Читать книгу 2 Jahre später - Regina Mars - Страница 12
7. Kai
ОглавлениеEr wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Vielleicht hatte Arthur gezuckt oder …
Arthur?
Kai blinzelte. Vor sich sah er weißen Stoff und einen schillernden Knopf, direkt vor der Nasenspitze. Er fühlte einen weichen Leib an seinem. Das war ungewöhnlich, um es milde auszudrücken.
»Hey«, murmelte Arthurs Samtstimme. »Wieder wach?«
Kai spürte, wie er am ganzen Körper rot anlief. Die Hitze kroch ihm bis in den Nacken. Mist. Mist, was hatte er sich dabei gedacht? Er hatte schon wieder nicht überlegt, was angemessen und zivilisiert war und …
Mist.
Man legte sich nicht einfach zu einem anderen Jungen! Obwohl, Arthur hatte das auch getan, aber der war besoffen gewesen und außerdem konnte Kai sich nicht erinnern, dass der, na ja, erregt gewesen wäre und ihn in die Hüfte gepiekst hätte, so, wie er es gerade bei Arthur machte …
Er räusperte sich kläglich.
»Ich … Äh, mir war kalt«, erklärte er, logisch und rational. »So wie gestern Nacht.«
»Ach so.« Er konnte Arthur nicht ansehen. Traute sich nicht. »Na, ich schätze, dass ich sehr gemütlich und einladend aussehe.«
»Ja, du … Also nein, äh.« Vorsichtig rückte er von Arthur ab. »Doch, schon. Aber das ist gut.«
Er wagte es erst, ihn anzusehen, als er das leise Schnauben hörte. Arthur lächelte. Ein etwas wackeliges Lächeln, doch er schien ihm nicht böse zu sein. Der dunkle Schopf war verstrubbelt und die Ohren gerötet. Sollte Kai irgendwie erklären, dass …
»Ich hab von einem Mädchen geträumt«, behauptete er. »Von Nora aus meiner Parallelklasse.«
»Oh. Klar.« Arthur räusperte sich. Kai räusperte sich. »Was ist mit deiner Wange passiert?«
»Ach, das.« Kais Hand ging zu seinem Gesicht, ohne, dass er es wollte. Er rutschte von Arthur weg, bis sie nebeneinander auf dem Sofa saßen. »Das ist beim Arbeiten passiert. Ein Dornenbusch.«
»Als du weggefahren bist, hattest du das noch nicht.«
»Echt? Seltsam.« Auf keinen Fall würde er Arthur erzählen, dass er nicht gegen zwei Idioten wie Markus und Horst ankam. »Dann habe ich keine Ahnung. Was hast du gemacht, als ich weg war?«
»Oh, eine Menge.« Arthur sah an ihm vorbei. »Hab mit ein paar Leuten telefoniert. Meine Mutter hat angerufen.«
»Aha. Was sagen Mütter denn so?« Kai hatte keine Ahnung.
»So dies und das. Wie ihr Urlaub läuft, wie …« Arthur biss sich auf die Lippen. »Eigentlich nichts. Sie wurde immer unterbrochen. Sie kommen erst in ein paar Tagen.«
»Oh, gut.«
»Was?« Arthurs Augenbrauen hoben sich.
»Äh, ich darf nur hierbleiben, bis sie ankommen. Deine Mutter mag mich nicht, hab ich doch erzählt.«
»Schon.« Interesse blitzte in Arthurs Gesicht auf. »Aber du hast nicht erzählt, wieso. Hatte sie etwa auch Läuse und du hast sie darauf hingewiesen?«
»Ne.« Kai sah auf den Teppich. »Aber das war genauso blöd. Ich hab mal wieder nicht kapiert, was man sagen darf und was nicht.«
»Erzähl.« Bildete er sich das ein, oder erschien ein gieriges Lächeln in Arthurs Zügen?
