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5. Gepflegte Unterhaltung

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Warum war der behaarte Affe plötzlich freundlich? Okay, nicht freundlich, aber ganz umgänglich. Er ließ Robin sogar vorne im Taxi sitzen, das sie zurück in die Innenstadt fuhr. Robin fragte sich, wie der Primat hergekommen war. War er etwa gelaufen?

»Kannst uns hinter der Wachtelwirtin absetzen, Ludwig?«, fragte der und nickte dem Taxifahrer zu. »Der Kleine spendiert mir ein Bier.«

Der Taxifahrer sagte nichts, aber ein amüsiertes Schmunzeln lag unter seinem Bärtchen. Frechheit. He, Moment mal! Das war ja der Kerl aus der Wachtelwirtin!

»Der Kleine hat einen Namen«, sagte Robin. »Und er ist höflich genug, Sie zu siezen, Herr Klingenschmied. Sie sollten ihm die gleiche Ehre erweisen.«

»Nö.« Wie dieser Höhlenmensch sich auf dem Rücksitz lümmelte! »Kannst mich ja duzen.«

»Gerne, Gordy. Wie nett von dir.« Robin grinste.

Der Blödmann grinste zurück, das sah er im Rückspiegel. »Gordy hat mein Ex mich genannt. Für dich Gordan.«

Robin überlegte, ihn doch Gordy zu nennen, aber dann hätte der Affe vielleicht gedacht, dass er interessiert daran sei, den Platz seines Exfreundes einzunehmen. Was für ein absurder Gedanke. Natürlich nicht. Gut, mal mit dem Primaten im Bett zu landen, wäre bestimmt amüsant, und mit seinen Pranken konnte er auch gut zupacken, wie er an dem Ton heute Mittag bewiesen hatte. Und an Robins Arsch … Nein! Er würde nicht mal an Sex denken! Diesmal würde er nicht alles versauen. He, versauen.

»Gordan also«, sagte er, mit einiger Verspätung. Zumindest kam es ihm verspätet vor. Vielleicht waren die dreckigen Gedanken in Lichtgeschwindigkeit durch seinen Kopf gerast. »Und der Nachtisch, den wir wegen dir verpasst haben, war auch schottisch. Hast du Verwandte auf der Insel?«

»Meine Mum ist aus Lanark.« Gordan sah aus dem Fenster. »Sie ist vor fast vierzig Jahren hergekommen. Hat Dad so ziemlich sofort kennengelernt und war noch schneller schwanger. Wir waren früher öfter in Schottland, unsere Großeltern besuchen. Aber die sind tot.«

»Und seitdem waren Sie … warst du nicht mehr in Schottland?«

»Nein. Warum auch?«

»Wegen der Landschaft?«

Gordan schaute amüsiert. »Klar. Ich steh auf Landschaft.«

»Ich dachte nur. Du versprühst einen gewissen Holzfällercharme.« Was laberte er da? »Und mit Charme meine ich Gestank.«

»Stehst du auf Holzfäller, Kleiner?«

»Robin. Und ja, unter anderem stehe ich auf Holzfäller. Außerdem auf Feuerwehrmänner, Polizisten, Geschäftsmänner, Stripper, Elektriker, Finanzbuchhalter«, er überlegte, »Balletttänzer … Hattest du mal was mit einem Balletttänzer? Der, den ich kannte, hatte den reinsten Nussknackerarsch. Und Beine wie Baumstämme. Wenn wir zusammen unterwegs waren, dachten alle, er wäre mein Bodyguard.«

Ludwig der Taxifahrer wirkte leicht beunruhigt. Gordan nicht. Der lachte. Sein Lachen war ganz nett. Heiser und warm wie Kaminfeuer.

»Ne, aber als ich so alt war wie du, also dreizehn, hatte ich eine Affäre mit einem Rugbyspieler. Der konnte mich mit einer Hand hochheben.«

»Oooh.« Robin drehte sich zu ihm um. »Erzähl mir mehr!«

»Nicht, bevor ich ein Bier intus habe.«

»Das lässt sich einrichten. Wir sind da.«

Das Taxi bremste, Gordan stieg aus, Robin bezahlte. Der Taxifahrer winkte ihn zu sich her, als er ihm den Zwanziger reichte.

