Читать книгу 2 Jahre später - Regina Mars - Страница 14
9. Kai
ОглавлениеEnde, las Kai und schlug das Buch zu. Er sah zu Arthur, der konzentriert in einem Notizbuch kritzelte, zwei Bücher auf den Knien balancierend, in denen er abwechselnd blätterte. Er versuchte, einen französischen Krimi ins Deutsche zu übersetzen. Er wollte Übersetzer werden, aber seine Eltern waren dagegen. Das hatte er Kai erzählt. Heimlich wünschte Kai sich, dass er es niemandem sonst erzählt hatte. Er wollte ein Geheimnis von Arthur kennen, von dem kein anderer wusste.
Arthur bemerkte seinen Blick und lächelte. Die Schokoladenaugen wurden sanft. Er kam Kai entgegen und küsste ihn. Zart und vertraut.
Unter ihrem Balkon rauschte die Poolpumpe. Es war der erste richtig heiße Tag und die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herunter.
»Meine Eltern haben gestern angerufen«, sagte Arthur, sobald der Kuss endete. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie ruhig noch länger auf der Jacht bleiben können. Sie können mich einfach am Ende der Ferien hier abholen.«
»Gut.« Fantastisch.
Das bedeutete, dass Arthur mehr Zeit mit ihm verbringen wollte, richtig? Bestimmt. Das musste es. Kai hätte ihn wirklich gern danach gefragt, aber er traute sich nicht. Er traute sich eine ganze Menge nicht. Eigentlich hätte er gern mal etwas ausprobiert, das über Küssen hinausging. Küssen mit Umarmen zum Beispiel. Doch wie sollte er das erklären? Galt das noch als Übung oder würde Arthur dann etwas merken? Sie sprachen noch von Mädchen, ab und zu. Log Arthur genauso wie er? Meinte er es ernst?
»Willst du jetzt schwimmen gehen?«, fragte Kai vorsichtig, aber sofort schüttelte Arthur den Kopf. Wie immer. Dabei wäre das perfekt gewesen, um … etwas mehr zu probieren. Kais Finger trommelten auf den Boden. »Warum nicht? Es ist heiß. Abartig heiß.«
»Will halt nicht«, murmelte Arthur. Seine Lippen, sonst so voll, waren ein weißer Strich.
»Hast du eine furchtbare Narbe?«, fragte Kai und legte den Kopf schief. »Oder ist es, weil du ein Moppel bist?«
»Hey.« Arthur schaute traurig und Kai hätte sich selbst ins Gesicht treten können.
»Ich hab das nicht so gemeint. Ich wollte nicht …«
»Weiß ich doch.« Arthur lächelte schwach. »Ich bin nur …« Er seufzte.
»Ich mag, wie du aussiehst«, sagte Kai und stöhnte innerlich. Wie peinlich war das bitte? Arthur sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
»Ich bin dick und käsig«, sagte er. »Da gibt’s nichts zu mögen.«
»Da gibt’s ’ne ganze Menge zu mögen«, sagte Kai.
»Haha.«
»So war das nicht gemeint. Ich …« Kai stieß einen frustrierten Schrei aus und sprang auf. Einmal verstehen, wie man mit Leuten sprach. Einmal kapieren, was die richtigen Worte waren. Das wäre verdammt schön gewesen.
»Du kannst ja alleine schwimmen gehen.« Arthur schaute wieder so traurig.
»Ich … okay.« Kai stand auf. »Komm nach, wenn du magst, ja?«
Arthur brummte etwas Unverständliches.
Kai hüpfte die Stufen hinunter. Seit Tagen küssten sie sich nun schon. Und es wurde immer besser. Sollte er Arthur beichten, dass er das gar nicht tat, um zu üben? Dass er es ernst meinte? Dass er … Er schluckte. Dass er sich eventuell ein wenig in ihn verliebt hatte? Das war Liebe, oder? Wenn man so verdammt aufgekratzt war, dass jeder Blick des anderen fast das Herz in die Luft jagte? Vermutlich. Mist. Er wusste wirklich nicht, wie Arthur reagieren würde, wenn … wenn er es ihm sagen würde.
Die gleißende Helligkeit im Innenhof ließ ihn blinzeln. Lichtpunkte tanzten auf der Wasseroberfläche und der Pool wirkte so einladend, dass er noch weniger verstand, warum Arthur nicht hineinspringen wollte. Jetzt schon war sein Shirt schweißverklebt. Er zog es sich über den Kopf und bemerkte ein neues Loch. Es ließ ihn zögern.
Diese Villa, der Wald und die Klostermauer … Die lagen außerhalb der Realität. Hier konnten sie zusammen sein, ohne dass es Probleme gab. Blöderweise hatte die Realität die Angewohnheit, wieder aufzutauchen, wenn man sie am wenigsten erwartete. Auf einem Baumarktparkplatz. In einer abgelegenen Gasse. Selbst hier.
