Читать книгу Heiße Keramik - Regina Mars - Страница 8
4. Unerwünschter Gast
Оглавление»Erica!« Gordan rang sich ein Lächeln ab.
Seine Schwester rang sich ein Naserümpfen ab. »Du stinkst.«
»Stimmt. Ich spring schnell unter die Dusche, dann wird gekocht.«
»Du bist doch nur hier, um zu duschen. Ansonsten interessierst du dich überhaupt nicht für mich.« Bitterkeit färbte ihre Stimme.
»Ach was, Sister.« Er breitete die Arme aus und sie wich zurück. Zum Glück. Er hätte nicht gewusst, was er getan hätte, wenn sie ihn umarmt hätte. Sie hatte ihn seit Jahren nicht mehr umarmt.
Immerhin hatte sie den Weg freigegeben. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, schritt er in die staubfreie Diele und über den blütenreinen Teppich, von dem er vermutete, dass sie ihn bügelte. Es roch nach Sagrotan. Der Geruch hielt sich so hartnäckig wie der Geruch nach kalter Asche in einer Raucherbude. Bei Erica rauchte niemand. Keine Nikotinschwade hatte je die weißen Wände berührt, die noch exakt so aussahen wie vor fünf Jahren, als Erica und Georg eingezogen waren. Dabei hatten sie zwei Kinder. Sollten die nicht mit Fingerfarben umhertoben und alles zerstören, was ihnen in die kleinen Finger kam?
Die kleinen Finger waren damit beschäftigt, fein säuberlich ein Malbuch auszumalen. Stille herrschte im Wohnzimmer. Lucy und Luke waren sechs Jahre alt, hatten aber die Gesichtsausdrücke von vierzigjährigen Steuerberatern.
»Na, ihr Racker?«
»Guten Tag, Onkel Gordan«, flöteten sie einstimmig und beugten sich wieder über ihren Maltisch, der null Flecken und keinerlei Buntstiftstriche aufwies. Genau wie der Rest des geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmers. Gordan sah über Lukes Schulter. Der Kleine malte einen lachenden Hund mit abscheulich langen Wimpern und heraushängender Zunge aus. In Beige und Braun.
»Genau die richtigen Farben für einen Hund«, sagte Gordan. »Absolut korrekt.«
Ein verhalten stolzes Lächeln schlich sich in Lukes Gesicht. »Danke. Dein Freund ist in der Küche.«
Sein Freund? Tilmann? Aber der war sein Exfreund und … Gordan atmete tief ein und bekam eine Nase voll Körpergeruch ab. Seinen eigenen Körpergeruch.
»Ich stinke wirklich«, murmelte er.
»Ja«, sagte Lucy, die den Hörtest mit Auszeichnung bestanden hatte. »Bitte dusch endlich.«
»Wirst du etwa frech, Kleine?« Er wartete ab und bekam tatsächlich sowas wie ein Grinsen zu sehen.
»Wie ein Iltis«, ergänzte sie.
»Du hast doch keine Ahnung, was ein Iltis ist. Als ob Erica dich je nach draußen lassen würde, wo du wilde Tiere zu Gesicht bekommen würdest.«
»Wir durften eine lehrreiche Sendung über marderartige Tiere sehen«, sagte sie. Das winzige Grinsen war verschwunden. »Gestern. Weil wir drei Gedichte auswendig gelernt haben.«
»Ach so.«
»Kannst du drei Gedichte, Onkel Gordan?«
Auf Anhieb fiel ihm nur eins ein:
Ein Mädchen wollte Pilze pflücken
Musst sich dafür sehr tief bücken
Jetzt stilltse
Scheiß Pilze
»Nein«, sagte er.
Luke hob den Kopf. »Willst du sie hören, Onkel Gordan?«
»Später gern. Wer ist denn mein Freund?« Tilmann? Er schaffte es nicht, den Namen auszusprechen.
»Ein Mann, den Mama total toll findet«, flüsterte Lucy. »Sie hat dem schon zwei Tees gebracht. Den guten Tee.«
Frechheit. Gordan bekam immer nur den Earl Grey vom Discounter.
»Echt?« Er betrachtete seine Schwester, die in den Raum kam. Vermutlich, um zu verhindern, dass er ihre Kinder mit etwas Schädlichem wie Kunst ansteckte.