»Freust du dich etwa, weil deine Mutter mich nicht mag?«
»Nein, nein. Interessiert mich nur.«
»Hm.« Kai warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Arthurs hübsches Gesicht war ausdruckslos. »Na, sie waren doch hier, um den Kasten zu kaufen, und da haben sie Paps gleich erklärt, was er alles machen muss, bevor sie anreisen, und ich war dabei und ich meinte halt, dass sie dieser Sängerin ähnlich sieht. Aus so einem alten Video, sowas, was manchmal noch im Radio kommt. Paps meint, das lief früher hier in der Dorfdisco … Was ist?«
Arthur wirkte wie elektrisiert.
»Du hast sie erkannt?«, fragte er atemlos.
»Erk… Ist sie das echt?« Kai sah ihn ungläubig an. »Deine Mutter? In diesem Lied, das mit, äh, Na Na Na und …«
»My heart says Na Na Na. Moment.« Arthur zückte sein Handy und begann, wild darauf einzutippen. Es dauerte einen Moment, weil die Verbindung hier nur mittelmäßig war, aber dann hielt er es Kai hin.
Der sah auf den Bildschirm und im gleichen Moment ging die Musik los. Wummernder Eurodance, unterlegt mit einer weiblichen Stimme, schallte durch die Bibliothek.
»Baby, when I see you my heart says Na Na Na Na Na Na …«
Mehrere Na Na Nas lang tanzte eine schlanke Frau in einem Rock aus Alufolie vor einem künstlichen Sonnenuntergang. Bunte Blitze zuckten durch das Bild. Dann sah man einen schlecht gelaunten Keyboarder mit einem zehn Meter hohen Hut und einer kreisrunden goldenen Sonnenbrille. Er trug einen Strahlenschutzanzug, ebenfalls aus Alufolie.
»Na Na Na! Every Day! Na Na Na! Every Night! Na Na Na …«
Die Frau schüttelte ihren Körper, an dem sie außer dem Alurock nur einen grünen BH und ein schwarzes Netzshirt trug. Ihre Haare waren zu einer Art blondem Füllhorn aufgetürmt. Trotz der bizarren Kleidung war sie hübsch.
»DAS ist deine Mutter?!«, fragte Kai. »Das?«
»Und das ist mein Vater.« Arthur grinste glücklich und deutete auf den schlecht gelaunten Keyboarder-Dude, der plötzlich zu rappen begann. Kais Mund ließ sich nicht mehr schließen. Arthurs rundes Gesicht strahlte vor Glück.
»Das … Wow.« Kai starrte auf das Display. »Sie müssen echt stolz darauf sein. Ich meine, das Lied wird immer noch gespielt, und …«
»Sie hassen es!«, rief Arthur über die hektischen Rhythmen hinweg. »Es ist ihnen total peinlich. Und du bist der Erste, der sie seit zehn Jahren erkannt hat. Kein Wunder, dass sie dich nicht leiden kann.«
»Oh. Aber warum? Ist das schlecht für euer Ansehen, so als alte Adelsfamilie, oder …«
Arthur schüttelte den Kopf.
»Nein. Oder ja, schon. Auf dem Lied haben sie ihre Karriere begründet. Sie haben die Einkünfte gut angelegt und ein anständiges Unternehmen gegründet. Und sich einen Adelstitel gekauft.«
»Was?«
»Girl, you’ve got to follow your dreams into the night, that’s right, follow your dreams and you’ll be alright. Open you eyes wide and ride by my side …«
»Unser Adelstitel ist gekauft«, sagte Arthur.
»Die Dinger kann man kaufen? Wie teuer ist sowas?«
»Es war ein sechsstelliger Betrag.«
»Was?! Warum … Kann man mit dem Geld nichts Besseres anfangen?«
»Es war ihnen wichtig. Ich meine, du hast sie gesehen. Sie wollen respektabel erscheinen, um jeden Preis.« Kai dachte an das schlicht, aber elegant gekleidete Paar, das die Villa mit kritischen Augen begutachtet und seinem Vater eine kilometerlange Liste mit Anweisungen dagelassen hatte. »Kein Wunder, dass sie dich nicht mag. Ihr Image ist ihr Leben, weißt du?«
»Äh.« Kai kam nicht darüber hinweg. »Ihr seid gar nicht adlig?«
»Jetzt schon.« Arthur wiegte den Kopf. »Mehr oder weniger. Offiziell ja, aber Adlige, die ihren Titel geerbt haben, schauen natürlich auf uns herab. Und Reiche, die ihr Geld geerbt haben, auch.«
Etwas in seiner Stimme ließ Kai aufhorchen.
