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3. Haariger Affe
ОглавлениеKleiner! Dieser behaarte Muskelprotz hatte ihn »Kleiner« genannt! Diesen Spitznamen benutzte Robins ganze verdammte Familie und die Hälfte der Männer, mit denen er geschlafen hatte. Eine Menge Männer also. Dabei war er gar nicht klein. Mit 1,87 Metern war er sogar überdurchschnittlich groß. Aber daran lag es ja nicht.
Er steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte in das nächstbeste Schaufenster. Blonde Haare und ein verdammt hübsches Gesicht starrten zurück. Glatt wie ein Babypopo und wesentlich wohlriechender. Aber es war nur so glatt, weil er wusste, wie man einen Rasierer benutzte, zur Hölle! Anders als dieser Affenmensch von Keramiker, der anscheinend noch nie etwas von Haarentfernung gehört hatte. Aus dessen straff gespanntem Unterhemd hatte verschwitzte Haut geschaut, die von dunklen Haaren bedeckt gewesen war. Na, nicht überall. Die Schultern waren glücklicherweise frei davon gewesen. Das kantige Kinn dagegen hatte ausgesehen wie mit Stahlwolle bedeckt. Ein Zehn-Tage-Bart, mindestens. Und wie der gestunken hatte! Wie ein Iltis! Robin war immer noch ganz schlecht.
Na ja.
Mürrisch marschierte er über das holprige Kopfsteinpflaster. Unter dem Gestank hatte eine zwar herbe, aber auch animalisch gute Note gelegen. Wenn so ein Kerl sich über ihn hermachte, würde er bestimmt noch Tage später nach ihm riechen. Widerlich, aber geil.
Nein. Robin reckte das Kinn in die Höhe. Nicht an Sex denken! Einmal im Leben durfte er nicht alles vermasseln, weil er mit dem Schwanz dachte.
»Das ist deine Chance, Robin«, murmelte er. »Versau’s nicht.«
Er würde es ihnen zeigen. Seiner Familie und allen, die ihn je »Kleiner« genannt hatten. Was, zugegeben, auch daran lag, dass er der jüngste Sohn der Familie war. Und daran, dass er sich bevorzugt ältere Liebhaber suchte. Aber sollte er etwa selbst Schuld an der Misere sein? Daran, dass sein Vater ihm so wenig zutraute, dass er ihn in die Postabteilung versetzt hatte, wo er angeblich keinen Schaden anrichten konnte? Nur, weil er …
Robin seufzte und erinnerte sich an die Liste seiner Verfehlungen:
- vom Internat Greifenfels geflogen, wegen illegaler Partys,
- vom Internat Lohenhöhe geflogen, wegen Sex mit einem heißen Mitschüler,
- vom Internat Überlauen geflogen, wegen Sex mit dem heißen Kunstlehrer,
- das Abi nur mit 3,7 bestanden, weil er beim Internats-Hopping zu viel Stoff verpasst hatte,
- das erste Praktikum vergeigt, weil er sich, endlich vom Internat befreit, mit zu vielen heißen Kerlen rumgetrieben hatte,
- das Studium gestartet, indem er eine Affäre mit einem heißen, aber eifersüchtigen Professor eingegangen war. Der ihn durchfallen ließ, als Robin die Affäre beendete,
- den Bachelor noch knapper geschafft als das Abi. Grund: Feiern und heiße Männer,
- bei einem Dreier von einer Drohne gefilmt worden, genau an dem Tag, an dem seine Mutter ihre Kandidatur als Bürgermeisterin bekannt gab,
- in den Familienbetrieb eingestiegen und gleich einen heißen Projektleiter vernascht. Auf dem Schreibtisch seines Vaters, der sie prompt erwischt hatte,
- wichtige Firmengeheimnisse an einen heißen Saarländer verraten.
Immerhin wusste seine Familie noch nicht, dass er während des Hinflugs Handjobs mit einem spanischen Geschäftsmann ausgetauscht hatte. Aber bei seinem Glück hatte die Stewardess sie dabei gefilmt und sandte gerade einen Erpresserbrief an seinen Vater. Der seinen missratenen Sohn bestimmt freikaufen würde. Wie damals, als die Nacktfotos von ihm und diesem Grafensohn aus Monaco aufgetaucht waren. Robin war zu besoffen gewesen, um sich an das Techtelmechtel zu erinnern. Ja, er hatte einen Anflug von Stolz gefühlt, als er sich auf den Fotos gesehen hatte. Bis sein Vater ihn zusammengefaltet hatte.
Wenn er so darüber nachdachte, sollte er sich wirklich von Männern und Alkohol fernhalten … Oh, da war ein Brauhaus.
»Zur Wachtelwirtin« stand in goldenen Lettern über der holzgetäfelten Front. Nun, eine Wirtin war immerhin kein heißer Kerl und würde ihm daher keine Probleme bereiten. Auf der Schiefertafel neben dem Eingang standen die magischen Worte »Biergarten im Hof«. Ein Bier wäre genau das Richtige gegen die Hitze, überlegte Robin und trat ein.