Irgendwann würden die Ferien zu Ende sein. Von wegen irgendwann. In … Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. In fünf Tagen waren sie zu Ende. Und dann? Dann kehrte Arthur zurück in sein reiches Bonzenleben, in das Kai nicht passte. Kai passte nicht mal in das kleine Dorf, wie sollte er da mit Arthur mithalten?
Es wäre leichter gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Arthur auch etwas für ihn empfand. Aber selbst dann … Die Ferien waren fast zu Ende. Das alles war fast zu Ende und er wusste nicht, wie er weitermachen sollte.
Mutlos schälte er sich aus den restlichen Klamotten und stieg nackt die blaue Mosaiktreppe zum Wasser hinunter. In seinem Kopf taumelten Gedanken übereinander, die er nicht denken wollte.
Wahrscheinlich musste er Arthur echt fragen, nur … Vielleicht war es besser, das hinauszuzögern. Die Zeit zu genießen, erst am allerletzten Tag zu fragen, ob sie sich wiedersehen konnten, irgendwie.
Das Wasser war eiskalt. Perfekt. Kaum hatte es die Füße überflutet, warf er sich hinein und tauchte in die eisige Erfrischung. Das Muster verschwamm unter ihm. Er sank bis zum Grund und versuchte, die Gedanken einzufrieren. Paps war nicht mehr hier. Vor zwei Tagen waren die letzten Arbeiten erledigt gewesen und Kai hatte Urlaub. Also warum genoss er es nicht einfach? Warum …
Erst, als seine Lungen fast platzten, tauchte er auf. Schüttelte sich. Und sah Arthur.
»Hey«, sagte er verwundert.
»Hey.« Arthur stand am Poolrand und lächelte ihn an. Kai grinste zu ihm hoch. Arthur schien etwas sagen zu wollen, schnappte dann aber nach Luft. Seine Augenbrauen erreichten fast den Haaransatz. »Bist du … Hast du gar nichts an?«
»Ich?« Kai sah an sich herunter.
»Wer denn sonst? Was …«
»Ich hab keine Badehose dabei.« Kai paddelte träge vor sich hin.
»Ah. Ach so.«
»Und so macht es mehr Spaß.«
Arthur schwieg. Mist, hatte er schon wieder irgendeinen Fauxpas begangen? Ha, Fauxpas. Das Wort hatte er von Arthur gelernt.
»Na, wenn das so ist …«
Kai konnte gar nicht so schnell schauen, da hatte Arthur sich schon die Klamotten vom Leib gerissen und war in den Pool gesprungen. Kai starrte immer noch, als ihn eine gigantische Flutwelle wegspülte. Nur einen Moment lang sah er Arthurs hellen Körper durch die Luft fliegen, dann schlug die Welle über ihm zusammen.
Das … war mehr als Küssen, oder? Sie waren nackt. So hatte er das natürlich nicht geplant. Nicht mal darüber nachgedacht, wie üblich, aber … äh.
Er grinste, plötzlich überglücklich, und spritzte Arthur Wasser ins Gesicht. Der wehrte sich, bis sie vor Lachen fast absoffen. Mit Mühe retteten sie sich auf die seichte Seite des Pools. Immer noch bebend vor Kichern blinzelte Kai sich die Feuchtigkeit aus den Augen. Arthur biss sich wieder auf die Lippen, aber er wirkte entspannter.
»Kann ich was ausprobieren?«, fragte Kai.
Arthur nickte zögernd. Vorsichtig strich Kai über die hellen Schultern, bis alle Wassertropfen verschwunden waren. Arthurs Haut war sanft, zunächst, dann bildete sich eine Gänsehaut, die Kais Fingerspitzen kitzelte.
»Okay?«, krächzte er und Arthur starrte ihn an. Aber er nickte wieder. Kai kam näher. »Weiter?«
»Ja.« Seltsam, Arthurs Stimme klang fast so rau wie seine. Durchsichtige Perlen hingen in den dichten Wimpern. Kai atmete tief ein, dann machte er noch einen Schritt. Er neigte den Kopf und küsste die Wassertropfen auf der kühlen Haut. Auf den Wangen. Auf der Stirn. Auf der Nasenspitze, bis er sie alle aufgenommen hatte. Arthur rührte sich nicht. Angstvolles Kribbeln tobte in Kais Bauch, aber er wollte auch nicht aufhören. So vorsichtig er konnte, legte er die zitternden Hände in Arthurs Nacken und küsste ihn.
Das war anders. Das Gefühl von Arthurs nackter Brust an seiner, die weiche Haut in Arthurs Nacken. Ja, das war ganz anders. Mehr. Selbst die Lippen, die er hundertmal geküsst hatte, schmeckten besser. Nach Chlor und Erwartung. Ein winziges Geräusch drang aus Arthurs Kehle und Kai wich zurück.
»Aufhören?«, flüsterte er.
Arthur packte ihn und zog ihn zu sich heran. Küsste ihn, so heftig, dass Kais Knie nachgaben, schlang die Arme um seinen Rücken und drängte sich gegen ihn.