»Was erzählst du, Lucy?« Sie lachte hohl. »Herr von Romberg-Krieger ist nur hier, weil er eurem Onkel einen Vorschlag unterbreiten will. Einen Vorschlag, den Gordan besser annehmen sollte.« Sie beugte sich vor. Ihre Augen blitzten wie die einer tollwütigen Sumpfschnepfe. »Wenn er weiter hier duschen will.«
»Was?!« Von Romberg-Krieger? Den Namen kannte er doch. »Der schnöselige Goldjunge?«
»Genau der.« Der schnöselige Goldjunge lehnte im Türrahmen, eine Teetasse in der Hand und sah schnöselig und golden aus. Arschgeige. »Schön, Sie wiederzusehen, Herr Klingenschmied.« Mit seinem Lächeln hätte man Stahl fräsen können.
»Ja, dich auch, Kleiner. Kannst wieder gehen. Dir verkaufe ich nichts.«
»Nicht mal eine von diesen niedlichen Spitzmaustassen?« Oh, der Goldjunge trank seinen guten Tee aus einem von Gordans Meisterwerken. Dabei hatte Erica so viel edles Porzellan. War sie etwa doch stolz auf ihn? Fragend sah er sie an.
Sie seufzte. »Ich habe ihm eine vernünftige Tasse angeboten, aber er wollte die da.«
»Echtes Kunsthandwerk.« Ein blödes Grinsen erschien. »Wirklich beeindruckend.«
»Verbindlichsten Dank, Kleiner. Ich gehe duschen.« Lieber flüchten, bevor er dem Schnösel eine zimmerte. Nicht vor den Kindern.
»Gordan!« Erica stellte sich ihm in den Weg. »Du solltest dir Herrn von Romberg-Kriegers Vorschlag anhören.«
»Das kann ich auch, wenn ich nicht mehr stinke«, knurrte er. Sie wich keinen Millimeter zurück. »Wenn er es so eilig hat, kann er ja mit unter die Dusche kommen.«
»Gordan.« Ihre Augen wurden schmal. Einen Moment lang war sie wieder die fiese große Schwester, die ihn mit einem Kneifzwirbler zum Weinen bringen konnte. Dabei war er inzwischen zwei Köpfe größer als sie. »Nicht vor den Kindern.«
»Das war keine Anmache.« Verächtlich sah er den Goldjungen an.
»Schade.« Der seufzte und nippte an seinem Tee. »Borstige Primaten sind mein geheimer Fetisch.«
Erica schaute schockiert, doch dann lachte sie. »Ach. Sie sind ein Schlingel, Herr von Romberg-Krieger!«
Ein Muskel zuckte im Kiefer des Goldjungen. Schlingel war anscheinend nicht sein Lieblingswort. Musste Gordan sich merken. Bei nächster Gelegenheit würde er ihn als »Racker« bezeichnen.
»Ich dusche jetzt. Allein.« Er hob die Arme und verscheuchte Erica mit seinem Achselschweiß. Wütend wich sie dem Gestank aus.
»Seif dich zweimal ein«, zischte sie. »Und beeil dich.«
***
Er beeilte sich nicht. Ausgiebig genoss er die kühle Dusche, die in Wasserwerferstärke auf ihn herabschoss. Herrlich. In seiner letzten Wohnung hatte es aus der Brause nur getröpfelt. Er seifte seinen Leib (der überhaupt nicht so behaart war, wie dieser Klappspaten behauptete) zweimal ein und benutzte Georgs Rasierer, um zumindest im Gesicht spiegelglatt zu werden. Das würde höchstens bis morgen früh halten, aber immerhin sah er nicht mehr aus, als würde er unter einer Brücke hausen.
Erica war nicht immer nett, aber immer reinlich. Die Klamotten, die er beim letzten Mal hier gelassen hatte, waren sauber und dufteten nach Veilchen oder irgendeinem anderen Gewächs. Gordan hatte angeboten, seine Kleider selbst zu waschen, aber Erica hatte so entsetzt geschaut, als würde die Waschmaschine explodieren, wenn sie ihm in die Pranken geriet.
Das ist ein hochkomplexes Instrument, hatte sie gesagt. Klar, als Chemikerin kannte sie sich mit komplexem Zeug aus. Nicht wie er, der Höhlenmensch, der den ganzen Tag mit Ton rummatschte. So ähnlich war ihre Vorstellung von seinem Job und bisher hatte er sie nicht vom Gegenteil überzeugen können.
***
Der Schnösel schnöselte in der Küche rum, als Gordan veilchenduftend hereinkam. Genauer gesagt schnöselte er lässig an den Induktionsherd lehnend herum, umrahmt von antibakteriellen Edelstahlschränken und kindersicheren Schubladen.
»Wo ist Erica?«, fragte Gordan.
