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2. Blonder Trottel

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*** Fast drei Monate später ***

Der blonde Trottel stand plötzlich in Gordans Werkstatt und schaute, als würde er sich in einer exklusiven Galerie umsehen.

Hochnäsiger kleiner Scheißer, dachte Gordan, bevor der Snob auch nur ein Wort gesagt hatte. Und als er sprach, bestätigte er Gordans Meinung von ihm nur.

»Ich bin hier, um Ihnen ein Angebot zu machen.« Gestochen scharfe Aussprache, unterlegt mit der Arroganz, die alles an dem Mann überzog wie Gestank.

»Kein Interesse«, sagte Gordan und knallte einen Tonklumpen auf die Werkbank. Mit einem satten »Platsch« verformte er sich und spritzte einen winzigen Fleck auf die Krawatte des Eindringlings. Der zuckte nicht. Immerhin.

In der schäbigen Keramikwerkstatt war er ein Fremdkörper, genau wie in der schäbigen Kleinstadt, in der sich die Werkstatt befand. Glänzend wie ein polierter Edelstein auf brüchigem Kopfsteinpflaster. Die Bügelfalten seines Anzugs waren scharf wie Rasierklingen, die Haut sonnengebräunt und das Gesicht glatt, perfekt und langweilig. Gordan schätzte ihn auf Anfang zwanzig.

Der Duft teuren Parfüms waberte durch die erdig-staubige Luft. Kein Geräusch war zu hören, während sie sich musterten wie zwei Hirsche vorm Revierkampf. Und es war Gordans Revier. Gordans vollgestelltes Revier, an dessen Wänden sich die Tonschalen und -tassen in Holzregalen stapelten und in dem sich die Sommersonne so staute, dass er selbst im Unterhemd schwitzte wie ein Schwein. Der arrogante Jüngling schwitzte auch, wie Gordan zufrieden feststellte. Ein schimmernder Film lag auf der glattpolierten Haut.

»Kein Interesse?«, wiederholte der Goldjunge, als Gordan keine Anstalten machte, das Schweigen zu brechen. Er nickte bedächtig.

»Überhaupt keins. Scher dich raus, Kleiner.« Gordan wäre netter gewesen, wenn … wenn nicht seit Monaten alles schieflaufen würde. Seit Jahren. Wenn er nicht heute Morgen einen Brief an der Werkstatttür gefunden hätte, in dem sein Vermieter fragte, wann genau er die Miete zahlen wollte. Wenn er gewusst hätte, wie lange er noch Strom hatte, um den Brennofen anzutreiben. Wenn er nicht diese nagende Panik im Bauch gespürt hätte, wie eine Ratte in einem zu engen Käfig, die kurz davor ist, sich selbst zu verzehren. Wenn er nicht mit Anfang vierzig, absolut nichts erreicht hätte.

»Kleiner? Ich bin größer als Sie«, sagte der Goldjunge und bewies, dass er doch ein bockiger Junge war, trotz des Markenanzugs und der breiten Schultern. »Und Sie sollten sich mein Angebot anhören.«

»Nein.« Gordans verdammte Neugier hob nun doch den Kopf. »Mit wem rede ich überhaupt?«

»Robin von Romberg-Krieger.« Weiße Zähne blitzten. »Sie haben mit meinem Bruder gesprochen. Letzte Woche.«

Als könnte Gordan sich daran nicht erinnern. »Der war ein Schleimbeutel.«

Dunkles Lachen erfüllte die Werkstatt. Ein seltener Laut, seit Tilmann ausgezogen war. Ließ den Goldjungen menschlicher wirken.

