicht sehr ähnlich. »Ich … Machen Sie bitte genug Pausen. Meine Eltern kommen erst in ein paar Tagen nach und mir ist es egal, wie es aussieht.«
Herr Petersen nickte, scheinbar erleichtert. Er wirkte ständig, als hätte er Schmerzen. Hatte er vielleicht auch, krumm, wie er war. Kai ging zu ihm, mit der natürlichen Eleganz einer Wildkatze, aber Petersen schüttelte den Kopf.
»Ich schaff das schon alleine, Junge. Mach du doch was mit Arthur. Er ist ja ganz allein hier.«
Die Worte waren nicht so gemeint gewesen, aber sie schmerzten. Arthur war allein. Egal, denn nun wandte Kai sich zu ihm um und sein Herzschlag nahm wieder an Fahrt auf. Was sollte er sagen? Kai schwieg, also musste er etwas sagen, nur was? Es musste etwas Cooles sein, etwas total Lässiges, und …
»Zeigst du mir das Haus?«, fragte Kai.
»Hast du es denn noch nicht gesehen?« Arthur runzelte die Stirn.
»Nur den ersten Stock. Paps meint, ich soll mich davon fernhalten.«
»Du machst zu viel kaputt, Junge.« Petersen schüttelte den Kopf. »Du bist einfach zu wild.«
Ein Hauch Röte erschien auf Kais Wangen. Arthur lächelte. Nein, er durfte nicht lächeln. Er musste cool bleiben.
»Ich bin auch zu wild«, log er. »Komm mit, ich zeig dir alles.«
Ein Mini-Lächeln erschien in Kais Gesicht.
»Super.« Es wurde zu einem kleinen Grinsen, das so rasch verschwand, wie es aufgetaucht war.
»Super«, wiederholte Kai, steckte die Hände in die Hosentaschen und räusperte sich.
Arthur verbrachte die nächste Stunde zwischen Panik und überschäumender Freude. Er schaffte es, keine Miene zu verziehen, als sie durch die Bibliothek gingen. Gigantische Holzregale voll dicker Wälzer schraubten sich in die Höhe und verschlugen ihm fast den Atem. Aber er zwang sich, nur: »Bibliothek. Bücher halt« zu sagen und mit den Achseln zu zucken.
Bücher waren schließlich nicht cool. Und Kai schien derselben Ansicht zu sein. Der murmelte irgendetwas Desinteressiertes. Überhaupt sagte er wenig. Aber er wich nicht von Arthurs Seite. Er präsentierte ihm all die sonnigen Zimmer, die Eingangshalle und sein Schlafzimmer mit dem frisch bezogenen Bett. Die Haushälterin war schon dagewesen.
Er machte sich fast in die Hose, als er durch eines der Fenster aufs Dach stieg, nur, um Kai zu beweisen, wie wild er war.
»Nette Aussicht, was?«, sagte er.
Er fürchtete sich entsetzlich, aber er wollte sich vor Kai keine Blöße geben. Der kletterte wie ein Äffchen höher und stellte sich breitbeinig auf den Dachgiebel, ohne sich irgendwo festzuhalten. Arthur kriegte kaum noch Luft, als ein Wind aufkam und Kais helle Haare in sein Gesicht wehte. Der Wind roch nach Holzkohle und frisch geschnittenem Gras. Er spürte die Sonne im Nacken.
»Ich kann mein Haus von hier aus sehen«, rief Kai und grinste wieder. Seine Luchsaugen glänzten. »Guck mal, da hinten.«
Mit angehaltenem Atem krabbelte Arthur die vollkommen verrostete Leiter zum Giebel hoch. Nicht nach unten sehen, nicht nach unten sehen. Er schwang ein zu pummeliges Bein über die Ziegel, so dass er rittlings oben saß. Mehr ging nicht, wirklich nicht. Wenn er sich wie Kai hinstellte, würde er abstürzen, soviel war klar. Weit unter sich sah er den Rasen, viel zu winzig.
»Welches ist es?«, rief er gegen den Wind und hoffte, dass er nicht so bleich aussah, wie er sich fühlte.
»Das da, hinter dem roten Fachwerkhaus!« Kais magerer Finger zeigte in die Richtung. Arthur kniff die Augen zusammen.
»Wo denn? Ich sehe nur diese Bruchbude mit dem löchrigen Dach …« Mist. Mist! Kais helle Augen schauten ihn an. Blinzelten. Arthur kippte fast um, so hastig richtete er sich auf. »Äh, ich … Ich meine … Das sieht … Das ist nicht …«
Mistmistmist, jetzt war er ein Arschloch und uncool und …
Kai lachte.
»Schon gut«. Er schüttelte den Kopf »Ich weiß selbst, was für ein Schuppen das ist. Aber meistens regnet es nicht rein und wir haben auch keine Ratten. Ist denen wohl zu zugig.«
»Äh, ich …« Arthurs Gehirn ließ ihn im Stich. »Echt?«
»Ja.« Kai nickte ernsthaft. »Die letzten haben uns beim Auszug einen Beschwerdebrief geschrieben, weil wir zu sehr stinken. Eingebildete Viecher.«
Ein Kichern drang aus Arthurs Kehle, voll unmännlich.