»Sie und die Kinder sind draußen im Garten.« Der Goldjunge deutete zum Fenster. »Sie machen eine Yogaübung, die die Konzentration fördert. Luke hat außerhalb der Linien gemalt.«
»Und jetzt muss er zur Strafe auf einem Bein stehen.« Gordan seufzte. »Alles klar.«
Die Nervensäge sah weiter zum Fenster hinaus. Leichte Verunsicherung legte sich über seine Züge, als er die Verrenkungen betrachtete, die Erica und die Kinder anstellten. »Ist das normal? Ich meine, in Ihren Kreisen?«
»In Ericas Kreisen bestimmt.« Gordan verschränkte die Arme. »Ich weiß, wie das aussieht. Aber sie gibt sich wirklich Mühe, eine gute Mutter zu sein. Andere kümmern sich gar nicht um ihre Kleinen.«
»Oh, ich meinte nicht … Ich weiß.« Ein Schatten flog über sein Gesicht und mit einem Mal wirkte der Goldjunge recht düster. Sekunden später war sein Gesicht wieder glatt und nichtssagend. Schade. »Nun, zumindest Ihre Schwester schien begeistert von meinem Angebot. Werden Sie …«
»Nein.« Selbst wenn er wollte, könnte er nicht. Aber das musste der kleine Scheißer ja nicht wissen. »Ich koche jetzt. Wenn du hierbleiben willst, musst du helfen.«
»Oh, kein Problem.« Die Augen des Blödmanns leuchteten auf. »Was gibt es zu tun?«
Kein Wunder, dass der sich so freute. Wie Gordan kurz darauf feststellte, hatte der Kerl noch nie gekocht und betrachtete es als neues, großes Abenteuer. Es war ein Wunder, dass er das Küchenmesser richtig rum hielt.
Trotz seiner Hilfe standen eine Stunde später fünf Teller mit Aberdeen Angus-Steaks auf dem blank polierten Esszimmertisch. Die Kinder strahlten. Sonntag war Fleischtag. Der einzige. Wenn Erica ihr Glas Weißwein geleert hatte, würde Gordan sie vielleicht sogar überreden können, den Kindern eine zweite Portion alkoholfreies Cranachan zu erlauben.
»Dann mal los«, sagte Gordan und wartete ab, bis die Kleinen ihre Dankbarkeitssätze aufgesagt hatten. Dann war Erica dran. Sie endete mit: »Ich bin dankbar, dass mein Bruder eine weitere Chance bekommt, und hoffe sehr, dass er es diesmal nicht verbockt.«
»Ich bin dankbar, dass ich eine Schwester habe, die mich nimmt, wie ich bin. Und, dass ich einen ausgezeichneten Neffen und eine wunderbare Nichte habe. Und dass die Tür zum Atelier abschließbar ist.« Gordan nickte dem Goldjungen zu. »Du bist dran.«
Der schaute leicht verwirrt.
»Du musst sagen, wofür du dankbar bist«, flüsterte Lucy.
»Ja, das habe ich verstanden.« Er lächelte. »Ich bin dankbar, dass …« Zögern. »Dass ich heute so ein wunderbares, selbstgemachtes Essen bekomme. Und dafür, dass ich mir mit dem Küchenmesser nicht den Daumen abgesäbelt habe. Und dafür, dass ich nicht mit einem miefigen Affen duschen musste.«
»Für jemand mit einem Arschversohl-Fetisch stellst du dich ganz schön an.«
»Gordan!« Erica zwang sich zu einem Lächeln. »Guten Appetit.«
Einen Moment lang herrschte wunderbares Schweigen. Die Steaks waren echt gut geworden. Das Fleisch zerging Gordan auf der Zunge, wenn er nur dagegen drückte. Weich und zartfaserig. Perfekt. Erica wusste halt, wo man das gute Zeug bekam. Vermutlich vom Sedlerhof. Mit deren Sohn hatte sie, lange vor Georg, mal ein Techtelmechtel gehabt.
»Gordan, hör dir das Angebot an, das Herr von Romberg-Krieger dir macht.« Mist, das Steak hatte ihr kaum fünf Minuten lang das Maul gestopft.
»Nein.«
»Gordan.« Einatmen. »Hör es dir an.«
»Gut.« Wütend sah er zu dem Goldjungen hinüber. Der feixte. »Aber ich nehme es nicht an.«
»Gordan, du …«
Ausgerechnet der Schnösel sprang ein und hinderte sie daran, weiterzureden.