»Roman war nicht sehr glücklich über Ihr Gespräch.« Er steckte die Hände in die Hosentaschen und wippte vor und zurück. Seine Armbanduhr glitzerte. »Und nun, da ich Sie kennengelernt habe, kann ich mir vorstellen, warum.«

»Du hast mich noch nicht kennengelernt. Und das willst du auch nicht.« Gordan griff in den Tonklumpen. Kühle, sämige Masse drang zwischen seinen breiten Fingern hervor. Was wollte er nochmal damit? Ach ja: Henkel für die Spitzmaus-Tassen formen. Dreizehn Stück würde er auf den Markt mitnehmen, genug, um die Miete für den Juni zu zahlen. Leider war schon August. »Hau ab, Goldjunge.«

»Ich bin auch kein Junge.« Fehlte nur noch, dass der Kleine die Unterlippe vorschob. »Und mein Angebot ist gut, glauben Sie mir.«

»Sicher. Raus hier.«

»Ich verschwinde, wenn ich gesprochen habe.«

Gordan lachte. »Sie können sprechen, junger Herr. Aber ich hab keine Lust, zuzuhören.«

»Aber …« Immer noch wippte der Trottel vor und zurück. Ein Kind, das so tat, als sei es ein Mann. Fast erinnerte er Gordan an sich selbst, vor langer Zeit.

Ich war auch ein Trottel. Deshalb ist der hier ja so schwer zu ertragen.

Gordans tonbeschmierter Finger zeigte auf die Tür. Viel Hoffnung hatte er nicht, dass der Befehl befolgt werden würde. Und er hatte recht.

»Mein Bruder hat Sie gebeten, uns eins Ihrer Kunstobjekte zur Verfügung zu stellen. Für die Romberg-Krieger-Galerie. Ihre Plastiken waren die Sensation des letzten Jahres und wir würden uns wirklich sehr geehrt fühlen, wenn Sie uns weitere überlassen würden.«

»Klar. Schau dich um. Such dir was aus.« Gordan deutete mit dem Kopf auf die überquellenden Regale voller Geschirr in der Form von Eulen, Hamstern und Regenwürmern. Der Goldjunge lieferte sich ein Blickduell mit einer Gürteltier-Kanne und runzelte die Stirn.

»Das ist nicht ganz das, was ich im Sinn hatte. Wo ist die Kunst?«

»Das ist Kunsthandwerk«, brummte Gordan.

»Ja.« Klang verächtlich. »Verkaufen Sie viel davon?«

»Genug, um die Miete zu zahlen.« Manchmal.

»Sehen Sie?« Der Goldjunge strahlte. »Mit einer neuen Plastik würden Sie nicht nur die Miete zahlen können. Noch ein paar wie die vom letzten Jahr und Sie können sich ein richtiges Haus kaufen.«

»Ich will kein Haus.«

»Eine Wohnung?«

»Brauch ich nicht.«

»Offensichtlich. Da liegt ein Schlafsack unter Ihrer Werkbank.«

Gordan ärgerte sich, dass er das Ding nicht woanders verstaut hatte. Dieser kleine Scheißer musste nicht wissen, wie pleite er war. Und wie lange er schon hier pennte, sich notdürftig am Waschbecken säuberte und am Wochenende zu seiner Schwester fuhr, um zu duschen und sich Vorwürfe anzuhören.

Wenn du nicht so besessen von der Arbeit wärst, wäre Tilmann noch da. Du hast ihn ja komplett aus deinem Leben ausgeschlossen. So wie alle anderen auch, während du in deiner Werkstatt gehockt hast.

Er verdrängte den Gedanken. Er musste im Jetzt leben, auch wenn da leider ein nerviger Snob in seiner Werkstatt stand. Gordan sah auf.

»Goldjunge. Verschwinde oder ich werf dich raus.«

»Warum sollten Sie das tun?« Ein Lächeln, das vermutlich charmant wirken sollte. Gordan hatte keine Zeit für Charme.

»Weil ich es kann. Oder hast du irgendeinen Zweifel daran?« Er richtete sich auf und ließ die Schultern kreisen. Er wusste, dass die Muskeln sich unter seinem Shirt wölbten, und dass seine bloßen Arme Baumstämmen glichen. Dunkel behaarten Baumstämmen. Und da er keinen Spiegel besaß, war sein Gesicht gerade ein Stoppelfeld.