»So schlimm riechst du gar nicht«, murmelte er. Er spürte das kleine Lächeln, das seine Mundwinkel kräuselte. »Aber vielleicht steht der Wind auch günstig.«
Kai schnaubte. »Als ob du das merken würdest, du Snob. Du müffelst doch zehn Meilen gegen den Wind nach Parfüm.«
Arthur wollte schon an seinem Kragen schnuppern, als er das Glitzern in Kais Augen erkannte.
»Was verstehst du denn von Parfüm?« Er hob eine Augenbraue. »Hast du überhaupt schon mal ein Bad von innen gesehen?«
»Klar, in einem IKEA-Katalog. Mit denen decke ich mich nachts zu, wenn es zu sehr regnet.«
Arthur lachte, als wäre es das Witzigste, was je jemand gesagt hatte. Aber irgendwie kam es ihm so vor. Er entspannte sich immer mehr.
Während sie vom Dach kletterten, erfanden sie munter Geschichten von Kais angeblicher Armut und Arthurs Dekadenz. Als Arthur behauptete, er würde sich mit Blattgold den Arsch abwischen und mit Diamantstaub nachpudern, wäre Kai vor Lachen fast vom Dach gefallen.
Irgendwie schafften sie es, heil zurück in den Innenhof zu kommen. Herr Petersen packte gerade sein Werkzeug zusammen. Kai schoss praktisch auf ihn zu, um ihm die Arbeit abzunehmen. Der alte Mann war grau im Gesicht.
»Ich trag das zum Auto«, sagte Kai und Arthur erinnerte sich an die Rostlaube, die er in der Einfahrt gesehen hatte.
»Ich helfe dir.«
Irgendwie wollte er nicht, dass Kai und sein Vater schon gingen. Vor allem Kai … Aber Arthur konnte ihn schlecht fragen, ob er blieb, oder? Auch wenn der Gedanke, ganz allein in dem riesigen Gebäude zu übernachten, umgeben von düsterem Wald, ihm eine Gänsehaut verursachte. Also schleppte er einen Rechen zu dem grünen Transporter.
»Arthur«, sagte der Alte. »Kommst du hier zurecht?« Sein wettergegerbtes Gesicht drückte eindeutige Zweifel aus. »Du weißt schon, so ganz alleine?«
Arthur warf Kai einen Seitenblick zu und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
»Na klar«, sagte er lässig. »Der Kühlschrank ist ja voll und das Bett gemacht. Ich hab doch keine Angst im Dunkeln oder so.«
Er hatte panische Angst im Dunkeln, immer noch.
»Wenn du meinst …« Der Alte zögerte. »So olle Gebäude können nachts komische Geräusche machen. Das ist ganz normal, hörst du? Du musst dich da nicht fürchten.«
»Ich?« Arthur versuchte, die Gänsehaut aus seinem Nacken zu vertreiben. »Ich fürchte mich doch nicht, ich … Das ist total … spannend.«
»Das stimmt.« Kai nickte. »Ich würde gern mal in so einem alten Gruselkasten pennen.«
Hoffnung stach in Arthurs Herz.
»D-dann bleib doch hier.« Mist, wieder gestottert. »Du kannst hier schlafen, wenn du willst. Äh, wenn du dich traust.«
»Klar trau ich mich.« Kai sah ihn spöttisch an. »Ich hab keine Angst vor den paar Untoten im Garten.«
»Den Unto…« Arthur schnaubte. »Witzig. Ich wette, du kommst nachts rübergeschlichen, wenn du Schiss kriegst. Ich wette, du … du heulst vor Angst, sobald das Licht ausgeht.«
»Und du, puller dich nicht ein, Fettsack, weil …« Kai wurde von seinem Vater unterbrochen, der ihm einen strengen Blick zuwarf. »Wieder zu unhöflich?«, fragte er und schien wirklich erstaunt.
»Ja.« Herr Petersen seufzte. »Aber irgendwann kriegst du es schon noch hin.«
»Mir macht das nichts aus«, behauptete Arthur und es stimmte fast. Bemerkungen über sein Gewicht taten ihm immer weh, aber … na ja, er hatte Kai ja auch geärgert.
»Gut, dann lass dich nicht von dem Kleinen nerven«, sagte der Alte und öffnete die Tür des Wagens. »Er meint es nicht so. Findet nur manchmal das richtige Maß nicht.«
Kai sah zu Boden, als sein Vater ihn »Kleiner« nannte. Fast schien es, als würden seine Ohren ein wenig rot. Aber sein Gesicht war ausdruckslos.
»Mach’s gut, Kleiner. Ich bring dir morgen frische Unterwäsche mit. Und du kannst mir beim Rasenmähen helfen.«
Kai brummte etwas Unverständliches.
Der Transporter fuhr ab, der Kies knirschte, der Motorenlärm verklang und sie waren allein. Arthur biss sich auf die Lippen, um ein nervöses Seufzen zu unterdrücken. Er kapierte nicht ganz, was mit ihm los war. Kai stand direkt neben ihm, so dicht, dass er seine Wärme zu spüren glaubte. So dicht, dass sein Geruch nach Seife und Motoröl in Arthurs Nasenlöcher drang.
»Was jetzt?«, fragte Kai. Als ob Arthur das gewusst hätte. Ihm musste etwas total Cooles einfallen, sofort, etwas, das ihn wie einen Rebellen wirken ließ, der …
Oh, richtig.
»Schauen wir mal, was die Bar hergibt?«, fragte er und freute sich, dass Kai überrascht wirkte.
Ich bin ein Genie, dachte er.