»Fünfzig Prozent von dem, was die Plastiken einbringen«, sagte er. »Ich bin sicher, dass wir sie noch teurer verkaufen können als die letzten. Sie werden es nicht mitbekommen haben, so, wie Sie sich in Ihrem stinkenden Loch verkrochen haben, aber die ersten waren ein gigantischer Erfolg. Der Markt ist so heiß auf neue Werke von Gordan Klingenschmied, dass wir eine Auktion veranstalten könnten und ich wette, dass keine Plastik unter hunderttausend weggeht. Was sagen Sie?«
»Nein.«
»Gordan, du Hundsfott!«, brüllte Erica. Halb aufgerichtet erstarrte sie. Lucy und Luke sahen sie an, als hätte sie sich in einen feuerspeienden Drachen verwandelt. Sie wurde blass. »Ich … Lucy, Luke, geht auf eure Zimmer. Ihr könnt zum Nachtisch wieder herunterkommen. Onkel Gordan und ich müssen etwas besprechen, das«, eine Ader zuckte auf ihrer Schläfe, aber ihre Stimme war süß wie Sirup, »sehr langweilig für euch wäre. Husch, husch.«
»Das macht nichts«, sagte Lucy mit tellergroßen Augen. »Mir ist gar nicht langweilig.«
»Mir auch nicht.« Ein Salatblatt fiel aus Lukes Mund. »Gar nicht überhaupt nicht. Ich will hierbleiben.«
»Auf eure Zimmer.« Erica atmete ein. »Sofort.«
»Aber mir ist überhaupt nicht lang…«
»Sofort.«
Die beiden trollten sich. Gordan fragte sich, ob sie einen Weg finden würden, um zu lauschen. Erica und er hatten immer einen Weg gefunden, wenn ihre Eltern gestritten hatten.
Entnervt sah er den Goldjungen an, der sichtlichen Spaß an der Szene hatte. Ein fieses Lächeln zierte seinen Mundwinkel. Fehlte nur noch, dass er spöttisch mit den Augenbrauen … Der Mistkerl wackelte spöttisch mit den Augenbrauen! Gordan ballte die Finger zu einer Faust, aber bevor er etwas sagen konnte, schlug ihm Ericas geballte Wut ins Gesicht.
»Wie kannst du so ein Idiot sein, Gordan?!« Ihre Stirn war weiß, die Wangen rot. »Du dämlicher, egoistischer Mistkerl! Nagst am Hungertuch, pennst in deinem Atelier und lässt dich von mir aushalten und dann lehnst du vor meinen Augen so ein Angebot ab?!«
»Ich lasse mich nicht von dir aushalten!« Er sprang auf. Wut flammte in seinem Bauch hoch. »Ich dusche einmal pro Woche hier, und dafür koche ich! Besser als Georg das hinkriegt, falls du es gemerkt hast. Und besser als du!«
»Ja, mit meinen Zutaten!« Sie setzte das Weinglas an die Lippen und trank es in einem Zug aus. Leider besänftigte der Alkohol sie nicht. »Du verblödeter Hornochse! Was denkst du denn, wer für dich aufkommen wird, wenn du alt bist? Wenn du immer noch kein Geld hast und zu alt bist um zu arbeiten? Was für eine Rente hast du dann? Keine! Und nur, weil du unbedingt deinen Kopf durchsetzen musstest und ein nutzloser Künstler geworden bist. Genau wie Mum und Dad! Für die werde ich auch sorgen müssen, für euch alle, ihr elenden Schmarotzer! Und dann passiert einmal etwas Gutes, da hast du einmal eine Chance, und du sagst Nein?!«
»Ja, ich sage Nein«, presste Gordan heraus. »Das ist mein gutes Recht. Und du musst auch nicht für mich sorgen, wenn ich alt bin. Lieber jage ich mir eine Kugel in den Kopf, als dir zur Last zu fallen.«
»Schön.« Sie knallte das Weinglas auf die Tischplatte. »Aber für Mom und Dad muss ich alleine aufkommen, weil du nicht helfen kannst. Und wenn … wenn mir oder Georg etwas passiert, dann haben die Kleinen niemanden mehr. Ihr Onkel wird nicht für sie sorgen können, weil er … weil er ein sturer Blödmann ist …« Oh nein. Bitte nicht. Ihre Augen glitzerten und ihre Stimme wurde klein und rau. »Du Idiot. Ich kann doch nicht immer alles alleine machen. Du könntest doch auch mal …«
Verdammt. Alle Worte blieben in Gordans Kehle stecken, wie immer, wenn sie weinte. Was nicht oft vorkam. Und schon gar nicht vor Fremden. Gordan warf einen Blick auf den Goldjungen, der nicht länger griente. Er schaute, als wäre er an jedem Ort der Erde lieber als hier. So, wie seine Finger die Serviette kneteten, würden gleich nur noch weiße Fetzen vor ihm liegen.