Es war fantastisch, traumhaft, schöner als …
»Arthur!«
Eine weibliche Stimme. Hell. Schrill.
Arthurs nasser Körper versteinerte. Plötzlich war er weg. Plötzlich stand Kai allein im kalten Wasser … Nein, Arthur war noch da. Er war nur zurückgewichen. Panisch starrte er seine Eltern an.
Wie zwei Scharfrichter ragten sie am Poolrand auf. Kai sah wutverzerrte Gesichter über sich. Zweimal, unter teuren Sonnenbrillen und fein geschnittenen Haaren.
»Raus aus dem Wasser!«, kommandierte Arthurs Vater, aber Arthur stand nur da und stierte ihn an. Mit hängendem Unterkiefer, leichenblass. Seine Augen waren riesig.
Er bewegte sich nicht. Ein kühler Lufthauch strich über Kais Schultern. Arthur würde ihn nicht verlassen. Das wusste er plötzlich. Er würde sich seinen Eltern entgegenstellen und sagen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten, weil er Kai liebte und sie nur noch fünf Tage zusammen hatten und …
Er war so überzeugt davon, dass er sich wirklich wunderte, als Arthur den Mund öffnete und ganz andere Worte herausdrangen.
»Das ist nicht …«, stotterte er. »Wir haben nicht … Das war nur Spaß, das … Wir sind doch nicht schwul. Oder, Kai?«
Sein bittender Blick war das Schlimmste. Die verräterischen Augen, die Kai flehend ansahen.
»Es ist mir scheißegal, was ihr da veranstaltet!«, brüllte sein Vater. »Raus aus dem Pool, sofort!«
Und Arthur gehorchte. Kais Herz fühlte sich an, als würde es aufgeschlitzt. Er sah den runden Rücken, der sich von ihm entfernte. Die Wassertropfen darauf glitzerten immer noch.
Ihm war schlecht. Er wollte heulen, schreien, Arthur anflehen, dass er dablieb, hier, bei ihm, dass er diese Worte zurücknahm. Aber Arthur kletterte aus dem Pool, nackt und hilflos.
»Zieh dir was an«, zischte seine Mutter. »Das ist ja ekelhaft. Was habt ihr euch dabei gedacht?«
Arthur antwortete nicht. Wie ein Zombie stieg er in die Hose, ohne sich abzutrocknen. Er streifte das Shirt über. Die Sachen klebten ihm sofort am Leib.
»Und jetzt ins Auto mit dir!« Seine Mutter packte ihn am Ohr und zerrte ihn hinter sich her. Das Letzte, was Kai von ihm sah, war ein verzweifelter Blick. Dann verschwand er hinter dem Poolrand.
Er hörte eine Tür knallen. Immer noch konnte er sich nicht bewegen. Das Wasser gluckerte um ihn herum. Arthurs Vater sah ihn an. Kai spürte den Ekel hinter den dunklen Brillengläsern schwelen.
»Verschwinde von hier«, knurrte Arthurs Vater. »Oder ich rufe die Polizei.«
Arthur hat mich eingeladen, wollte Kai sagen. Ich darf hier sein. Er hat mich eingeladen und er liebt mich.
Aber das wäre eine Lüge gewesen.
Er stieg aus dem kalten Wasser in die zu heiße, böse flirrende Luft. Egal. Alles egal.
Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle. Arthurs Vater beobachtete ihn und zum ersten Mal fühlte er sich wirklich nackt. Nackt und verletzlich. Er packte seine fadenscheinigen Klamotten und hätte sie fast fallengelassen, weil Arthurs Vater ihn im Nacken packte wie einen Hund.
Er wurde durch die Eingangshalle gezerrt, über die glatten Fliesen. Ein harter Stoß schleuderte ihn in den Kies der Einfahrt. Steinchen gruben sich in die zu mageren Knie. Als er aufblickte, sah er Arthur. Arthur, der neben seiner Mutter am Auto stand, einem schwarzen Aston Martin, und ihn anstarrte.
Hilf mir, dachte Kai, aber in Arthurs blassem Gesicht war nichts als Panik.
Der Kloß füllte Kais ganze Kehle aus, dehnte sich weiter und die Sicht verschwamm.
Mist, Mist, Mist …
»Arthur«, schluchzte er, aber da packte ihn eine Pranke, diesmal in den Haaren und schleuderte ihn vorwärts.
»Verschwinde endlich!«
Kai stolperte die Einfahrt herunter, durch den Kies, nackt, die Klamotten in den Händen. Er heulte und heulte. Er heulte immer noch, als er sich längst auf der Straße befand. Schluchzend streifte er die Hose über. Die restlichen Sachen behielt er in der Hand.
Der Asphalt war so heiß, dass er sich die Fußsohlen verbrannte. Aber seine Schuhe waren irgendwo in dieser blöden Villa und dahin würde er nie mehr zurückkehren. Nie mehr.
Als er sich endlich umsah, war die Villa längst aus seinem Blickfeld verschwunden. Da waren nur noch die Straße und der düstere Wald.