Читать книгу Heiße Keramik - Regina Mars - Страница 11
7. Gefährliche Mitte
ОглавлениеEs dröhnte. Und … wuschte. Ja, doch. Er kannte das Geräusch. Irgendwoher. Erst so ein anschwellendes Surren, ein hoher Ton, wie eine schlecht gestimmte Flöte oder so. Und dann Booom! Als würde ein Laster an ihm vorbeifahren.
»Moment mal«, krächzte Robin. »Das ist ein Laster.«
Er öffnete ein Auge und war blind. Mist. Helle Sterne funkelten hinter seinem Augenlid. Genau in die Sonne geschaut. Scheiß-Sonne. Nun, immerhin wärmte sie seine Haut. Das Gestrüpp unter seinem nackten Rücken war fies und stachelig, aber seine Vorderseite … Warm schien es auf seinen bloßen Bauch, wärmte die Arme, die Beine, den Schwanz, einfach alles …
Er war nackt?
Nackt und … Laster. Schlechte Kombination. Robin ächzte leise und erhob sich. Sofort kam ein drittes Gefühl dazu: Ihm war kotzübel. Er schaffte es gerade noch, sich zur Seite zu drehen, bevor er in die Disteln reiherte. Säure schoss aus seinem Mund und verätzte seine Lippen.
»Oh Gooott …« , stöhnte er.
»Auch wach, Goldjunge?« Ein knackiger Hintern lehnte an der Leitplanke. Leider befand sich ungefähr einen Meter über dem Hintern ein Kopf. Ein Kopf, dessen Wangen ein bläulicher Bartschatten zierte, obwohl sie gestern noch spiegelglatt geglänzt hatten. Der blöde Primat sah ihn müde an.
Leitplanke. Leitplanke war auch nicht gut.
Robin würgte ein letztes Mal, dann erhob er sich. Es roch scheußlich und nicht nur, weil sein Mageninhalt ihm durch die Nase gelaufen war. Benzin lag in der Luft. Viel zu nah. Er konnte kaum atmen.
Wusch
Wusch
Wusch
Autos schnellten vorbei, so rasant, dass er sie nur als farbige Schemen wahrnahm. Autos und Laster. Auf beiden Seiten.
»Wie sind wir auf dem Mittelstreifen einer verdammten Autobahn gelandet?«, brüllte er gegen den Lärm an. »War das deine Idee?«
»Keine Ahnung!« Zu Bekräftigung hob der Keramiker die Hände. Ja, er war nackt. Splitternackt. Genau wie Robin. »Ich kann mich an nichts erinnern!«
Oh, verdammt. Warum waren sie nackt? Was war geschehen? Hatten sie … War dieser Primat über ihn hergefallen? Oder Robin über ihn?
Das wäre zu schön, dachte Robin. Mist, warum habe ich alles vergessen?
»Wir waren in der Wachtelwirtin!«, rief er. »Und dann … dann hast du gesagt, wir sollten baden gehen!«
»Stimmt, im Lummersee!« Besorgnis huschte über Gordans Gesicht. Das stand ihm. Überhaupt war er ziemlich schön anzusehen. Ein Körper wie eine Herakles-Statue. Und diese hellen Augen unter der dunklen Matte seines Schopfes … Nett. »Das war eine Scheißidee! Im See ersaufen dauernd Leute! Vor ein paar Jahren hat’s einen Kumpel von einem Kumpel erwischt! Sorry, Kleiner!«
»Wenn es dir wirklich leidtut, dann hör auf, mich Kleiner zu nennen!«
»Okay, Robin.« Träges Grinsen. Weiße Zähne blitzten in der Morgensonne. Doch, sehr attraktiv. Selbst die getrocknete Kotze in den Brusthaaren trübte den Eindruck nicht. Robin stellte sich neben Gordan an die Leitplanke und sah dem morgendlichen Tummeln der Laster zu. Ihm war immer noch schlecht.
»Wie kommen wir hier runter?«, rief er. »Der Verkehr ist zu dicht!«
»Jou.« Gordan seufzte wohl, aber ein Laster schluckte das Geräusch. »Müssen auf Rettung warten.«
»Rettung?«
»Na, es hat uns bestimmt schon wer erspäht. Zwei Prachtkerle wie uns übersieht man nicht und schon gar nicht, wenn sie nackt sind. Die Polizei wird gleich da sein!«
»Die Polizei?!« Robins Stimme kippte. »Aber …«
Nein. Betrübt setzte er sich und wurde sofort von einer Distel gepikst. Nicht schon wieder. Vater würde ihn … Er sah auf die verstaubte Leitplanke vor sich. Selbst der gutaussehende, nackte Kerl, der an ihr lehnte, hob seine Stimmung nicht. Na gut, ein wenig.