Minuten später saß er in einem lauschigen Hinterhof, schaute den Vögeln zu, die sich im Springbrunnen balgten, und genoss die Sonne. Und das Bier. Eine Lummerdinger Eigenmarke, malzig und so finster wie die Seele von diesem bekloppten Keramiker. Der Vollpfosten! Wenn der nur Ja gesagt hätte. Robin hatte ihn doch sogar gebeten! Wie konnte der so ein blöder Klappspaten sein? Immer noch spürte er die harten Hände, den unbarmherzigen Griff. Hatte der ihm an den Hintern gefasst? Nicht, dass Robin etwas dagegen gehabt hätte, seinen Körper einzusetzen, um den Kerl zu überzeugen. Wenn es funktioniert hätte! Ihm an den Arsch zu langen und ihn dann in den Dreck zu schmeißen, war eindeutig nicht in Ordnung!
Seine Finger tappten auf die gemaserte Tischplatte. Er saß auf einer langen Bank mit zwei anderen Männern, wohl Einheimischen, die ihm beim Setzen zugenickt und mit ihm angestoßen hatten. Jetzt waren die beiden in ein Gespräch über den traurigen Zustand des Fußballplatzes vertieft. Robin dachte nach. Er konnte nachdenken, egal, was alle sagten. Was sie sagten, war, dass er ein sexsüchtiger, ewig besoffener Nichtsnutz sei. Was er auch war. Aber er war ein kluger sexsüchtiger, ewig besoffener Nichtsnutz. Und er würde diesen stinkigen Keramiker dazu bringen, ihm eine Plastik zu töpfern und seiner Familie beweisen, dass er doch zu etwas zu gebrauchen war.
Ein Glühwürmchen war in Robins Brust aufgestiegen, als sein Bruder beim Abendessen von seinem Fehlschlag berichtet hatte. Roman war ungewöhnlich niedergeschlagen gewesen. Sonst strotzten Robins ältere Geschwister vor Siegesgewissheit, alle vier. Doch diesmal war Roman fast wütend gewesen.
Ich konnte ihn nicht umstimmen, hatte er geknurrt. Und jetzt würde ich gern das Thema wechseln.
Sie hatten das Thema gewechselt und von Ronjas Pferdezucht gesprochen, die selbstverständlich großartig lief. Sie verschwendete ja keine Zeit mit Männern und Alkohol. Aber in Robin hatte etwas gearbeitet.
Das ist deine Chance, hatte das Glühwürmchen der Hoffnung ihm zugeraunt. Mach es besser als Roman und beweis, dass du auch nützlich bist!
Also hatte er drei Tage Urlaub eingereicht und war nach Frankfurt geflogen und von da im Taxi nach Lummerdingen gedüst, was ihn lächerliche 139 Euro gekostet hatte, trotz Stau. Den ganzen Weg über hatte er das Gefühl gehabt, dass das hier seine Stunde war, seine Gelegenheit, allen zu beweisen, dass er nicht nur ein verwöhnter Adelsspross mit herrlichen Haaren war. Also, nicht nur.
Dann hatte dieser Affe ihn rausgeworfen.
Und jetzt saß er hier.
»Entschuldigen Sie«, unterbrach er die beiden Einheimischen. Die sahen ihn erstaunt an. »Kennen Sie zufällig diesen Gordan Klingenschmied?«
»Den Töpfermeister?« Die graugesprenkelte Augenbraue des einen hob sich. »Ludwigs Nichte ist mit dem in der Schule gewesen. Oder, Ludwig?«
»Jupp.« Ludwig nickte. »Guter Typ, der Gordan. Bisschen stürmisch vielleicht. Hat sich früher viel geprügelt. Die Luise-Marie hat ihn mal zwei Nächte bei sich pennen lassen, weil er Stress mit seinen Eltern hatte.«
»Was?« Der andere hob auch noch die zweite Braue. »Und die Eltern hatten nichts dagegen? Bei ’nem Kerl wie dem? Da hätt ich aber was gesagt, wenn der bei meiner Tochter …«
»Ne, der hatte doch selber einen Kerl. Hatte er damals schon, glaub ich.«
»Echt, so jung?« Anerkennendes Schmatzen. »Na, feige war der schon mal nicht. Kein Wunder, dass der sich so viel prügeln musste … Ah, seine Schwester, die wohnt auch hier, oder?«
»Ja, schon.« Ludwig sah Robin an. »Aber was interessiert dich das überhaupt?«
Robin lächelte. »Ich habe überlegt, ein paar Kunstobjekte von ihm zu erwerben. Letztes Jahr tauchten drei seiner Plastiken in unserer Galerie auf, und wir waren begeistert.« Nun, Roman und sein Vater waren begeistert gewesen. Robin kannte die Dinger nur von Fotos. Vorhin, als er hergeflogen war, hatte er sie durchgesehen.