»Junge.«

»Ich bin kein Junge.«

»Gut, Kleiner«, knarzte der Alte. Kalter Rauch umhüllte ihn. Seine Augen waren fast schwarz. »Gordan ist ein guter Kerl.«

»Ah ja?« Robin wusste nicht, was der Mann ihm sagen wollte. »Na, abgrundtief böse scheint er nicht zu sein, aber nett wäre eine Übertreibung. Außerdem könnte man seinen Sinn für Hygiene durchaus beanstanden.«

»Er ist ein guter Kerl.« Ludwig ließ sich nicht beirren. »Brich ihm nicht das Herz.«

Robin wäre fast ausgerutscht und gegen die Autotür gefallen. »Ich soll ihm … Nein, werde ich nicht. Keine Sorge. Da läuft nichts, falls Sie das denken.«

Schwarze Augen blickten ihn zweifelnd an.

»Warum sollte da was laufen?« Robin wurde langsam wütend. »Nur, weil wir zwei schwule Männer sind, müssen wir doch nichts miteinander haben. Ich fühle mich diskriminiert.«

»Brich ihm nicht das Herz, Kleiner.«

»Ich bin kein Kleiner. Ich bin … Ach, vergessen Sie’s. Schönen Abend noch.« Äußerst erwachsen und gelassen straffte Robin sich und folgte Gordan, der zu einer hohen Bretterwand aufsah. Die Rückseite der Wachtelwirtin. Der Geräusch-Mischmasch angetrunkener Unterhaltungen drang durch die Ritzen zwischen den rissigen Brettern.

»Hat Ludwig dich angeflirtet, oder warum hat das so lange gedauert?« Der Keramiker öffnete eine halb verborgene Tür im Efeu. »Oder hast du ihn etwa angegraben?«

»Leider hat er abgelehnt. Er war so viel charmanter als du.« Robin verzog das Gesicht. »Nein, er hat mich gebeten, dir nicht das Herz zu brechen.«

Gordan strauchelte. Eine Augenbraue hob sich. »Was?!«

»Keine Ahnung. Vielleicht dachte er, wir hätten ein Date.«

Ein Kopfschütteln. »Der weiß doch nicht mehr, wie ein Date aussieht, wenn’s ihm die Eier leckt. Verheiratet, seit er zwanzig war, der Bursche.«

Robin schauderte. »Armer Kerl.«

Wieder dieses heisere Lachen. Es wäre interessant, das mal im Bett zu hören. Was er nicht tun würde. Erstmal war Robin dafür zu professionell und dann schien der Mann nicht sonderlich interessiert an ihm zu sein. Was eine Unverschämtheit war.

Die Holztür öffnete sich ins Paradies, also den Biergarten. Gläserklirren und Gelächter erwarteten sie, vermischt mit dem süßen Duft der Sommerblumen und dem herben der alten Backsteinmauern. Die Bänke waren voll besetzt mit Einheimischen jeden Alters. In der Ecke beim Springbrunnen kreischte eine Gruppe älterer Damen, an einer der Bierbänke hatte sich eine Fußballmannschaft versammelt. TSV Sportfreunde Lummerdingen, las Robin auf den durchschwitzten Trikots, bei deren Anblick ihm einfiel, dass er noch nie einen Fußballer gevögelt hatte. Dabei waren die sexy: pralle Muskeln, starke Körper und sogar ganz ansehnliche Gesichter, wenn man die gruseligen Frisuren außer Acht ließ.

»Sabber nicht, Kleiner«, raunte Gordan in sein Ohr. Frisch geduschter Primatengeruch stieg ihm in die Nase. Gar nicht schlecht. Jetzt, wo die Schweißschicht abgewaschen war, blieb nur noch der würzig-herbe Geruch nach Kerl. Und das, was er schon im Atelier gerochen hatte. Diese ganz eigene Note, weder süß noch salzig, sondern etwas ganz eigenes. Aufregend wie der Moment vor einem Fallschirmsprung. Robin schluckte.