»Auf euch? Auf dich etwa?«
»Ja, schon … ein wenig.« Arthur zupfte an der Kante des Sofas. Er betrachtete den hellgrünen Fussel, den er herausgerupft hatte, mit düsterem Blick. »Ich …« Er verstummte.
»Hey, ich hab dir meine Läusegeschichte erzählt«, sagte Kai. »Raus damit.«
»Im Internat nennen sie mich Moppel Neureich den Ersten.« Arthur verzog das Gesicht. »Nicht alle natürlich. Vor allem meine Freunde.«
»Aha. Warum ausgerechnet die?«
Arthur zuckte mit den Achseln.
»Sind wohl keine so guten Freunde«, gab er zu. »Aber ich hab keine anderen.«
»Oh.« Kai atmete tief ein. »Ich auch nicht … Ich hab eine beste Freundin, aber ansonsten gibt’s da niemanden.«
Arthur sah ihn verwundert an.
»Echt? Dabei bist du so … äh.«
»So stinkig, arm und sozial inkompetent? Ja, komisch, dass ich nicht beliebter bin.« Kai grinste schief.
»Woher kennst du Wörter wie sozial inkompetent?«
»Bücher.« Er seufzte und betrachtete die Regalreihen mit hungrigen Augen. »Ach, richtig, und dann bin ich noch ein Bücherwurm. Zum Glück ist Manolja auch so.«
»Manolja ist deine beste Freundin?«
Er nickte. Ihr ernstes Gesicht erschien vor seinem inneren Auge.
»Ja. Sie ist grad nicht da. In den Ferien wird sie immer gefördert. Ihre Eltern wollen so ’ne Art Genie aus ihr machen. Na, vielleicht ist sie das schon. Vielleicht …« Er konnte es kaum aussprechen. »Vielleicht zieht sie bald weg. Sie wollen schon ewig, dass sie sich auf ein Stipendium bewirbt. Sobald das klappt, kommt sie auf ein Internat.«
»Oh.« Arthur kratzte sich am Hals. »Das ist blöd. Was für ein Internat?«
Kai zuckte mit den Achseln.
»Rabenstein?«, fragte Arthur. »Schloss Hoheneck? Haus Bärenfang? Falkenberg?«
»Glaub, sie kann sich das aussuchen.« Kai legte den Kopf schief. »Du kennst aber viele Internate.«
»Ich bin doch selbst auf einem.«
»Ach, echt? Welchem?«
»Falkenberg.«
»Und wie ist das?«
»Okay. Ne, ziemlich gut. Na ja.«
»Bis auf die Leute, die dich Moppel Neureich nennen, meinst du?«
»Und die Morgenläufe, für die ich zu langsam bin. Reden wir nicht darüber.« Arthur stand auf. »Musst du noch arbeiten?«
»Ne, für heute hat Paps mir freigegeben.« Kai wich Arthurs Blick aus. Paps hatte gewollt, dass er sich ausruhte, nur wegen dem winzigen Zwischenfall mit Markus und Horst. Aber das würde er Arthur nicht erzählen. Irgendwie schienen sie sich so viel zu verschweigen wie zu verraten und trotzdem hatte er das Gefühl, Arthur mehr anzuvertrauen als irgendjemandem sonst. »Willst du … Kommst du mit in den Wald? Ich will dir was zeigen.«
»In den Wald.« Arthurs heller Hals zuckte. Ein Hauch Panik huschte über seine Züge.
»Hast du etwa Angst vor dem Wald?«, fragte Kai. Ach Quatsch, das konnte nicht sein. Warum sollte man …
»Ich? Überhaupt nicht.« Arthur sah an ihm vorbei. »Gar nicht. Gehen wir.«
Er marschierte an ihm vorüber. Kai wollte noch etwas sagen, folgte ihm dann aber.