Leichte Zweifel erschienen auf der glatten Miene. Leider verschwanden sie sofort, um einem Lächeln Platz zu machen.

»Das meinen Sie doch nicht ernst.« Und dann ging der blonde Mistkerl um Gordan herum und legte die Hand an die Klinke der Besenkammer.

»Wo ist die Kunst? Hier drin versteckt?« Er rüttelte an der Klinke und Gordan beglückwünschte sich selbst dazu, abgeschlossen zu haben.

Mit drei Schritten war er bei dem Blonden und packte ihn um die Taille. Erstaunlich schwer, der Trottel. Er wirbelte ihn herum, bis das Gewicht über seiner Schulter hing und stapfte auf die Tür zu.

»He! He, was machen Sie da?!« Der Snob wand sich wie ein Wurm. Wie ein elastischer, muskulöser Wurm. Der Körper, der versuchte, sich von Gordans Schulter zu schlängeln, war trainiert. Aber nicht trainiert genug.

»Ich hab dir gesagt, dass ich dich rausschmeiße«, sagte Gordan gleichmütig und öffnete die Tür zu seiner Werkstatt.

»Ja, aber … Sie blöder Vollarsch!« Nun versuchte der Kerl ernsthaft, von Gordan runter zu kommen. Sie schwankten. Nur einen Moment lang, dann hatte Gordan ihn wieder im Griff. Und seine Hand hatte den Arsch des Kleinen im Griff, was nicht geplant gewesen war. Schnell raus mit dem Ballast! Über den Hof und ab durch den Flur.

Klappernde Absätze und schlurfende Turnschuhe bewegten sich über das Kopfsteinpflaster. Schaufenster glänzten in der flimmernden Hitze. Die Fußgänger schauten erstaunt, als Gordan aus der schiefen Eichentür trat, den Snob auf der Schulter.

»Loslassen, verdammt!«, brüllte der.

»Zu Befehl.« Mit einer Drehung warf Gordan ihn auf die krummen Pflastersteine. Der Snob landete elegant, rollte sich ab und kam zum Sitzen. Tonmatsch bedeckte seinen dunkelgrauen Anzug, der von Gordan auf ihn abgerieben hatte. Vermutlich war da auch ein Handabdruck an seinem Hintern.

»Sie blöder Affe! Ich zeige Sie an!« Der Kopf des Blonden war dunkelrot.

Er wurde noch dunkler, als er merkte, dass sie Zuschauer hatten. Gordans Werkstatt lag im Hinterhof eines schiefen Fachwerkhauses, das in der Fußgängerzone von Lummerdingen stand. Und die war gut besucht. »Ja, ich verklage Sie! Darauf können Sie sich verlassen! Ich komme mit meinem Anwalt wieder!«

»Klar, weil bei mir ja so viel zu holen ist.« Gordan verdrehte die Augen.

Er achtete darauf, die Werkstatttür hinter sich zu verschließen, als er in sein Reich zurückkehrte. Normalerweise war sie offen, damit er in der Sommerhitze nicht erstickte. Aber den kleinen Snob wollte er auf gar keinen Fall wieder an der Backe haben … Er schluckte. Das Gefühl, eine sehr ansehnlich geformte Arschbacke unter der Handfläche zu spüren, kam zurück. Aber das war keine Absicht gewesen. Das war nur, weil der Trottel sich gewehrt hatte! Schlechtes Gewissen kroch durch Gordans Brust.

Na ja, das war ein Versehen. Und es ist ja nicht so, als würde ich Tilmann damit betrügen. Der ist ja längst weg.