»Tu nicht so.« Er schnalzte mit der Zunge. »Du findest die doch genau so geil.«

»Ich?«

»Na, nach dem, was du im Taxi erzählt hast, bist du auch nicht immun gegen hübsche Waden.«

»Das ist lange her, Kleiner.«

»Und jetzt bist du impotent?«

»Nein, erwachsen. Ich habe schon lange nicht mehr …« Ein düsterer Schatten flog über sein Gesicht. So ernst, wie der schaute, hatte er bestimmt seit einem Monat keinen Sex mehr gehabt. Gruselig.

»Gordan!« Lisbeth kam aus der offenen Tür, ein Tablett in den Händen, das randvoll mit schaumbedeckten Halbliterkrügen war. »Was machst du denn hier?«, brüllte sie über die Köpfe der Fußballer hinweg. Mehrere Menschen drehten sich nach ihnen um. »Anschreiben lass ich dich aber nicht, das sag ich dir gleich!«

»Nicht nötig.« Gordan zeigte mit beiden Zeigefingern auf Robin. »Der feine Herr lädt mich ein!«

Feiner Herr war besser als Kleiner.

»Das wird teuer!« Lisbeth lachte. »Gordan säuft wie ein Loch, wenn er will!«

»Will ich nicht.« Gordan schien leicht verstimmt.

»Echt?« Robin sah ihn herausfordernd an. »Ist der mächtige Silberrücken etwa ein Leichtgewicht?«

»Ich geb dir gleich Silberrücken, Kleiner.«

»Du gibst mir gar nichts, Stinker.«

»Huiuiui, ist das etwa ein Date?«, fragte Lisbeth. Wie von Zauberhand stand sie plötzlich vor ihnen. Das Tablett war leer. »Brich ihm nicht das Herz, Kleiner.«

»Das ist kein Date«, sagten sie, wie aus einem Mund. Wie nervige Zwillinge.

»Und ich gebe mir äußerste Mühe, dein Herz nicht zu brechen, Gordan.« Robin legte die Hand dahin, wo er sein eigenes Herz vermutete. »Fest versprochen.«

»Da bin ich ja beruhigt.« Gordan verzog den Mund. »Hab mir solche Sorgen um meine zarten Gefühle gemacht. Komm mit!«

Gib mir keine Befehle, wollte Robin sagen, aber Gordan war schon unterwegs. Er steuerte eine Bank an, auf der bereitwillig Platz gemacht wurde.

»Gordan, schön dich mal wiederzusehen«, hörte er. »Bist du immer noch knapp bei Kasse?«

»Geht so«, hörte er den alten Lügner murmeln. »Wird schon wieder.«

Für Robin machten sie auch Platz. Leider gab es sehr wenig Platz. Eingequetscht zwischen einer bebrillten Frau und Gordan saß er da und fühlte sich so bedrängt, als würde er in einem Akkordeon hocken. Egal, Hauptsache, es gab Bier. Lisbeth war neugierig und mitteilungsfreudig, aber kellnern konnte sie. In Lichtgeschwindigkeit stand ein eiskaltes Bier vor ihm, dessen Schaum verlockend an den Seiten des Kruges herablief.

»Prost!«, rief Gordan in die Runde.

»Prost!«, kam es von allen Seiten. Robin machte mit und dann versenkte er die Nase im Schaum. Wundervoll. Die Luft war abgekühlt, aber seine Kleider klebten ihm immer noch auf der Haut. Ob sein Rücken genau so ansprechend aussah wie die der Fußballer? Er hatte an Muskeln zugelegt, seit er wieder regelmäßig Polo spielte und wenn er sich im Spiegel sah, war er äußerst zufrieden …

Konzentrier dich! Du hast einen Plan!