»Schon wieder«, murmelte er. »Vater bringt mich um.«
Roman würde sich totlachen. Und seine anderen Geschwister würden betreten schweigen, wenn … wenn Vater ihm eine Standpauke halten würde, weil er der Familie schon wieder Schande bereitet hatte.
»Glaubst du, das kommt in den Nachrichten?«, fragte er, so leise, dass Gordan »Hä?« schrie. Er schüttelte den Kopf. Was für ein Scheiß. Fahrtwind wirbelte durch das Unkraut des Mittelstreifens und schoss durch seine Frisur. Wie die wohl aussah? Furchtbar, vermutlich. Nun, der Keramiker sah … Nein, der sah gut aus, obwohl ihm Disteln in den Haaren hingen. Er schaute auf Robin herunter.
»Musst du nochmal kotzen?«, rief er. Wirkte fast besorgt.
Robin schüttelte den Kopf, obwohl er nicht sicher war.
»Können wir abhauen?«, brüllte er. »Irgendwie? Wenn meine Familie mitkriegt, dass ich …«
Da hörte er es. Sirenengeheul. Das Wusch Wusch Wusch verstummte. Die Sirene kam näher.
»Nein.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. Sein Kopf dröhnte und der schrille Schmerz hinter den Schläfen konnte ihn nicht davon ablenken, was für ein Versager er war.
***
Später, nachdem die Polizisten Gordan und ihn von dem begrünten Mittelstreifen herunter bugsiert hatten, nachdem sie sie an den See gefahren hatten, an dem sie ihre Kleider fanden und an den Robin sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, rief er seinen Vater an. Sein Handy war noch in seiner Hosentasche. Immerhin gab es keine Taschendiebe in Lummerdingen.
»Musste das sein?«, war alles, was sein Vater sagte.
»Es tut mir leid.« Robin warf einen verstohlenen Blick auf Gordan, der in seine Hose stieg. Er wirkte elender, als Robin auf den ersten Blick angenommen hatte. Bleich, mit lila schimmernden Augenringen. Aber immer noch attraktiv … Nein! Er sollte sich verdammt nochmal konzentrieren! »Vater, es tut mir wirklich leid. Ich … Was soll ich tun?«
»Nichts.« Gernot Wilhelm von Romberg-Krieger klang müde. »Bleib erst mal in … Wo bist du?«
»Lummerdingen.« Robin schluckte. »Aber ich bin morgen pünktlich auf der Arbeit, wenn du …«
»Bleib erst mal da. Roman kümmert sich um die Polizei. Ich melde mich, wenn es Neuigkeiten gibt.«
»Aber …«
»Robin. Wir brauchen dich hier nicht.«
Nein, natürlich nicht. Er hatte keine speziellen Fähigkeiten. Nichts, was nicht jeder andere in der Firma hätte tun können.
»Vater? Bin ich gefeuert?«
Schweigen. »Was denkst du? Natürlich bist du gefeuert!« Wow. Einen Moment lang war sein Vater richtig laut geworden.
»Oh. Aber ich kann doch …«
»Nichts kannst du. Gar nichts.« Und dann war da nur noch ein Tuten.
Schale Enttäuschung schwappte in Robins Magen. Natürlich war er gefeuert. Natürlich. Jetzt würde Vater sich wieder darum kümmern müssen, dass nichts zur Presse durchdrang … Was nicht einfach werden würde, wenn auch nur einer der Vorbeifahrenden sie mit dem Handy gefilmt hatte. Hoffentlich war es zu schnell gegangen, als dass jemand sein Handy hätte zücken können. Hoffentlich.
Wie die Schlagzeile wohl lauten würde?
Adelsspross enttäuscht erneut Familie! Heißes Techtelmechtel auf dem Autobahnstreifen! Wer ist der geheimnisvolle Affenmensch, mit dem er erwischt wurde?
Wobei, so behaart war der Kerl nicht. Nur an den richtigen Stellen. Und es stand ihm.
Trübselig zog Robin seine klammen Sachen an. Sie hatten die halbe Nacht am Seeufer gelegen und rochen nach Moder und Tau.