Vorletztes Jahr hatte sein Ex sich verabschiedet. Und war gleich darauf mit Gordans altem Schulfeind Louis zusammengezogen. Louis, der Angeber, der früher immer die geilsten Matchbox-Autos gehabt hatte. Und die neusten Spiele, und beim Fußball hatte er auch immer die teuersten Schuhe gehabt. Louis war sich treu geblieben: Inzwischen hatte er eine Villa am Stadtrand, die die roten Dächer von Lummerdingen überblickte. Und ein Managergehalt. Und einen Pool. Und Tilmann.

Die hohle Stelle in Gordans Brust, wo Tilmann einmal gewohnt hatte, schmerzte. Rotblonde Haare und ein verschmitztes Grinsen kamen Gordan in den Sinn.

Hallo Künstler, hatte Tilmann gesagt, damals, als …

Ein Klopfen an der Tür. Sekundenschnell wurde es zu einem Hämmern. Dumpf hallte es durch die stickige Werkstatt.

»Herr Klingenschmied!« Der Snob.

»Bin nicht da!«, bellte Gordan.

»Ihre billigen Witze können Sie sich in die Haare schmieren!« Huch, der war sauer. Immerhin siezte er Gordan noch. »Sie hören sich jetzt mein Angebot an!«

»Junge.« Gordan stellte sich direkt vor die Tür, so, dass er kaum die Stimme heben musste, um auf der anderen Seite verstanden zu werden. »Du verpisst dich. Sofort, oder ich zieh dir die Hose runter und versohl dir den Hintern. Draußen, in der Fußgängerzone.«

Schweigen. Er hörte nichts als das Knacken des alten Hauses, das Knacksen des Ofens und das Rascheln unbezahlter Rechnungen. Lieblich.

»Das tun Sie nicht.« Klang, als wäre der Snob sich da nicht sicher.

»Und wie ich das tue. Bis dein Arsch rot wie eine Mohnblume ist.«

Erneutes Schweigen.

»Das ist mir egal«, sagte der Blonde. »Vielleicht steh ich ja drauf.«

»Was?«

»Ja, woher wissen Sie, dass öffentliche Demütigung nicht mein Fetisch ist? Eventuell tue ich das hier nur, um Sie zu provozieren.«

Gordan lachte. Er war so ungeübt darin, dass es in einem Husten mündete. »Dafür, dass du darauf stehst, hast du dich eben ganz schön aufgeregt.«

»Das … gehört zu meinem Fetisch.«

»Sag mal, Kleiner, wo genau endet diese Unterhaltung in deiner Vorstellung? Wie willst du vom Arschversohl-Fetisch zu dem Punkt kommen, an dem ich dir eine Plastik töpfere?«

Schweigen. Und diesmal hielt es richtig lange. Als er wieder sprach, war es so leise, dass Gordan ihn kaum verstand.

»Bitte. Bitte, Herr Klingenschmied. Es ist wirklich wichtig für mich.«

Hä? Gordan ächzte.

»Junge. Verschwinde. Ich hab zu tun.«

Erst fürchtete er, dass der hartnäckig bleiben würde. Aber dann knarzten die morschen Bretter, die über den Rasen führten. Schließlich klappte die Hoftür. Der Blödmann war weg.

Gordan atmete auf. Tief sog er die Luft in seine Lungen, die abgestanden und viel zu heiß war. Die ganze Werkstatt war zu heiß. Durch die rechte Wand, die zur Hälfte aus Fenstern bestand, knallte Sonnenlicht. Gordan öffnete eins der Fenster und ließ frische, zu heiße Luft in den Raum. Wann hörte diese elende Hitzewelle endlich auf? Zusammen mit seinem Brennofen schraubte sie die Temperaturen hier ins Unerträgliche. Und seinen Körpergeruch ebenfalls. Misstrauisch schnüffelte er an seinen Achseln und bereute es sogleich.

Sah aus, als wäre es Zeit, seine Schwester zu besuchen.

Heute Abend, dachte er. Wenn die Spitzmäuse fertig sind. Solange muss ich es noch mit mir selbst aushalten.

Egal, wie schwer es ihm fiel.

Heiße Keramik

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