Ob Gordan auch etwas plante? So, wie er ächzend das Bier abstellte, sich den Schaum aus dem frisch rasierten Gesicht wischte und die Ellenbogen auf die Platte stützte, wirkte er einfach nur entspannt. Und anziehender, als Robin bisher gedacht hatte. Okay, im allerersten Moment, als er die Werkstatt betreten hatte, da hatte er auch gedacht … Nein, nicht mal gedacht. Er hatte etwas gespürt. Tief in den Lenden. Dieser kräftige, struppige Muskelprotz, der mit beiden Händen Ton durchgeknetet hatte, der hatte eigentlich ganz …

Konzentration, habe ich gesagt!, bellte der vernünftige Teil von ihm. Der arme Kerl. Robin stellte ihn sich wie einen bebrillten, schmächtigen Winzling vor, der ständig von seinen großen Geschwistern Lust, Langeweile und Bierdurst ausgelacht wurde.

»Schmeckt’s, Goldstück?« Lisbeth grinste ihn im Vorbeigehen an.

»Ausgezeichnet.« Er lächelte. Goldstück war auch besser als Kleiner. Ein wenig. Er war auf dem richtigen Weg, eindeutig. Bevor sein Glück sich wenden konnte, drehte er sich zu Gordan um.

»Was ist, Goldstück?« Ein herablassendes Lächeln. Oder ein freundliches? Schwer zu sagen.

»Kann ich dich etwas fragen? Oder nein, eigentlich habe ich gleich zwei Fragen.«

»Dann will ich auch zwei Bier. Ne, frag ruhig. Kann nur nicht versprechen, dass die Antwort dir gefällt.«

»Das wird sie nicht, zweifellos.« Er seufzte. »Warum bist du plötzlich so friedlich? Hast du irgendetwas vor?«

»Ich?« Der Mann schien ernsthaft verwundert. »Ne. Was soll ich denn vorhaben? Mein einziger Plan ist, dich für zwei, drei Biere blechen zu lassen und dann nach Hause zu gehen.«

»In dein Atelier?«

»Ja.« Gordan verzog den Mund und sah in seinen Bierkrug. Eine schöne, starke Nase hatte er. Wie ein Felsvorsprung über den vollen Lippen. Der Kontrast zwischen hart und weich war wirklich ganz anziehend. »Ja, wie du gesehen hast, penne ich in meinem Atelier.«

»Ich habe ein Zimmer im Goldenen Ochsen«, sagte Robin, bevor er sich stoppen konnte. »Falls du mal wieder auf einer richtigen Matratze schlafen willst.«

Ein Moment der Stille, in dem Robin sich dafür verfluchte, so ein Angebot gemacht zu haben. Trottel, dachte er. Aber Gordans harter Oberschenkel presste sich gegen seinen und die Hitze, die zwischen ihnen entstand, vernebelte sein Gehirn.

»Bietest du mir nur die Matratze an oder noch mehr?« Eine kräftige Augenbraue hob sich.

Robins Ohren wurden heiß. Mist. »Mehr, wenn du willst.«

Ein trockenes Lachen. »Und dann? Überredest du mich dazu, dass ich neue Plastiken mache, während du mich reitest?«

Wer konnte eigentlich mithören? Sie sprachen ziemlich gedämpft, aber die Gefahr bestand, dass jemand viel zu viel erfuhr. Egal, er konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. Todesmutig legte er die Hand auf den Schenkel des Primaten. »Würde das funktionieren?«

Ein trockenes Lachen. »Nein. Nichts, was du tust, kann mich dazu bringen, die Plastiken zu machen.« Er packte Robins Finger und legte sie zurück auf den Tisch.

»Warum? Was …« Robin unterdrückte ein frustriertes Stöhnen. »Hasst du Geld, Gordan? Ist das so ein Künstlerding?«

»Nein.« Gordans Stimme wurde noch leiser. Ein heiseres Flüstern. Einen Moment lang stellte Robin sich vor, dieses Flüstern im Dunkeln zu hören. Also nicht dem Dunkel des Biergartens, sondern dem Dunkel seines Hotelzimmers … »Ich hätte gern Geld, Kleiner. Tilmann hat immer gewollt, dass ich Erfolg habe. Und ich hab auch nie davon geträumt, in meinem Atelier zu pennen und … Ich würde Erica gern helfen. Ich …« Er verstummte.

»Noch zwei Bier, Lisbeth!«, rief Robin.

Heiße Keramik

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