Schweigend wurden sie zurück kutschiert. Also, Robin und Gordan schwiegen. Die Polizistin und ihr Partner machten ihnen abwechselnd Vorhaltungen. Sie hatten ja recht. Es war lebensgefährlich, nachts besoffen im See zu baden. Es war selbstmörderisch, nackt über die Autobahn zu taumeln. Wie waren sie da hingekommen? Robin erinnerte sich düster, dass … Nein, da waren nur winzige Ausschnitte. Der Weg zum See. Nasse Muskeln im Mondlicht. Helle Augen, die näherkamen …
War da doch etwas gelaufen? Er durchwühlte sein Hirn, konnte sich aber auf nichts konzentrieren. Und Gordan konnte er nicht fragen, vor den beiden Polizisten. Die Gordan übrigens kannten.
»Als du jung warst, hab ich noch ein Auge zugedrückt. Aber jetzt?« Die Frau sah ihn strafend an. Robin beachtete sie glücklicherweise nicht. »Mann, Gordan, du bist auch keine sechzehn mehr. Was soll das? Nur, weil dein Kerl weg ist?«
Gordan sank in die Sitze und schaute kurzzeitig wie ein verstockter Teenager. Dann seufzte er.
»Hast recht, Miriam. Ja, ich weiß.« Er wandte sich zu Robin um. »Sorry. Das war meine Idee, so viel weiß ich noch.«
»Ich hab ja mitgemacht«, murmelte Robin. »Schon gut.«
Egal, was Vater sagte, er musste weg von hier. Von diesem blöden Keramiker. Von diesen beiden Polizisten, die ihn nackt gesehen hatten. Wahrscheinlich hatte halb Lummerdingen ihn im Vorbeifahren gesehen. Wie viel hatte die Leitplanke verdeckt? Ja, ganz definitiv musste er weg. Sofort.
***
Kaum hatte er sein Hotelzimmer betreten, zerrte er schon sein Reisegepäck hervor. Gut. Duschen, umziehen, verschwinden. Seufzend warf er einen Blick auf die glatte Bettdecke. Es wäre so viel bequemer gewesen, hier zu schlafen statt in den Disteln. So viel gemütlicher. Irgendetwas nagte an seinem Unterbewusstsein, aber er kam nicht darauf.
Erst unter der Dusche fiel es ihm wieder ein. Zumindest ein paar Bruchstücke mehr.
Das kühle Wasser, das seine verkratzte Haut benetzte und in Sekundenschnelle reinspülte, klärte seinen Geist. Er erinnerte sich, etwas gesagt zu haben. Zu Gordan, der bis zur Hüfte im Wasser gestanden hatte.
Kannst du nicht so tun, als wäre ich er? Ich würde es gern wissen, nur einmal. Wie es ist …
Das Blut schoss in seine Wangen, je mehr Fetzen an die Oberfläche geschwemmt wurden.
Wie es ist, geliebt zu werden.
»Oh, verdammt«, stöhnte er und lehnte die Stirn gegen die Kacheln. Wasser prasselte auf seinen Rücken, aber es half nicht länger. Es schmerzte wie Nadelstiche.
Gordan hatte ihn geküsst. Es war nur ein einziges Bild, nein, ein Gefühl, ein Sekundenbruchteil. Weiche Lippen, kaltes Wasser um seine Schenkel, harte Hände in seinen Haaren, Plätschern, Summen, Sirren und dieser Geruch … Dieser herbe Geruch, in dem er versinken wollte.
Brennend vor Scham griff er nach dem Duschgel. Er benutzte die halbe Packung, um mit dem Lavendelgeruch die Erinnerung an diesen anderen zu überdecken. Es funktionierte nicht. Obwohl ihm immer noch übel war, wurde er hart.
»Was für einen peinlichen Scheiß habe ich dir erzählt, Gordan?«, flüsterte er und rieb gedankenverloren seinen Schwanz ein, der gleich weiter anschwoll. Ein paar Griffe später beschloss er, dass er es jetzt auch zu Ende bringen konnte. Bilder von Dingen heraufbeschwörend, die so ähnlich gestern bestimmt geschehen waren, wichste er sich. Er sah Gordan, der ihn angrinste. Dem das kalte Wasser über das Gesicht lief. Der langsam vor ihm niederkniete, immer noch lächelnd, dessen raue Pranken an Robins Seiten herunterfuhren.
Sein Stöhnen hallte von den Wänden der Dusche wider. Er biss sich auf die Lippen, um es zu unterdrücken. Wie viel hörte man in diesem Kasten? Dann wurde es ihm gleichgültig.