Stolz leuchtete in Ludwigs Zügen auf. »Echt? Ja, der Gordan, der kann schon was, oder? Die Luise-Marie meint, bei ihm läuft es nicht, aber klar, war nur eine Frage der Zeit, bis der berühmt wird. Ist ja ein echter Lummerdinger, der Gordan.«
Was sollte das bitte aussagen? Robin war ein echter von Romberg-Krieger und trotzdem eine einzige Enttäuschung. Dennoch nickte er.
»Was für eine Plastik war das denn?«, fragte der Kerl mit den dicken Augenbrauen. »So ein Römer mit Locken und Mini-Schniepel?«
»Nein«, sagte Robin. So viel verstand er immerhin davon. »Aber ein nackter Kerl, wenn Sie das meinen. Allerdings war er kaum als Mensch erkennbar. Er war …« Er versuchte, den Eindruck zu beschreiben, den die Plastiken bei ihm hinterlassen hatten. »Wild. Schmerzvoll. Etwas ganz Besonderes, so etwas habe ich noch nie gesehen. Durchaus im Rahmen der gängigen Kunstmarkt-Trends, aber etwas wirklich Eigenes.« Die Plastiken hatten ihm gefallen, als er sie heute Morgen angeschaut hatte. Aber da hatte er ihren Erzeuger noch nicht gekannt.
Die beiden Männer wirkten noch stolzer. »Klar, ein Mann«, sagte Ludwig. »Macht ja Sinn.«
»Genau.« Augenbraue nickte. »Diese Schwulen haben eh ein besonderes Talent für … Du weißt schon.«
»Ackerbau?«, fragte Robin.
»Ne, Kunst. Malerei und so. Diese alten Maler waren auch alle schwul.«
»Stimmt.« Ludwig begutachtete sein Bierglas. Leer.
Robin verkniff sich einen Kommentar. Stattdessen winkte er die Kellnerin herbei und bestellte drei Bier. Die Männer dankten ihm und er verbrachte die nächsten Minuten damit, sie weiter nach Gordan Klingenschmied auszufragen. Doch die Antwort, die er suchte, kam aus einer anderen Quelle.
»Bist du nicht der Typ, den Gordan eben rausgeworfen hat?« Die Kellnerin grinste breit und knallte drei Humpen auf den Tisch. »Hab grad das Schild aufgestellt, da hat er dich rausgetragen.«
Robin versuchte, es zu verhindern, aber seine Wangen wurden heiß. »Rausgeworfen ist ein starkes Wort«, begann er, aber sie lachte.
»Wieso, er hat dich doch ziemlich weit geworfen.« Kopfschüttelnd wandte sie sich Ludwig und Augenbraue zu. »Das hättet ihr sehen sollen. Hat ihn über der Schulter getragen wie einen Mehlsack.«
»Was, echt?« Neugier blitzte unter Augenbraues Augenbrauen auf. »Warum das denn, Kleiner?«
Kleiner. Robin holte tief Luft und suchte nach seinem inneren, ruhigen Zentrum oder irgendeinem anderen Zen-Scheiß. Verkniffen lächelte er. »Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit. Nichts Ernstes.«
»Wollte er dir etwa nichts verkaufen?«, fragte Augenbraue.
»Nein.« Robin packte sein Bier. »Aber das wird er noch. Zum Wohl!«
»Prost!« Die beiden grinsten. Ja, die machten sich über ihn lustig. Und die Kellnerin war immer noch da. Hm, hatte sie »Gordan« gesagt?
»Kennen Sie Herrn Klingenschmied etwa?«, fragte Robin sie.
»Sicher. Der ist hier Stammgast. Oder wäre er zumindest, wenn er sich noch ein Bier leisten könnte.«
»Lisbeth!« Augenbraue schaute vorwurfsvoll. »Das musst du nicht jedem erzählen.«
Vor allem keinen adligen Jünglingen, die etwas von ihm kaufen wollten. Robin schnaubte innerlich. Als ob er Klingenschmieds Armut nicht selbst bemerkt hätte, kaum, dass er die Werkstatt betreten hatte. Diesen Saustall.
»Ist halt so.« Lisbeth prustete. »Der Gordan ist pleite, das weiß doch jeder. Läuft halt nicht so, wie er will. Vor allem, seit er sich von seinem Kerl getrennt hat. Da hat er ein halbes Jahr lang nichts zustande gebracht.«
»Diese Künstler.« Augenbraue wischte sich den Schaum vom Bart. »Immer Liebeskummer und Sinnkrisen.«
Von seinem Kerl getrennt. Konnte Robin das nutzen? Aber die andere Info war noch besser: »Ludwig sagte, er hätte eine Schwester, die auch hier wohnt.« Er lächelte charmant zu Lisbeth hoch.
Sie grinste zurück. »Ja, die Erica. Ein vertrocknetes Miststück. Wohnt draußen im Muldengraben, mit dem Georg und den Kindern.« Sie beugte sich zu Robin hinunter und flüsterte: »Mit dem Georg hatte ich zu Schulzeiten mal was. Aber sag’s ihr nicht.«
Robin zweifelte nicht daran, dass Erica es wusste. Wenn er weitere Informationen brauchte, würde er definitiv zu Lisbeth gehen.
»Haben Sie Ericas Adresse?«