»Erica.« Gordan atmete ein. »Ich kann dir das erklären. Später. Wenn du willst.«
»Ich will nicht.« Sie sah ihn nicht an. Eine einzelne Träne rann über ihr Kinn. »Noch einen Vortrag über Kunst und Freiheit ertrage ich nicht. Verschwinde, Gordan. Ich habe genug von dir.« Sie nahm das Glas und stiefelte aus dem Raum. Ihr schmaler Rücken war angespannt. Gordan wollte ihr hinterherlaufen, aber er wusste aus bitterer Erfahrung, wo das enden würde. In noch mehr Streit und Tränen. Trotz des guten Steaks in seinem Magen fühlte er sich leer und kalt.
»Komm mit, Goldjunge«, sagte er leise. »Ich kenn sie. Sie will jetzt alleine sein.«
Der Schönling warf seinen Stuhl fast um, als er aufstand. In Windeseile durchquerte er den Flur und war aus der Tür. Erst, als sie hinter ihnen zuklappte, atmete er aus. Es war dunkel und die Sommerluft kühlte ab. Sie roch nach frisch gemähtem Vorstadtrasen und Autopolitur.
»Es tut mir leid«, sagte der Goldjunge und sah Gordan an. Licht drang aus dem rautenförmigen Fenster in der Haustür. Es versenkte die Hälfte seines Gesichts im Schatten und verlieh ihm einen Hauch von Charakter. »Wirklich. Ich dachte, Ihre Schwester könnte Sie überreden. Ich wollte nicht, dass Sie sich streiten. Ich gehe morgen gern zu ihr und erkläre, dass …«
»Mach dir keinen Kopf, Goldjunge.« Gordan ließ eine Hand auf seine Schulter fallen. Der Schnösel hielt sich aufrecht. Kräftig war er ja. »Das warst nicht du. So endet jedes Sonntagsessen.«
»Bitte?!«
»Ja. Letzte Woche hat sie mich auch rausgeschmissen.« Gordan seufzte. »Es ist nicht so einfach.«
»Ja, das habe ich bemerkt.« Der türkisfarbene Blick schien ihn zu durchbohren. »Gibt es einen Grund dafür?«
»Wir sind Geschwister.« Gordan zuckte mit den Achseln und trottete die Stufen hinunter in die Einfahrt. »So ist das halt.«
»Bei uns nicht.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Er grunzte. »Ihr sitzt vermutlich an einer drei Kilometer langen Tafel und schweigt.«
»Nein. Wir reden.« Der Kleine ging neben ihm her über die Straße. Er verzog den Mund und musterte die beigefarbenen Reihenhäuser hinter den Lichtkegeln der Straßenlaternen. »Wir reden darüber, welche Erfolge meine Geschwister vorzuweisen haben. Wir reden darüber, wie meine Eltern sich kennengelernt haben und warum sie nach vierzig Jahren noch so glücklich miteinander sind wie am ersten Tag. Dann reden wir darüber, wie gut es für Mutters Kandidatur aussieht. Wie Vater es schafft, die Umsätze mit jedem Jahr zu steigern. Und dann kramt irgendwer die alte Geschichte hervor, wie ich den Kunstlehrer gefickt habe und vom Internat geflogen bin.«
Gordan lachte. Überrascht darüber versuchte er, es wie ein Husten klingen zu lassen. »He, das ist doch auch ein schöner Erfolg. Schafft nicht jeder.«
»Nein.« Kurz sah es aus, als wollte ein Lächeln in den glatten Mundwinkel kriechen. Tat es aber nicht. Der Goldjunge steckte die Hände in die Hosentaschen und wippte wieder vor und zurück. »Das schafft nur Robin, die Schande der Familie von Romberg-Krieger. Das ist das Einzige, was er schafft. Vögeln, saufen und die Familie lächerlich machen.«
Gordan sah ihn überrascht an. »Warum erzählst du mir das? So viel Wein hast du auch nicht getrunken.«
»Das stimmt.« Ein Seufzen. »Würde ich aber gern.«
»Na dann …« Gordan atmete tief ein. Egal. Er hatte keine Kraft mehr, gegen den blonden Trottel zu kämpfen. »Gehen wir was trinken. Wenn du einem brotlosen Künstler ein paar Bier spendierst, erzählt er dir, warum er dein Angebot nicht annehmen kann.«