Ich bin eh so gut wie weg, dachte er und warf den Kopf in den Nacken. Eine Hand gegen die kühlen Kacheln gelehnt, die andere hektisch reibend, stöhnte er, dass die Wände der Kabine zitterten. Die Glut in seinem Inneren wurde zu einer Feuerwalze, die durch seinen Körper rollte. Mit einem letzten Ächzer kam er. Sein Samen schoss gegen die Kacheln und lief träge daran herunter. Bebend verfolgte er den Weg mit den Augen.
»Gut«, seufzte er. »Das wäre auch erledigt. Jetzt kann ich aufbrechen.«
Nur, dass sein Vater gesagt hatte, er sollte bleiben. Hatte er das ernst gemeint? Robin grübelte darüber nach, während sein Samen im Abfluss versickerte, zusammen mit einem Berg Lavendelschaum.
»Aber wenn ich nicht heimkomme, kann ich mich nicht entschuldigen. Also nicht richtig.« Wieder zögerte er. »Und hierbleiben kann ich nicht. Nicht, wenn dieser Gordan …«
Erinnerte Gordan sich daran, was Robin ihm erzählt hatte? Was genau er im See gelabert hatte, wusste er selbst nicht so genau, aber seine Worte aus der Wachtelwirtin prangten scharf gestochen in seinem Gedächtnis. Na ja, so halb. Irgendwas darüber, dass er zu glatt und nichtssagend war, um geliebt zu werden. Dabei stimmte das gar nicht. Er sah total gut aus, jawohl! Das hatten ihm zahlreiche schöne Männer ins Ohr geflüstert. Zahlreiche Männer, deren Augen aufgeleuchtet hatten, als sie seinen Namen gehört hatten. Männer, die unweigerlich mit unschlagbaren Deals ankamen, die er seinem Vater schmackhaft machen sollte. Männer, die von einem bequemen Leben an der Seite eines reichen Erben träumten.
Gut, es waren nicht alle so gewesen. Die anderen hatten so getan, als sei er, einmal benutzt, nichts mehr wert und hatten sich dem nächsten zugewandt. Egal, wie viel Mühe er sich gegeben hatte. Nun, irgendwann hatte er sich auch keine Mühe mehr gegeben. Irgendwann war es ihm egal gewesen und Sex war zu einem Sport geworden, den er zwar ausgiebig, aber halbherzig betrieb …
Woher kamen diese trübseligen Gedanken?
»Vielleicht daher, dass ich es schon wieder verbockt habe«, murmelte er. Langsam setzte er sich auf die frisch duftende Bettdecke. Wasser rann aus seinen nassen Haaren, lief den Rücken hinunter und kitzelte die Haut.
Es würde so laufen wie immer. Er würde sich entschuldigen, eine neue Chance bekommen, sie versauen, alle würden den Kopf über ihn schütteln, er würde sich wieder entschuldigen …
Seufzend warf er sich in die Kissen und starrte an die Decke. Ein überraschend gut gemalter Himmel mit watteweichen Wolken starrte zurück. Engelchen flatterten um den Stuck herum.
Wenn er hierblieb, musste er Gordan unter die Augen treten. Ob er wollte oder nicht. So klein, wie die Stadt war … Er würde ihn unweigerlich wiedertreffen. Aber Robins Vater hatte befohlen, dass er bleiben sollte. Vielleicht, wenn er einmal dem Befehl folgte, dann würde der …
»Stolz wird er nicht sein«, überlegte Robin laut. »Aber wenigstens besänftigt. Das ist wohl das Beste, was ich gerade …«
Er zögerte. Ein Gefühl, das er lange nicht mehr gespürt hatte, entfaltete sich in seiner Brust: Trotz. Nein, er würde nicht abhauen wie ein Feigling. Nur, weil die halbe Stadt ihn nackt gesehen hatte und weil er vor Gordan einen peinlichen Seelenstriptease hingelegt hatte. Nein. Er würde auch nicht ausharren, bis ihm erlaubt wurde, mit eingekniffenem Schwanz zurückzukehren. Er würde sein Heim mit erhobenem Kopf betreten, eine Plastik in jeder Hand. Plastiken von Gordan Klingenschmied, dem geheimnisvollen Künstler. Wenn der alte Primat so stur sein konnte, seinen Ex nach zwei (!) Jahren immer noch zu lieben, dann konnte Robin stur genug sein, ihm ein paar Plastiken aus den Rippen zu leiern.
»Ja, das kann ich«, sagte er entschlossen und stand auf. »Sofort.«
Spätestens, nachdem er sich angezogen und gefrühstückt hatte.